Im August eines jeden Jahres findet die Invasion kleiner und kleinster Kinder in die Kitas zur Eingewöhnung statt und die Frage nach ihrer Bindung ploppt auf. Ich wünsche mir, dass sowohl Eltern als auch pädagogische Fachkräfte hinreichend Bescheid wissen über die Bindungstheorie. Das beinhaltet das Wissen, dass Kinder, die mit etwa einem bzw. eineinhalb Jahren in die Kita kommen,  ein deutliches Bindungsverhalten zeigen werden.

Ich wünsche mir, dass insbesondere Erzieher*Innen wissen, was das bedeutet und wie damit umzugehen ist. Sie sollten wissen, dass zu allererst an sie selber vom Kind eine Bindung entstehen muss, bevor es zu einer Trennung von der eigentlichen Bindungsperson kommen sollte. Laut Fahrplan des landesweit gerne angewandten Berliner Modells wird nach vier Tagen pauschal eine Trennung angesetzt. Ich halte diese stur- manualisierte Herangehensweise aus meiner psychologischen Sicht für zweifelhaft.

 

Mit Wissen zum besseren Verständnis: Unsicherheiten bei der Eingewöhnung in die Kita

Mit meinem umfangreichen Text aus Sicht der Psychologischen Psychotherapeutin, die u.A. bindungsorientiert in den Therapien arbeitet, möchte ich die unterschiedlichen Bindungstypen und ihre Entstehung vorstellen. Nach der allgemeinen Einführung und den Grundlagen zur sicheren Bindung, erläutere ich die Spezifika der jeweiligen Bindungstypen kurz. Im Anschluss gehe ich auf den Einfluss des Bindungsstatusses der Eltern ein.  Fachbegriffe werde ich in „“ setzen, um euch das eigene vertiefende Recherchieren etwas zu vereinfachen.

Die sichere Bindung eines Kindes an seine (primären) Bezugspersonen bildet die Grundlage für eine stabile psychische Entwicklung.  Noch viel mehr als die Eltern müssen Erzieher*innen diese Aspekte bei der Eingewöhnung im Blick habe. Gerade wenn ein Kind mit einer eher unsicheren Bindung zur Eingewöhnung kommt, bietet diese Beziehungserfahrungen mit den Erzieher*innen ein großes Potential, auch andere Beziehungsmuster zu verinnerlichen.

Es geht im Text nicht um Bindungsstörungen, sondern um den breiten Grat des Normalen. Es soll auch kein Kind als unsicher gebrandmarkt werden. Vielmehr soll ein besseres Verständnis helfen, Kinder zu unterstützen, eine sichere Bindung aufzubauen, eben auch bei der Kita- Eingewöhnung.

Was ist Bindung?

Bindung ist das „unsichtbare Band“ (nach Bindungstheoretiker und Analytiker John Bowlby) zwischen Kind und Bezugsperson. Sie zeigt sich als Verhalten eines Kindes, sich bei Unsicherheit, Müdigkeit, Überforderung etc. seiner primären Bezugsperson zuzuwenden. Das heißt, das Kind kann sie z.B. anschauen, wenn jemand Fremdes hereintritt und sich  so rückversichern, ob noch alles ok ist. Genauso ist das Hinkrabbeln, Hinlaufen und auf den Arm genommen werden wollen Ausdruck einer aktiven Suche nach Bindung. Das Kind weiß, dass es dort einen wie auch immer gearteten Schutz und Rückversicherung finden kann.

Bindung entsteht in einer Zeit (6- 8 Monate), in der das Kind schon Erfahrungen mit der Reaktion seiner Umwelt gemacht hat. Es weiß, was es zu erwarten hat. Vor der eigentlichen Bindungsphase liegt die Vorphase, in der das Kind die Erfahrungen sammelt. Wer ist denn hier der beste Partner in Sachen Bindung? Wer ist am zuverlässigsten verfügbar und wer reagiert angemessen und sicherheitsvermittelnd? So entsteht eine Bindungshierarchie. Das ist für Eltern manchmal gar nicht leicht auszuhalten und oftmals Quell eifersüchtiger Gefühle untereinander.

