Ich darf euch heute einen sprachgewaltigen, gefühlvollen Text einer Wegbegleiterin von mir aus Studienzeiten präsentieren. Es geht um das stetige Unterwegssein und zugleich ums Ankommen. Hierbei zieht sie wunderbare Parallelen zwischen ihren Migrationserfahrungen und ihrer Selbstfindung als Mutter und der Findung als Familie. Elternschaft ist eine unentwegte Reise, voller Leben und Lieben.

Viel Freude beim Lesen
Eure Jessi

Elternschaft als eine Reise

von Igel im Nebel

The Road goes ever on and on
Down from the door where it began.
Now far ahead the Road has gone,
And I must follow, if I can,
Pursuing it with eager feet,
Until it joins some larger way
Where many paths and errands meet.
And whither then? I cannot say

― J.R.R. Tolkien, The Fellowship of the Ring

 

Ich gebe es zu, es ist etwas seltsam, einen Beitrag über das Mutter-Sein mit einem Tolkien Zitat anzufangen. Und dennoch beschreibt es unheimlich präzise den Prozess des Loslassens, der Neudefinition von sich Selbst und des Gefühls auf einer Reise zu sein, was für mich auch zur Elternschaft gehört.

Ich kann nur zu gut das Gefühl nachempfinden, eine gewohnte Umgebung zu verlassen, sich von all dem zu trennen, was mich einst beeinflusst, mein Leben bestimmt und mich definiert hat. All diese wichtigen und weniger wichtigen Menschen um mich herum. All diese bequemen und gewohnten Dinge, die einfach da waren, an die ich mich nicht unbedingt erinnern kann, aber die eine gemütliche Hobbithöhle um mich herum gebildet haben: Die von meiner Mutter gekauften kitschigen Tassen mit Namen im Schrank, die von meinem Vater gebauten Regale und die verstaubten Bücher darauf (jedes mit einer Geschichte darin und mit einer zum Teil längeren Geschichte dahinter) haben mir wie eine Schutzhülle Sicherheit gegeben. Wer gibt schon dieses Sicherheitsgefühl ohne Weiteres ab?

Aber dann kommt dieser Gedanke: „Ich kann doch immer zurück. Es ist ja nur für eine absehbare Zeit. Ich kann jederzeit wieder nach Hause“. Und kurze Zeit darauf war ich auf einem menschenleeren Bahnhof in einer fremden und für eine westliche Metropole beunruhigend stillen Stadt, in einem fremden Land. Das Bild einer einsamen Reisenden im Mondschein und im Licht des Funkturms hätte ein klischeehafter Anfang einer Horrorgeschichte sein können. Zudem war die Reisende mit einer Reisetasche und einem schweren „Gepäck“ an Erinnerungen, Vorstellungen und Gewohnheiten fest davon überzeugt, angekommen zu sein. Die Reise fing an der Stelle aber erst an, mit all den Dingen, die dazu gehören: Der Begeisterung für etwas Neues, Missverständnissen, dem Gefühl, dass die Sprachkenntnisse nicht unbedingt weiterhelfen, mit all den Menschen, die man „unterwegs“ kennen lernt. Und dann kommt die Erkenntnis, dass auch diese Reise nicht zu Ende geht. Es geht nicht einfach „nach Hause“ zurück zu gehen, weil man selbst sich zu sehr verändert. Und es klappt auch nirgendwo richtig anzukommen, weil das schwere „Gepäck“ an all den Erinnerungen und Vorstellungen zu schade zum Wegwerfen ist, sowie auch die Verbindungen zum alten Selbst zu stark sind. 

Und so bedeutet auch die Geburt eines Kindes eine neue Reise. Nicht nur für den neuen Menschen selbst, sondern auch für die Eltern, die sich trotz der ganzen Freude nach dem gewohnten Leben sehnen und sich an die alten Gewohnheiten klammern und ihr eigenes Selbst bewahren wollen. Eine Reise, auf der nichts vorhersehbar ist. Und einige Stunden mit einem schreienden Baby das nicht einschlafen kann, sind für mich von der Intensität her mit der Ankunft auf einem menschenleeren Bahnhof in einer unbekannten Stadt zu vergleichen. Die alten Erfahrungen bringen einen nur bedingt weiter und es ist keiner da, der weiterhelfen könnte. Man sehnt sich nach der alten Vertrautheit und fürchtet sich vor dem Unbekannten und dem Fremden. Zum anderen lernt man aber das Gefühl zu schätzen auf sich selbst gestellt zu sein und selbst den richtigen Weg zu finden, denn es finden sich genug Menschen, die alles besser wissen und unbedingt einem den Weg zeigen wollen. Es ist jedoch im Vergleich zu jedem anderen Neufang etwas anders an dieser Reise:

Man geht diesen Weg nicht alleine, sondern begleitet jemanden anderen, der diese Welt vom leeren Blatt erkundet.

Trotz der ganzen Zweifel und der Neuerfindung des Selbst, weiß ich jetzt, dass eigentlich kein festes „Zuhause“ nötig ist. Es ist etwas ganz Natürliches, „unterwegs“ zu sein. Denn es sind die „Mitreisenden“, die das Gefühl geben, zu Hause zu sein.

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Elternschaft als Reise. Parallelen zwischen Migration und Elternsein. Unterwegssein. Heimat ist da, wo die Menschen sind, die wir lieben