Ich spreche mich in meinen Texten meist gegen vorschnelles Handeln aus. Als Menschen und Eltern sollten wir entsprechend unseres Gefühls einfach authentisch sein, uns vertrauen und uns nicht hinter (oftmals durchaus sinnvollen) Handlungsanweisungen und Ratschlägen verstecken. Natürlich ist es in der Elternschaft andauernd notwendig zu handeln. Ganz gleich, ob proaktiv oder reaktiv. Kinder brauchen von ihren Eltern aber echte Reaktionen. Es ist schwierig auf Handlungen zu reagieren, ohne sich darüber bewusst zu sein, was und auf welche Art und Weise das Kind etwas will und was man selbst dabei fühlt. Es geht vor allem um eines: Kinder verstehen! Sich selbst aber auch! Oftmals handeln Eltern aus Überzeugungen, die zwar objektiv „korrekt“ sind, emotional aber am Kind vorbei gehen und auch nicht zu den Eltern passen. Es ist für ein Kind nicht leicht zu verstehen, wenn das wahrgenommene Gefühl von den Eltern nicht zu deren Handlungen passt.

 

Alibi- Gefühle

Ich nehme bei manchen Eltern, im privaten aber auch im beruflich- therapeutischen Umfeld etwas wahr, was ich gerne Alibi- Gefühle nennen möchte. Es muss sich davon niemand persönlich angesprochen fühlen, wenn es nicht passt.

Ich beobachte immer wieder Folgendes:

Eltern, die sich wahnsinnig anstrengen, mit ihren Kindern ganz vieles, was potentiell liebevoll sein könnte (tragen, Einschlafbegleiten, stillen etc.) TUN, aber die diese Liebe nicht fühlen.

Oberflächlich betrachtet, verhalten sie sich vollkommen perfekt. Sie reagieren auf die Bedürfnisse des Kindes. Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied: reagieren Eltern aus der persönlichen Haltung/ Überzeugung auf die Bedürfnisse des Kindes oder aber weil es in einem Ratgeber stand, dass mit Kindern in bestimmten Situationen so verfahren werden soll, weil das liebevoll sei. Ob ein Kind im Familienbett schläft, lange gestillt wird oder im Tragetuch getragen wird, sagt nicht das Geringste über die Liebe zum Kind aus. Nun ist Liebe auch etwas, was jeder anders empfindet und ausdrückt. Ich sage damit auch nicht, dass Eltern, die Ratgeber befolgen ihre Kinder nicht lieben. Ganz und gar nicht. Es geht darum, dass das, was ich tue, zu dem passt, wie ich bin.

 

Der große Wert der Authentizität

Ich habe kürzlich mehrere Eltern gesprochen, die ohne Beisein ihres Kindes sehr abwertend und feindselig von ihnen sprachen, sich aber ausgesprochen aufopferungsvoll um sie kümmerten. („Noch so ein Kind ertrage ich nicht.“) Das irritierte mich und erklärte (mir) aber gleichzeitig auch oftmals eine irgendwie eigenartig vorsichtige und gehemmte Beziehungsaufnahme der Kinder zu ihren Eltern.

Natürlich muss man sich auch mal auskotzen über den eigenen Ärger, den man oftmals zurücksteckt. Das meine ich aber auch nicht. Jede Mutter ist irgendwann mal genervt vom Verhalten ihres Kindes. Es gibt einfach keine Beziehungen ohne Ambivalenz. Manche Eltern sind aber genervt vom Sein ihres Kindes (-> „Noch so ein Kind ertrage ich nicht.“).

Der genervte Ton, mit dem das potentiell Liebevolle ausgeführt wird, ist ein double bind. In der Beziehung zu unseren Kindern geht es um etwas Wesentliches: wir müssen authentisch sein! Wir müssen unsere Grenzen/ Bedürfnisse wahrnehmen und kindgerecht und nicht beängstigend artikulieren. Das führt sicherlich meistens dazu, dass das Kind frustriert ist, aber auch das können wir begleiten.