 

Wie entsteht Bindung?

Bindung entsteht, wenn eine Bezugsperson konstant feinfühlig auf ein Kind reagiert. Das sind naturgemäß im Idealfall in den ersten Lebensmonaten Mama und Papa, die auf die Signale ihres Kindes feinfühlig reagieren. Im Rahmen des „Feinfühligkeitskonzepts“ ist damit gemeint, dass die Bezugsperson prompt und angemessen reagiert. Eltern haben meistens von Natur aus gute „intuitive elterliche Kompetenzen“ und können daher angemessen auf ihr Kind reagieren. Erzieher*Innen sollten das ebenfalls erspüren können und durch fachliches Wissen ergänzen. Die Kompetenzen liegt dabei auf drei Ebenen:

wahrnehmen
interpretieren
handeln


Durch eigene Erfahrungen kann es sein, dass eine oder mehrere Ebenen nicht voll ausgeprägt sind . So können diese Kompetenzen beeinträchtigt sein. Aber nicht nur das elterliche Verhalten kann eine sichere Bindungsaufnahme erschweren. Es gibt Säuglinge, die tatsaächlich schwer zu „lesen“ sind. Da wechseln die Emotionen, die teilweise auch noch widersprüchlich sind, sehr schnell. Als Elternteil weiß man dann gar nicht, auf was davon man reagieren soll. Bindung ist also insofern ein wechselseitiger Prozess, denn ein Kind bringt sein eigenes Temperament mit, mit dem es auf die Umwelt trifft, die mit genau diesem Verhalten umgehen muss. 

 

Feinfühligkeitskonzept

Eine sichere Bindung entsteht durch die feinfühlige Reaktion der Bezugsperson: angemessen (dosiert also, was bedeutet, nicht zu viel, nicht zu wenig) und prompt. Das Kind hat erfahren, dass es auf eine bestimmte Reaktion des Gegenübers vertrauen kann, im Guten wie im Schlechten. Das Baby fühlt sich wahrgenommen. Genauso weiß es nun, dass andere es zu unterstützen versuchen. Es hat erfahren, dass es Beruhigung gibt. Genauso hat es gespürt, dass andere sich seiner körperlichen Unlust anzunehmen und da sind.

Das Thema Urvertrauen hängt eng mit der Bindung zusammen. Darüber habe ich hier nochmal einen extra Artikel geschrieben.

Hinreichend oft angemessen und prompt reagieren

Eltern sicher gebundener Kinder reagieren hinreichend oft angemessen. Sie reagieren auf das gezeigte Gefühl. Wenn ein Baby weint, weil es sich vielleicht nicht genügend angesprochen fühlt  und dann aber statt eines gemeinsamen Spiels etc. die Brust/ Flasche angeboten bekommt, dann ist diese Reaktion nicht angemessen. Ich hatte hier eine solche Situation ausführlich beschrieben. Bevor Sorge ausbricht, weil man eben nicht immer wissen kann, was los ist und manchmal nicht angemessen reagiert: keine Angst! Man muss nicht immer genau das Richtige treffen, sondern oft genug.

Es kommt nämlich auch auf den kindlichen Charakter und dessen Resilienz an. Robuste Kinder sind nicht so leicht zu erschüttern. Aber es gibt eben auch schon kleine Babys, die sehr irritierbar sind und schnell außer sich geraten. Es ist eine Anlage im Kind, die dann auf die Eltern trifft (nature and nurture). Leider setzt hier dann oft ein Teufelskreis ein: diese Babys fordern und überfordern ihre Bindungsperson einfach wirklich schnell und die ist natürlich irgendwann auch fertig und kann nicht mehr angemessen reagieren, weil sie am Ende ihrer Kraft ist.

