Einschlafen ist Trennung und Trennung aktiviert das Bindungssystem: nur, wenn eine sichere Bindung entstanden und verinnerlicht ist, weil jemand sich bewährt hat in vielen Situationen und angemessen und prompt- also feinfühlig- auf das Kind reagiert hat, dann kann das Kind sich auf diese Trennung einlassen, loslassen und sich friedlich dem Schlaf überlassen.

Schlafen beschäftigt fast alle Eltern irgendwann im Laufe der Elternschaft. Kinder tun meistens nicht das, was Eltern von ihnen wollen: so schlafen, wie sie es selber brauchen. In Ergänzung zu den im Bereich bedürfnisorientierter Elternschaft und attachment parenting immer wieder ausgeführten Notwendigkeiten für eine gesunde Kindesentwicklung, wähle ich mir ergänzend ein paar psychologische Aspekte heraus, die meiner Meinung nach oft hinter den evolutionsbiologischen Erklärungen verschwinden.

Schlafen ist der Prototyp der Trennung (Anna Freud)

Wenn man sich schlafen legt, egal in welchem Alter, nimmt man Abschied: vom Tag, von den Erlebnissen, von den Menschen, von Gedanken.

Wir trennen uns für eine gewisse Zeit von unserem Bewusstsein, von der Kontrolle und der Sicherheit. Wenn wir uns dem Schlaf hingeben und träumen, sind wir mit unserem Unbewussten in Kontakt. Wir sind uns, also den ganzen inneren Bildern und Gefühlen, aber auch unserer Umwelt in dem Moment vollkommen ausgeliefert. Wir können nichts tun, wenn wir träumen, wenn Bilder in uns aufsteigen und uns wundervolle innere Erlebnisse bescheren, aber eben auch dann nicht, wenn etwas Beschämendes, Ängstigendes oder gar Vernichtendes aus unserem Inneren aufsteigt und Bilder erzeugt.

Innere Bilder, Träume und Fantasien „stören“ den Schlaf

Es ist schwierig Forschungsergebnisse vorzulegen, denn wir wissen nicht, wann genau Fantasien/ Träume im Kind entstehen. Ein Baby empfindet körpernah und muss mit diesen Wahrnehmungen zurecht kommen. Es sind archaische und manchmal eben auch bedrohliche Affekte, denen ein Baby ausgeliefert ist. Je stärker z.B. Schmerzen oder eine reale Bedrohung, desto konfuser und verzweifelter wird das Baby.

Wenn z.B. der Bauch brubbelt, könnte das im Kind demnach eine Fantasie auslösen: was ist da drin denn los? Es tut weh, wo kommt das her? Bin ich das, wer tut mir weh? Ist das Papa da in meinem Bauch, der immer so komisch guckt, wenn ich bei Mama an der Brust bin?

Natürlich (also wahrscheinlich) denkt ein Baby das so nicht, dafür fehlen die Worte, aber diese Empfindungen bzw. Wahrnehmungen von inneren Vorgängen sind da und verwirren es. Das Baby nimmt sich und seine Umwelt wahr und aus diesen Wahrnehmungen speist sich seine innere Welt.

 

Sprache verändert die Träume

Heute gehen viele davon aus, dass sich erst mit dem fortschreitenden Erwerb der Sprache innere Bilder und Fantasien herausbilden, also etwa um den 18. Monat. Die Wahrnehmungen des kleinen Säuglings werden von ihm auch vorher innerlich sortiert, nur eben nicht sprachlich. Es sind keine Fantasien wie in dem obigen Beispiel. Vielmehr ist das Baby diesen inneren Wahrnehmungen ausgeliefert. Es ist ein Entwicklungssprung, wenn das Kind Worte hat und diese Worte zu Repräsentanzen innerer Bilder werden können. Damit kann eine gewisse Distanz zu überflutenden inneren Wahrnehmungen geschaffen werden, die für eine psychische Stabilität wichtig ist.

Die Möglichkeit zu versprachlichten Erinnerungen  entsteht. Vorher gibt es diese Erinnerungsspuren auch, nur eben nicht sprachlich- bildlich, sondern primär als rohe, starke Affekte, die das Baby in sich spürt.

Stellen wir uns nun einmal vor: das noch nicht sprachlich sortierte Baby/ Kind wacht nachts auf, weil es aus seinem Inneren etwas erschreckt. Z.B. weil es am Tag mit dem wahrgenommenen Zorn des Vaters/ der Mutter konfrontiert wurde oder vielleicht gehört hat, wie die Eltern Sex haben und diese Geräusche, die so intensiv klingen und natürlich erstmal Angst machen. Es  benötigt dann womöglich  Unterstützung bei der Verarbeitung von einer Sicherheit bietenden Bindungsperson.

Diese Sicherheit ist nachts oftmals noch notwendiger als am Tage, da der Schlaf eben einen besonders vulnerablen Zustand darstellt. Das Gruselige kommt eben nicht nur im Film meistens nachts zum Vorschein.

