Viele Eltern haben Angst aus ihrem Kind einen unangenehmen Menschen zu machen. Der Narzisst scheint aktuell der Prototyp eines solchen zu sein. Narzissmus ist derzeit (schon wieder) in aller Munde.  Man spricht seit Längerem gar schon vom Zeitalter des Narzissmus bei all den Selfies und Selbstoptimierungsoptionen. Pessimisten mutmaßen, dass aktuell eine riesige Horde an Narzissten groß gezogen wird.

Ich möchte in dem folgenden Text herausarbeiten, welchen Einfluss Eltern- oftmals unter den besten Annahmen- ausüben.

Zunächste erläutere ich kurz, was ein gesunder und was ein kranker Narzissmus ist.  Ich beschreibe, worunter ein narzisstisch gestörter Mensch leidet und warum das eigentlich wirklich für den einzelnen so schlimm ist. Denn am Ende sind vielleicht die Mitmenschen genervt und wenden sich ab, aber der Betroffene ist einer schweren Bürde ausgeliefert. Kernberg, ein einflussreicher Psychoanalytiker, schrieb in einem Buch, Narzissmus sei die Umkehrung dessen, was Liebe sein könnte und ich finde, er trifft es damit schmerzlich genau.

Was ist gesunder Narzissmus?

Ein gesunder Narzissmus, sich selbst wichtig und ernst zu nehmen, ist für unsere eigene Wertschätzung wichtig. Es ist notwendig, dass wir ein möglichst stabiles Selbstbild von uns haben und nicht in Krisen geraten, wenn wir angegriffen werden. Ein narzisstisch stabiler Mensch wird Kritik annehmen und sie reflektieren, ohne dass er selbst oder andere in Folge entwertet werden. Nahlah Saimeh (forensische Psychiaterin, „Jeder kann zum Mörder werden“, S.66) schreibt, dass Narzissmus in „seiner gesunden Ausprägung zu einem positiven Selbstbewusstsein, zu Leistungsbereitschaft und Zielstrebigkeit, zu Verantwortungsübernahme und erfolgreicher Gestaltung des Lebens“ befähige.

Was ist eine Narzisstische Persönlichkeitsstörung?

Es gibt so genannte offene und verdeckte Narzissten, wobei man eigentlich nur die offenen Narzissten mit der Diagnose einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) labeln würde.  Von einer Persönlichkeitsstörung spricht man, wenn bestimmte Züge sehr ausgeprägt ist und zur Inflexibilität in der Anpassung führen. Eine gesunde Persönlichkeit braucht von allem etwas: ein bisschen was Depressives, was Schizoides, was Hysterisches, was Zwanghaftes und was Narzisstisches. Es gibt z.B. Diagnosen wie „mittelgradige Depression bei narzisstischer Persönlichkeits AKZENTUIERUNG“. Das ist keine Persönlichkeitsstörung, sondern weist darauf hin, dass der Mensch ausgeprägte narzisstische Anteile hat, die die anderen überwiegen.

Der offene Narzisst ist von seiner Wichtigkeit und Besonderheit überzeugt und entwertet andere. Oftmals glaubt er, andere würden ihm etwas nicht gönnen oder ihm etwas neiden.
Er ist aber eigentlich, entgegen der gängigen Meinung, eben nicht wirklich davon überzeugt, so fabelhaft zu sein, unbewusst zumindest. Er idealisiert sich, entwertet oft die anderen, um sich selber in seiner Kleinheit nicht mehr spüren zu müssen.

Reaktion auf Kränkungen: narzisstische Wut

Die Abwehr wie z.B. Verleugnung, die hilft, sich nur fabelhaft zu sehen, bricht durch Kritik zusammen: Irgendwer hat mich ertappt und sieht, dass ich eigentlich ein kleines, nutzloses Nichts bin.

