Vor meiner ersten Geburt hatte ich kaum explizite Erwartungen. Das wird schon, dachte ich mir ganz optimistisch. Es wurde schon, aber nur irgendwie. Nicht schön, sondern traumatisch. Doch auch auf eine schlimme Geburtserfahrung kann eine Traumgeburt folgen. Meine Traumgeburt.
Ich stehe viel früher auf als sonst. Um 7Uhr sollen wir uns im Kreißsaal melden. Meine Tochter schläft noch. Bald schon wird es an der Tür klingeln, dann kommen mein Bruder und seine Lebensgefährtin. Sie werden heute die ersten Gesichter sein, die meine Tochter nach dem Aufwachen sehen wird. Sie werden meine kleine Große auch zur Kita bringen. Die Terrorpüppi liebt ihren Onkel und ihre Tante. Es wird ihr gut gehen und das tut mir gut, denn dann kann ich mich voll konzentrieren. Konzentrieren auf das neue Leben, das ich schon zum Greifen nah, auf die Welt bringen werde.
Doch zunächst packen der Mann und ich den Rucksack für die Kita. Letzte Instruktionen werden ausgegeben. Mein Bruder fährt uns zum Kreißsaal. Dort angekommen, preschen Erinnerungen auf mich ein. Schon einmal habe ich diesen Gang bestritten. Unzählige Male, denn dank der Einleitung und eines sehr langsamen Geburtsverlaufs bin ich viel in Kreißsaalnähe gelaufen.
Diesmal ist alles anders und dann doch wieder nicht. Diesmal gehe ich meinen Weg bis zum Ende selbstbestimmt. Nachdem die Entscheidung zum Kaiserschnitt gefallen ist, sind auch die Ängste wieder von mir abgefallen. Ja, ein Kaiserschnitt ist eine Operation und bei der gibt es Risiken. Doch risikoreich war meine erste Geburt auch. Diese zweite Geburt wäre ebenso risikoreich gewesen, wenn ich erneut den natürlichen Weg gewählt hätte. Eine, nein meine Traumgeburt ist immer noch möglich.
Ich bin erstaunlich ruhig. Irgendwie hatte ich gedacht, dass ich doch viel aufgeregter sein müsste. Das bin ich jedoch nicht. Ganz im Gegenteil. Ich bin ganz bei mir. Bei uns. Diese Kaisergeburt ist so, wie sie geschehen wird, genau richtig für mich. Für uns.
Nachdem der letzte Papierkram erledigt ist, werden wir in einen Kreißsaal gebracht. Wir sind in einem riesigen Krankenhaus, auf einer Geburtsstation, auf der bestimmt 2000, eher mehr Babys jedes Jahr geboren werden. Doch genau jetzt herrscht hier eine gespenstische Stille. Der Weg zu unserem Kreißsaal führt durch leere, nur spärlich beleuchtete Gänge. Keine Schwangeren, keine Papas, keine Hebammen. Einfach niemand begegnet uns. Ich frage, ob es um diese Zeit immer so ruhig sei. Das ist es wohl nicht. Im Gegenteil. Heute – das sei schon ungewöhnlich.
Ungewöhnlich also. Für mich jedoch ist nichts ungewöhnlich. Ich fühle mich gut in meiner Haut und auch wenn diese Erfahrung gerade gänzlich neu für mich ist, so fühlt sie sich zugleich ganz selbstverständlich an. Richtig.
Im Kreißsaal angekommen, bekommen wir unsere Sachen zum umziehen. Wir sind schnell fertig und warten. Die OP ist für 8Uhr angesetzt. Kurz vor acht höre ich ein Schreien. Es ist dieses kraftvolle, Leben schenkende Schreien.
Der Zeiger der Uhr zieht an der 8 vorbei. Ich befürchte, dass ein Notkaiserschnitt dazwischen gekommen sein könnte. So langsam spüre ich Ungeduld. Ich will doch endlich mein Baby in den Armen halten können.
Dann geht die Tür doch noch auf. Eine Hebamme holt mich. Der Mann muss noch warten. Sie führt mich in den OP. Es ist plötzlich sehr hell, doch keinesfalls unangenehm. Jeder einzelne Schritt, wird mir ganz ruhig erläutert. Kein einziger Handgriff geschieht, ohne dass ich weiß, wieso. Es kommt noch eine zweite Hebamme hinzu. Beide sind mir sehr zugewandt. Sie sprechen mich auf meine erste Geburt an. Sehr einfühlsam. Sie bestärken mich in meiner Entscheidung, nun den Kaiserschnitt gewählt zu haben, ohne irgendwie übergriffig zu sein. Verständnis.
Sie, aber auch die Ärzte geben mir mit ihrem ganzen Verhalten durchweg ein gutes Gefühl. Jeder, der im OP ist bzw. hinzukommt, stellt sich mir persönlich vor.
