Nein, mein zweites Baby turnt noch munter in meinem Bauch. Dieses zweite Wunder kann ich noch nicht in meinen Armen halten. Doch da ist ja noch dieses andere Wunder, welches vor drei Jahren in mein Leben trat. Bevor du nun weiterliest, bedenke bitte, dass ich hier nur wenig Schönes beschreibe. Meine Worte könnten triggern – sowohl bei denen, die selbst bereits eine traumatische Geburt hatten, als auch bei denen, die noch nicht geboren haben. Es ist mein Geburtsbericht. der Geburtsbericht, von dem ich nie glaubte, dass ich ihn hier schreiben würde.
 

Die Geburt der Terrorpüppi war traumatisch. Da kann ich nichts beschönigen. Das Trauma holt mich erst jetzt so richtig ein.
Sie war interventionsreich. Eigentlich hab ich kaum eine Intervention ausgelassen.
Sie war lang. Nach zwei Tagen folgenlosen Einleitens lag ich schließlich noch einmal 42,5 Stunden in den Geburtswehen. Mindestens alle zwei Minuten Wehen und den Kreissaal hab ich auch nicht mehr verlassen.
Es sind in der allerletzten Geburtsphase Komplikationen aufgetreten, mit denen kein Arzt gerechnet hat. Geschweige denn ich.
 
Meine Geburt war nicht selbstbestimmt. Sie war aber auch nicht fremdbestimmt. Sie war irgendwas dazwischen. Die Einleitung empfinde ich auch rückblickend als wesentliche Ursache für all das, was anschließend folgte. Ich erlebte die Einleitung als fremdbestimmt. Sie wurde mir als alternativlos präsentiert.
 
Mein Baby war noch nicht geburtsbereit.
Mein Körper war noch nicht geburtsbereit.
 
Ich erlebte vier Hebammenwechsel. Die Ärzte sah ich eigentlich erst am Ende der 42,5 Stunden. Ich hatte einen Geburtsplan. Man versuchte so gut es geht, meinen Wünschen zu folgen. Ich verlor niemals meine Zuversicht.
 
Ich fühlte mich gut aufgehoben.
 
Nach 30 Stunden konnte ich nicht mehr. Nach 30 Stunden sagte ich zuerst zu meinem Mann, dann zur Hebamme, dass ich jetzt entweder eine PDA bekommen müsse oder ich einen Kaiserschnitt bräuchte, denn meine Kraft sei nun am Ende. Ich war kraftlos, aber nicht verzagt. Es handelte sich einfach um eine realistische Einschätzung meiner Kraftreserven.
 
Kein Schlaf. Immer wieder Geburtsstillstände. Pausenlos Schmerzen.
 
Die PDA tat so unglaublich gut. Ich sammelte wieder Kräfte. Ich war noch immer zuversichtlich. Trotz der immer wieder vorgenommenen Interventionen, um die Geburt wieder voranzutreiben, erlebte ich diese Geburt nach wie vor als etwas, das ich aktiv beging. Ich war nicht einfach ausgeliefert, sondern ich gebar mein Kind aktiv. Ich tat, was mir möglich war. Ich gab mein Bestes.
Nach der Eröffnungsphase arbeite sich auch meine kleine Tochter wunderbar in den Geburtskanal. Es verlief noch immer sehr langsam alles, aber wir zwei kamen voran. Wenngleich auch jetzt teilweise nur wegen der Interventionen.
 
Hätte man uns den Geburtszeitpunkt doch nur selbstbestimmt überlassen oder eben doch zu einem Kaiserschnitt geraten.
 
Meine Tochter, von der ich während der Geburt überhaupt noch nicht wusste, dass sie ein Mädchen ist, war sehr tief im Geburtskanal. Irgendwann setzten nicht enden wollende Presswehen ein. Es sollte noch Stunden dauern und doch war ich stark.
 
Meine Tochter steckte fest. Nun sah ich den Arzt. Man rechnete mit den „normalen“, also eher häufig anzutreffenden Komplikationen. Man rechnete mit dem Wahrscheinlichen.
 
3 Jahre später, der damalige Arzt: „Frau Stock, so eine Geburt wie die Ihrige, hab ich zuvor und auch seitdem nie wieder erlebt.“
 
Die meiste Zeit hatte ich meine Augen geschlossen und konzentrierte mich auf das Pressen.
 
Augen auf. Der Raum füllte sich zunehmend mit Ärzten.
So viele Menschen um mich herum.
Augen zu.
 
Doch nichts half. Kein Manöver, keine Saugglocke, nichts. Sie steckte fest. Nun schaute jedoch schon das Köpfchen raus und die Sauerstoffunterversorgung drohte.
 
Überall hörte ich Alarmtöne. Die Telefone klingelten. Ein Notfall ist eingetreten. Wir sind der Notfall.
 