Kritik wird oft mit einem hohen Maß an Aggression beantwortet, welches typisch ist für die NPS: die narzisstische Wut als Reaktion auf eine narzisstische Kränkung! Es ist sehr schwer, Kritik zu äußern, ohne dass ein Mensch mit NPS irgendwie zu einem Gegenschlag ausholt. Er wird nicht ernst gemeint sagen: Oh so empfindest du das? Darüber muss ich erstmal nachdenken. 
Bei Frustration wird er aggressiv und je nach Impulskontrollfähigkeit zeigt er das.

 

Frage nach den Aggressionen

Es gibt einen entscheidenden Streitpunkt zwischen den zwei renommierten Psychoanalytikern  Otto Kernberg (Objektbeziehungstheorie mit Trieb) und Heinz Kohut (Selbstpsychologie). Es geht um die Frage, woher die Aggression (bei den Narzissten) kommt. Kernberg vertritt die Auffassung, dass sie ein Trieb ist, der von Anfang an da ist und den man unter Kontrolle kriegen muss. Kohut vertritt die Meinung, dass durch eine übermäßige Frustration des Kindes mit inadäquater, enttäuschender Begleitung erst Aggression entsteht.

Es hat einen großen Einfluss auf den Umgang mit Aggressionen, wie man darüber denkt. Wenn ich glaube, mein Kind ist von Natur aus ein aggressives Wesen, dann muss ich es eindämmen. Zumindest, wenn ich Aggressionen und Zerstörung verhindern möchte. Ich entledige mich damit meines ursächlichen Einflusses. Das hört man ja doch öfter: also von mir hast du das nicht! Das vermeintlich Negative ist im Anderen untergebracht, selber ist man natürlich nicht so ein Mensch.

Zur Aggression habe ich hier nochmal mehr geschrieben.

 

Beziehungen mit Narzissten

Es wird deutlich, warum es bei einem derart narzisstisch gestörten Menschen keine wirklich engen und authentischen Beziehungen gibt. Wenn es sie gibt, dann sind es oftmals Kollusionen. Kollusionen (nach Jürg Willi) sind Beziehungen, in denen sich die Neurosen der jeweiligen Partner ergänzen. Es kommt zum Zusammenspiel der unbewussten, sich ergänzenden Bedürfnisse. Jemand besonders „Großes“ sucht sich jemanden, der ihm unterlegen ist (z.B. der wohlhabende Rentner und das 20- jährige Model).

Wenn jemand zu nah kommt, besteht die Gefahr, dass man in all den eigenen Facetten (und eben Fehlern) gesehen wird. Die sich daraus ergebene massive Einsamkeit auf Grund des Mangelns an wirklicher, echten und authentischen Beziehungen wird meist pseudo- autonom und selbstaufwertend abgewehrt. „Ich brauche niemanden“. Und das ist das Drama: genau diese Erfahrung hat derjenige auch gemacht. Es gab niemanden, der in schwierigen Situationen wirklich dagewesen wäre, der ihn in all seiner Kleinheit und Größe gleichermaßen gespiegelt und wahrgenommen hat. So schillernd ein offen narzisstischer Mensch auch sein mag, so viele Facebook- Freunde und Bekannte und interessante Menschen im Umfeld er auch hat, so selten gibt es einen authentischen Austausch und verlässliche und wechselseitige Beziehungen mit Wertschätzung.

 

Eigenheiten eines (offenen) Narzissten

Eigene Überwertigkeit

Offene Narzissten zeigen gerne, wie gut, klug, hübsch, gebildet, wohlhabend etc. sie sind. Wie viel besser sie sind als andere. Darüber werten sie sich auf. Leider genießen sie aber nicht lustvoll, was sie haben und freuen sich nicht wirklich daran, es ist vielmehr wie ein Aushängeschild. Sie nehmen eigene Belange wesentlich wichtiger als die der Anderen.

Die andere Seite des Narzissmus ist der verdeckte Narzissmus, bei dem die Überzeugung, großartig/ überwertig zu sein, nicht offen zu Tage tritt bzw. auch gar nicht gespürt wird: ich bin nichts Wert, ich bin weniger als Nichts. Das sind oftmals Überzeugungen von Menschen, die ebenfalls in einem narzisstischen Rahmen gestört sind, die wir aber nicht der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung nach dem ICD- 10/ DSM- V zuordnen würden. Diese verdeckten Narzissten leiden aber ebenfalls an einer Fehlregulation ihres Selbstwertes und brauchen besonders viel Zufuhr von außen.