 

Der Schlaf aktiviert das Bindungssystem

Neulich las ich von einem Papa, der nicht verstand, warum sein Kind so lange zum Einschlafen brauche, obwohl es müde sei. Sonst habe die Mama es immer ins Bett gebracht und nun solle er auch mal.

Für das Baby war es vielleicht so:

oh, es geht ins Bett. Schön, jetzt kuscheln und stillen mit Mama. Da gehts mir gut, meine Augen fallen langsam zu und alles ist warm und weich und ich muss keine Angst haben, Mama ist da. Mama macht diesen Job echt gut. Seit 9 Monaten macht sie das jeden Abend so und mir ist nichts passiert. Mama ist echt richtig gut!
Äh, Moment mal, was macht Papa hier? Der ist auch echt cool, aber mit dem spiele ich lieber. Äh, Mama? Mamaaaaa? Ok, da ist sie. Nee, jetzt wieder weg. Na dann gucken wir mal, was Papa so macht jetzt. Ob der mich auch so beschützen kann wie Mama? Hm, so weich ist er schon mal nicht. Und was nehme ich jetzt in den Mund? Hm… na gut, da ist Spielzeug, ich spiele mal noch ein bisschen, das machen wir ja sonst auch. Oh man, ich werde müde. Ganz schön doll. Ich will nicht einschlafen… was, wenn heute wieder so komische Geräusche kommen? Bei Mama weiß ich, die beschützt mich. Also erstmal wach bleiben.

Bindung entsteht durch eine verlässliche Beziehungserfahrung. Die Bindungsperson reagiert angemessen, feinfühlig und prompt auf die Bedürfnisse des Babys, so dass das Baby sicher sein kann, dass die Bindungsperson ihm hilft und es nicht sich selbst überlässt. Die Erfahrung des sich selbst überlassen Seins ist für ein Baby in seiner absoluten Angewiesenheit eine existentielle Bedrohung.

Sei mein sicherer Hafen, auch in der Nacht

Babys sind, da ihnen die Erfahrungswerte fehlen, schnell verunsichert und bekommen u.U. Angst. Sie müssen sich rückvergewissern, ob alles OK ist. So kann z.B. der Blick in das entspannte Gesicht der Eltern nach einem Schreckmoment tröstlich sein. Ist ein Kind nachts erwacht und vielleicht verunsichert, dann kann die elterliche Anwesenheit Sicherheit vermitteln. Wenn das Bindungssystem greift, dann braucht das Kind seinen sicheren Hafen, der zeigt: keine Sorge, ich bin da, dir passiert nichts. Du kannst jetzt beruhigt einschlafen.

Die Sicherheit der Bindung hängt von der Feinfühligkeit (feinfühlige Reaktion auf Baby bedeutet: angemessen und prompt) der Betreuungsperson ab. Diese muss auch die Chance haben, dem Baby in schwierigen Momenten zu zeigen: ich bin für dich da, ich sehe dich. Deswegen bringt es nichts, wenn Mama da in dem Moment angetigert kommt und Papa wieder aus dem Bett vertreibt. Papa muss sich bewähren dürfen und so zu einer verlässlichen Bindungsperson werden. Es ist daher erstmal angebracht, die Bindung tagsüber zu stärken, bevor es an das Schlafen geht.

Einschlafen ist Trennung und Trennung aktiviert das Bindungssystem in besonderem Maße: nur, wenn eine sichere Bindung entstanden ist, weil jemand sich bewährt hat in vielen Situationen und angemessen und prompt- also feinfühlig- auf das Kind reagiert hat, dann kann das Kind sich auf diese Trennung einlassen und loslassen.

Schlaflernprogramme: Einschlafen und Durchschlafen antrainieren?

Schlafen kann man lernen. Aber sollte ein Baby das? Zunächst einmal: jeder Mensch wird nachts wach, schläft aber oftmals einfach wieder ein. Daher geht es beim Ein- und Durchschlafen um dasselbe Phänomen. Nämlich um die Fähigkeit, sich entspannen und loslassen zu können, sich sicher und geborgen mit sich selbst fühlen zu können. Diese Empfindungen entstehen durch die Erfahrung, die ein Baby/ Mensch mit anderen macht. Es verinnerlicht diese Fähigkeiten und wird sich selbst so irgendwann zur bemutternden Mutter oder beruhigendem Vater.

Was mich an den ganzen Schlaflernprogrammen stört, ist, dass es meist nur um die Beseitigung des störenden Verhaltens geht, aber nicht darum, wozu das Kind aufwacht und welche Bedürfnisse sich dahinter verbergen. Es werden schnell leichtverdauliche Ratschläge und Hinweise zur (auf jeden Fall nützlichen) Schlafhygiene, zum richtigen letzten Tagesschläfchen, zum richtigen Essen und so fort gezückt. Das alles hilft einen guten Schlafrahmen bereitzustellen. Das heißt aber nicht, dass das Baby deswegen durchschläft.

