Die Frage der Vereinbarkeit hat sich mir nie gestellt. Bisher. Wie auch, ich hatte ja keine Kinder. Und überhaupt: Meine Eltern haben das ja auch hinbekommen. Kann ja nicht so schwer sein, oder? Und dann ganz plötzlich, war sie doch da. Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit. Sowohl die Massenmedien wie auch die Blogosphäre griffen das Thema intensiv auf und beantworten sie nicht selten mit „Vereinbarkeit ist eine Lüge“. Für mich war Vereinbarkeit nie eine Lüge, aber meine Unbeschwertheit ist verschwunden. Vor der Schwangerschaft mit der Terrorpüppi hat sich mir die Vereinbarkeitsfrage schlicht nie gestellt. Vielleicht auch, weil meine Eltern sie nie problematisiert haben – jedenfalls nicht vor mir. Ich hielt sie lange Zeit einfach für selbstverständlich. Man müsse es doch nur ernsthaft wollen. Umso überraschter war ich, als sie plötzlich und ohne Vorankündigung als Ärgernis in mein Leben trat.
Kaum gab ich meine Schwangerschaft an, wurde ich auch schon mit Fragen nach der künftigen Vereinbarkeit konfrontiert. bin: Aber nur ich – nicht auch der Mann an meiner Seite. Mein Umfeld trug die Frage der Vereinbarkeit wie selbstverständlich in mein Leben: Menschen, die mir nahe stehen genauso wie solche, ich kaum oder gar nicht kenne. Direkt nach den ersten Glück­wünschen zum sich ankündigenden Nachwuchs begannen die Erkundigungen. „Und? Wie machst du das dann?Machst du deinen Doktor dann noch fertig? Du machst bestimmt erst einmal eine Pause? Wie willst du das alles schaffen?“ Statt sich uneingeschränkt mit mir zu freuen, wurde sie in gewisser Hinsicht auch als Belastung, als Einschränkung kommuniziert. Wir leben in einer Gesellschaft, in einer Zeit, in der das Kinderkriegen potentiell kritisch betrachtet wird.
Ohne Frage, das Vereinbarkeitsproblem wäre auch ohne all die Fragesteller in mein Leben getreten. Dessen bin ich mir sicher. Aber die Wucht der Fragen haben mich zum Nachdenken angeregt und tun das bis heute. Wieso ist das Vereinbarkeitsproblem eigentlich primär das der (werdenden) Mutter? Wieso sollte Mutterschaft die anderen Lebens­bereiche per se in Zweifel ziehen? Wieso wird die Vereinbarkeit von vornherein mindestens als schwierig, meist aber als eigentlich zum Scheitern verurteilt bestimmt?
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Doch was ist das nun eigentlich? Vereinbarkeit.

Der Wunsch nach einer Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist gesellschaftlich gesehen ein recht junges Phänomen. Erst mit der Emanzipation der Frau und dem Aufbrechen traditioneller Strukturen im Laufe des 20. Jahrhunderts wird die Abstimmung von Familie und Beruf überhaupt relevant. Zuvor war die Erwerbslosigkeit der Frau das typische bürgerliche Ideal.
Bis heute scheint im deutsch­sprachigen Raum Vereinbarkeit vor allem als ein Problem arbeitsfähiger Erwachsener reduziert zu werden, sowohl einem Beruf nachzugehen – und womöglich Karriere zu machen – und gleichzeitig eine Familie zu gründen und an der Kinderbetreuung zu partizipieren.
Wenn man jedoch das englischsprachige Pendant betrachtet, den Begriff der Work-Life-Balance, sieht man schnell, dass bei der Frage der Vereinbarkeit abseits des Nachgehens eines Berufs nicht nur um Fragen der Kinderbetreuung oder -erziehung gehen kann, sondern ebenso auch um andere Dimensionen des Privatlebens: Wie das Aufrechterhalten von Freundschaften und das Betreiben von Hobbys. Der englische Begriff verweist auf eine anzustrebende Balance der verschiedenen Lebensbereiche und ist mitunter schon für Menschen ohne Kinder durchaus eine Herausforderung.

