Blogreihe: Familienleben zwischen Beruf und Berufung

Kaum schaltete ich mein Smartphone heute morgen ein, war so ziemlich das erste, was mir entgegen schrie, die Frage: Habt auch ihr ein schlechtes Gewissen? Alu von Grosse Köpfe ruft gemeinsam mit Scoyo zu einer Blogparade über das (schlechte) Gewissen von Eltern und Vereinbarkeit auf. Die Blogparade wird sicher spannend, allerdings hoffe ich inständig, dass nicht alle ins gleiche Rohr blasen. Ich hoffe auf kontroverse Beiträge und auch ein wenig auf Menschen wie mich, die verdammt noch mal nicht ständig an einem schlechten Gewissen leiden.

Das schlechte Gewissen als Gepäckstück aller Eltern?!

Ich bin es schrecklich leid, überall von diesem ominösen schlechten Gewissen zu lesen. Es gehört mittlerweile ja regelrecht zum guten Ton, dass ein jeder ein schlechtes Gewissen hat – ja haben muss. Nicht selten höre ich mir erst eine ganze Weile an, wie toll der neue Job ist, wie viel Spaß er macht und wie gut alles laufe, aber dann, ja irgendwann kommt dieser Nachsatz mit dem schlechten Gewissen: Natürlich habe man auch ein schlechtes Gewissen. Man würde ja eigentlich viel lieber mehr Zeit mit der Familie verbringen, aber das versuche man anderweitig auszugleichen.
Das schlechte Gewissen scheint zum modernen Gepäckstück von Eltern dazu zu gehören, aber ganz ehrlich? Ich lasse nicht zu, dass es zu meiner täglichen Last wird oder gar, dass andere mir diese Last aufbürden.

Ja geht’s noch?

Noch mehr leid als davon ständig zu hören, bin ich es allerdings, dass mich Menschen sogar ganz direkt fragen, ob ich denn kein schlechtes Gewissen hätte. Wieso werde ich das überhaupt gefragt? Dann frage ich mich also, warum mich andere danach fragen.

Manchmal werde ich dann wütend. Die Art und Weise, wie ich das dann nämlich gefragt werde, ist de facto versteckte Kritik. Man fragt, weil man findet, ich müsste sogar ein schlechtes Gewissen haben. Denn eigentlich gehört das Kind zu seiner Mutter oder wenigstens nach Hause, am besten beides. Mein Kind hat mein Lebensmittelpunkt zu sein, jederzeit und alles, ja alles – auch mich selbst – habe ich ohne wenn und aber unterzuordnen. Ja, geht’s noch? Unterstellst du, der oder die mich gerade nach dem schlechten Gewissen fragt, etwa eine schlechte Mutter zu sein? Ich bin eine gute Mutter – und die kann ich auch deshalb sein, weil ich mit mir selbst im Reinen bin. Ich versuche nämlich nicht nur darauf zu achten, was mein Kind braucht, sondern auch, was ich brauche, um glücklich zu sein. Ja, ich sorge mich auch mich selbst, weil ich nur dann überhaupt in der Lage bin, mich auch um andere zu kümmern. Dass ich mich um mich selbst kümmere, sei es, indem ich eine Karriere anstrebe, einem Hobby nachgehe, mich mit Freunden treffe oder einfach nur Zeit mit mir allein verbringe, macht mich nicht zu einem egoistischen Menschen, sondern zu einem achtsamen.

Ich muss mich vor Dritten nicht rechtfertigen und ich muss mich auch nicht selbst peinigen und quälen, weil ich den Ansprüchen anderer nicht gerecht werde. Das einzige was zählt, ist, dass es meinem Kind, meiner Familie und auch mir selbst gut geht. Wir als Familie definieren, was wir brauchen um glücklich zu sein – und niemand anderes. Dazu beobachte ich vor allem meine kleine Tochter sehr genau, denn sie spiegelt sehr schnell zurück, wenn etwas im Argen liegt.

Wenn mal etwas nicht gut läuft – und ja, das tut es oft – dann suche ich lieber nach Wegen, wie ich konkret und individuell Abhilfe schaffen kann, statt gleich alles in Frage zu stellen; statt mir Selbstvorwürfe zu machen. Ich habe kein schlechtes Gewissen, auch dann dann nicht, wenn es mal nicht läuft. Ich gebe mein Bestes und es gehört dazu, dabei auch mal zu scheitern. Ein schlechtes Gewissen muss ich doch nur haben, wenn ich es gar nicht erst versucht hätte und wenn ich aus „Fehlern“ nicht lernen würde. Ich mag manchmal unzufrieden sein oder ärgerlich, aber nein, im Inneren zerfrisst mich da kein schlechtes Gewissen.

