Die liebe Nora Imlau hat kürzlich einen entzürnten Beitrag auf Facebook geschrieben, als die Stadt Bergisch Gladbach mit Plakaten versuchte, Eltern auf deren Handynutzung aufmerksam zu machen  und ihren Blick weg vom Handy und zurück aufs Kind zu lenken. Daraufhin hat Katha von natürlich-geliebt eine Blogparade gestartet und ich mag dazu auch gerne meine Meinung kund tun, denn ich gehe mit mir recht selbstkritisch um und distanziere mich aber auch von solchen Moralkeulen, wenn der Schuh mir nicht passt.

Plakate als Prävention zur Erhaltung der psychischen Gesundheit unserer Kinder

Ich halte es grundsätzlich für richtig, Primärprävention (bevor eine Störung vorliegt) für die psychische Gesundheit von Kindern zu betreiben und ich spreche mich ganz explizit dafür aus, dass Eltern ihren Kindern Aufmerksamkeit schenken. Diese Plakataktion erreicht viele Eltern und regt doch zumindest vielleicht (hoffentlich) zum Nachdenken an. Es gibt tatsächlich Eltern, die denken, es schade einem Kind nicht, wenn sie wenig mit ihm kommunizieren, nicht nach seinen Befindlichkeiten fragen, keine Bücher angucken und so weiter und so weiter. Ich fühle mich persönlich nicht angegriffen, da ich ja weiß, wie ich mit meinem Kind meistens umgehe.
Es heißt ja auch nicht, dass die Eltern ihr Kind 24 Stunden am Tag nur liebevoll angucken, sich nur ihm widmen und der Rest der Welt für sie stillsteht, natürlich nicht. Ich möchte mal behaupten, dass diese Kampagne hoffentlich nicht so gemeint ist, dass Eltern sich nur und ausschließlich ihrem Kind widmen sollten. Die meisten Eltern bemühen sich sehr um eine wertvolle Zeit mit ihren Kindern.
ABER: ich finde, viele Eltern, ach was, Menschen generell- auch ich- gucken viel zu oft, viel zu lange auf das Handy.
Nur ganz kurz… 30 Mal am Tag: da ein Pop Up, dass bei Facebook was Neues steht, da eine WhatsApp, da eine Mail, da ein Anruf. Ich bin wirklich nur sehr wenig vernetzt und ich lese auch nicht jeden neuen Eintrag, aber für mein persönliches Empfinden habe ich mein Handy wirklich oft am Tag in der Hand. Ich mache damit Bilder, weil ich etwas festhalten möchte. Immer wieder schieße ich Bilder von meinem Kind. Hier möchte die Oma mal sehen, wie die neue Mütze aussieht, da will ich den Papa an irgendwas teilhaben lassen oder einer Freundin nur ganz kurz zeigen, wie mich mein Kind gerade anguckt. Bin ich denn bekloppt?
Wie muss das sein, andauernd durch ein Handy beobachtet zu werden? Mama ist da, aber nicht direkt. Ich bleibe mit Freunden per WhatsApp trotzdem in Kontakt, aber ich spreche, statt zu schreiben inzwischen, weil ich so zumindest meinem Kind signalisiere: ich sehe dich! Es kann sich selber zurückziehen, wann es das möchte, ohne dass ich nachgehe, natürlich, aber mit dem Handy vor der Nase sehe ich das nicht. Manchmal muss ich auch eine Mail schreiben und sage das dann auch so. Es ist manchmal einfach so und das ist nicht dramatisch. Aber ich merke, dass ich manchmal wahnsinnig verführt bin, dann doch nochmal schnell- nur ganz kurz- was zu lesen und- nur mal kurz- noch einen Gedanken aufzuschreiben.
Es ist ein wirklich wichtiger Reifungsschritt, wenn Kinder irgendwann gedankenverloren im Spiel versinken und man als Eltern genauso gedankenverloren irgendetwas nachgehen kann. Dann blickt man auf, taucht man auf und trifft sich wieder. Das ist so wahnsinnig wichtig und so schön, weil der Bezug zu sich selber genauso notwendig ist wie der Kontakt nach außen. Das zeigt, dass Trennung möglich wird und man nicht im Trennungsschmerz verhaftet bleibt und wartet, bis der Andere zurückkehrt, sondern dass man den entstandenen Raum für sich alleine füllen kann und nicht den Anderen braucht, um die Leere zu stopfen und dass man dem Anderen das auch zugesteht.
Ich glaube, es geht wie immer, um ein gesundes Mittelmaß.
Ich fühle mich von diesen Plakataktionen auch nicht verurteilt, ich weiß selber, dass ich mir immer wieder bewusst machen muss, dass ich schon wieder- nur kurz- was gucken will.

