Auszüge aus dem Tagebuch eines Mombies – Teil 1: Die Zombie-Apokalypse steht bevor

Die Apokalypse ist nah

„Liebes Tagebuch,

Ich kann dich gerade nur durch den Schleier des nicht geschlafenen Schlafs, des Pieptons durch chronisch ohrenzerreißenden Geräusche meiner Tochter und der verlorenen Nerven der stetigen Wutanfälle schreiben. Aber ich schreibe trotzdem hoffnungsvoll in dich hinein. Solltest du allerdings doch nicht mein Tagebuch sein, so verzeihe mir die Schändung deiner Buchseiten.

Ich bin nun sein 634 Tagen ein Mombie und es wird Zeit, dass ich meine Geschichte der Nachwelt hinterlasse, denn mir ist heute klar geworden, dass die Erfahrungen, die Mütter zu Mombies werden lassen und die Erfahrungen, die sie wiederum als Mombies sammeln, die Menschenheit durch die anstehende Zombie-Apokalypse hinüber retten wird.

Von einer bevorstehenden Zombie-Apokalypse bin ich zutiefst überzeugt. Ja sie ist unweigerliche Konsequenz der gegenwärtigen Entwicklungen. Warum sonst werden wir beispielsweise bereits durch Film- und Fernsehen mit Nahkampf- und Überlebenstechniken versorgt?
Der Erfolg von Serien wie „The Walking Dead“ – oder brandaktuell: „Fear The Walking Dead“ und ebenso von Geheimagentenserien wie „24“ oder „Homeland“ ist doch nur darüber zu erklären, dass wir uns alle unbewusst dadurch besser für die noch kommenden Gefahren gerüstet sehen. Ja nur so ist letztlich auch der Erfolg von „Buffy – Im Bann der Dämonen“ zu verstehen. Joss Whedon hatte schon in den 1990er Jahren im Bunde mit seinen Zuschauern prophetisch die Zombie-Apokalypse vorhergesagt. Interessanterweise wird schon durch den Fernsehkonsum eine erste Auslese getroffen: Denn nicht jeder nimmt mediale Angebote des Überlebenstrainings auch wahr.

Warum sonst hätte ein Mitglied der Piratenpartei einst eine offizielle Anfrage gestellt haben sollen, um in Erfahrung zu bringen, ob Deutschland für eine Zombie-Katastrophe gerüstet sei?
Als Neulinge des Polit-Zirkus wusste der gute Herr Lauer damals noch nicht, dass man derart Panik machende Fragen nicht offen stellen darf, aber er schien andererseits auch schon über ausreichend Insiderwissen zu verfügen, um von der Zombie-Apokalypse Kenntnis erhalten zu haben.  
Die derzeitige Lage der Flüchtlinge in Deutschland beweist allerdings, dass der Deutsche Staat schon einmal nicht gerüstet ist – und auch das Überleben der besorgten Bürger scheint fraglich.

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Warum sonst.

Warum sonst sollten Bund und Länder marodierende besorgte Bürger (neudeutsch für Neonazis) mit Böllern, Knüppeln, Flaschen und anderen zweckdienlichen Wurf- und Schlag-Geschossen gewähren lassen statt ihnen resolut Paroli zu bieten?
Man erhofft sich ganz offenbar ein realitätsnahes Anschauungsmaterial: Auf der einen Seite rohe Gewalt – so wir sie bald gegen die Zombies aufbringen müssen und auf der anderen Seite wehrlose, vom Schicksal gebeutelte Wesen – so wie wir es in der Zombie-Apokalypse zuhauf sein werden. Ja man kann sogar erkennen, dass sich in der Gesellschaft eine neue Form von Solidarität entwickelt, die in einer Zombie-Apokalypse sicher nicht schaden kann.

Warum sonst stellt die Lebensmittelindustrie schon seit geraumer Zeit immer mehr Lebensmittel mit immer mehr Konservierungsstoffen her?
Jeder weiß doch schließlich, dass man in einer Zombie-Apokalypse ohne Wasser, Lebensmittel und Waffen keine Chance auf Überleben hat! Ich sehe mich vor meinem inneren Auge bereits die nahe liegenden Supermärkte stürmen und meinen SUV vollstopfe mit Wasser und Lebensmitteln und Waffen. Den SUV klaue ich mir dann im Übrigen einfach, weil was zählt in einer Zombie-Apokalypse schon noch Eigentum. Waffen werde ich nicht nur in Baumärkten finden, sondern auch in diesen seltsamen Reise-Läden, die sich auf Überlebensausrüstungen in der Arktis spezialisiert haben. 

Ich könnte diese Liste noch beliebig fortführen, doch es würde mich nur darin bestärken: Uns steht ganz eindeutig eine Zombie-Apokalypse bevor.

Und ich? Ich werde überleben.