Wichtiger ist es, die individuellen Gegebenheiten zu beachten und zu verstehen.

 

Die Bereitschaft der Eltern

Je eher Eltern die Bereitschaft haben, sich ihres Babys auch nachts liebevoll zuzuwenden, desto eher wird das Baby das erstmal auch nutzen. Und das ist gut, aber eben auch für die Eltern anstrengend. Andererseits ist es auch so, dass sich Schlafzyklen von Mutter und Kind synchronisieren, wenn sie körperlich nah beieinander schlafen. Das führt dazu, dass die Mutter, wenn das Baby nachts unruhig wird, eben nicht mitten aus dem Tiefschlaf gerissen wird.

Wird das Kind oft genug sich selbst überlassen, dann wird es lernen, sich mit seinen Befindlichkeiten nicht mehr zu melden. Es gibt sicherlich Eltern, die sich genau das wünschen. Eltern, die möchten, dass ihr Kind schnell selbständig wird und wenig Arbeit bereitet. Eltern, die zu große Nähe und Bezogenheit nur schlecht aushalten. Es kann sehr lohnend sein, sich diese Wünsche bewusst zu machen und den Ursprüngen auf die Spur zu kommen. Unter Umständen verhindern eigene Erfahrungen und Verrohungen eine zärtliche und sicherheitsspendende Zuwendung.

Im ersten Jahr ist das Bedürfnis nach Nähe und Beruhigung durch andere beim Baby besonders ausgeprägt und nimmt nach und nach ab. Auch Kitakinder brauchen oftmals Hilfe, um ihre Gefühle gut zu regulieren. Das ist also insgesamt ein langer Prozess. Dieser Prozess ist natürlich auch durch Frustration gekennzeichnet, die notwendig ist. Dadurch entstehen neue Fähigkeiten. Meiner Meinung nach geht es dabei aber nicht um ein entweder- oder, sondern ein sowohl- als- auch. Ist ein Kind sicher im elterlichen Hafen aufgehoben, kann man es getrost auch mal den Hafen verlassen lassen und nicht immer sofort und prompt reagieren. Die Reaktion des Kindes und die Frage, wann die Frustration in desolate Zustände führt, ist dabei im Blick zu haben.

Kritik an Kast- Zahn und dem Ferbern

Vielen Eltern hat die Methodik des kontrollierten Schreienlassens offensichtlich geholfen, um selber besser schlafen zu können. Der Preis, den man dafür zahlt, ist allerdings nicht zu unterschätzen.

Verena Kast- Zahns Methode/ das Ferbern (checking- das kontrollierte Schreien lassen) ist insbesondere eine geeignete Methode, um dem Kind klarzumachen, dass die Eltern eben nicht gewillt sind, es mit seinen inneren Anschleichungen zu begleiten. Das Baby, welches schreien gelassen wird, wenn es Nähe sucht und so in fundamentalen Bindungsbedürfnissen unbeantwortet bleibt, lernt, andere nicht brauchen zu dürfen, wenn es in Not ist.

Kritik zur Kritik

Ein Kind wird irgendwann alleine einschlafen und durchschlafen, wenn die Beziehungserfahrungen und Selbstregulationsfähigkeiten es ermöglichen. Mit zunehmender Autonomie des Kindes ist es sinnvoll, auch dazu zu ermutigen und dem Kind eine gewisse Selbstberuhigung zuzutrauen. Dass ein Kind darüber auch mal ärgerlich und enttäuscht ist und auch protestiert, ist nachvollziehbar. Allerdings ist es notwendig, dass ein Kind auch die Erfahrung machen kann, sich selber angemessen beruhigen zu können. Es ist ratsam, die Entwicklung des Kindes nachzufühlen. Ein Kind welches sowohl Stabilität und Geborgenheit, aber eben auch de Möglichkeit zur Entdeckung und Nutzung eigener Fähigkeiten erhält, geht gewappnet in sein Leben. Die Balance zwischen Zutrauen und Ermöglichen zum Ausprobieren neuer Fähigkeiten auf der einen Seite und der Bereitschaft, das Kind liebevoll und geborgen durch seine psychische Reifung zu begleiten, ist fundamental.

Madame FREUDig

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Leseempfehlungen

Hier findet ihr nochmal schön aufgelistet all das, was  manche Experten als schädlich auslegen wollen und was Kleinkindpädagogin Susanne Mierau von geborgen wachsen dazu sagt:
https://geborgen-wachsen.de/2016/07/08/ammenmaerchen-ueber-den-babyschlaf/

Fundiertes vom Gewünschtesten Wunschkind:
Durchschlafen:
http://www.gewuenschtestes-wunschkind.de/2013/09/wann-schlafen-babys-durch-und-wie-kann-man-es-unterstuetzen.html
Einschlafen:
http://www.gewuenschtestes-wunschkind.de/2013/02/einschlafen-warum-neugeborene-nicht.html