Vorteilsbedacht

Die Beziehungen dieser Menschen spielen sich nicht selten nach mehr oder minder bewusster Kosten- Nutzen- Analyse ab. Andere, auch die eigenen Kinder, werden als Selbstobjekte missbraucht. Zeige mir andauernd wie toll ich bin, lautet die unbewusste Botschaft.
Oftmals bestehen solche Gedanken wie: Wen (ge-) brauche ich, wenn es mir schlecht geht? Den Kontakt aufrecht zu erhalten, das könnte noch von Nutzen sein. Oh, der sieht aber gut aus, die anderen werden beeindruckt sein, wenn das mein Freund ist. Mein Kind ist aber ganz besonders klug, klar, es ist ja auch mein Kind.

Idealisierung und Entwertung

Ein Mensch mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist besonders durch einen Aspekt sehr auffällig und unterscheidet sich damit von anderen: er idealisiert und entwertet in einem besonders hohen Maß!

Ich kaufe nur das Beste, deine Teller sind der absolute Mist. 
Also meine Firma  ist das allerletzte, da musste ich raus, da hat ja keiner meine Fähigkeiten zu schätzen gewusst. 
Also wer Döner für 2 Euro isst, der ist ein absoluter Schwachkopf.

Konkurrenz und Neid

Ebenso ist ausgeprägte Konkurrenz, das Gefühl andere wären neidisch auf einen oder anderen nichts gönnen zu können kennzeichnend für jemanden mit einer NPS. Der eigene Neid bleibt dabei aber unbewusst, weil Neid ja bedeutet: mir fehlt etwas und der andere hat das. Ein Mensch mit NPS glaubt, dass andere das wollen, was er hat und kann sich kaum vorstellen, dass nicht jeder xy haben will. Typischer Satz: „ich bin doch nun wirklich nicht neidisch“ oder „warum sollte ich denn neidisch sein“. Anerkennende Worte für etwas, mit dem derjenige nichts zu tun hat oder was er selber nicht besitzt, kommen so gut wie nie vor. Man darf dem Anderen in nichts nachstehen.

Innere Leere

Das Problem, was den offenen und verdeckten narzisstischen Menschen eint, ist, dass sie eine unfassbare innere Leere haben, die sie auf verschiedenen Wegen zu stopfen versuchen. Ständig in Action, ständig irgendwas konsumieren, sonst droht nämlich vernichtende Langeweile. Wochenende und Ferien sind damit oftmals etwas nicht so Schönes, es sei denn, sie werden mit irgendetwas gefüllt oder gar überladen. Es gibt also kein Gefühl der inneren, beruhigenden Einkehr. Zu depressiven Einbrüchen kommt es meist in den Lebenssituationen, in denen die Bewunderung nachlässt: Kündigung, Trennung (als persönliches Versagen und Scheitern, nicht als Verlust eines geliebten Menschen), Kritik von anderen, Verlust von Schönheit durch natürliche Prozesse (hey Beautydoc), Altern mit Leistungseinbußen, Krankheit und allerlei Situationen, in denen das eigene Idealbild auf die Realität trifft.

Eltern narzisstisch gestörter Menschen

Es lässt sich an dieser Stelle nicht sagen: wenn du das und das tust, wird dein Kind mit Sicherheit eine ausgeprägte narzisstische Seite haben. So ist das einfach auch nicht. Ich versuche ein bisschen aufzufächern, was alles mit dazugehört.

