Meine Terrorpüppi ist jetzt 3,5 Jahre alt und immer mehr spielt sie mit und nicht nur neben den anderen Kindern. Komplexere Rollenspiele sind erkennbar. Die Kinder jagen einander, singen, rufen und lachen schallend. Wieder und wieder fordern sie die Aufmerksamkeit wechselseitig voneinander ein. Es wird lebhaft verhandelt, wer darüber bestimmen darf, wie weitergespielt werden soll. Ebenso ergibt sich das Spiel in der Gruppe nicht selten auch einfach ohne große Diskussionen. Mal fließt das Miteinander, mal reiben sich die kleinen Geschöpfe aneinander. Sie sausen und springen, kichern und weinen.

Spielende Kinder im nassen Spielplatzsand


Ich beobachte meine Tochter gern beim Spielen mit den anderen Kindern. Ziemlich häufig beobachte ich aber eigentlich dabei auch mich selbst.
Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr Kinder uns Eltern innerhalb ihrer Rollenspiele spiegeln. Sehr oft muss ich dabei schmunzeln, manchmal aber erschrecke ich mich durchaus auch. Schließlich stimmt nicht immer das gespiegelte Verhalten mit den Erwartungen an uns selbst überein.

Während ich da also auf den Spielplätzen dieser Republik sitze, geht mir beachtlich viel durch den Kopf. Derzeit beschäftigt mich wohl am meisten die Sache mit der Freundschaft.

Erste Freundschaften

Es gibt derzeit immer wieder diesen Moment, da steht meine kleine Tochter vor mir und sagt mit tiefem Ernst“: „Sophia* ist meine Freundin!“. Nur außerhalb des Kita-Kontextes gibt es noch zwei weitere Mädchen, die sie mit derselben Inbrunst als Freundinnen bezeichnet.

Das Wort Freundin betont sie dabei besonders. Es ist ihr wichtig, dass alle wissen, wer ihre Freundinnen sind. Das Thema ist gewichtig. Nicht nur für sie, sondern für uns alle. Ich bezeichne ebenso einige Menschen in meinem Leben als Freunde und andere nicht. Diese Differenz hat meine Püppi verstanden. Auch mit ihren jungen Jahren. Freundschaften sind etwas Besonderes.

In der Kita-Gruppe meiner Tochter ist es seit einigen Monaten von großer Relevanz, wer mit wem befreundet ist. Einige Freundschaften sind beidseitig klar definiert, andere wiederum erscheinen labil und werden Tag für Tag aufs Neue ausgehandelt. Während meine kleine Terrorpüppi zu anfangs noch verschiedene Kinder in ihrer Gruppe als „Freunde“ bezeichnete, so begrenzte sie diese Zuschreibung zunehmend. Schon seit einiger Zeit wird nur noch ein einziges Mädchen in ihrer Kita-Gruppe kontinuierlich als Freundin bezeichnet – Sophia.

Das hat auch ganz zum Leidwesen eines weiteren Mädchens, für welches meine Tochter doch auch eine Freundin sei, so ergeben. Aus meiner Erwachsenenperspektive ist es manchmal ziemlich hart anzuschauen, wenn meine Püppi anderen ins Gesicht sagt, dass diese nicht ihre Freunde seien, sondern eben dieses eine spezielle Mädchen. Mein Herz blutet dann ein wenig, wenn andere Kinder ganz erwartungsvoll wie kleine Flummis vor meiner Tochter stehen und rufen „Du bist meine Freundin“ – und meine Tochter das einfach ignoriert oder gar verneint.

In dieser Gruppe sind aber eben keine Erwachsenen, sondern Kinder. Recht kleine Kinder obendrein. Diese Kinder lernen gerade das Konzept Freundschaft zu verstehen und sie versuchen dieses abstrakte Konstrukt mit Leben zu füllen. Nach Georg Simmel, einem Klassiker der Soziologie (†1918), beruhen Freundschaften idealtypisch „auf der ganzen Breite der Persönlichkeit„. Durch Freundschaft sind Menschen in ihrer Gesamtheit miteinander verbunden. Zumindest von der Idee her. In unserer modernen Gesellschaft kommt es freilich immer stärker dazu, dass Freund und Freundinnen auch mit spezifischen Lebensbereichen verbunden sind und letztlich nur noch partiell – und eben nicht auf Basis der gesamten Persönlichkeit – mit uns befreundet sind (=Konzept der differenzierten Freundschaft nach Simmel).