Weitere Aspekte der sicheren Bindung

Der Sprache und dem Erzählen miteinander kommt eine große Bedeutung beim Bindungsaufbau zu, auch wenn das Baby natürlich eher gurrende und glucksende Laute von sich gibt. Wenn Eltern verbalisieren, was sie vom Gefühl des Kindes, von seinen Handlungen und seinem Wollen wahrnehmen, wie sie das verstehen, dann fördert das die sichere Bindung.  Sie geben ihrem Kind und den Äußerungen eine erfüllende Bedeutung. Das tun sie nicht nur verbal, sondern durch die Art und Weise, wie sie reden. Es scheint manchen Menschen seltsam vorzukommen, aber ich möchte euch ermuntern, mitzugurren und mit Hilfe Stimme Gefühle zu spiegeln. Wir können den undeutlichen Artikulationen unserer Babys so „Bedeutung, Inhalt und Gefühl“ (Brisch, SAFE Sichere Ausbildung für Eltern, S. 33) geben. Wie wundervoll, oder?

Auch eine Erzieher*In, die immer nur laut und in derselben Klangfarbe spricht, also wenig vermittelt, ob sie emotional mitschwingt, wird es wahrscheinlich schwer haben, schnell eine gute Ver-Bindung zum Kind aufzubauen.

Blickkontakt und Berührung, natürlich in feiner Abstimmung aufeinander, sind ebenso wesentlich an einer sicheren Bindung beteiligt. Bindung ist eine Art Tanz zwischen Bezugsperson und Kind, den nicht nur einer alleine tanzen kann. Man muss einander folgen können und sich dem Austausch auch hingeben wollen. 

Was nützt eine sichere Bindung

Bindung ist dafür notwendig, um sich gut loslösen zu können. Wer an Bindung denkt, müsste automatisch auch an Autonomie denken, denn beides geht Hand in Hand. Sich mit einem guten Gefühl lösen zu können, geht nur, wenn die Gewissheit da ist, dass man zurückkehren kann und aufgefangen wird. Dass einem also niemand böse oder selber aufgeworfen ist, weil man sich gelöst hat.

Eine sichere Bindung ermöglicht es, sich sowohl in nahe und befriedigende Beziehungen zu begeben, als auch sich- durchaus auch mit schmerzlichen Gefühlen- wieder zu lösen. Sie ermöglicht uns einen authentischen, liebevollen und zugewandten Kontakt zu uns selbst und zu unseren Mitmenschen und lässt uns interessiert und erkundungsfreudig sein. Gut gebunden zu sein heißt, dass man sich lösen und den eigenen Weg finden kann. Eine sichere Bindung kann also dabei helfen, man selbst zu werden und eigene Fehler zu machen, weil man weiß, dass man immer wieder in den sicheren Hafen der stabilen Beziehung zurückkehren kann.

Natürlich schützt eine sichere Bindung nicht davor, im Leben auch mal depressiv, ängstlich etc. zu werden, aber der Verlauf ist meistens doch weniger zerstörerisch. Es gibt im Psychischen so viel Gutes, was verinnerlicht wurde und was durch schwierige Zeiten hindurch trägt. Die Fähigkeit, sich als kompetent zu erleben, sich aber auch Hilfe zu suchen, weil man eben weiß, dass es in Beziehungen so etwas wie Hilfe gibt, sind wunderbare Folgen einer sicheren Bindungserfahrung.

Der Bindungsstil eines Menschen ist relativ stabil, dennoch sind wir an unterschiedliche Menschen natürlich unterschiedlich gebunden. Das Bindungskonzept reicht aber nicht aus, um die vielfältigen anderen Beziehungen hinreichend zu beschreiben. 

Welche Arten von Bindungen gibt es und was brauchen sie auch bei der Eingewöhnung?

Es gibt drei Typen der Bindung, die nicht pathologisch sind und eine, die krankheitswertig ist. Diese  sogenannte „desorganisierte Bindung“ ist bei Kindern aus schwierigen Verhältnissen häufiger zu beobachten. Oftmals erleben sie schon früh Vernachlässigung und Verwahrlosung, physisch wie psychisch. Sie sind Fremden gegenüber häufig distanzlos, klammern sich vielleicht auch fest und reagieren widersprüchlich auf ihre Bezugspersonen. Sie wissen nicht, was sie vom Gegenüber zu erwarten haben.  Beziehungen sind für diese Kinder nicht vorhersehbar, weil sie viel zu sehr von den Stimmungen der Bezugsperson abhängig sind und diese eben nicht konstant auf eine Art reagiert, sondern mal freundlich, mal abweisend, mal sehr gereizt und wütend, vielleicht auch gewalttätig. Dieser Bindungstyp ist relativ selten im Vergleich zu den nicht- pathologischen.