Wir zeigen unserem Kind, dass das Setzen von persönlichen Grenzen etwas Erlaubtes ist, was wir uns und auch ihm gönnen. Wir dürfen uns darauf verlassen, dass wir unserem Kind auch so etwas Gutes mitgeben. Mag sein, dass es uns irgendwann vorwirft, dass wir nicht mit ihm Matschepampe gespielt haben. Ok!

Vielleicht soll ein perfektes Handeln auch die Kritik des eigenen Kindes an einem selbst vermeiden? Es entsteht dabei aber eine schwer greifbare Gefahr. Ich glaube, viele kennen das: man unterhält sich mit jemandem, meist sogar ausgesprochen freundlich. Aber irgendwie bekommt man nicht das Gefühl dafür, ob das Gegenüber wirklich an einem interessiert ist, ob es einen vielleicht sogar mag. Rein vom Gespräch würde man das vielleicht annehmen, aber es stellt sich einfach keine emotionale Verbundenheit ein. Als Erwachsener können wir damit meist recht gut umgehen und erklären uns das irgendwie oder ignorieren denjenigen oder klären das offen. Es gibt ja noch unzählige andere Menschen und vor allem auch Freunde.

Wenn nun aber ein Kind das erlebt und diese Ambivalenz der Eltern spürt, oberflächlich betrachtet die Eltern aber alles geben, dann bleibt doch eine tiefe Irritation zurück.

„Mama ist eigentlich total nett. Manchmal guckt sie so komisch. Dann bin ich ihr eklig.“ (Satz eines Sechsjährigen)

Kinder spüren wahnsinnig gut, wenn jemand nicht authentisch ist. Sie glauben dann oft, sie selbst seien irgendwie falsch. Dabei ist doch gar niemand falsch. Weder die Mutter/ der Vater noch das Kind. Ich glaube, dass es einem Kind besser geht, wenn wir ehrlich sagen, was wir nicht wollen, statt ihm etwas vorzuspielen. Was soll uns unser Kind denn dann überhaupt noch glauben?

In vielen Fällen gibt es in den Eltern nicht den sicheren Raum, das nur für sich zu überdenken und nachfühlen zu können. Abspaltung und Verleugnung von Gefühlen jeglicher Art ist in dieser Situation aber nicht sehr sinnvoll. Es geht nicht darum, das Kind damit zu beladen, sondern sich selbst damit auseinander zu setzen.

 

Ein kleines Beispiel

Zwei Frauen saßen in einer fremden Umgebung zusammen. Die Tochter der einen saß ausdauernd buddelnd im Buddelkasten und schaute nur wenige Male zu ihrer Mutter hoch. Die Kleine sprach ihre Mutter nicht an, umgekehrt genauso.

Die Mutter erzählte der anderen Frau, dass sie viele Elternratgeber las und darin Lösungen für das Verhalten ihrer Tochter suche. Alle paar Minuten erwähnte sie, wie sehr sie ihre Tochter liebe. Es klang ein wenig nachdrücklich, fast schon überzeugend.

Irritierend war, dass die Mutter die ganze Zeit mit dem Rücken zum Kind saß und absolut nichts von ihm mitbekam. Dieses Sitzen mit dem Rücken zum Kleinkind, welches zudem motorisch noch wenig sicher und in einer vollkommen fremden Umgebung war, deutet eine gewisse Diskrepanz an. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch ihre Tochter das spürte. Das Mädchen ist bis heute höchst irritierbar in ihrer Beziehungsaufnahme und nimmt kaum Kontakt zu ihren Mitmenschen auf. Sie schaut sehnsüchtig und schreit schrill, wenn ihr etwas verwährt wird.

