Die Sache mit dem Knopf im Ohr ist eine streitbare. Je nach Kultur und Zeit ist das Piercen der Ohrlöcher mal völlig normal, mal völlig abwegig und ganz oft irgendwo dazwischen.

Ich selbst bin in einer Generation groß geworden, da hatten fast alle Mädchen in der Schule auch Ohrlöcher gestochen und trugen daher auch häufig Ohrstecker. Doch es gab sie bereits, Mädchen deren Ohrlöcher noch nicht gestochen waren.

Blicke ich zurück auf die Generation meiner Eltern und Großeltern waren noch mehr Mädchen an den Ohren gepierct. Auf alten Fotos sehe ich sogar, dass bereits kleine Babys Ohrringe trugen. Es war einfach völlig normal und ich mag niemandem einen Vorwurf machen, dass es damals genau so gehandhabt wurde. Doch heute ist heute.

Mein Traum(a)

Doch bevor ich auf dieses Heute zu sprechen komme, möchte ich einen Blick zurück auf meine Ohrlöcher werfen. Als Baby hat mir meine Mama noch keine Ohrlöcher stechen lassen – auch wenn sie selbst als Baby bereits Ohrstecker trug. Wie alt ich genau war, als mir das erste Ohrloch gestochen wurde, kann ich gar nicht sagen, aber ich war auf jeden Fall noch recht klein, aber nicht so klein, dass ich mich nicht schon diffus daran erinnern kann.

Dem aufmerksamen Leser ist es vielleicht schon aufgefallen: EIN Ohrloch. Ja, ich hatte nur ein Ohrloch gestochen bekommen, weil ich bevor das zweite gestochen werden konnte, schlicht abhaute. Es war keine schöne Begebenheit für mich. Ich erinnere mich an eine mir wildfremde Frau, die eine dünne Nadel erhitze und dass ich mich auf einen Stuhl setzen sollte. Ich war mit meiner Oma in diesem viel zu großen Gebäude und ich mochte die ganze Situation nicht. Dann war da ein Schmerz, aber vor allem Angst. Deshalb floh ich und rannte die nächsten Jahre mit nur einem Ohrloch herum, das natürlich auch halbwegs wieder zuwuchs.

Einige Jahre später jedoch wuchs mein Verlangen trotz meines Traumas, doch noch Ohrlöcher zu bekommen. Ich wollte gerne schöne Ohrringe tragen und nachdem mir meine Mama versicherte, dass das Stechen der Ohrlöcher mit einer „Pistole“ nicht weh tun würde, sondern nu kurz brennen würde, willigte ich mutig ein. Was fühlte ich mich mutig als ich den Laden betrat. Ja es tat tatsächlich nicht weh und so hatte ich doch noch zwei Ohrlöcher.

Lange Jahre trug ich trotzdem kaum Ohrringe, weil sie beim Spielen störten. Ich mochte sie nicht. Erst im Studium entdecke ich die Ohrlöcher schließlich wieder. Zugewachsen waren sie nicht, schließlich hatte in regelmäßig für kurze Zeit Ohrringe durchgestochen. Nicht oft, aber oft genug.

Aus meinem Trauma wurde doch noch ein Traum. Ich liebe Ohrringe und während meines Studiums trug ich die buntesten Ohrringe. Ich mochte es auffällig und schrill. Erst seit die Terrorpüppi auf der Welt ist, trage ich wieder weniger bis kaum Ohrringe. Zu groß ist die Angst, dass sie dran reißt.

Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit

Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit, doch gerade an der Frage der Piercings scheiden sich durchaus die Geister, ob und wann dies in Bezug auf Kinder verletzt wird. In vielen Ländern (Spanien, Indien, viele Länder Südamerikas) sind Piercings ein wesentlicher Bestandteil der Kultur und das respektiere ich auch. Ich stehe gerade Ohrlöchern nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, aber gerade meine eigenen Erfahrungen und auch die gesellschaftlichen Diskussionen der letzten Jahre um die Kinderrechte und insbesondere das Recht von Kindern, auf ein gewaltfreies Leben, haben mich dahin geführt, meine Terrorpüppi bis zur Pubertät auf keinen Fall zu piercen.

Für mich ist das Stechen von Ohrlöchern von unmündigen Kindern, die nicht einmal im Ansatz die Konsequenzen solcher Entscheidungen überblicken können, nach heutigem Diskussions- und Kenntnisstand Körperverletzung. Das Recht auf körperliche Integrität wiegt für mich in diesem Fall, hier in Deutschland, einfach schwerer als das Recht auf Ausleben der kulturellen Sitten und Gebräuche.

Ob die Terrorpüppi sich auf eigenen Wunsch in der Pubertät Ohrlöcher stechen lassen darf – oder gar andere Piercings – das behalte ich mir als Frage für die Zukunft vor. Ich bin einfach der festen Überzeugung, dass wir als Eltern in der Verantwortung stehen, die Rechte unserer Kinder zu schützen, weil dieses es eben selbst noch nicht vermögen.

Meine Bedenken richten sich demnach weit weniger auf allergische Reaktionen, Entzündungen und Infektionen oder das Risiko des Ausreißens der Ohrlöcher (hier in Kürze nachzulesen) – allesamt ist möglich, aber für mich tatsächlich nicht so relevant. Denn meine Bedenken sind grundsätzlicher Natur. Es geht um die Grundrechte meines Kindes. Ich persönlich liebe Ohrringe, aber mein Kind vielleicht später nicht? Vielleicht wird es die Ohrlöcher als Verstümmelung empfinden? Nein, diese Verantwortung für einen medizinisch nicht notwendigen Eingriff in den Körper soll meine Püppi selbst tragen, wenn sie alt genug ist. Das ist sie spätestens mit 18 Jahren und ob sie es früher ist, behalte ich mir – wie gesagt – erst einmal vor.

Als Mutter muss ich mein Kind schützen – sogar gegenüber meinen eigenen individuellen Vorlieben. Meine Entscheidungen können das gesamte Leben meines Kindes beeinflussen und genau daran muss ich denken, wenn ich an Ohrlöcher bei Kindern denke. Wer seinem Kind dennoch Ohrlöcher stechen lässt, den mag ich nicht pauschal verurteilen, aber ich hoffe, dass diese Entscheidung wohl überlegt ist (zum Weiterlesen in diesem Falle auch hier).

Dieser Blogbeitrag ist Teil der Blogparade #Wirsindallefreigeboren von von Grosse Köpfe und Geborgen Wachsen.
 
 

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