Grob unterscheidet man bei der gesunden Bindung zwischen sicher und unsicher gebunden. Es gibt zwei Typen der unsicheren Bindung, entweder vermeidend oder ambivalent. 

Kategorienbildung durch Fremde Situation Test: was sagt das aus?

Die Bindungstypen wurden aufgrund des Fremden Situation Test (Kind wird nach kurzer Phase von Mutter mit einem komplett Fremden zurückgelassen, sie kommt wieder, geht wieder raus) gebildet, denn man fand wiederkehrende Muster bei Kindern, die im Zusammenhang mit dem elterlichen Verhalten standen. Dieser Test ist nicht gleichzusetzen mit der Eingewöhnung. Er bzw. die Entwicklungen der Theorie daraus können uns helfen, den Blick für kindliches Verhalten und verdrängte Gefühle oder eine Überflutung mit Gefühlen zu schärfen. Es kann nur gut sein, wenn wir merken, dass und wie unser Kind manchmal unsicher wird. Nur wenn wir dafür einen Blick bekommen, können wir adäquat reagieren.

Vorsicht bei vorschnellen Deutungen

Es wäre anmaßend, wenn jemand meint: oh, dein Kind hat heute aber nicht auf dich reagiert und ist bestimmt unsicher gebunden.

Das ist Quatsch!

Ich persönlich glaube, dass es nicht per se darum geht, dass ein Kind immer und ausschließlich wie ein sicher gebundenes Kind reagiert. Jeder Bindungsstil passt zu dem Menschen, seiner Geschichte, zu der Familie, gehört mit zu den Wurzeln. Ich spreche mich dafür aus, von einem überwiegend (!) sicheren Bindungsstil zu sprechen, so dass es Raum gibt, nicht gleich in Panik zu verfallen, wenn ein Kind Mama bei der Rückkehr mal nicht beachtet. Das hat nicht zwangsweise etwas mit einer unsicheren Bindung zu tun.

 Sichere Bindung

Ein sicher gebundenes Kind hat eine deutliche Bindung an die Bindungsperson: sie zieht sie anderen, fremden Menschen deutlich vor, sucht sie in Zeiten der Beunruhigung/ Unsicherheit auf und weiß, dass die Bindungsperson da sein wird. Deswegen reagiert ein sicher gebundenes Kind durchaus auch intensiv auf Trennung von der Bindungsperson, insbesondere wenn diese zu früh und nicht an den kindlichen Möglichkeiten orientiert ist! Es lässt sich vielleicht von einer fremden Person beruhigen, aber das ist nicht zwangsweise der Fall!

Ein Kind, dass bei der Kita- Eingewöhnung schwer einzugewöhnen ist und viel weint, kann sicher gebunden sein. Ich sage „kann“, weil man genau hinsehen muss, wie die Wiedervereinigung ist, um die sichere Bindung nicht mit der ambivalent- unsicheren zu verwechseln. Das sicher gebundene Kind wendet sich aktiv seiner Mutter zu, wenn sie wiederkommt. Nach einer gewissen Zeit ist es auch wieder in der Lage, sich dem Spiel zuzuwenden und die Mutter auch wieder aus den Augen zu lassen, was beim unsicher- ambivalenten Kind nicht der Fall ist.

Ein sicher gebundenes Kind zeigt Gefühle, beruhigt sich aber auch

Ein sicher gebundenes Kind kann weinen, wenn Mama/ Papa geht. Es hat nämlich verinnerlicht, dass es sich lohnt seinen Kummer zu zeigen (ein wesentlicher Unterschied zum unsicher- vermeidend gebundenen Kind). Es ist einfach auch traurig, wenn jemand geht, den man mag und von dem man weiß, dass er einem gut tut. Das sicher gebundene Kind weiß, dass es mit seiner Trauer jemanden erreicht. 

Das sicher gebundene Kind weiß aber auch, dass es in der Unsicherheit wieder zu seinen Eltern zurück kann und es dort Sicherheit findet. Das Kind erhält durch seine Bindungsperson die Rückversicherung, die es braucht, um die Welt erkunden zu können.