Die Spinalanästhesie ist schnell gelegt. Wir machen sogar Scherze, weil ich entgegen der Erwartung beim kühlen Desinfektionsspray nicht zusammengezuckt bin. Ich soll mich nun hinlegen. Ganz langsam beginnt die Betäubung. Neben meinem Kopf sitzt der Anästhesist. Als ich spüre, wie sich mein Kreislauf droht zu verabschieden, handelt er schnell. Schon bald fühle ich mich wieder stark.
Endlich kommt auch der Mann. Nun sitzt auch er neben meinem Kopf. Er hält meine Hand.
Ein Tuch wird vor meiner Brust aufgespannt. Ein Sichtschutz. Die operierenden Ärzte kommen hinzu und stellen sich mir ebenfalls vor. Auch sie erläutern die nächsten Schritte. Die Operation beginnt.
Ich drücke die Hand meines Mannes fest. Irgendwann beginne ich zu weinen. Vorfreude. Pures Glück. Ich kann es kaum glauben, dass ich gleich mein Baby bekomme. Meine Gefühle überwältigen mich. Nun bin ich doch aufgeregt. Mein Herz rast, die Tränen laufen.
Dann ist es soweit. Der Moment der Geburt meines Babys wird mir angekündigt. Ein Arzt fragt mich, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Ich weiß es nicht. Dann wird plötzlich das trennende Tuch gelöst. Ich werde aufgefordert, mitzupressen. Ich spüre nichts und doch irgendwie alles. Ich solle erneut pressen und da geschieht es. Aus meinem Bauch empor wird mein Baby geboren. Ein Junge. Ein Junge, der nicht plötzlich da war, sondern der gemeinsam mit mir in dieser Welt angekommen ist. Ich habe ihn geboren.
Sofort wird er mir auf die Brust gelegt. Sein kleines, wunderschönes Gesicht liegt direkt vor meinem. Ich weine noch immer vor Glück und halte sein winziges Händchen. Ich streichle ihn. Wir streicheln ihn. Wir heißen ihn willkommen.
Das Tuch ist wieder als Sichtschutz angebracht, doch jetzt zählen sowieso nur wir Eltern und dieses kleine Zauberwesen. Es ist ein intimer Moment. Ein Raum voller Menschen und dennoch ist man ganz allein. Wir kuscheln, wir lernen einander kennen.
Erst nach einer ganzen Weile werden wir getrennt. Mein Sohn geht mit seinem Papa zur ersten Untersuchung. Ich bleibe zurück: Glücklich, erleichtert, erschöpft. Sehr bald komme ich in den Aufwachraum. Dort sehe ich sie wieder. Vater und Sohn. Endlich kann ich meinen kleinen Schatz anlegen. Er trinkt sofort. Gegen 11Uhr werden wir zur Wöchnerinnenstation gebracht.
Die Schmerzen sind zunächst stark, als die Narkose nachlässt. Doch das ist es wert. Mit Schmerzmitteln versorgt genieße ich diese Zeit vom ersten Augenblick an. Ich habe meinen Sohn selbstbestimmt zur Welt gebracht und so wurde auch aus einem Kaiserschnitt eine echte Traumgeburt.
Unsere Familie ist neu geboren und wir beginnen sofort, wieder zusammenzuwachsen. Die Wunden der ersten Geburt bleiben, aber ich habe mich mit ihnen versöhnen können.
Wow, ein toller Bericht! Riesenkompliment für Deinen Mut ihn zu schreiben und den Kaiserschnitt als was Gutes zu zeigen!
Ich freue mich, dass es so gut gelaufen ist.
Allerliebste Grüße Jessi an euch 4.
Gordana
Es freut mich für Dich, dass Du durch die Geburt Deines Sohnes mit den schlimmen Geburtserlebnissen bei Deiner Tochter ausgesöhnt wurdest. Mir ging es genauso, auch wenn ich spontan entbunden habe. Aber das Gefühl, dass es so viel besser laufen kann, hat bei mir vieles geheilt und ich freue mich für Dich, dass auch Du nun solch eine positive Erfahrung machen durftest.
Liebe Grüße
Nadine
Wow … man fühlt richtig mit dir.
Ich habe leider noch kein Kind, kann daher auch nicht mitsprechen, jedoch hat eine Kollegin soeben ihr Kind bekommen auf natürlichem Wege und konnte nicht einmal den Schmerz beschreiben, den sie fühlte. Davor habe ich extreme Angst und auch überlegt, sollte es mal soweit sein einen Kaiserschnitt zu machen. Mich würde dann interessieren, wie lang hier der Heilungsprozess dauert und ob dann enorme Narben zurückbleiben?
Ich wünsch Dir und deinen Kindern alles erdenklich gute!
LG Daniela
Oh Gordana, erst neulich musste ich an dich denken! Ich hoffe du bist irgendwann mal wieder in Berlin…
Lieben Dank für deine Worte ?
Hallo Nadine,
es freut mich, dass auch du dich mit deiner ersten Geburt versöhnen konntest. Es gibt viele Wege nach Rom – und auch ein Baby kann auf verschiedenen Wegen zur Welt kommen.
