Menschen sterben – und so sehr der Tod zum Leben dazu gehören mag: Er ist für viele Menschen ein Tabu. Sobald es um den eigenen Tod oder um den Tod nahe stehender Personen geht, dann werden die Stimmen leiser und die Stille lauter. Gerade für jüngere Kinder aber ist der Tod, begegnen sie ihm zum ersten mal, einfach nur etwas gänzlich Neues, das sie entdecken, kennenlernen, ja verstehen wollen. Das ist für Kinder umso mehr eine Herausforderung, wenn wir Erwachsenen sie in dieser Entdeckungsreise behindern, indem wir Denk-, Sprech- und Handlungsverbote aussprechen. Kinder an einer Auseinandersetzung mit der Thematik Sterben und Tod zu hindern, bedeutet ihr Bedürfnis nach Lernen und Verstehen ebenso zu missachten wie ihr Bedürfnis, an unserem Leben teilzuhaben. Auch in schwierigen Lebenslagen ist es wichtig, dass wir mit unseren Kindern in Kontakt bleiben.

 

Mit Kindern gemeinsam den Tod (nicht) verstehen. Mit Kindern über das Sterben und den Tod sprechen | Terrorpüppi | Reflektiert, bedürfnisorientiert, gleichberechtigt

Der Baum der Erinnerung*

Der Tod und die Gesellschaft

Dabei verstehen auch wir Erwachsenen  den Tod nicht. Wir haben zwar erfahren, wie schmerzlich er ist, doch so recht begreifen können wir ihn nicht. Wir wissen darum, dass in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten gestorben worden ist. Der Tod ist eine unerschütterliche, übergeordnete Konstante, die uns alle betrifft.

Dabei sind die Geburt und der Tod in besonderem Maße über das Altern verbunden. Wenn junge Menschen, gar Kinder, sterben, dann schockiert das die Menschen. Es wühlt sie auf. Gestorben werden sollte erst im hohen Alter – wenn das Leben gelebt wurde.

Die Verlusterfahrung stürzt bei jedem Tod eines geliebten Menschen erneut über uns herein. Ist die Erfahrung erst ein einziges Mal gemacht – wissen wir erst einmal, was es für uns persönlich bedeutet, einen Menschen unwiederbringlich zu verlieren – dann wird diese Erfahrung später immer wieder erinnert werden.

Als menschliche Konstante stellt der Tod jede Gesellschaft vor die Aufgabe, mit ihm umzugehen. Um den Tod herum haben sich daher zu allen Zeiten Riten entwickelt, die es den Lebenden und mitunter auch den Sterbenden leichter machen sollen, den Tod zu bewältigen. Rituale mögen unsere Trauer in Bahnen lenken oder uns überhaupt erst Gelegenheit zur Trauerarbeit geben, doch vor dem Gefühl der Trauer selbst bewahrt uns kein Ritual.

 

Der Tod als ritualisierter Abschied

Überhaupt finden sich in nahe allen Gesellschaften Rituale, mit welchen die Übergänge von einem Lebensabschnitt in den nächsten feierlich begangen werden. So finden sich entsprechend Rituale für den Übergang von der Kindheit zur Jugend, von der Jugend zu den Erwachsenen, Hochzeit, Geburt – und eben auch in nahezu allen Kulturen Rituale für den Abschied aus dem diesseitigen Leben.

Typisch ist, dass die Rituale rund um das Sterben und den Tod vor allem für die Lebenden sinnstiftend sind. Welchen Sinn hatte dieser Tod? Warum sie? Warum er? Wieso überhaupt?

Die letzten Übergangsriten des Lebens sind da wichtiger Bestandteil der Trauerarbeit. So markiert die Beerdigung mit dem anschließenden Leichenschmaus in unserer Gesellschaft das Ende des Lebens und zugleich den sozialen Ort, an dem die Lebenden Abschied nehmen können. Das Leben wird rituell in der Trauerrede und im Rahmen der Anekdoten und Geschichten während des Leichenschmaus‘ zelebriert.

Die besten Beerdigungen der Welt*

Oftmals besinnt man sich zudem gerade in der Zeit des Todes geliebter Menschen auch des eigenen Lebens. Wir hinterfragen dann unsere Prioritäten, unsere Lebensführung und auch unsere Lebensziele. Mit welchem Sinn wollen wir unser begrenztes Leben füllen? Schmerzlich wird uns bewusst, dass wir zwar um unser Ende wissen, doch der Zeitpunkt ungewiss bleibt. Die Verletzlichkeit unserer Körper tritt zumindest für kurze Zeit in den Vordergrund.

All das und noch viel mehr bemerken auch unsere Kinder. Mit ihren feinfühligen Antennen nehmen sie die Veränderungen, die mit dem Tod eines Menschen einhergehen, wahr. Damit sollten wir sie nicht allein lassen.

 

Von Kindern als Philosophen

Kinder aber haben in der Regel, wenn sie mit dem Thema Tod konfrontiert werden, noch keine Erfahrungen mit selbigem gemacht. Sie wissen noch nicht, was dieser endgültige Abschied von einem geliebten Menschen eigentlich heißt. Für immer – Was heißt das? Wie fühlt sich dieses „für immer“ an? Für Kinder ist all das neu und die Fragen sind so groß, so zahlreich, so weitreichend.