Mit fortschreitendem Alter wird das Kind nämlich immer weitere Kreise um die Eltern ziehen, aber immer wieder auch in irgendeiner Form Kontakt suchen.

Es gibt sicher gebundene Kinder, die bei Trennungen nicht weinen, denen man aber anders anmerkt, dass die Trennung sie irritiert. Sie können Mama/ Papa z.B. nur irritiert nachsehen. In irgendeiner Form reagieren sie immer, sie ignorieren die Trennung jedenfalls nicht.

Bei der Eingewöhnung ist es dann eben wichtig, dass bei der Trennungserfahrung von den Eltern die *Erzieher*In ihrerseits gute Bindungsangebote macht. Das ist mit einem sicher gebundenen Kind einfacher, weil es ja schon weiß, dass es so etwas wie eine gute Verbindung miteinander gibt. Das Kind kann diesbezüglich auch vielleicht fordernder auftreten.

Objektkonstanz: innere (Ver-) Bindung in Abwesenheit

Mit zunehmender Objektkonstanz nimmt die Trennungsreaktion ab: das Bindungsverhalten, dass wir von Einjährigen kennen, ist mit drei Jahren so klar nicht mehr zu sehen. Dafür treten andere Aspekte hinzu, die Bindung kurzzeitig stärker beeinflussen. Objektkonstanz beschreibt, dass das innere Bild der Personen auch bei deren Abwesenheit bestehen bleibt, das es eine Idee/ Repräsentanz von der Person gibt. Bei ganz kleinen Babys geht man davon aus, dass die abwesende Mutter als die „böse“ Mutter vom Kind erlebt wird, da sie das Kind mit seinen überflutenden Gefühlen und Bedürfnissen zurücklässt. Das kleine Kind spaltet noch stark in die gute und die böse Mutter, obwohl es ja dieselbe Mutter ist, auf. Es ist ein bedeutsamer Schritt, wenn das Kind diese beiden Anteile zusammenbringt. Die Abwesenheit wird dann nämlich erträglicher und das Kind kann sich eine neue und spannende Welt zu erschließen. Die Abnahme der Spaltung geht mit der Herausbildung einer Objektkonstanz einher. 

Ambivalent unsichere Bindung

Ein ambivalent unsicher gebundenes Kind reagiert ähnlich auf die Trennung und weint intensiv. Es lässt sich wahrscheinlich kaum trösten oder ablenken. Der Knackpunkt ist aber die Wiedervereinigung.

Das Kind ist ambivalent in seiner Kontaktaufnahme, meist wird es sich anklammern. Mütter/ Väter ambivalent gebundener Kinder reagieren eher unbeständig auf die Kinder. Mal reagieren sie prompt und angemessen auf das Weinen der Kinder, mal gar nicht oder eben eher zu stark. Diese Mütter/ Väter werden als selber ängstlich und von ihren Gefühlen überwältigt beschrieben. Das ambivalent gebundene Kind klammert und exploriert kaum die Umgebung, bleibt eher bei der Bindungsperson. Es weiß ja nicht, wie die Mutter/ Vater reagiert, wenn es sich loslöst. Wird sie das positiv unterstützen oder wird sie ihm Angst machen, was alles gleich passiert?


Ein ambivalent gebundenes Kind braucht daher eine behutsame Erzieher*In. Eine, die sehr viel Sicherheit vermittelt und sich als wirklich sichere und verlässliche Alternative anbietet. Jemand, der stark ist, die Tränen auszuhalten, aber eben auch sicherheitsspendend zu begrenzen. Das Kind wird wahrscheinlich sehr schreien und sich nicht gut beruhigen lassen. Es weiß eben nicht
, ob danach mit Mama wieder alles ok ist. Lieber nicht riskieren, dass die Beziehung in Gefahr gerät. Meiner Meinung nach müsste eine Kita hier wirklich schnell handeln und die Mama auch gut begleiten, damit sie sich lösen kann und die Ambivalenz, die die Trennung auch für sie bedeutet, besprechen kann. Das ist sehr personalaufwendig, aber es wäre einfach das Beste für alle.

