Ich habe lange schon darüber nachgedacht, wie ich zum Thema des Stillens, der Mutter- Kind- Beziehung und des Lustvollen etwas schreiben kann, ohne dass gleich etwas Panisch- Hysterisches aufkommt. Daher nutze ich die Weltstillwoche zum Thema „Stillen fördern- gemeinsam“, um meinen Artikel beizusteuern. Stillen ist mehr als Nahrung, Beruhigung und Beziehung zur Mutter. Es ist eine der ersten lustvollen Erfahrungen als Mensch und hat Auswirkungen auf die Psyche.

Der Kuss und die Zärtlichkeit sind Erinnerungen unseres Körpers an unsere ersten lustvollen Erfahrungen als Babys. Es sind Spuren der ersten Zeit und Zeugen des frühen Austauschs zwischen Mutter und Kind. Auch wenn es euch befremdet, an der Stelle von kindlicher Sexualität zu reden, so möchte ich euch einladen, diese Gedanken und aufkommenden Fantasien nicht vorschnell zu verteufeln, sondern ihnen Raum zu geben. Das Stillen ermöglicht nicht nur eine unvermittelte und zärtliche Beziehungsaufnahme, es ist auch die erste Lustquelle eines kleinen Babys. Ich möchte das Stillen deswegen aus meiner psychoanalytischen Sicht betrachten.

Ganz am Ende des Textes findet ihr einige wunderbare Aufnahmen von Müttern und ihren Stillkindern, die mir zugesandt wurden. In diesen Bildern wird jeder etwas Anderes entdecken und ich hoffe, dass euch das Betrachten ebenso Spaß macht wie mir.

 

Kindliche Lust

Wir müssen uns als Erstes davon verabschieden bei Sexualität an unsere erwachsene Sexualität zu denken, die sich im genitalen Raum abspielt. Sexualität- also die Libido wie Freud den Trieb des Sexuellen, Liebevollen und Zärtlichen nannte- ist in jedem Menschen vom Anfang seiner Zeugung vorhanden. Im besten Fall entsteht jeder Mensch aus einem liebevollen und schöpferischen Akt.

Es ist diese zärtliche Kraft in uns, die etwas Gutes und Liebevolles erschaffen kann. Tragisch, wenn die Zeugung als „Unfall“ betrachtet wird und das Kind mit dieser schweren Bürde der Unerwünschtheit und der Beschädigung empfunden wird.

Freud, später durch Melanie Klein detailliert ausgearbeitet, beschrieb neben der Libido den Todestrieb. Beide Triebe sind, um im psychischen Gleichgewicht zu bleiben, notwendig. Freud konzipierte dann auch noch verschiedene Phasen der frühkindlichen Sexualität, also des jeweils neu erschlossenen Lustraumes (auf die oralen Phase folgen die anale Phase- Stichwort Reinlichkeitserziehung, Lust am Zurückhalten/ der Kontrolle des eigenen Körpers- und die genitale Phase mit Zeigelust, Doktorspielen, Penis/ Vagina- Interesse), der mit der Reifung der körperlichen Funktionen und dem Erforschen des Körpers dazukommt.

 

Die orale Phase und das Stillen

In der ersten Phase des psychosexuellen Entwicklung- der oralen- gewinnt das Kind vornehmlich Lust aus der Stimulierung des Mundraumes. Das wird niemand, der ein wonnig an der Brust saugendes Babychen gesehen/ gefühlt hat, bestreiten. Dieses Saugen und Liebkosen mit der Zunge und der Mundhöhle ist eine wertvolle zärtliche Erfahrung, die zwischen Mutter und Kind stattfindet. Der kleine Säugling fühlt sich- bestenfalls- liebevoll betrachtet und von dieser Liebe durchströmt, er fühlt seine gebende Mutter, die ihm von sich etwas überlässt, die sich an seinem Dasein und seinem Wollen erfreuen kann und es in ihrer Haltung durch das Stillen auch ausdrückt. Dieses wohlwollende Gefühl der Mutter nimmt das Baby in sich auf. Ein Geschenk, welches ihm bleibt!