Worauf ich mit diesem kleinen Beispiel hinaus will: eine authentische Beziehung von Eltern zu ihren Kindern ist notwendig, um ein Gefühl von echter Verbundenheit bzw. (Ver-) Bindungsfähigkeit im Kind entstehen zu lassen. Echte Verbundenheit kann nur dann entstehen, wenn wir kongruent sind. Das bedeutet, dass unsere Haltung, unser Gefühl und unsere Handlung zusammenpassen. Dieses Mädchen war in ihrer Irritation zur Mutter gefangen. Das schrille Schreien des Mädchens, wenn ihr etwas weggenommen wurde, verstehe ich als Verschiebung, weil ihr eigentlich etwas Anderes fehlt, nämlich das emotionale Wissen bzw. Empfinden um die echte Zuneigung der Mutter.

 

Vielleicht als kleinen Exkurs über die psychoanalytische Art des Hypothesenbildens (denn mehr ist es nicht): in der Psychoanalyse nennt man so etwas das „szenische Verstehen“, welches Aufschluss über die Menschen gibt. Es geht dabei nicht um die Bewertung richtig/ falsch, sondern um das deskriptive Erfassen von Persönlichkeiten. Als Therapeutin mit psychodynamischen Hintergrund bin ich natürlich darin geschult, weil es eine wesentliche Erkenntnismethode ist. Neben dem szenischen Verstehen und den Fakten spielen die Übertragung und die Gegenübertragung als Erkenntnisräume eine große Rolle. Die Gegenübertragung ist das, was ich in mir spüre, wenn ich mit jemandem Anderen zu tun habe. Ich kläre dann für mich, woher diese Gefühle kommen (meine wegen meiner Geschichte oder/und die des Anderen, die er auf mich „überträgt“). Die Übertragung ist das, was der Andere mir oder anderen an Rollen/ Wünschen aus seiner Erfahrung/ Kindheit zuschreibt.

 

„Meine Eltern haben alles für mich getan“

Erwachsene, die von Zweifeln über ihre eigene Liebenswürdigkeit geplagt sind, berichten in ihren Therapien oft:

„meine Eltern haben alles für mich GETAN!“

Gerne folgen dann Redewendungen wie:

„ich muss (!) schon sagen, ich hatte eine wirklich schöne Kindheit.“

Das Gefühl bzw. die Vermutung, abgelehnt worden zu sein, birgt einen Zweifel in sich. So viele Menschen zweifeln schließlich an ihrer eigenen Liebeswürdigkeit.

Ich habe gerade durch Zufall in der letzten Zeit vermehrt Patienten gehabt, bei denen diese Sätze in den ersten Stunden fielen. Dabei fällt ein enormer Widerspruch auf zwischen all dem Bemühen der Eltern, etwas für ihre Kinder zu tun und den Gefühlen, den sie ihren Kindern vermittelt haben.

Andererseits erlebe ich in der letzten Zeit ebenfalls häufiger, dass Eltern in Therapie kommen und aufzählen, was sie alles für ihr Kind LEISTEN. Andauernd wirklich tolle Aktivitäten, die tollsten und pädagogischsten Spielzeuge. Aber unter all dem liegt oft eine Unsicherheit, ob man das eigene Kind eigentlich wirklich liebt. Dieser Zweifel und die Angst wird kompensiert durch Handlungen und Geschenke.

Ich behaupte damit keineswegs, dass jeder so massiv ausgeprägte Ambivalenzen hat, der sich für wertiges Spielzeug interessiert. Diese Gedanken sollen einen Raum dafür öffnen, sich auch mit den bislang abgewehrten Gefühlen und Ambivalenzen auseinanderzusetzen. Alle Eltern haben ihren Kindern gegenüber ambivalente Gefühle. Das ist normal! Die Frage ist, wie und ob man sich damit auseinandersetzt.

Kinder verstehen

Ganz gleich, was ein Kind tut oder auch unterlässt, es drückt darin sein eigenes Wesen aus. Wir beeinflussen als Eltern das Wesen unserer Kinder maßgeblich. Wir müssen auf unsere Kinder authentisch reagieren. Das heißt, wir müssen wahrnehmen, was sie ausdrücken wollen, um darauf wirklich eingehen zu können. Dafür müssen wir unsere Kinder sein lassen und sie beobachten. So sehen wir, was sie beschäftigt. Strafen und Ausschimpfen helfen dabei nicht. Einem Kind in harmonisierender und aggressionsunterdrückender Angst zu begegnen aber auch nicht.

