Ich stehe auf dem Schulhof. Der Wind weht und die Sonne versteckt sich hinter Wolken. Ich fühle mich ziemlich verloren inmitten einer Gruppe von Mädchen. Sie sprechen über Bands, deren Musik ich nicht höre und sie sprechen von einem Familienalltag, der mir nicht sehr vertraut erscheint. Bloß nicht negativ auffallen jetzt, denke ich mir. Ich bin in einem Alter, da will man nicht anders sein, sondern dazu gehören. Genau das denken, fühlen, mögen, tun, was auch die anderen tun. Ich lache einfach an den passenden Stellen mit. Ich gehöre nicht dazu.

Zeitsprung.

Nach dem Forschungskolloquium geht es in ein Restaurant. Die Stimmung ist entspannt, die meisten plaudern über den heutigen Vortrag. Assoziationssprung über Assoziationssprung durch die wissenschaftlichen Debatte später raucht mir der Kopf. Ganz schön viele Impulse für einen einzigen Abend. Tausend Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Ja doch, das könnte für meine Diplomarbeit gut passen. Ja, so könnte ich jenes Argument aufbauen. Ich empfinde die Gespräche als unglaublich anstrengend und als unglaublich bereichernd. Ich bin fasziniert von alledem.
Themenwechsel. Es geht nun um Musik. Ich kenne die Bands nur teilweise. Die mich umgebende Wissenschaftlergemeinde diskutiert, ab welchem Album die Band nicht mehr für dieses und jenes gestanden und damit unhörbar wurde. Sie sprechen von Genre-Entwicklungen und von irgendwelchen Musikpersönlichkeiten, die ebenso einem Roman entsprungen sein könnten. Ich habe definitiv keine Ahnung von alledem. Ich will es auch nicht, denn ich habe nicht das Gefühl, dass sie in dieser distinguierten Weise von Musik aus tiefer Begeisterung heraus sprechen. Wenn Menschen mit echter Begeisterung von Dingen sprechen, wenn sie voller Leidenschaft sind, dann macht es mir nichts aus, wenn ich nichts verstehe. Dann spüre ich zumindest, worum es ihnen geht und ich frage gerne nach. Dann will ich verstehen können, was diesen Enthusiasmus, diese Faszination bei ihnen auslöst. An diesem Abend fühle ich mich plötzlich nur fremd. Ausgegrenzt. Ich gehöre nicht dazu, weil ich nicht in derselben Weise über Musik, die ich sogar irgendwie kenne und mag, reden kann.

Man spricht über dasselbe und dann doch wieder nicht

So wie diese musischen Momentaufnahmen, erging es mir oft bei meinen akademischen Ausflügen. Es wird über Themen gesprochen, die mich eigentlich interessieren und ich kann trotzdem nicht am Gespräch teilhaben. Die Art und Weise, wie über die Themen gesprochen wird, verwehrt mir den Zugang, Würde ich mit mitreden, würde ich entweder das Gespräch durch Kritik am Gespräch sprengen müssen oder ich würde mich selbst als Gegenstand der Kritik preisgeben. Beides erscheint mir in meinem beruflichen Umfeld – und die Wissenschaft war lange Beruf für mich – nicht erstrebenswert. Also übte ich mich in Schweigen.

Das Problem ist allerdings, dass diese Gesprächssituationen mit der Zeit häufiger werden. Je länger ich im Wissenschaftsbetrieb bin, desto weniger treffe ich auf Menschen, die wie ich ticken. Immer seltener fühle ich mich in Small Talk-Situationen wohl. Es wird mir immer fremder und ich übe mich im Schweigen. Und in der Flucht. Ich meide immer häufiger derlei Situationen. Ich will auch nicht mitreden können.

Die Bewertungskriterien für Themen sind viel zu oft viel zu unterschiedlich. Man spricht eben nur scheinbar über dasselbe.

Ich will über den Spaß sprechen, den ich beim Konsum bestimmter Serienformate verspüre. Mein Gegenüber über den Trashfaktor im Wandel der Zeit.

Ich will davon sprechen, wie gut ich meinen Kopf frei bekomme bei so einem Serienabend. Mein Gegenüber diskutiert die in der Serie ausbleibende grundlegende Gesellschaftskritik oder die fehlenden filmischen Innovationen.

Auch ich könnte über das reden, was mein Gegenüber anspricht. Aber ich kann es nicht, denn schon die Sprache selbst erscheint mir plötzlich so verwunderlich. Ist das noch meine Sprache? Immer wieder tauchen Fremdwörter und Begriffe auf, die ich einfach nicht gleichermaßen selbstverständlich benutzen kann. In Nebensätzen fallen Verweise, die sich mir nicht erschließen. Mit Freunden spreche ich auch gerne mal über die gesellschaftskritische Seite bestimmter Serien oder über ihren Trash-Anteil. Aber da ist es anders.

Während meiner akademischen Ausflüge breitet sich in mir nicht das Gefühl aus, dass wir wirklich über dieselben Sachen sprechen. Jedenfalls nicht im Kern. Selbst bei vertrauten Themen fühle ich ich ausgeschlossen. Das ist nicht meine Welt. Doch welche Welt ist denn die meinige?

Der Ausflug eines Arbeiterkindes in die Wissenschaft (1) 

Zwischen den Welten. Vom Ausflug eines Arbeiterkindes in die Wissenschaft (2) #promovierenmitkind #arbeiterkind | Terrorpüppi | Reflektiert, bedürfnisorientiert, gleichberechtigt