Der libidinöse Trieb (also diese Suche nach dem Lustvollen) sucht das Objekt (so nennen wir den von uns getrennten Menschen in der Psychoanalyse) von Anfang an. Er wird durch den anderen Menschen befriedigt und insbesondere als so kleine, auf Hilfe von außen angewiesene Wesen brauchen wir das dringend. Daher ist mit dem Stillen ein ganz primäres Bedürfnis im wahrsten Sinne des Wortes gestillt. Stillen befriedigt auf eine zärtliche Art das Bedürfnis nach Nahrung.

Für ein kleines Baby ist der brummelnde Bauch wahrscheinlich etwas sehr Bedrohliches und die Mutter hilft dem Kind durch das Stillen. Diese Verknüpfung der Behebung der körperlichen Dysbalance und der Unruhe mit dem Stillen erfolgt automatisch, wenn das Baby sich satt und zufrieden an der Brust entspannt, die Fingerchen sich aus der Verkrampfung öffnen und es vielleicht sogar einschläft. Diese Entspannung bzw. das erworbene und erfahrene Wissen um die Möglichkeit der Befriedigung nimmt das Kind für sein Leben mit. Es weiß, dass es so etwas wie Entspannung und Wohlbefinden gibt.

Vielleicht denken einige, dass das Baby die Mutter gierig aussaugen will, wenn es so ein triebhaftes Bündel ist und sie nur deswegen braucht, um nicht mehr hungrig zu sein. Das stimmt aber nicht! Das Baby braucht diese Erfahrung, dass es in seinen Bedürfnissen gesehen und beantwortet wird. Das Baby macht darüber hinaus die Erfahrung, dass es liebevoll gehalten, liebkost UND gesättigt wird, so dass es um weit mehr als die Nahrungsaufnahme geht. Ein Baby verlangt die Brust ja erfahrungsgemäß nicht nur zur Sättigung, sondern weil es einfach ein schönes Gefühl ist. Es ist lustvoll, also in dem Sinne daher oral sexuell!!

 

Psychoanalytischer Hintergrund

Nimmt man eine psychoanalytische Behandlung auf, fragen viele der PsychoanalytikerInnen, wie die Stillbeziehung war, wie lange gestillt und wie abgestillt wurde. Es ist sehr aufschlussreich und verrät sehr viel über die Art der Beziehung zwischen Mutter und Kind. Dabei geht es wie immer nicht um Schuldzuweisungen. Es geht vielmehr um die Rekonstruktion der eigenen Geschichte, der Frustrationen und der Beziehungserfahrungen. Wie eine Mutter ihr Baby stillt, verrät viel über ihre unbewussten Fantasien. Diese Ängste, Wünsche und Aggressionen dem Kind gegenüber gelangen- heute würde man sagen- durch Spiegelneurone- ins Kind.

In der Psychoanalyse war es lange Zeit vollkommen normal über die kindliche Sexualität (i.S. Lust) zu sprechen und darüber nachzudenken, was einem Kind Lust bereitet. Die Lust/ der Lustgewinn wurde als wesentlicher Motivator angenommen. Das ist ziemlich nachvollziehbar: was ich mag, tue ich gerne. Es ist Sigmund Freud (1865- 1939) gewesen, der uns auf das Vorhandensein der kindlichen Sexualität aufmerksam gemacht hat. Er nahm mehrere Phasen in der kindlichen Sexualentwicklung an.

Inzwischen hat sich der psychoanalytische Mainstream aber eher in die Richtung entwickelt, sich den frühkindlichen Störungen (oder den daraus resultierenden späteren Störungen) oftmals in einer begrenzenden Ausschließlichkeit über die frühen Bindungs- und Beziehungserfahrungen und weniger über die Triebe zu nähern, was ich- in dieser Ausschließlichkeit- wirklich bedauere. Der Gedanke dahinter ist, dass es nicht mehr um Trieb und Lust geht, wenn die Frustration grundlegender Bedürfnisse nach Bindung und Beziehung ausgeprägt ist. Bindungs- und Beziehungserfahrungen sind unbestritten absolut wesentlich, aber das je eigene Triebleben und Erleben eines jeden Menschen darf dahinter nicht zurückstehen. Vielmehr bedingt die positive Beziehungserfahrung auch, dass die eigenen Triebe als etwas Wertvolles und Eigenes empfunden werden können.