Lob und Bewunderung für Schönheit und Leistung

Menschen, die eine starke narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung haben, wurden von ihren Eltern meist nicht gesehen, wie sie wirklich sind. Oftmals wurden sie für besondere Fähigkeiten, Gaben oder Leistungen bewundert. Manchmal wurden sie stolz vorgezeigt. Die schmerzliche Erfahrung, ohne all diese Komponenten geliebt, anerkannt und wertgeschätzt zu werden, blieb meist aus. Nicht selten wurden diese Kinder Ziel offener oder auch subtiler Entwertungen. Misserfolge wurden nicht als normaler Teil des Lebens erlebt, sondern als Drama, welches den Verlust von Anerkennung zur Folge hatte. Dabei versuchen die Eltern unbewusst, eigene Defizite im Selbstwert zu kompensieren und missbrauchen ihr Kind, als Selbstobjekt. Das Kind steht sozusagen im Dienste der Stabilisierung der Eltern.

Keine authentischen Grenzen: ich darf alles, ohne Rücksicht!

Darüber hinaus haben viele narzisstisch gestörte Menschen keine tatsächlichen Grenzen durch ihre Eltern erfahren, was oftmals mit einer Gleichgültigkeit/ Überforderung und/ oder Abwesenheit der Eltern einhergeht. Wenn nämlich keinerlei Grenze gesetzt bzw. keine Auseinandersetzung eingegangen wird, dann ist ein Kind recht alleine und hat schnell das Gefühl, egal zu sein.

Ich meine damit nicht sinnlose „das macht MAN aber nicht- Grenzen“, sondern die Notwendigkeit der Anerkennung der Grenzen anderer und deren Bedürfnisse.  Für ein Kind ist der Unterschied noch nicht deutlich, ob die Eltern desinteressiert sind oder ob sie aus einem bestimmten Grund regellos mit ihm umgehen. Da entwickelt sich die ausgeprägte autonome Haltung „ich kann machen, was ich will“.

Zum gesunden Dasein gehört aber eben beides: eigene und fremde Grenzen anerkennen. ich kann autonom sein, aber ich habe auch keine Angst vor Nähe und davor, mich auch mal anzupassen. Ich sehe auch die Bedürfnisse der anderen und auch das interessiert mich.

Ein Kind wünscht sich starke Eltern, mit denen es sich identifizieren kann. Die Eltern müssen Angriffen standhalten und nicht zusammenknicken, aber natürlich emotional verfügbar und in Beziehung sein. Es geht dabei eben nicht um Strenge und vorbehaltlose Grenzsetzungen, sondern um eine Begegnung, die Verbundenheit erzeugt, wo aber auch das Kind nicht immer alleine den Ton angibt. Neulich las ich von einer Studie, derzufolge Kinder besonders dann narzisstische Züge entwickeln, wenn alles, was sie tun, überbewertet wird. Auch hier kommt es mit Sicherheit auf das Maß und die Art und Weise an, wie man Kinder mit dem eigenen Versagen konfrontiert. Es muss eben nicht immer alles super und toll sein, nein, manche Dinge kann man eben nicht. Das darf aber auch gesagt werden.

Frustrationstoleranz verhindern

Wir alle müssen anerkennen, dass wir natürliche Grenzen des Wissens, Könnens und Verstehens haben und dass das Gegenüber nicht alle unsere Wünsche erfüllen kann und muss. Das frustriert gerade Kinder natürlich umgemein.   Wir tun unserem Kind als Eltern wirklich keinen Gefallen, wenn wir Frustrationen versuchen fernzuhalten. Auch wir Eltern dürfen unseren Kindenr dosiert und immer gut beobachtend Frustrationen zumuten. Es geht nicht darum, ein Kind zu überfordern und erwachsene Grenzen als gegeben hinzunehmen. Überhaupt nicht! Aus Angst vor der Wut, dem Trotz, der Auseinandersetzung, der Bisse und Schläge unserer Kinder alles tun, um Frustration zu vermeiden, ist aber kein sinnvoller Weg. Begleiten immer, aber nicht um des lieben Friedens Willen alles erlauben.

Die sogenannte Frustrationstoleranz muss also durch das Außen vermittelt zu einem inneren Teil werden. Dazu ist es unbedingt notwendig, dass Eltern Kinder nicht frustriert zurücklassen.  Sätze wie „So ist das eben, sei jetzt still“ tragen dazu nicht bei. In der Beziehung mit den Kindern können Gefühle verstanden und diese Frustration ausgehalten werden. Z.B.  „oha, du wolltest xy so unbedingt haben und verstehst gar nicht, dass Mama jetzt nein sagt. Ja, das ist aber auch wirklich fies.“.