Unsicher- ambivalent: Sicherheit und Ruhe

In einem Vortrag einer Kollegin, die Kitas zur Eingewöhnung schult, hörte ich die Empfehlung, dass ambivalent gebundene Kinder emotional runtergebracht werden müssen. Das hieße, sie nicht noch weiter mit Spiegelungen „du bist so traurig“ zu destabilisieren, sondern sie etwas abzulenken, um eine schöne Erfahrung zu ermöglichen. Das ist natürlich ein Spagat zwischen Anerkennung der Gefühle einerseits und andererseits dem Anbieten einer äußeren Struktur, die begrenzt. Das kleine Kind weiß eben nicht, was ihm in dem Moment noch gut täte außer bei Mama zu sein. Daher wäre es schön, wenn der Alternativbetreunde dann versucht, Angebote zu machen (spielen, singen etc.). 

Mütter dieser Kinder werden als einerseits sehr herzlich, andererseits aber manchmal auch sehr abweisend und unerreichbar beschrieben. Der Gefühlsausdruck des Kindes ist wahrscheinlich deswegen so „übertrieben“ (Oerter und Montada, Entwicklungspsychologie, S.200), damit sie sicher sein können, auch wirklich wahrgenommen zu werden. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass bei starken Affektäußerung eher Hilfe eintrifft.

Spezifisch zur ambivalent- unsicheren  Bindung habe ich hier einen weiteren tiefergehenden Text geschrieben.

Unsicher- vermeidend gebundene Kinder


Das Drama der unsicher vermeidend gebundenen Kinder ist das, dass sie still leiden. Sie zeigen nicht, dass die Trennung sie schmerzt und sie beschäftigt. In Studien wurde allerdings mehrfach nachgewiesen, dass unsicher vermeidend gebundene Kinder am meisten das Stresshormon Cortisol ausschütten, wenn es um die Trennung geht. Als Analytikerin wundert mich das nicht, denn sie zeigen ihre Gefühle nicht. Die Gefühle kommen sozusagen nicht raus, sondern werden körperlich nach innen abgeführt. Die Kinder haben nicht die Erfahrung gemacht, dass ihrem seelischen Kummer Raum zugestanden wurde. 


Bei der Wiedervereinigung reagieren die Kinder kaum auf ihre Bezugsperson. Sie sind weiter im Spiel vertieft und „machen keine Probleme/ Theater“. Es sind die in dieser Situation ausgesprochen pflegeleichten Kinder, die innerlich leiden.

Unsicher gebunden: Zugang zu Gefühlen ermöglichen

 Deswegen ist es wichtig, dass diese Kinder die Alternativerfahrung machen, dass ihre Gefühle verstanden werden. Man könnte als Erzieher*In immer mal wieder verbalisieren, dass das ja schon traurig sei, dass die Mama jetzt gegangen ist. Bei einem unsicher ambivalenten Kind würde das fatale Folgen haben, ein unsicher vermeidend gebundenes Kind würde davon aber ungemein profitieren. „Das ist ganz schön schade/ traurig, dass Mama jetzt geht“. Wahrscheinlich wird das mit Schulterzucken oder gar nicht beantwortet. Immer wieder muss man das sagen, um dem Kind den Zugang zu seinen eigenen Gefühlen zu ermöglichen.


Ich habe die Erfahrung mit erwachsenen Patient*Innen, die ich als ehedem unsicher vermeidend bezeichnen würde, die nur mit größter Beharrlichkeit einen Zugang zu ihren verborgenden Gefühlen und Ängsten bekommen. Diese sind lange nämlich nur kognitiv und nicht etwa emotional zugänglich. Diese Rationalität ist eine Art Schutzmantel, der ihnen schon in früher Kindheit beigebracht wurde. 


Unsicher gebundene Kinder stecken scheinbar vieles weg. Meiner persönlichen Erfahrung nach würde ich aber sagen, dass sie in hohem Maße somatisieren. Sie drücken also psychischen Schmerz körperlich aus. Häufiges Bauchweh oder Kopfweh kann darauf hinweisen.