 

Der Kuss als Relikt der Stillbeziehung?

Der Kuss und die Zärtlichkeit als Erwachsene können uns sehr viel über die Art des eigenen gestillt Werdens verraten. Es ist eine nicht verbalisierbare Erinnerungsspur unseres Körpers, wie wir lieben und küssen. Sprache gibt es in der Zeit noch nicht. Es sind die „embodied memories“ (neueres Konzept von Leutzinger- Bohleber), die sich in unseren Körper eingeschrieben haben.  Ich würde euch gerne einladen, beim nächsten Rumknutschen einfach mal diese innere Stimme wach werden zu lassen und ihr Raum zu geben. Was sagt sie euch? Ist es schön, wie fühlt ihr euch? Seid ihr gierig schlingend, vorsichtig zurückhaltend oder mögt ihr das alles ohnehin nicht? Begebt euch auf eine Fantasiereise in euer Inneres. Vielleicht entdeckt ihr etwas Schönes, vielleicht stimmt es euch traurig oder wütend, es verrät euch allemal etwas zu euch Gehöriges.

Idealisierung des Stillens?

Bevor mir aber eine Idealsierung des Stillens und der Bedeutung vorgeworfen wird, möchte ich auf etwas Kritisches eingehen. Es besteht nämlich die Gefahr, jegliche Unlustäußerung eines Kindes durch Stillen (oder Fläschchen, später Lutscher etc.) zu beantworten. Ich lese häufiger, dass Mütter ihre Babys durch das Stillen zu beruhigen versuchen. Das halte ich für durchaus schwierig, weil das Baby abspeichert: bei Trauer/ Langeweile/ Ärger muss ich essen, weil mich das tröstet! Milch gelangt beim Stillen immer, egal aus welchen Gründen, in den Körper und der Bauch füllt sich. Insofern findet eine Verknüpfung des Essens mit Beruhigung statt, die, wenn nur wegen der Beruhigung an sich gestillt wird, nicht unproblematisch ist. Statt des Stillens zur Beruhigung könnte man entweder „nur“ kuscheln, wiegen anbieten oder aber auch eine andere Lösung suchen.

Es gibt viele Erwachsene, die Gefühle wegessen, wegrauchen, wegtrinken. Insofern ist dieses Verhalten oftmals eine Regression. Eine schon erreichte Entwicklungsstufe wird zu Gunsten einer früheren Stufe aufgegeben, um Konflikte zu vermeiden. Das ist nicht per se etwas Schlechtes, die Frage ist nur, ob es funktional ist. Essen oder rauchen, um Gefühle in Schach zu halten, wenden viele Menschen an. Einigen hilft es, nicht direkt in Auseinandersetzungen gehen zu müssen. Es ist schade, wenn die eigene Kraft und Stärke weggegessen wird, anstatt sie sich zu nutze zu machen.

 

Das Fläschchen

Eine Mutter, die sichfür eine Flasche entscheidet, kann ihrem Kind natürlich auch dieses Gefühl des geliebt Werdens vermitteln, jedoch einfach anders. Der kleine Säugling (früher fand ich dieses Wort seltsam kalt, aber heute entlockt es mir ein zartes Lächeln, weil ich inzwischen weiß, was das wirklich ist, dieses kleine saugende Wesen) erhält diese Gefühle der Mutter nicht mehr direkt, nicht mehr mittelbar, sondern ein drittes Ding kommt dazwischen und somit wird dieser Akt des Gebens vermittelt durch die Flasche.

