Sabine von Fadenvogel hatte wirklich eine unglaublich tolle Idee für eine Blogparade. Es geht ausnahmsweise einmal gerade nicht um die Menschen, die uns lieb und teuer sind, sondern um solche, die uns immer wieder in unserem Alltag begegnen, die wir aber gar nicht persönlich kennen. Fadenvogel nannte sie „Menschen, die ich kenne, aber nicht bemerke„. Ich würde das genau andersherum formulieren wollen. Sind es nicht Menschen, die ich zwar bemerke, aber nie wirklich kennenlerne? Ich möchte auch gerne über drei solcher Menschen meines Alltags etwas schreiben.

Nicht selten sind es Brief- und Paketzusteller oder der freundliche Mensch, der die Pakete für einen entgegen nimmt. Auch der Fadenvogel selbst sowie Dani von Glucke und so, Roxana von Early Birdy oder auch Marianne von Morjanne haben genau solchen Leuten in ihren Blogposts ein Gesicht gegeben. Wie wichtig gute Paketzusteller sind, merkt man nicht selten erst, wenn sie plötzlich nicht mehr da sind. Auch ich hatte einen wirklich tollen Paketzusteller, aber nicht er ist verschwunden, sondern ich. Ich bin nämlich umgezogen und ich bin froh darüber, dass wir ihm wenigstens zu Weihnachten ein Trinkgeld und was Schokolade als kleine Anerkennung gegeben hatten. Er hat sich nämlich trotz des ganzes Stresses und der schlechten Bezahlung stets darum bemüht, unsere Pakete direkt bei uns oder unseren Nachbarn abzugeben. War niemand da, ist er einfach später nochmal vorbeigekommen. Damit hat er uns viele zusätzliche Wege erspart und er hatte auch stets ein freundliches Lächeln für uns übrig. Ich habe ihn bemerkt, aber kennengelernt habe ich ihn nie.
In meiner neuen Wohnung habe ich nun diesen einen unglaublich herzlichen Nachbarn. Ein älterer Herr und ein echtes Berliner Urgestein. Eigenwilliger Humor, aber eben herzlich und die Seele unseres Hauses. Er nimmt für uns alle (Vorder- und Hinterhaus und die Nachbarhäuser!) die Pakete entgegen. Für ihn scheint es eine Möglichkeit zu sein, mit anderen Menschen regelmäßig ins Gespräch zu kommen. Manchmal tut er mir aber auch leid, weil die hiesigen Paketzusteller seine Hilfsbereitschaft ganz schön ausnutzen und einfach sofort sämtliche Pakete zu ihm bringen, statt sie selbst auszuliefern. Dank dieser Blogparade ist mir aber klar geworden, dass mein Nachbar demnächst mal ein kleines Präsent verdient hat.

 

Etwas trauriger ist eine Begegnung, die ich fast jeden Tag in meinem alten Stadtteil hatte. Eine sehr alte Frau, die auf der Straße lebt. Jedes Mal, wenn ich sie gesehen habe, hat es meinem Herzen einen Stich versetzt. Obdachlose übersieht man gemeinhin schnell, wenn man in einer Großstadt wie Berlin lebt. Es gibt viele von ihnen und nicht wenige sind einem aufgrund ihres Erscheinungsbildes oder ihres Auftretens schlichtweg unangenehm. Nur wenn man inne hält und sich versucht, zu vergegenwärtigen, dass da immer noch ein Mensch wie du und ich drinnen steckt, kehrt das Mitgefühl zurück. Leider viel zu selten.
Bei dieser alten Dame allerdings hab ich jedes Mal, bei jeder Begegnung mitgefühlt. Sehr alt, zerbrechlich, klein. Gekrümmte Haltung, niemals den Menschen in die Augen blickend. Völlig verloren. Ich stellte mir immer vor, es wäre meine Oma und allein der Gedanke daran tut weh, denn für irgendjemanden wird auch sie vermutlich einmal eine Oma, Mutter, Schwester oder Freundin gewesen sein. So was darf einfach nicht sein. So darf unsere Welt nicht sein und doch ist sie es.
Einmal, bei unseren ersten Begegnungen, wollte ich ihr ein 2€ Stück geben. Sie wollte es nicht, aber sie brauchte es. Ich merkte ihr an, dass sie es hasst, diese Almosen. Ich war verstört, denn obwohl sie vom körperlichen und hygienischen Zustand betrachtet, eigentlich längst aufgegeben zu haben schien, war da trotzdem noch in ihr dieser Stolz. Stolz, den viele andere Obdachlose, wenn sie nur lange genug auf der Straße sind, verlieren. Sie blicken durch einen hindurch, alles scheint ihnen egal. Doch ihr nicht. Ich habe sie immer bemerkt, aber kennenlernen durfte ich sie nicht – und vielleicht wollte ich es auch nie. Sie zu sehen, verstört mich, bis heute.