Lieben Gruß
Jessi
Hallo Daniela,
es freut mich, dass dich der Text so berührt hat, "obwohl" du selbst noch gar kein Kind geboren hast.
Es gibt nicht die eine ideale Geburt für alle. Zudem ist es tatsächlich nochmal etwas anderes, wenn man erstmal schwanger ist. So ein Frauenkörper kann Wahnsinniges leisten. Die Schmerzen einer natürlichen Geburt sind immens und zugleich werden sie von unterschiedlichen Frauen gänzlich unterschiedlich wahrgenommen. Auch die Schmerzen und der Heilungsprozess eines Kaiserschnitts sind krass. Die ersten beiden Tage waren
von der Intensität her vergleichbar mit den Geburtsschmerzen finde ich. Sie waren anders, auch andernorts. Dank Glückshormonen und Schmerzmitteln übersteht man das aber schnell, wenn alles gut geht. Wichtig ist, dass man früh mobilisiert, also trotz Schmerzen aufsteht und rumläuft. Der Heilungsprozess beschleunigt sich dadurch. Paradoxerweise ist zu viel Schonung eher kontraproduktiv. Dennoch gibt es Frauen, die zB aufgrund schlechter Wundheilung sehr lange brauchen, bis sie wieder fit sind… Ich selbst war nach drei Wochen nahezu schmerzfrei.
Wie sind denn in der Vergangenheit Wunden bei dir verheilt? Wie haben sich Narben entwickelt? Diese Antworten helfen dir mehr als Durchschnittswerte bei anderen. Ich habe keine auffällige, wulstige Narbe, andere schon. Das ist individuell…
Ich verstehe die Angst vor dem Unbekannten… Aber die Vorfreude auf das Baby macht es für die meisten dann schon viel erträglicher 🙂
Alles Gute für die Zukunft!
Liebe Jessi,
ich freue mich so für dich, dass dich die Kaisergeburt deines zweiten Kindes mit den traumatischen Erlebnissen der ersten Geburt versöhnen konnte. Beim Lesen deines Berichtes musste ich mit den Tränen kämpfen. Du hast ihn wirklich bewegend geschrieben! Danke, dass du deine Erfahrung geteilt hast!
Viele Grüße,
Katha
Liebe Katha,
Ich danke dir für deine Rückmeldung auf meinen Text. Es freut mich, dass dich mein Herzenspost so berührt.
Lieben Gruß
Jessi
Liebe Jessi,
meine dritte Geburt steht kurz bevor. Eigentlich mein dritter Kaiserschnitt. Doch bei der Vorbesprechung in meinem Wahlkrankenhaus wurde mir mitgeteilt, dass auch eine Kaisergeburt möglich ist. Das versöhnt mich gerade sehr. Meine beiden letzten Geburten haben tiefe Narben hinterlassen und ich hatte sehr viel Angst vor dem nächsten Kaiserschnitt. Und jetzt wo ich hier sitze und deinen Beitrag lese, fühle ich mich so gut mit dieser Entscheidung. Es scheint ein Happy End zu geben! Jetzt freue ich mich darauf! Danke, dass du diese intime Erfahrung mit uns teilst!
Liebe Grüße,
Lila
Liebe Lila,
ich kann so gut verstehen, wie traumatisierend eine Geburt (und in deinem Fall ja zwei) sein kann. Umso glücklicher bin ich, dass ich selbstbestimmt meinen Weg finden und mich so auch ein Stück weit mit der ersten Geburt aussöhnen konnte. Ich wünsche dir von Herzen, dass du die Kaisergeburt ebenfalls als selbstbestimmte Geburt erleben und du in guten Händen zusammen mit deinem Baby diesen Weg mit einem guten Gefühl gehen kannst.
Es freut mich, dass meine Offenheit über etwas derart Privates Menschen wie dich berühren kann. Lieben Dank für diese Rückmeldung und alles alles Gute für die Geburt!
Liebe Grüße
Jessi
Ganz toller Bericht, ganz mutige Entscheidung und wunderbar, dass es dir deine Traumgeburt ermöglicht hat. Zufällig habe ich erst heute ein Video über eine Kaisergeburt gesehen. Riesen Kompliment an dich, mich hätte es wohl aus allen Latschen gehaun’ wenn ich unser Baby aus meinem Bauch herauskommen gesehen hätte 😉
Liebe Grüße
Liebe Tanja,
leider gibt es immer weniger Freiheiten sich zu entscheiden als Gebährende ?
Lieben Dank für deinen Kommentar!
LG Jessi
Ich danke dir aus ganzem Herzen für deine Geschichte. Ich stehe gerade selbst vor der Entscheidung wie die Geburt meines zweiten Glücks ablaufen soll, nachdem die erste Geburt für mich absolut traumatisch war.
Tausend Dank und alles liebe für dich und deine Familie