Kinder verlangen Interesse. Wenn ich also mit einem kindlichen Verhalten nicht einverstanden bin, dann kann ich das auch deutlich machen.

Es ist der tiefe Wunsch im Menschen (also im Kind und Erwachsenen) und gleichzeitig auch die größte Angst: erkenne, wie ich wirklich bin! Liebst du mich dann eigentlich noch wirklich?

 

Hab keine Angst vor deinen eigenen Gefühlen!

Reicht es, wie ich den anderen liebe? Wird er mich so auch wieder lieben?

Diese tiefe Verunsicherung bringt eine Scham über das eigene Sein mit sich. Wahrscheinlich sind die heute so bemühten Eltern auch selber schon sehr um Liebe und Anerkennung bemühte Kinder gewesen.

Ich glaube, wenn ich als Mensch in der Lage bin, meine liebevollen UND meine aggressiven Regungen wahrzunehmen und adäquat auszudrücken, dann kann ich einem anderen Menschen gar keinen Schaden zufügen. Meine zu starken aggressiven Regungen werden durch meine Liebesfähigkeit sozusagen in Zaum gehalten. Wenn ich das als Kind nicht erfahren durfte, dann habe ich als Erwachsener natürlich ein Problem.

Es ist eine Prämisse des Seins, dass wir (nur) so viel geben und sein können wie wir sind. Ein Befolgen von Ratgebern füllt die Lücke, die entsteht zwischen dem, was wir geben wollen und dem, was wir von uns aus können.

Es ist selbstverständlich immer gut, wenn man sich inspirieren lässt und Bücher liest, um sich seiner eigenen Gedanken bewusst zu werden oder um aber neue Türen in sich zu öffnen.

In Auseinandersetzungen geht es immer wieder um die Fragen, wie jemand Anderes etwas macht. Seltener geht es darum, wie sich die Beziehungen anfühlen, welche Gefühle ein Kind auslöst. Es geht um den Wunsch der Veränderung entweder des Kindes („wie bringe ich mein Kind dazu xy?“) oder aber von sich selbst („was kann ich anders tun, damit ich xy?“). Ich finde das schade.

Ich glaube, es geht letztlich immer um eines: das eigene Kind verstehen und darauf im Rahmen der eigenen Möglichkeiten reagieren. Ein Ratgeber kann dazu hilfreich sein, aber ein Ratgeber ersetzt nicht das innere Gefühl.

Daher meine Ermutigung: schau nach dir! Fühle in dir nach!

Wenn das mit großer Angst verbunden ist, geh in eine Therapie und erkunde dich dort.

 

Ein Fazit

Sei mehr du selbst anstatt ein Ideal zu bedienen. Lieber unperfekt und authentisch als oberflächlich perfekt und unecht. Du brauchst nicht die Bedürfnisse der Kinder für Dritte befriedigen, sondern weil du dieses Bedürfnis für dich und deine Kinder spürst.

Viele Bücher versprechen, dass alles ganz einfach ist und man als Eltern entspannt sein wird, wenn man nur dieses und jenes tut. Warum bloß? Elternschaft ist aufregend und anstrengend, sie fordert uns und sie erfüllt uns. Es ist wunderbar, wenn wir versuchen zu verstehen, was unsere Kinder mitteilen wollen, aber wir müssen so oft nicht mehr tun, als einen haltenden Rahmen bereitszustellen.

 

Kennt ihr das vielleicht von euch, dass ihr manchmal eine Irritation in euch durch verstärkte Handlung unbewusst kompensiert? Wie geht ihr mit euren Gefühlen im Bezug auf euer/eure Kind/er um?

Ich freue mich wirklich, wenn ihr uns eure Gedanken und Erfahrungen mitteilt und wir miteinander ins Gespräch kommen.
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Eure Madame FREUDig