Die Ärztin aus der Kinderklinik hat noch eine Idee. So wird es mir später berichtet. Ein letzter Versuch, ehe der Notkaiserschnitt vorgenommen wird.
 
Die Tür geht auf. Genau in dem Augenblick, in dem ich meine Augen kurz öffne. Ich sehe ein OP-Team vor der Tür.
 
Die Ärztin geht an ihr Werk. Es tut so weh. Doch was sie tut, rettet meinem Baby das Leben oder bewahrt es zumindest vor einer lebenslangen Behinderung. Das Unwahrscheinliche war eingetreten und sie hatte es plötzlich geahnt.
 
Nur noch einmal, nein zweimal Pressen. Mein Baby ist da.
Mein Arzt legt mir mein Baby für einen flüchtigen Augenblick auf die Brust. Ich kann in die wunderschönen Augen meines Babys blicken.
 
Dann rennen sie mit meinem Baby davon. Notfallversorgung. Ich sage, vielleicht bin ich dabei auch lauter, ich weiß es nicht, dass mein Mann mit dem Baby mitgehen soll. Er rennt hinterher.
 
Der Raum leert sich. Die Wehen sind vorbei. Ich werde wieder an den Wehentropf gehangen. Es beginnt von vorn. Es tut weh. Die Nachgeburt kommt. Endlich. Der Mann kommt zurück. Er beruhigt mich, dass unser Baby keine Sauerstoffunterversorgung hätte. Jedoch ein gebrochenes Schlüsselbein. Mindestens. Ich blicke ihn dankbar an. Ich frage, ob wir denn nun ein Mädchen oder einen Jungen hätten. Er weiß es nicht. Das Geschlecht war noch immer so schrecklich unwichtig gewesen. Trotzdem schicke ich ihn wieder hinaus. So langsam will es doch wissen.
 
Man zeigt mir meine Nachgeburt. Fasziniert blicke ich auf meine Plazenta.
 
Der Mann kommt zurück. Es ist ein Mädchen. Der Arzt ergänzt, dass es auch wunderschönes Mädchen sei. Er hat Recht. Für mich ist es das schönste Mädchen auf Erden.
 
Plötzlich ist nur noch mein Arzt und meine Hebamme im Raum.
 
Endlich Stille.
Nein halt, keine Stille.
Es plätschert.In meinem Kopf wird es immer lauter dieses Plätschern.
Ich plätschere. Ich verliere Blut. Viel Blut.
 
Der Wehentropf wird höher dosiert. Ich spüre, dass mein Arzt und die Hebamme versuchen ruhig zu bleiben. Sie kommunizieren weitgehend wortlos miteinander. Ich verstehe, dass auch das hier gerade nicht normal ist. Dass es gefährlich ist.
 
Es gelingt, die starke Blutung zu stoppen. Mein Arzt entspannt sich.
 
Ich werde vernäht. Nicht nur außen. Ich hänge am Tropf, mein Körper braucht Flüssigkeit. Die neuen Schmerzmittel und die Glückshormone helfen, ich werde wieder ruhiger. Kann sogar scherzen. Irgendwie.
 
Ich werde gefragt, ob ich trotz allem aufstehen könne. Wenn ich es kann, darf ich gemeinsam mit meinem Baby normal auf die Station später. Ich stehe auf.
 
Überall Blut. Ich muss durch mein eigenes Blut zu meinem Bett laufen.
 
Ich lege mich in mein Bett. Mir wird endlich mein Baby auf meine Brust gelegt. Es darf dort bleiben. Meine wunderbare kleine Tochter. Sie ist so bezaubernd. Ich bin glücklich, denn ich halte mein Wunder in den Armen. Wir leben. Und mein kleines Wunder wird vollkommen gesund sein, wie sich in den nachfolgenden Tagen herausstellen wird.
 


Das Ende dieser Geburt war eine Belohnung. Unsere Belohnung. Doch die Geburt selbst ist dadurch nicht weniger traumatisch. Ich habe mein Baby unter einem enormen Kraftakt geboren. Es wurde zahlreich interveniert. Im Guten wie im Schlechten. Es wurde massiv in den Geburtsverlauf eingegriffen. Doch ich habe mich nicht als passives Püppchen empfunden. Ich habe mein Kind auf die Welt gebracht. Ich habe mein Baby geboren und niemand sonst. Die anderen – mein Mann, die Hebammen und Ärzte – die haben uns geholfen, unterstützt, ihr Bestes gegeben. Sie haben uns begleitet, doch geboren habe ich mein Kind.

Ich habe mein Baby geboren. Ich wurde nicht entbunden | Auf dem Weg, mein Geburtstrauma zu verarbeiten | Terrorpüppi | Reflektiert, bedürfnisorientiert, gleichberechtigt