Nimm das! Du schlechtes Gewissen!

Manchmal versucht sich dieses ominöse schlechte Gewissen trotzdem hinterrücks anzuschleichen, aber dann sage ich nur: Nimm das! Und brate ihm schnell eins über. Meiner Püppi geht es gut, verdammt gut sogar. Woher ich das weiß?

  • Ich sehe ihr Glück in ihrem lachen.
  • Ich sehe ihr Glück an ihrem kindlichen Spiel.
  • Ich sehe ihr Glück an ihrem Selbstbewusstsein, mit dem sie die Welt erkundet.
  • Ich spüre es, wenn sie mich in den Arm nimmt, sich an mich kuschelt oder in meinem Arm schläft.
  • Ich spüre es einfach, wenn wir zusammen sind.
Wenn meine Püppi glücklich ist, wieso sollte ich ein schlechtes Gewissen haben? Ganz offenbar mache ich verdammt viel richtig und das erkenne ich an. Alle Eltern sollten auch ihre Leistungen anerkennen können und nicht nur ihr Scheitern.
Auch ich bin glücklich. Klar könnte ich mehr schlafen, mehr meine Freunde sehen, noch mehr arbeiten, mehr bloggen, mehr putzen, mehr Femme fatale sein – aber hey! Ich bin nun mal nicht teilbar, sondern ich muss Kompromisse machen, ich muss den passenden Mix für mich finden. Dieser Mix muss im Großen und Ganzen für mich individuell passen – und ja, im Großen und Ganzen tut er das, also habe ich auch hier keinen Grund für ein schlechtes Gewissen. Sollte der Mix einmal nicht mehr passen, dann suche ich Lösungen und zwar gemeinsam mit meiner Familie.

Wenn man gern würde, aber nicht kann

Bisher habe ich darüber geschrieben, dass das schlechte Gewissen von außen an mich als Anforderung herangetragen wird. Die zweite Variante, wieso mich jemand nach dem schlechten Gewissen fragt, könnte aber auch sein, weil er oder sie selbst eines verspürt oder meint, bei mir ein solches zu beobachten.

Ich will nicht Lebenswirklichkeiten leugnen, in denen Eltern legitimer Weise ein schlechtes Gewissen verspüren. Sie verspüren es vermutlich auch, weil sie ihre Situation aufgrund von strukturellen Restriktionen nicht einfach ändern können. Das finde ich zutiefst bedauerlich. Ist es nicht schlimm, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die Verwirklichung bestimmter Lebensmodelle allein von den finanziellen Möglichkeiten abhängen? Ist es nicht furchtbar, dass sich so viele Menschen ihr Leben nicht ihren persönlichen Bedürfnissen entsprechend einrichten können und dass sie ständig getrieben werden?

Aber wisst ihr, was die nun gar nicht brauchen? Ja genau. Die brauchen keine Leute, die ihnen auch noch zusätzlich ein schlechtes Gewissen machen. Sie brauchen keine Leute, die ihnen die fehlende Passung von Familie und Beruf unter die Nase reiben. Diese Menschen brauchen Zuspruch, Unterstützung und pragmatische Lösungen und ganz sicher niemanden, der ihnen von außen das schlechte Gewissen noch weiter vergrößert. Ganz im Gegenteil.

Hört auf danach zu fragen!

Also tut mir einen Gefallen und fragt mich nicht nach meinem schlechten Gewissen und fragt am besten auch andere nicht danach. Hört aber zu, wenn jemand davon erzählt. Hört diesem Menschen zu und macht ihm Mut, unterstützt, sucht nach Lösungen – oder macht ihm im Zweifelsfall klar, dass es für dieses furchtbare Gefühl absolut keinen Grund gibt.

Ebenfalls in dieser Reihe erschienen:

Und plötzlich war sie da: Die Vereinbarkeitsfrage 
Das Leben zu Dritt oder nur ein Drittel der Zeit (Gastbeitrag)
Arbeit, die sich aber lohnt! (Interview)  
Liebe unter Druck. Die Last der Vereinbarkeit? 
Vereinbarkeit – Wollen wir das wirklich? (Gastbeitrag)
Kinder sollten nie einschränken, sondern immer bereichern (Interview)