Spiegeln oder die Spiegelung als „Methode“ oder Umgang mit Kindern, um z.B. Wutausbrüche zu begleiten, ist eine Empfehlung, die Eltern oftmals erhalten. Dabei taucht immer wieder die Frage auf: was genau ist spiegeln und wieso ist das wichtig? Da ich den Eindruck habe, dass solche Begriffe mit der Zeit verwässern oder gelegentlich übertrieben werden, möchte ich diesen Grundlagentext nutzen, um deutlich zu machen, was eine Spiegelung ist. Wofür ist sie wichtig? Warum ist eine Markierung der gespiegelten Affekte unabdingbar?

Die meisten Menschen spiegeln einander, ohne darüber nachzudenken ganz intuitiv. Eine Spiegelung von Gefühlen ist notwendig, damit ein Kind sich selbst mit seinen Gefühlsstürmen zu verstehen und zu regulieren lernt. Das Spiegeln ist auch eine der wesentlichen (schulenübergreifenden!) Methoden in der Psychotherapie, weil Menschen sich dadurch in ihren Gefühlen von anderen verstanden fühlen. Nur, wenn der Eindruck entsteht, dass das Gegenüber einen emotional überhaupt zu verstehen versucht und im besten Fall auch versteht, kann so etwas wie Veränderung stattfinden. Erst, wenn die Beziehung sicher ist, was durch Verständnis mit Hilfe von Spiegelung entsteht, kann auch Kritisches angegangen werden. Bei Kindern ist es genauso. Je nach Alter und kindlichem Charakter muss das Spiegeln angepasst werden.

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Was ist „spiegeln“?

Spiegeln ist die Fähigkeit, das Gegenüber in seinen Gefühlen zu erfassen und ihm das mimisch, gestisch oder verbal mitzuteilen.

Kennt ihr das? Ihr lauft im Halbdunkeln durch die Küche und stoßt an den Kühlschrank. Mit nackten Füßen. Mit dem kleinen Zeh. Ihr spürt diesen fiesen Schmerz. Ich gehöre zu denen, die dann maulen und fluchen. Würde mein Mann nun in dem Moment in die Küche kommen und mich da grimmig und rumschnauzend sehen, was würde der wohl sagen?

Würde er meinen blutenden Zeh sehen, dann wäre es wohl irgendwas Tröstendes wie „oh weia, du hast dir wohl ganz schön weh getan“ und wahrscheinlich würde er dann irgendetwas Schmerzlinderndes anbieten.

Ich würde mit meinem Schmerz wahrscheinlich leichter zurechtkommen, weil er mir mit diesem einfach Satz gezeigt hätte: waaah, das tut aber wahrscheinlich echt weh.  Das kann er mir in dem Moment nur deshalb so sagen, weil er selber dieses Gefühl des Schmerzes in sich aktivieren kann, ohne darin zu zerfließen, wild fuchtelnd loszurennen oder die 112 zu rufen. Das wäre nämlich vollkommen an meinem Bedürfnis vorbei.

Bei Kindern ist es genauso, immer. Egal, worum es geht, Spiegelung funktioniert immer nach demselben Muster:

„Oh, du bist jetzt ziemlich traurig/ neugierig/ glücklich/ zufrieden/ fühlst dich unverstanden/ wütend etc.“

 

Nicht bewerten, sondern verstehen

Die Reaktion, damit sie als passend empfunden wird, sollte, so simpel es klingt, auf das Richtige abzielen. Es ist daher notwendig, festzustellen, dass ein Kind z.B. nicht wütend ist, wo es sich eigentlich erschrocken hat und deswegen nun klagt.

Das kann manchmal ganz schön schwierig sein, weil sich manchmal eigentliche Gefühle hinter etwas anderem verstecken. Manche neigen zur Wut, wo sie doch eigentlich traurig sind. Eine Spiegelung führt zu einer Veränderung, oftmals zu einer Entspannung (z.B auch weinen). Es ist daher von großer Bedeutung, sein Kind gut zu beobachten und kennenzulernen. „Du ziehst ja schon wieder so eine Schnute“ oder „da hast du jetzt wieder einen Bock“ sind keine Spiegelungen, weil sie das Gefühl des Kindes nicht aufgreifen und vorallem lediglich bewerten, statt es zu verstehen. Sie stoßen das Kind in seinem wie auch immer gearteten Gefühl zurück.