Narzisstisch gestörte Menschen können solche Gefühle meistens nur schlecht aushalten. Manche können das äußerlich gut verbergen. Da hört man förmlich die Mutter innerlich blöken „jetzt sei nicht so bockig, du hast doch schon so viel“.  Innerlich lodert die Wut und entlädt sich dann aber irgendwann.

Materielle Wünsche erfüllen

Etwas nicht zu bekommen, weckt Wünsche und Begehren und das kann etwas Wunderbares sein! Wir können unseren Kindern zeigen, dass nicht alles umgesetzt werden kann und muss. Wir können aber zeigen, dass wir in unserer Fantasie und unseren Träumen vieles doch trotzdem erfüllen können. Die innere Welt ist etwas Wunderbares! Helfen wir unserem Kind, sich diese Welt aufzubauen. Wird jeder Wunsch erfüllt, dann bleibt nichts mehr für Innen, für die Wünsche und Träume. Irgendwann fühlt sich vor lauter Fülle alles ganz leer an.Wir kennen wahrscheinlich alle die Kinder, die von vorne bis hinten alles an materiellen Wünschen erfüllt bekommen und sich sofort nach dem Auspacken damit langweilen.

Viele narzisstisch gestörte Menschen hört man sagen: ich will das und zwar jetzt! Besonders auffallend ist das bei Beziehungen, die eingegangen werden und die nach einer gewissen Zeit dann langweilig und wie das ausgepackte Spielzeug in die Ecke gelegt werden. „Der Hans, der hat mir einfach nichts mehr gegeben. Was soll ich dann mit dem denn noch?“

Parentifizierung

Bei dem Aspekt der Grenzen ist auf jeden Fall das Phänomen der Parentifizierung zu nennen. Darunter versteht man, dass das Kind in eine Elternposition kommt und die Eltern sich in ihren Bedürfnissen an das Kind wenden. Eine Mutter, die sich immer wieder von ihrem Kind trösten lässt, parentifiziert es. Sie vereltert es sozusagen. Das geschieht manchmal ganz unabsichtlich, wenn es z.B. plötzlich zur Trennung der Eltern kommt. Natürlich muss ein Kind auch wahrnehmen dürfen, dass es den Eltern auch mal schlecht geht, unbedingt sogar.

Aber: es ist die Aufgabe der Eltern, sich um sich zu kümmern! Das ist nicht Aufgabe des Kindes, auch wenn ich als Mutter natürlich verstehen kann.  Wenn es einem schlecht geht, wendet man sich dem Kind vermehrt zut, weil das glücklich macht. Es wäre an der Stelle im Sinne des Kindes, wenn sich das leidende Elternteil Freunden, anderen Erwachsenen, Therapeuten oder einem Priester etc. zuwenden würde, um Halt zu finden. Es ist nicht die Aufgabe von Kindern, ihren Eltern in der Not Halt zu geben!

Wenn es dazu kommt, dass Kinder die Fürsorge für die Eltern übernehmen, dann ist das ein Dilemma. Einerseits werden sie dafür gelobt, andererseits ist es auch ein narzisstischer Gewinn. Das ist ja auch toll für das Kind sich so wertvoll zu fühlen. In der Geschichte einiger Menschen mit NPS, die ich kenne, gab es immer wieder folgende Konstellation. Papa verlässt die Familie (oder ist einfach oft abwesend). Der Sohn kümmert sich um die Mutter, bis hin zu inzestuös anmutenden Beziehungen (ohne dass es wirklich ein körperlicher Inzest gewesen wäre). Einerseits triumphiert der Sohn unbewusst über den Vater. Andererseits löst der Triumph Schuldgefühle aus, denen man nur entgehen kann, wenn man sich mit dieser Rolle des besseren Mannes identifiziert und den Vater als Volltrottel entwerten kann.  Don Juan lässt grüßen: ich kann sie alle haben!