Die Brust der Mutter reagiert auf das Saugen des Kindes. Das Baby nimmt das wahr und erlebt sich damit auch als Mitschöpfer der Situation. Es ist aktiv, indem es saugt und das führt auch zum befriedigenden Erfolg. Das Baby bekommt die süße, warme Milch. Es gibt zahlreiche Fläschchen, wo die Milch herausläuft, wenn man es dreht. Das Baby muss selber gar nichts mehr tun und sich einfach passiv überlassen, womit ihm aber eine wichtige Erfahrung verwehrt bleibt. Es gibt inzwischen Fläschchen, wo die Milch auch nicht einfach herauströpfelt und so die Stillsituation imitiert werden soll, indem das Kind stärker saugen muss.

Das Fläschchen entspricht nicht der Haut der Mutter, die das Baby aber beim Stillen fühlt. Unsere Haut reagiert autonom auf innere und äußere Reize. Sie ist damit sozusagen ziemlich kommunikativ und teilt viel mit. Es wäre also schön, bei der Gabe des Fläschchens auch auf den direkten Hautkontakt zu achten. Schade, wenn ein Pullover zwischen Babyhaut und Mama stört.

Das Stillen ermöglicht eine direktere Beziehungsaufnahme, aber es ist kein Garant für eine gute Beziehung. Es gibt Mütter, die ihren Kindern die Brust wenig feinfühlig in den Mund rammen (hier ein Text), die das Stillen als lästig empfinden, die sich ärgern, dass es nicht klappt u.s.w. Ich glaube, Stillen ist dann ein guter Weg, wenn die Mutter dazu sowohl körperlich als auch seelisch bereit ist. Es hat keinen Zweck, sich durch das Stillen durchzuquälen. Unbewusste Schuldzuweisungen sind die Folge.  Sie treffen sowohl die Mutter, aber auch- oft vor sich selbst verheimlicht- das Baby. Damit ist niemandem geholfen. Insofern ist eine zärtliche und feinfühlige Gabe des Fläschchens einem unglücklichen Stillen natürlich vorzuziehen

 

Manchmal ist stillen schwierig

Auf Grund schwieriger eigener Erfahrungen bzw. Versagungen  und Problemen auf der körperlichen Ebene kann es eine unschöne Erfahrung sein zu stillen. Obwohl es schade ist, wenn ein Kind nicht gestillt werden kann, so ist das Stillen nur ein Weg von mehreren, um Liebe und Zärtlichkeit auszudrücken.

Es kommt häufig vor, dass Mütter am Anfang vollkommen überrumpelt sind, wenn das Stillen schmerzt, das Anlegen nicht klappt oder das Baby scheinbar nicht genügend Milch bekommt. Es gibt für diese Momente wundebrare Hilfen, die ihr in Anspruch nehmen könnt.

 

Hilfen und weiterführende Links

Die La Leche Liga berät bei Stillproblemen. Ich habe wirklich Gutes von denen von Freunden gehört, wo die Stillbeziehung sehr unterstützt wurde. Nach einem geschulten Blick der Beraterin war schnell klar, woher die Schmerzen beim Stillen kamen.

Hier findet ihr Beraterinnen in der Nähe/ Beratungen gibt es aber auch per Mail: http://www.lalecheliga.de/impressum-kontakt

Ich persönlich habe sehr von dem Blog von Regine Gresens profitiert. Hier gibt es noch ein paar Fakten zum Stillen in Deutschland.

Und hier auch ein schöner Artikel von Suanne Mierau mit einer kleinen Werbung fürs Stillen!

Hier lest ihr auf Familienleicht von einer Mutter, die drei Kindern insgesamt zehn Jahre gestillt hat!

Und beim Runzelfüsschen gibt es den Wunsch nach Toleranz für das Stillen von Kleinkindern!

 

Ich freue mich wirklich, wenn ihr uns eure Gedanken und Erfahrungen mitteilt und wir miteinander ins Gespräch kommen.
Besucht uns gerne auch auf Terrorpüppi bei Facebook!

Madame FREUDig

Ich habe nach einem Aufruf auf Facebook einige wundervolle Fotos von Müttern und ihren gestillten Kindern erhalten. Sie sind Ausdruck dieser jeweils ganz individuellen und besonderen Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Kind!

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