Auf diese Weise wird es keine ausreichend stabile Fähigkeit entwickeln, bei sich und anderen Gefühle differenziert wahrnehmen zu können. Diese Wahrnehmung aber ist notwendig, um sich selbst gut um sich kümmern zu können. Jeder Mensch muss sich selbst in seinen Gefühlen angemessen begleiten lernen. Wenn sich jemand bei Trauer z.B. immer ablenkt anstatt sie zu erleben und zu bewältigen, wird diese Trauer unverarbeitet fortbestehen und in entsprechenden Situationen unkontrolliert durchbrechen. Ebenso mit der Wut: wird sie immer nur getadelt und nicht als Frustration verstanden, dann wird sie irgendwann in einem vielleicht ganz unbedeutenden Moment mit voller Wucht einfallen.

 

Was wird gespiegelt?

Prinzipiell ist es wichtig, potentiell alle Gefühle zu spiegeln. Wir möchten schließlich nicht, dass sich unser Kind z.B. nur in seiner Trauer, nicht aber in seiner Wut gesehen fühlt. „Meine Mutter hat mich immer nur dann beachtet, wenn ich mir weh getan habe“, „Neid durfte es bei uns nicht geben, wir waren alle gleich. Meine Mutter sagte immer: du bist ja ganz gelb vor Neid“ oder „Mein Vater ging immer aus dem Zimmer, wenn ich wütend war“ sind Aussagen, die (Teil-) Ursachen eines problematischen Umgangs Erwachsener mit bestimmten Gefühlen anreißen.

Ich habe hier im Speziellen schon mal zum Umgang mit wütenden Kindern geschrieben.

Manche Eltern vergessen z.B., dass auch das Spiegeln von Freude und Glück, von Wohlbefinden ganz, ganz wichtig ist. Wenn z.B. das kleine Baby in der Wanne liegt und der Körper sich entspannt, dann sollten wir das sagen: (wohlig grunzend) „oh, das gefällt dir so gut. Das fühlt sich so gut an.“ (Augen auf, Stimme freudig, aber nicht überdreht)

 

Ab wann wird gespiegelt?

Es spricht nichts dagegen und wahrscheinlich vieles dafür, schon im Bauch damit zu beginnen. Das Baby spürt im Bauch eure Erregung, euren Zorn und eure Freude. Sprecht mit eurem Baby darüber und mutmaßt, wie das für es ist. Dass Mama sich so aufgeregt hat, hat es wahrscheinlich sehr erschrocken. Das ist aber nicht schlimm, solche Gefühle gehören zum Leben dazu.

Es geht um eine dem Alter angemessene Spiegelung von Anfang an.

Es ist nie zu früh und nie zu spät, um mit dem Spiegeln zu beginnen.

Stolpersteine

Die meisten Menschen reagieren ganz automatisch mit starken Gesichtsausdrücken auf einen Säugling und genau das brauchen die meisten Säuglinge auch. Eine etwas übertriebene, aber ruhige und dem Gehalt angemessene Ausdrucksweise der eigenen Gefühle. Setzt euch mal in ein Eltern- Kind- Café und beobachtet. Die meisten Menschen verhalten sich automatisch intuitiv kompetent. Da werden bei kindlicher Überraschung die elterlichen Augen gaaaanz weit aufgerissen, bei aufkommenden Baby- Ärger zieht Mama die Stirn übertrieben zusammen. Mimisch wird dem Baby gespiegelt: so fühlst du dich gerade. Mit sanfter Stimme: oh, du hast dich erschrocken/ bist ärgerlich.

Es gibt aber auch Babys, die von starken mimischen Ausdrücken überfordert sind. Die fangen erst recht an, zu weinen und unruhig zu werden, wenn jemand mimisch sehr lebendig ist. Da hilft nur: beobachten und sich darauf einstellen.

Es gibt aber auch einige Menschen, denen es schwer fällt, zu spiegeln. Selber haben sie es dann nicht gut erlebt und konnten diese Fähigkeit daher nicht verinnerlichen. Es kommt, für das Baby/ Kind und Betrachter, zu schmerzlichen Momenten:

Es ist höchstgradig irritierend, wenn jemand lachend sagt: oh, das hat weh getan.

Weinend: Du bist jetzt gerade so glücklich.

Voller Abscheu und Ekel im Blick: das schmeckt dir richtig gut.

 

Gefühle aushalten kann (mir) schwerfallen

Wenn ein Kind sehr erregt ist, ist es neurophysiologisch im Ausnahmezustand. Berührungen und Festhalten können dabei dann sehr hilfreich sein. Körperlicher Druck eines anderen Körpers kann zur Beruhigung im vegetativen Nervensytsem führen.

