… und der dann doch ganz anders wurde, als ich hoffte.

Ich habe wirklich lange auf diesen Tag hingefiebert. Bereits 2009, zum Ende meines Studiums wusste ich es einfach: Ich will auch noch promovieren. Es ging mir nicht um den Doktortitel. Klar, der ist ein schöner Nebeneffekt, aber ich hatte Forschung in meiner letzten Studienphase als erfüllend empfunden und wollte unbedingt mein eigenes großes Projekt. Der Weg zum Promotionsbeginn war dann doch recht holprig (das erzähle ich ein anderes Mal), aber im April 2012 ging es los. Mein Stipendium startete und ich konnte mich meinem Projekt widmen. Die Doktorarbeit. Meine Doktorarbeit.

Am Nikolaustage des Jahres 2013 kam dann meine kleine Terrorpüppi auf die Welt. Sie ist kein neues, weiteres Projekt. Sie ist die Liebe meines Lebens. Meine Prioritäten haben sich verschoben. Doch meine Doktorarbeit habe ich nicht aus den Augen verloren. Schon kurz nach der Geburt habe ich wieder stundenweise an ihr gearbeitet. Meine Devise lautete ‚Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen‚.

Aufgrund von Familienförderungsmaßnahmen seitens meines Stipendiengebers hatte ich das Glück, ein Jahr extra Zeit zu bekommen. Es war trotzdem mühsam und das Stipendienende kam zunehmend in Sicht. Die Zeit raste schneller und schneller. Zudem begann ich mich auch um Stellen zu bewerben. Anfang Januar dann das erste Vorstellungsgespräch. Es wurde mir klar gemacht: Eine Chance auf die Stelle habe ich nur, wenn ich so schnell wie möglich die Arbeit fertigstelle. Ich nannte Mitte Februar als machbar. Irgendwie. Unter hohem Kraftaufwand. Wenn nichts dazwischen kommt… 

Ich arbeitete auf Hochtouren, wollte ich mir doch meine Chance erhalten.

Stellenabsage.
Platz 2 der Reihenfolge. Platz 1 sagte zu.
Enttäuschung.

Die Deadline Mitte Februar bleibt. Ich kann und will davon nicht mehr abrücken. Es ist viel Arbeit, aber ich halte meinen Arbeitsplan ein. Die Terrorpüppi wird krank und ist ein Mama-Klebekind. Ich halte meinen Arbeitsplan ein. Auf der letzten Zielgeraden werde ich auf zwei Problemstellen der Arbeit aufmerksam. Die muss ich einfach bearbeiten. Da führt kein Weg dran vorbei. Ich schwanke zwischen hoffnungsvollem Optimismus und Verzweiflung. Ich schaffe es. Nicht  wie erhofft am Freitag, aber am Montag dann.

Ein gutes Gefühl haben zu können mit der fertigen Arbeit, war mir immens wichtig. Mein Projekt muss unbedingt einen guten Abschluss finden. Mir war klar, dass das nur geht, wenn ich alles noch einmal abschließend Korrektur lese. 272 Seiten am Wochenende. Unsägliche Müdigkeit, gepaart mit hoher Motivation und einer unglaublichen Anspannung treiben mich voran. Sonntag Nacht sitze ich bis nach 3Uhr an den letzten Korrekturen. Morgens kontrolliere ich schließlich noch einmal das abschließende Dokument. Noch einmal verbessere ich eine Grafik. Papierkram für die Abgabe. Alles frisst weitere Zeit.

11:25Uhr. Ich mache mich auf den Weg in die Uni. Auf den Weg in den Copy Shop.

Meine Nerven sind gespannt wie Drahtseile. Ich bin so aufgeregt, als müsste ich mich gleich augenblicklich vor jemanden erklären – die gesamte Arbeit verteidigen. Im Copyshop angekommen, ein kurzer Schreck, aber dann quetscht mich der nette junge Mann mit meinem Auftrag einfach dazwischen. gegen 14Uhr würde es fertig werden. Puuh! Das hört sich definitiv tausend Mal besser an als die erstgenannte Zeit: 18Uhr.

Also heißt es: Warten. Im Vorfeld stellte ich mir das angenehm vor. So mit Buch und Kaffee in einem Coffee Shop gemütlich in der Ecke sitzend. In einem Sessel, die Füße hochgelegt auf einen Hocker. Von außen betrachtet sah es sicherlich auch so aus. Aber ich entspanne nicht. Im Gegenteil. Ich werde immer hippliger, doch mein Körper ist auch unsäglich müde. Kurz vor 14uhr ein Anruf vom Copyshop. Papierstau. Es verzögere sich. Es tue ihm leid. Es würde 14.30Uhr werden.