Die primäre Bindungsperson dieser Kinder ist ein eher emotional abweisender Mensch. Klar in den Ansagen, nicht viel Schischi um Gefühle machen und eher handeln als fühlen. Sie teilt sich ihrem Kind eher sachlich als gefühlsbetont mit. Mütter dieser Kinder mögen keine starken Gefühlsausbrüche (wie z.B. heftiges Weinen). In Längstschnittstudien konnte gezeigt werden, dass diese Mütter früh von ihrem Baby eine eigenständige Gefühlsregulation erwarten (Oerter und Montada, Entwicklungspsychologie, S. 199).

Bindung der Eltern

Der Bindungsstatus der Eltern hat natürlich einen enormen Einfluss auf die Bindungssicherheit der Kinder. Was Eltern in ihrer eigenen Kindheit erlebt haben und wie sie selbst gebunden waren, beeinflusst das Beziehungsangebot, das sie ihren eigenen Kindern machen. Sie sind in dem Sinne eben erwachsene Kinder, deren inneres Kind weiterlebt.

Mary Aintsworth (Pionierin der Bindungsforschung) hat ein Interview (AAI) entwickelt, aus dem man erkennen kann, welchen Bindungsstil Erwachsene haben. Sie unterscheidet dabei verschiedene Typen, die sich in ihrer Erzählweise während des Bindungsinterviews unterscheiden. Die Art, wie von sich, den Erfahrungen und den Beziehungen berichtet wird, gibt Hinweise darauf, welches Bindungsmuster verinnerlicht wurde. 

Abweisende Eltern (vermeidend)

berichten keine Erinnerungen an Interaktionen zu haben bzw. negieren sie den Einfluss der Interaktionen. Es werden oftmals eher Fakten berichtet, ohne dass man einen emotionalen Zugang spürt. Die Erzählungen passen daher nicht mit der Emotion zusammen bzw. sind widersprüchlich. Z.B. „Habe ganz tolle Mama gehabt“. 30 Minuten später „immer wenn ich hingefallen bin, sagte meine Mutter, ich solle nicht immer so rumheulen“, ohne dass dem eine größere emotionale Bedeutung beigemessen würde.


Verstrickte Eltern (ambivalent)

können vor lauter emotionaler Geladenheit kaum eine kohärente Geschichte erzählen, sie sind in ihren Erinnerungen wie gefangen. Oftmals werden Episoden mit überschwappenden und teilweise verwirrenden/ verwirrten Gefühlen geschildert. Die Emotionalität wirkt eher drüber und scheint innerlich nicht gut gehalten werden zu können.

Autonome Eltern (sicher gebunden) 

beschreiben kohärent und konsistent (also passend zum Affekt und in sich schlüssig) sowohl Positives und Negatives an Erinnerungen und Eigenschaften der eigenen Eltern. 

ungelöste Eltern (desorganisiert)

leiden unter postraumatischen Einflüssen durch ihre eigenen Eltern und haben sich davon noch nicht befreit.

Ich habe eine entlastende Grafik aus einem Entwicklungspsychologiebuch von Sabina Pauen eingescannt. Sie zeigt, welchen Bindungsmodus die Eltern von unterschiedlich gebundenen Kindern haben. Ich finde die Grafik auch deswegen interessant, weil deutlich wird, dass nicht ausschließlich der Bindungsstil der Eltern relevant ist. Sonst würden nicht bei allen Bindungstypen der Kinder auch autonome Eltern vorkommen. 

aus: Pauen, S. (Hrsg.) Entwicklungspsychologie im Kinder- und Jugendalter

Kritisches zur Bindungstheorie

Es geht im Leben um weit mehr als um Bindung! Die menschlichen Gefühle sind unheimlich vielfältig, irrational und wunderbar. Sie entstehen nicht nur aus der Bindungserfahrung heraus, sondern aus dem je eigenen Inneren, aus den eigenen Bildern und Fantasien. Leider bleibt das Triebhafte in der Bindungstheorie außen vor. Meine Kritik, die natürlich durch die analytische Community geprägt ist, bezieht sich auf die Vereinfachung der menschlichen Psyche. Das führt meiner Meinung nach zu oft dazu, dass eine gute Bindung als Allheilmittel verstanden wird.