Es gibt aber Kinder, die sich gegen die körperliche Nähe wehren, weil sie ambivalente Erfahrungen damit gemacht haben und weil sie die Ambivalenz des Gegenübers spüren. Manchmal sagen mir Eltern: „ja, also mein Kind kann das aber gar nicht haben, wenn ich es dann festhalte. Dann wird es erst richtig wütend.“ Es ist individuell zu gucken, ob das wirklich stimmt. Natürlich wehrt sich ein Kind, wenn es merkt, dass die Eltern eigentlich genervt sind. Es fühlt sich dann nicht gehalten, sondern nimmt wahr, es soll jetzt einfach endlich aufhören, Theater zu machen.

Vielleicht kennen einige das auch von sich, dass sie selber erst dann anfangen, richtig zu weinen, wenn jemand Anderer sie in den Arm nimmt und Trost anbietet. Körperliche Nähe kann eine Einladung sein, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen und bei einer Umarmung kann es dann erst so richtig losgehen. Wenn ich in dem Moment als Mutter aber zurückschrecke, dann spürt mein Kind meine Ambivalenz und wird enorm unsicher. Es wird beim nächsten Mal dann womöglich noch lauter und noch widerspenstiger.

Wenn ich als Mutter/ Vater/ Betreuer Angst habe vor starken Emotionen, dann spürt das das Gegenüber, egal wie klein es ist. Es ist nun aber auf keinem Fall so, dass Eltern dann einfach über ihre eigene Angst hinweggehen sollten. Auf keinen Fall! Ich empfehle an der Stelle unbedingt eine Therapie, um sich mit der eigenen Angst vor Gefühlen auseinanderzusetzen. Man kann Gefühle nicht rational bezwingen und sie wegdenken, sondern man kann nur durch die eigene Erfahrung des gehalten Werdens einen neuen Zugang finden.

 

„Ich spiegle dich, aber es ist nicht mein Gefühl!“- Spiegeln muss markiert sein!

Otto Kernberg (Psychoanalytiker mit maßgeblichem Einfluss, der insbesondere im Bereich der frühen Störungen wie Borderline, Narzissmus und anderen schweren Persönlichkeitsstörungen veröffentlicht und arbeitet) formuliert es passend:

„Wenn das Baby also entsetzliche Angst zeigt und die Mutter verständnisvoll reagiert „oh, du hast Angst, du fürchtest dich“, also empathisch gegenüber der Angst des Babys reagiert, dann zeigt sie eine konkordante Reaktion und zugleich aber auch durch ihre ruhige Art, dass sie diese Angst nicht teilt“.

„Hat die Mutter jedoch auch entsetzliche Angst und reagiert ängstlich „Du hast Angst, du hast Angst, du hast Angst“, dann ist as zwar auch eine kongruente Reaktion, aber sie ist nicht markiert und verstärkt deshalb das Angstgefühl des Babys.“

„Oder aber […] die Mutter reagiert gleichgültig auf die Angst des Babys „Aha, Bauchweh […]“, dann ist die Reaktion zwar markiert aber nicht kongruent und das Baby fühlt sich nicht verstanden.“ (Kernberg,2016, S. 50- 51)*

Die Gefahr des Spiegelns liegt darin, dass das gespiegelte Gefühl nicht markiert wiedergegeben wird oder aber gar nicht das Gefühl gespiegelt wird, sondern irgendein anderer Faktor. Nora Imlau schreibt hier in einem schönen Artikel über die verschiedenen Gründe des Weinens.

Das Ziel des markierten Spiegeln ist es, das Baby/ Kind zu beruhigen und andererseits einen Zugang zu seinen Gefühlen zu ermöglichen, der nicht ängstigt und zeigt „das ist aushaltbar“.

In  emotional aufgeladenen Situationen ist ein Mensch, noch viel mehr ein kleiner Mensch, nicht in der Lage, klar zu denken. Sobald das limbische System (Gefühle) intensiv aktiviert ist, funktioniert meist der präfrontale Cortex (das Nachdenken) nicht mehr besonders zuverlässig. Das Gehirn lernt aber quasi mit diesen Herausforderungen umzugehen, wenn es dazu gut begleitet wird.

 

Spiegelung ist nicht alles- Raum lassen, sich selbst zeigen!