Wir alle streben dazu, Teil etwas Größerem zu sein. Dieses Größere muss nun wahrlich nicht ruhmvoll sein. Das Größere ist einfach nur mehr als man selbst. Das Größere ist das Gemeinsame, statt des Alleinseins – gemeinsam ist man stärker. Menschen sind eine soziale Spezies. Wir brauchen einander. Freundschaften sind elementarer Bestandteil für unsere geistige Gesundheit. Das alles begreift meine kleine Tochter ganz intuitiv. Sie kann beobachten, wie uns Erwachsenen Freundschaften gut tun. Sie kann beobachten, dass uns Anerkennung und Zuspruch durch unsere Freunde wertvoll sind. Es ist uns wichtig, für andere wertvoll zu sein.

Freunde und Nicht-Freunde

Freundschaften haben einen exklusiven Charakter. Nicht jeder kann mit uns befreundet sein. Freundschaften sind ein bedeutsames Schutzschild gegen Einsamkeit. Mit Freunden teilt man Geheimnisse, man hilft sich gegenseitig, man sorgt sich umeinander und ist zusammen stärker. Schon die Kinder in der Kita verstehen all das. Sie erzählen sich ihre kleinen Geheimnisse und sie helfen einander, wenn jemand etwas vergisst, verliert oder etwas braucht. Die gleichen Spiele machen mit Freunden viel mehr Spaß als mit Bekannten.

Kindliche Freundschaften sind wichtig, weil Kinder einander auf eine ganz andere Weise verstehen können als wir Erwachsenen das können. Sie durchleben vergleichbare Gefühlswelten und machen ähnliche Erfahrungen. Zwischen den kleinen Freundinnen besteht das wechselseitige Wissen um erste kleine Geheimnisse. Jeder weiß von den Geheimnissen des anderen. Das schließt auch das Wissen ein, dass andere – Nicht-Freunde – eben nichts von diesen Geheimnissen wissen.
Im Kern des Verhaltens, andere von Freundschaften auszuschließen, liegt jedoch nicht der Wunsch, diesen anderen weh zu tun. Was viel mehr zählt, ist das geborgene Gefühl der Freundschaft, welches eben nur in seiner Exklusivität zu finden ist.

Die Sache mit der Freundschaft könnte leicht sein, aber in der Regel ist sie das nicht und so begleite ich meine Tochter bei ihren ersten Freundschaften: Bei ersten Enttäuschungen, bei ersten Zurückweisungen, aber eben auch bei diesen wunderbaren Gefühlen, die Freundschaft uns vermittelt: Glück, Geborgenheit, Vertrautheit, Stärke.



*Sophia heißt das Mädchen natürlich nicht. Aber wie würde sich sonst dieser Satz dann lesen: XY ist meine Freundin – das klingt einfach nicht gut.

zitierte Literatur:
Georg Simmel (1908): Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Berlin: Duncker & Humblot. Kapitel V: Das Geheimnis und die geheime Gesellschaft.


Nicht nur in meiner Familie lassen sich wunderschöne Familienmomente finden. Bei den Küstenkidsunterwegs findet ihr noch mehr!h

 
 
Ich hab natürlich schon Familienmomente verbloggt. Zum Beispiel über meine nun große Kleine oder sich kleine Große, einen Teigschaber für das Baby, als ich von meiner Tochter vom Zug abgeholt wurde, aber auch vom lieb haben und Steinen.
 
Die ersten Freundschaften prägen ein Leben lang. Kinderfreundschaften | Terrorpüppi | Reflektiert, bedürfnisorientiert, gleichberechtigt