Enttäuschende Eltern und die Angst, auch sie zu enttäuschen

Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsakzenten haben meistens beträchtliche Enttäuschungen durch ihre Eltern erlebt. Jemand, der offen narzisstisch ist, wird das entweder negieren, weil seine Eltern nur perfekt gewesen sein können oder aber er wird sie entwerten.

Die Eltern waren vielleicht äußerlich und oberflächlich betrachtet perfekt, unnahbar und unberührbar, so dass es keinen Raum für Fehler gab. Diese Eltern wenden sich bei Schwierigkeiten oft ab. Sie überlassen dem Kind die Lösung oder aber es gibt Eltern, die sehr streng werden, Regeln, Wege  und Ansprüche formulieren. Das Dilemma ist klar: keiner von beiden sieht die Belange des Kindes, versucht zu verstehen und zu verbalisieren, was in dem Kind vor sicht geht und dem Weg des Kindes zu folgen. Das Kind spürt nicht, dass es seine Eltern emotional erreichen kann und dass es gesehen wird in seiner eigenen Not. Das ist leider das, was sich zeitlebens auch wiederholt.

Es gibt Eltern, die auf andere, offensichtlichere Art enttäuschen, wenngleich diese Patienten ihre Eltern auch oftmals nach außen hin wahnsinnig idealisieren.

„Meine Eltern haben alles gegeben, uns fehlte es an nichts“. Das kann nicht sein, das geht in der Realität einfach nicht. Enttäuschungen gibt es immer, egal wie sehr sich jemand bemüht. Das ist einfach so und damit muss man sich auch abfinden. Es ist auch deshalb wichtig, weil wir lernen bzw. verinnerlichen,  wie wir damit umgehen und miteinander ins Gespräch über unsere Bedürfnisse kommen können.

Wer mehr zur Empathie lesen möchte, den dürfte mein Text zu den Herausforderungen bei UNERZOGEN interessieren.

 

Starke Eltern halten vieles aus!

Jedenfalls gibt es Eltern, die sich wirklich auch bemühen, die aber einfach nicht anders können. Eltern, die mit den emotionalen Anforderungen permanent überfordert sind und dem Kind signalisieren, dass sie es nicht aushalten. Diese Kinder können dann keine stabile idealisierte Elternimago (inneres Bild von den Eltern, Heinz Kohut, Selbstpsychologie) aufbauen. Sie haben die Eltern als zu schwach wahrgenommen. Das ist aber notwendig, um narzisstisch stabil zu sein. Eltern müssen einem Kind vermitteln, dass es sich anlehnen kann und mit all seinen Anteilen ausgehalten wird. Nur starke Eltern kann man angreifen, die anderen würden es nicht aushalten! Wenn ein Kind spürt, dass die Eltern nicht viel aushalten, wird es sich leichter machen. Oder aber auch rebellieren.

Suche nach Liebe

Es wird Wege finden wollen, wie es doch noch gesehen wird.  Das Kind zeigt sich dann aber nur noch mit unbewussten Auswahl von Selbstaspekten. Kinder nehmen wahr, was die Eltern sich von ihnen wünschen. Sie glauben, dass, wenn sie diese elterlichen Wünsche erfüllen, von ihnen auch geliebt werden. Oft mündet das in ein so genanntes „falsches Selbst“.  Es sind eben nicht die Eigenheiten der Kinder, wegen derer sie sich geliebt fühlen. Vielmehr werden sie wegen ihrer Fähigkeit und Einsatzes für die Eltern bewundert und idealisiert, aber nicht um ihre Selbst willen geliebt.

Es gibt  Kinder, die schnell autonom und selbständig werden. Sie machen es den Eltern besonders leicht, sie zu lieben. Das sind oftmals die braven Kinder, die keine/ wenig Probleme machen.  In der Pubertät entwickeln sie vielleicht Essstörungen.  Mit Mitte 20/ Anfang 30 tauchen sie in den Therapien auf, weil sie sich immer wahnsinnig bemühen und erschöpft sind. Das sind Menschen, die nicht wirklich Kind sein durften. Sie spürten viel zu früh, was von ihnen verlangt wird. Die eigenen Gefühlen sind verschüttet und im Kern liegt das Gefühl, nicht um seiner Selbst willen geliebt zu werden.