Die Spiegelung ist lediglich die Grundlage, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Es legt die Basis, dass der andere uns zuhört und sich mit uns wohl fühlt. Die meisten Menschen fühlen sich wohl, wenn man ihnen signalisiert: du, ich verstehe dich, das scheint für dich so und so zu sein.

Aber auch das hat so seine Tücken. Es geht um die „Dosis“. Jemand, der sportlich den ganzen Tag jeden spiegelt, wird wahrscheinlich ziemlich übergriffig wahrgenommen werden. Auch bei Kindern sollte man darauf achten, dass nicht jede Regung andauernd kommentiert wird. Jeder braucht Raum und muss man dem anderen entfliehen können.

Es ist natürlich auch abwegig anzunehmen, man müsste immer alles spiegeln! Man muss sich selber als Mensch (getrenntes Objekt) mit eigenen Emotionen zeigen. Das ist deswegen notwendig, damit ein Kind realistische Wünsche an sein Gegenüber entwickelt. Wenn jemand erwartet, immer perfekt verstanden zu werden, dann mutmaße ich mal, dass sich die meisten recht schnell zurückziehen werden. Da ist eine lebenslange Frustration vorprogrammiert.

Manche Eltern senden ihren Kindenr durchaus die Botschaft: niemand kann dich so gut verstehen wie wir: nur bei uns geht es dir gut!  Sehr fatal! Eine gute und altersentsprechende Ablösung misslingt dann unter Umständen.

Deswegen ist auch für Kinder eine aushaltbare Frustration notwendig, um sich ein realistisches Bild von Beziehungen aufzubauen. Die meisten Menschen möchten nicht zeitlebens wie ein Baby behandelt werden, dem man nicht zutraut, sich zu regulieren und sich selbst wahrzunehmen.

 

Spiegeln hilft trotzdem zu verstehen!

In emotional fordernden Momenten kann eine gut platzierte, spiegelnde Aussage natürlich immer sehr helfreich sein, unabhängig vom Alter. Neulich erlebte ich mit meiner Tochter, dass sie immer wieder von einer sehr zurückgezogenen Spielkameradin zurückgewiesen wurde (beide etwa 2,5 Jahre alt). Sie startete vier, fünf Versuche und schleppte Schippchen, Püppi und Co an. Keine Reaktion. Dann fing sie an, Sand aus dem Buddelkasten zu werfen und mir war klar, wo das endet. Ich kroch also in eines dieser verflixt kleinen, überdachten Buddelhäuschen und buddelte irgendwas, sagte dann beiläufig im Spiel: das ist so doof, wenn die Klara nicht mit dir spielen will, ne? Du hattest dich so darauf gefreut (mit gespielt bekümmertem Blick und trauriger Stimme). Erleichtertes Nicken auf der anderen Seite. Es braucht einfach nicht viel, keine ewig langen Ansagen. In dem Moment soll unser Verständnis nur helfen, dass unser Kind es schafft, sich durch diese Verbalisierung zu regulieren. Ja genau, unser Kind wird seine eigenen Fähigkeiten ausbauen, indem wir ein bisschen unterstützen.

Jedes Kind wird frustrierende Erfahrungen machen und daran wachsen, wir begleiten es lediglich emotional.

 

Gespräche und Verständnis anbieten

Bei älteren, aber von früh auf emotional gut begleiteten Kindern nimmt die Spiegelung nur noch einen geringeren Teil ein: die psychische Reife ist soweit fortgeschritten, dass unser Kind einen seelischen Innenraum hat, in dem sich die Gefühle abspielen und über die es reden kann. Dazu einen feinfühligen, unaufdringlich- respektvollen Zugang zu finden, ist dann die elterliche Aufgabe. Ich warne vor eindringlichen „erzähl doch mal“ und „wie war denn das?“ Fragereien. Da hat doch niemand Lust zu. Man könnte seine Wahrnehmungen schildern und das Kind diesen Faden aufnehmen lassen oder nicht. Dazu ist natürlich von elterlicher Seite wiederum Frustrationstoleranz notwendig.

„Ich habe den Eindruck, dass dich das vorhin verletzt hat, als ich gesagt habe, dass… Vielleicht hast du Lust, mir zu erzählen, wie es dir da ging“.

Das Aufzunehmen, was unser Kind uns mitteilen will, ist genauso wichtig wie auch locker zu lassen, wenn es nicht möchte.

 

Alles Liebe,

eure Madame FREUDig

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Literatur:

Otto Kernberrg (2016) Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus.*

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