Auch Eltern brauchen ein Übergangsobjekt

Etwas Theoretisierendes möchte ich auch diesmal mit in die Thematik einfließen lassen. Viele psychologisch und pädagogisch belesene Eltern kennen den Begriff des Übergangsobjekts von Winnicott. Das ist oftmals ein Zipfel, Kuscheltier oder sonstwas, der etwas von der Mutter Getrenntes repräsentiert. Es gehört weder zum mütterlichen Körper noch zum eigenen. Wenn doch, dann ist das ziemlich interessant (nicht zwangsweise pathologisch) und sagt einiges über die Struktur der Beziehung aus. Dieses Übergangsobjekt (oder auch Übergangsphänomen, denn es kann auch z.B. eine Handlung sein) hilft, sich selbst zu beruhigen, wenn die beruhigende Mutter nicht anwesend ist. Es deutet auf einen wichtigen Entwicklungsschritt hin, denn die Trennung von der wichtigen Bezugsperson wird damit toleriert und die Möglichkeit zur Autonomie wächst.
Ich hatte z.B. eine Patientin, die immer, wenn sie in unseren Gesprächen emotional sehr ergriffen war, anfing, an ihren Fingernägeln und der Haut zu zupfen. Das war ein Übergangsphänomen, welches unbewusst dazu dienen sollte, sich zu beruhigen und wieder stabiler zu werden. Es ist eine Leistung, so etwas auch nutzen zu können. Gleichzeitig zeigte es aber auch ihre Not, sich in diesen Situationen Niemandem im Außen zuzuwenden, denn sie erwartete keine Hilfe in diesem Zustand, da sie in ihrer Kindheit von ihrer Mutter emotional wenig gehalten wurde und sich so immer mehr auf sich selbst zurückgezogen hatte. Sie erinnerte sich nicht an ein einziges Mal, wo sie von ihrer Mutter getröstet wurde.
Nun möchte ich gerne mal die These aufbringen, dass das Handy für viele Menschen auch ein Übergangsobjekt geworden ist. Es füllt etwas, es verbindet, weil die Einsamkeit zu groß wird, weil man abschalten will (wie paradox), es beruhigt, es lenkt ab.
(ja, manchmal muss man der Versicherung kurz mitteilen, dass man einen Schaden hat, manchmal hat jemand Geburtstag und man will rasch gratulieren, aber das sind Dinge, die ich hier nicht meine).
Insbesondere als Eltern sind wir andauernd gefordert, vielleicht manchmal auch überfordert oder zumindest überreizt und haben das dringende Bedürfnis, doch nur mal kurz aus dieser verflixten Situation rauszukommen. Ich glaube, die Krux daran ist, dass es einem oft gar nicht so bewusst ist, wie angespannt man vielleicht gerade ist. Mir hilft es, mich wirklich manchmal zu fragen: warum nehme ich denn jetzt schon wieder das Handy zur Hand? Warum brauche ich das gerade jetzt? Allein, dass ich mir diesen Raum schaffe, mir und meinem wirklichen Bedürfnis zuzuhören, lässt mich das Handy oft zur Seite legen. Ich bin als Mutter und Therapeutin andauernd damit beschäftigt, die wirklichen Bedürfnisse anderer zu entschlüsseln, also warum sollte ich damit bei mir aufhören? Das Smartphone ist ja dann doch auch wieder nur ein Ersatz…
In dem Sinne,
bleibt mit euch selbst im Gespräch,

Madame FREUDig

 Leg doch mal das Smartphone weg!? Eine Psychotherapeutin bezieht zur kontroversen Frage Stellung | Terrorpüppi | Reflektiert, bedürfnisorientiert, gleichberechtigt