Die Forderung nach Vereinbarkeit setzt voraus, dass etwas auch miteinander vereinbar ist

Ich glaube, ein zentrales Problem der Vereinbarkeit vom Familie und Beruf die Tatsache ist, dass die Erwartungen in den einzelnen Lebensbereichen in den letzten Jahrzehnten massiv gewachsen sind. Sich zu 100% dem Beruf zu widmen ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Vollzeitbeschäftigung. Allen Ansprüchen gerecht zu werden, die an gute Eltern gestellt werden, gleicht nicht nur einer Sisyphusarbeit, sondern ist ebenso ein Vollzeitjob. Hobbys oder die Liebe können ebenfalls sehr viel Zeit beanspruchen und bisweilen ein ganzes Leben ausfüllen. Und dann sollen Lösungen für das Vereinbarkeitsproblem all diese Sphären ganz ohne Verluste zusammenbringen? Welchen Platz haben hier Lebensmodelle, in denen sich Menschen einer Lebenssphäre ganz verpflichtet führen? Wenn sie etwa nicht nur eine Beruf nachgehen, sondern sich auch in besonderer Weise für ihre Tätigkeit berufen fühlen? Oder umgekehrt, wenn Frau oder Mann, sich voll und ganz der Familie hingeben wollen? Was bedeutet es für die gesellschaftliche Forderung nach Vereinbarkeit, wenn sich Menschen dem Problem vollständig zu entziehen versuchen?
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Fragen ergeben sich. Wieso zum Beispiel haben sich meine Eltern diese Frage damals eigentlich nicht gestellt? Welche Rolle spielt es, dass sie mich in der DDR bekamen und zumindest für einige Jahre großzogen? In welcher Weise wurde Vereinbarkeit in der DDR überhaupt als Aufgabe problematisiert? Kaum, würde ich sagen. Nach allem, was ich je von ehemaligen DDR-Bewohnern erzählt bekommen habe, war Vereinbarkeit schlichtweg selbstverständlich. Aber nur weil etwas nicht als Problem bestimmt wird, heißt es noch lange nicht, dass es nicht trotzdem da ist und dass es auch zu Konsequenzen führt.

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Vereinbarkeit als facettenreiches gesamtgesellschaftliches Problem

Vereinbarkeit stellt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar und ist so vielfältig wie die Familien es sind, die sie zu bewältigen haben. Zu facettenreich ist das Thema, als dass ich in der Lage wäre all meine Gedanken in ein einziges Blogpost zu packen. Ein solcher würde überdimensionale Ausmaße annehmen und einzelne Punkte würden aufgrund der Mannigfaltigkeit der wichtigen Aspekte vermutlich auch noch untergehen. Aus diesem Grund möchte ich mich auf meinem Blog nach und nach den verschiedenen Aspekten der Problematik von Vereinbarkeit zuwenden. Gerade aufgrund der Vielseitigkeit des Phänomens kommen auch viele Gastautoren und -autorinnen zu Wort. Aspekte, die ich besonders interessant finde, sind beispielsweise:
  • Vereinbarkeitsfrage als Aufgabe der Frau?!
  • Vereinbarkeitsfrage als Aufgabe des Mannes?!
  • Familienmodelle
  • Familie und Beruf vereinen? Zwischen Wollen und Müssen
  • Vereinbarkeit und Kindeswohl
  • Wie steht’s um die Gleichberechtigung?
  • Politische Bemühungen zur Förderung der Vereinbarkeit (Mutterschutz und Elternzeit und -geld, Kinderbetreuung, Frauenquote, …)
  • Vereinbarkeitsfrage aus Sicht von Arbeitgebern (Arbeitszeiten, Wochenarbeits­stunden; Schichtdienst, …)
  • Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Wissenschaft
  • Karriere machen trotz Familie?
  • Kinder(fremd)betreuung als Allheilmittel zur Lösung des Vereinbarkeitsproblems
  • Einfluss moderner Informations- und Kommunikationsmittel
  • Vereinbarkeitsfrage als besondere Herausforderung von Alleinerziehenden
  • die Vereinbarkeitsfrage in anderen Ländern
  • Vereinbarkeit auf Kosten der Gesundheit?
Im Rahmen verschiedener Beiträge möchte ich also den Facettenreichtum ausleuchten, den die Frage nach der (Un)Vereinbarkeit mit sich bringt. Ich freue mich dabei auf vielfältige Diskussionen, denn eines ist bereits klar: Egal wie sehr ich mich auch bemühen werde, keinesfalls ist es zu schaffen, alle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die mit dem Thema einhergehen.

Wer sofort Lust hat, sich weiter in das Thema einzulesen, dem empfehle ich für’s erste ein Blogpost von der Teilzeitmutter oder vom Mama_notes. Was bedeutet für dich Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Als ich bei Twitter danach fragte, fielen die Antworten differenziert aus.

Und plötzlich war sie da: Die Frage der Vereinbarkeit | Terrorpüppi | Reflektiert, bedürfnisorientiert, gleichberechtigt #vereinbarkeit #arbeitenmitkind