Ich bin immer noch dankbar, dass es zeitnah klappt. Versuche, mich auf mein eigentlich sehr lustiges Buch zu konzentrieren, scheitern jedoch zunehmend. Ich beschließe, kurz an die frische Luft zu gehen. Es nieselt. Mir wird schnell kalt. Letztlich warte ich die letzten Stunden Minuten im Copyshop. Dann ist sie endlich fertig. Meine Arbeit. In 5-facher Ausführung. Ich bin froh, sie in den Armen zu halten. Schwer sind die Kartons, doch mit gehobenen Hauptes marschiere ich gen Architekturgebäude. Irgendwo dort werde ich nun meine Arbeit abgeben.

Kaum finde ich das zuständige Büro, ein kleiner Schreck. Abgeschlossen. Oh nein. Die Dame hat schon Feierabend gemacht. Ich warte kurz. Unschlüssig stehe ich da. Auf keinen Fall will ich diese Arbeit wieder mitnehmen. Die gefühlte Last raubt mir die Luft zum Atmen. Ich will nicht wieder gehen.

Ich gehe ein paar Büros weiter und klopfe. Ich habe Glück. Die zuständige Dame ist doch noch da. Tiefe Erleichterung. Wir arbeiten uns durch den Papierkram. Alles vorbildlich, nichts zu beanstanden. Doch dann, der letzte Zettel. Meine Gutachtervorschläge.

Ein lautes Oh schnürt mir unmittelbar die Kehle zu. Es darf doch jetzt nicht ernsthaft was dazwischen kommen? Doch das tut es. Die beiden benannten Gutachter – die ich schon vor Jahren auswählte und mit denen alles abgesprochen war – würden nicht ausreichen. Ich bräuchte noch einen dritten Gutachter.

Ein dritter Gutachter. Meine Erschöpfung und meine Anspannung lassen es nicht zu, dass ich professionell-distanziert reagiere. Ein Tränenfilm steigt in meine Augen. Das darf doch nicht wahr sein. Glücklicherweise darf ich meine Arbeit aber da lassen und die ersten Schritte für die Einleitung meines Promotionsverfahrens würden auch trotzdem schon eingeleitet werden.

Ich gehe nach Hause. Keinerlei Gefühl der Erleichterung. Im Gegenteil. Ein unglaublich ungutes Gefühl macht sich in mir breit. Die Rolle des dritten Gutachters ist sowieso schon nicht die beliebteste. Jetzt aber sollte ich auch noch jemanden finden, der oder die das macht, ohne sogar noch Einfluss auf die Arbeit nehmen zu können.

Tausend Gedanken durchströmen mich. Zuhause maile ich später mit meinem Betreuer (und ersten Gutachter). Ich habe eine Idee. Ich setze meine ganzen Hoffnungen in diese Idee. Zuerst aber müsste auch mein erster Gutachter diesen Vorschlag gut finden. Er hat nichts dagegen. Ich maile erneut. Als Bittstellerin.

Erst spät abends finde ich in den Schlaf. Es ist eine unruhige Nacht. Ich bin immer noch ausgelaugt. Die Püppi ist nun in der Kita. Etwa eine Stunde bemitleide ich mich selbst, dann stehe ich auf und putze, räume auf, schreibe eine Bewerbung. Ständig checke ich meine Mails. Nichts.

Ich brauche definitiv Ablenkung. Nachmittags geht es zu IKEA. Die Püppi testet dort alle Sofas und Sessel… und dekoriert sämtliche Kissen um. Ich checke erneut meine Mails. Eine Mail. Die Mail. Mein Herz rumpelt und kracht. Es überschlägt sich. Ich öffne die Mail. Die ersehnte Gutachterin mache es sehr gerne, natürlich. Sie fände meine Arbeit sehr spannend und hätte ja auch schon einen Einblick bekommen. Binnen einer Sekunde fallen Bürden, Lasten, Ballaste von mir ab. Eine tiefe Erleichterung macht sich breit. Es wartet doch kein wochenlanges Gezerre um einen dritten Gutachter auf mich. Der Tag, auf den ich so lange wartete, erreichte mich mit einem Tag Verzögerung doch noch.