 

Diagnosen

Vordergründig kann jede Diagnose von Sucht, Depression, Angst vor einer tieferen Störung der narzisstischen Regulation stehen. Muss nicht, aber kann. Diese Menschen leiden wirklich enorm, nicht nur an der Depression und Co. Sie können quasi „froh“ sein, dass sie diese Symptome entwickelt haben und sich Hilfe suchen.  Viele narzisstisch gestörte Menschen begeben sich nie in Therapie. Sie erleben es als Schmach und als Ausdruck von Schwäche.

 

Therapie

In Therapien, sodenn ein Mensch mit einer offenen NPS zur Therapie kommt, geht es um die Bergung des Selbst. Man geht auf eine emotionale Entdeckungsreise, die manch einer aus Angst davor wieder abbricht. Viele wenden sich auch schnelleren und auf Verhaltensweisen orientierten Therapien zu. Meiner Meinung nach ist es aber gerade bei der NPS wichtig, sich viel Zeit zu nehmen. Die Krankenkassen finanzieren bis zu 300 Stunden psychoanalytische Behandlung. Es werden schließlich Gefühle der Kleinheit und der Versagensangst, der Ohnmacht und Unfähigkeit wieder bewusst. Es bedarf Jahre intensiver Arbeit und Zeit, da innerlich erst Strukturen entstehen müssen, um diese auszuhalten. Diese inneren Strukturen können in der Beziehungserfahrung einer Analyse wachsen.

Im Kindesalter werden keine Diagnosen von Persönlichkeitsstörungen vergeben. Bei Auffälligkeiten kann aber ein Kinder- und Jugendtherapeut dennoch sehr hilfreich sein. Es kann in dem Familiensystem noch etwas verändert werden, so dass Entwicklungen sich umkehren können.

 

Fazit

Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, dass man es sich mit monokausalen Erklärungen nicht zu einfach machen darf. Kein Kind wird ein narzisstischer Tyrann wird, wenn es wirklich gesehen und nicht als Selbstobjekt missbraucht wird. Es geht bei der psychischen Gesundheit- wie überall im Leben- um das Finden eines Mittelmaßes.

Der Text ist als unvollständig und der Ergänzung würdig zu betrachten. Ich habe einige Apekte herausgegriffen, die mir wichtig erscheinen.

Gerne verweise ich auf den mit diesem Text zusammen entstandenen Text, um nochmal den Bogen zu den Aggressionen zu schlagen, der bei der Entwicklung der NPS eine wichtige Rolle zukommt: klick
Diese beiden Texte sind eine Reaktion auf die Kommentare zu dem Artikel von Jeannie von Mini and me, wo Eltern sich höchst besorgt äußerten, dass schlagende Kinder Narzissten würden. Ich hoffe, ich konnte darlegen, dass das nicht der Fall ist und gleichzeitig aber auch der Fall sein könnte und man es sich mit seinen Erklärungen nicht zu einfach machen sollte.

Literatur

Es gibt unzählige Sichtweisen auf den Narzissmus. Der Analytiker Hans Joachim Maaz schreibt im deutschsprachigen Raum gute, nicht allzu fachliche Bücher. Für eine weiterführende Lektüre durchaus zu empfehlen.

Heinz Kohut, Otto Kernberg und andere haben ausführlichst über die Vielseitigkeit des Narzissmus geschrieben, immer unter dem Titel „Narzissmus“. Dazu ist es aber sicher vorteilhaft, wenn man sich in der psychoanalytischen Theorie etwas auskennt, weil es sonst wahrscheinlich, besonders bei Kernberg, recht anstrengend werden kann. Aber die Fallbeispiele sind auf jeden Fall sehr interessant.
Paulina Kernberg, verstorbene Frau Ottos, hat als Kinderanalytikerin auch spannende Bücher zum Thema geschrieben.

Madame FREUDig

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