Ich höre z.B. immer wieder, wie Eltern im Namen der guten und sicheren Bindung Autonomie untergraben. Bindung und Autonomie sind zwei Seiten derselben Medaille. Ziel der Bindung ist, dass nach und nach die reale Beziehungserfahrung ins Innere übernommen wird. Dadurch entsteht eine positive Beziehungserwartung auch an andere Personen. Als Eltern müssen wir dann, so schwer es uns auch fallen mag, ein bisschen Platz machen im Leben unserer Kinder.

Loszulassen und Kindern eine altersgerechte Autonomie zuzugestehen, ist wesentlich.

Zum Abschluss: bunter Strauß mit Bindungen

Wenn ein Kind sich von seinen primären Bezugspersonen trennen muss, dann reagiert es aus diesem erfahrenen Beziehungsrahmen. Die neue Betreuungsperson baut auch wieder eine Bindung zu ihm auf, indem es auf seine Gefühle reagiert. Es greifen dann also mehrere Bindungssysteme ineinander. Manche Kinder sind an ihre weiteren Betreuer durchaus auch sicherer gebunden, wenn jene eben auf die oben beschriebene feinfühlige Art und Weise reagieren. Daher ist es auch wichtig, dass Kinder die Möglichkeit haben, Bindungen zu verschiedenen Menschen aufzubauen.

Ein Kind kann sich glücklich schätzen, wenn es ein sicheres Bindungsnetzwerk hat. Oma, Opa, nahe Freunde sind für die Entwicklung sehr hilfreich. Sie zeigen die Vielfalt an Beziehungen und deren Möglichkeiten. Die emotionale Flexibilität kann davon profitieren, sofern es einen sicheren Hafen gibt, dem das Kind sich immer zuwenden kann. Dabei muss nicht immer alles so sein, wie wir als Eltern uns das vorstellen. Es ist ok, wenn andere nicht perfekt und jederzeit voll abgestimmt auf unser Kind reagieren, sofern natürlich eine grundsätzliche Beziehungskompetenz vorhanden ist.

Eine echte Bindung aufzubauen, braucht Zeit und emotionale Bereitschaft.

Gefühle zu zeigen, ist gesund. Sich von ihnen nicht überrollen zu lassen, aber auch. Die ersten Trennungserfahrungen im Leben eines Kindes bedeuten einen immensen Einschnitt und erstmal eine große Verunsicherung. Diese Verunsicherung macht starke Gefühle, immer. Wie beschrieben, drücken Kinder das auf unterschiedliche Arten aus. Die Überzeugung, dass man die eigenen Gefühle aushält und sich nicht in ihnen verliert, kann wachsen, wenn die Trennungen gut begleitet werden. Das macht meiner Meinung nach eine gute Kita und eine gute Eingewöhnung aus. Dazu ist ein angemessener Betreuungsschlüssel und eine reflektiertes und emotional zugängliches Erzieher*Innenteam notwendig.

Mut sich Hilfe zu suchen

Beschleicht euch das Gefühl, dass in der Art, wie ihr Beziehungen führt und eurem Kind Bindungen anbietet, etwas schief ist, dann freut euch über diese Erkenntnis. Sollte es nicht möglich sein, selber eine Veränderung herbeizuführen, kann die Inanspruchnahme von Psychotherapeut*Innen helfen. Es ist oftmals viel gewonnen, gemeinsam zu schauen, worum es gerade geht. So kann man diese Situation dann selber gut angehen. Ich weiß, es ist für viele mit großer Scham verbunden, sich Hilfe von außen zu holen, aber sich einzugestehen, dass etwas schwierig läuft, ist eine wirklich große Stärke! Gemeinsam mit jemandem Außenstehenden zu schauen, wie das Baby/ Kind kommuniziert, wie es seine spezifischen Bedürfnisse mitteilt, kann wirklich Wunder bewirken! Es ist wunderschön, wenn zwischen Bezugsperson und Kind das Gefühl aufkommt, dass sie einander verstehen. Damit kommt ein Ball ins Rollen, der alle Beteiligten entspannt.

 

Madame FREUDig

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