Woher ich das weiß? Als effiziente Mischung aus Zombie und Mutter habe ich meine Überlebensstrategien in den fast 21 Monaten bereits fabelhaft trainieren dürfen und zugleich durfte ich erfahren, wie man sich so als untoter Zombie fühlt – zwar noch mit Vitalzeichen, aber teilweise doch schon in die Werkseinstellung zurückgefahren.

Nicht zu verwechseln sollte der Begriff Mombie im Übrigen mit dem gleichnamigen Wort eines afrikanischen Dialekts, in dem Mombie ‚Kuh‘ heißt. Natürlich könnte man anmerken, dass Mütter verdächtig oft muhen, ebenso miauen, bellen oder piepsen, aber dem möchte ich erwidern, dass man von einem bloßen Geräusch keinesfalls kausal auf die Ursache schließen darf. So bedeuten etwa eindeutig erscheinende Verdauungsgeräusche bei Babys keineswegs auch eine volle Windel.

Bitte verzeihe es mir liebes Tagebuch, dass ich immer mal wieder vom eigentlichen Thema abkommen werde, doch mein paralysierter, dauerhaft unter Schlafentzug stehender, vor allem am in permanenter Alarmbereitschaft stehender und mit Kaffee und zeitweise auch Alkohol gefügig gemachter Zustand erlaubt mir eine neue Art des komplexen Denkens. Längst habe ich die Pfade linearen Denkens mit eindeutigen Kausalitäten hinter mich gelassen. Wenn ich einen Glas Wasser sehe, dann ist es nicht halb voll und nicht halb leer, ich sehe es nicht einmal nur fallen. Wenn ich ein Glas Wasser sehe, dann erkenne ich blitzschnell, dass es Bestandteil einer vermutlich längst in Gang gesetzten Verkettung von Aktionen ist, an deren Ende ich mir nicht nur neue Socken anziehen muss, sondern auch ein neues Smartphone erwerben und den Mann mit verdrehtem Knie verarzten darf. Alternativ bleibt das Glas auch einfach entgegen aller Wahrscheinlichkeiten stehen und löst keinen Orkan aus. Selbstverständlich habe ich auch diese Zeitlinie im Blick, denn als Mombie weiß ich, dass schon der Versuch, das Glas am Stürzen zu hindern, in einer Katastrophe enden kann. Blitzschnell Bewegungen auf Höhe der Tischkante können schließlich zu äußerst schmerzhaften Verletzungen führen, die wiederum einen Streit mit dem Partner vom Zaune brechen, an dessen Ende man entschuldigend ein erneutes Glas Wasser reicht.

Als Mombie habe ich eine Stufe an Komplexität meines Denkens erreicht, die es mir möglich macht, sehenden Auges dem Untergang entgegen zu treten, wohl wissend, dass jeder Eingriff in den natürlichen Verlauf der Dinge, den Untergang letztlich bestenfalls nur hinauszögert, nicht aber verhindert – um am Ende doch nicht unterzugehen, weil jede einzelne Schlacht mich nur stärker macht und auf jede eintretende Eventualität vorbereitet. Ich bin also eine Mutter.

Doch ich bin nicht nur Mutter, nein ich bin ein Mombie. Als Mombie weiß ich, dass es ein „Ich schaffe das nicht“ nicht gibt, weil ich am Ende doch irgendwie immer alles schaffe. Ergo werde ich auch die anstehende Zombie-Apokalypse überleben. Trotz unglaublicher Einschränkungen meiner physischen und psychischen Gesundheit, erlebe ich immer wieder ekstatische Momente puren Glücks und erhalte meinen Nachwuchs nicht nur am Leben, sondern beschütze ihn auch erfolgreich vor den bereits unter uns wandelnden Zombies.

Liebes Tagebuch, ich bin mir sicher, meine Worte haben dich verwirrt, aber das ist völlig in Ordnung so. Auch ich bin verwirrt. Die Gefühle, die das Muttersein in mir hervorrufen, verwirren mich ebenso. Ich weine Tränen, deren dahinterstehende Traurigkeit ich niemals für möglich gehalten habe. Ich spüre ein Glück, von dem ich nicht wusste, dass es in meinem Herzen dafür so viel Platz gibt. Ich entdecke Kraftreserven in mir, von denen ich nie geahnt hätte, dass ich selbst und andere Menschen sie immer und immer wieder auffüllen würden können.

Vielleicht, liebes Tagebuch, bringe ich in meinem nächsten Tagebucheintrag, etwas mehr Klarheit und ordne wirre Gedanken und vertreibe den Nebel, der zwischen deinen Seiten und meiner Klarheit steht. Vielleicht aber brauche ich einfach nur noch einen Kaffee.

Alles Liebe
Deine Jessi

P.S. Erst im Nachgang wurde ich daran erinnert, dass solche Mombie-Tagebücher auch andernorts geführt werden – so beispielsweise bei Frau Chamailion. Ihr seht. es ist es Breitenphänomen 😉