Müssen wir alle sterben?
Sterben auch Mama und Papa? Was ist mit Oma, Opa, dem Geschwisterkind?
Wann werde ich sterben? Wann stirbst du?
Stirbst du vor mir?
Bist du dann ganz allein, wenn du tot bist? Und was mache ich dann ohne dich?

Die Fragen über den Tod kommen dann immer wieder auf. Mal ganz viele auf einmal, dann ist eine Zeit lang Ruhe und plötzlich kommen sie wieder, die Fragen. Das Gewand der Fragen variiert: fröhlich, neugierig, traurig, sachlich-nüchtern, wütend, ängstlich. Stets gilt es, nicht nur die Fragen zu beantworten – oder noch besser: gemeinsam nach Antworten zu suchen. Vielmehr muss das Kind auch in seinen damit verbundenen Gefühlen begleitet werden. Diese Gefühle wiederum spiegeln durchaus unterschiedliche Bedürfnisse wider, denen Rechnung getragen werden muss. So muss man sich gut überlegen, was man seinem Kind wann in welcher Weise auch zumuten kann.

Mit Kindern über den Tod zu sprechen und sich intensiv auszutauschen, das verlangt viel von uns ab. Das kann mitunter auch für uns sehr schmerzhaft sein.

 

Von zerbrechlichen Kinderherzen

Wie viel ich selbst über den Tod nicht weiß, das hat mir meine Tochter erst so richtig vor Augen geführt. Ihre Fragen auf den Tod ihres Opas hin wurden schnell zu den meinigen. Je nach Situation braucht sie mal ganz klare Antworten und mal genügen lose Anregungen und Bestärkungen zum Weiterdenken. So ist es immer wieder ein Rangieren zwischen zwei wesentlichen Gefühlen, bei denen ich sie begleite: Angst und Neugierde. Je nachdem, welches Gefühl dominiert, variieren auch meine Antworten.

Doch Kinderherzen können brechen…

In vielerlei Hinsicht sind Kinder sehr stark, können vielen Widrigkeiten zum Trotz bestehen. Doch der größte denkbare Schmerz für ein Kind ist der endgültige Verlust seiner engsten Bindungspersonen. Meist der Eltern. Stellen Kinder also Fragen zum Tod aus der überwältigenden Angst heraus, uns, die ihnen wichtigsten Menschen, zu verlieren, dann müssen unsere Antworten und muss unser Verhalten immer ein anderes sein, als wenn sie aus Ärger oder forschender Neugierde heraus fragen.

Wenn Kinder Fragen zum Tod stellen, welche auch schon seit jeher Philosophen beschäftigt haben, dann sollte uns Erwachsenen klar sein, dass die Antworten mehr als Weg, denn als Ziel zu betrachten sind. Wir nähern uns gemeinsam mit unseren Kindern an Antworten heran, die uns zunehmend zufriedener stellen mögen, aber doch nicht endgültigen Charakter bekommen.

Dabei sollte uns außerdem klar sein, dass wir unsere Kinder nicht nur genau beobachten müssen, was sie auszuhalten imstande sind, sondern auch, was wir selbst gerade aushalten können. Wenn der eigene Schmerz zu groß wird, dann ist es schwer bis unmöglich selbst die Stütze, der elterliche Felsen, der sichere Hafen zu sein.

 

Vom Tod zum Leben zum Tod

Mit den Fragen über den Tod kommen nicht selten auch Fragen zum Leben bei den Kindern auf.

Wo ist Opa eigentlich hergekommen?
Wo kommen eigentlich die Babys her?
Wer ist Opas Mama?
Wann ist Papa aus deinem Bauch gekommen, Mama?
Als du zur Schule gegangen bist, wo bin ich denn da gewesen?
Wann wird Oma wieder leben?

Bleiben die Fragen unbeantwortet und werden Kinder damit allein gelassen, dann wird der Tod zum Tabu und mit ihm gewissermaßen auch ein Stück weit das Leben.

Mit dem ersten Tod eines vertrauten Menschens hält das Wissen um die Sterblichkeit Einzug ins Bewusstsein. Wenn dieser eine Mensch sterben könnte – dann können womöglich auch andere sterben. Die Eltern? Wir selbst?

Neben das Sterblichkeitswissen tritt parallel das fehlende Wissen um dieses Danach. Was kommt nach dem Tod? Wo sind die Menschen dann, wenn sie gestorben sind? Der Tod ist für uns Lebende empirisch nicht erfahrbar, doch das hindert uns Menschen nicht daran, dass gerade diese Fragen besonders drängend auf uns wirken.

 

Gemeinsam Wachsen

Dem eigenen Tod kommen wir nur durch das Sterben und den Tod der anderen nahe. Ulrich Oevermann hat hierzu einmal bemerkt, dass sich das menschliche Subjekt sogar erst mit dem Wissen um die eigene Vergänglichkeit endgültig konstituiert. Wenn ich selbst die Entwicklung meiner Tochter in den vergangenen Monaten Revue passieren lassen, dann kann ich dieser Einschätzung einiges abgewinnen.

So fühlte ich mich zunächst überwältigend traurig, als sie fragte: „Und Mama, wann stirbst du?“ Es brach mir schier das Herz, als sie mit Tränen in den Augen ihre Angst artikulierte, sie könnte uns verlieren. Mich verlieren.

Ich wollte sie am liebsten in den Arm nehmen und sagen, dass ich sie niemals verlassen würde und das wir immer zusammen bleiben würden. Doch diese Aussage hätte sie mir nicht (mehr) in dieser Form geglaubt.  Sie wusste nun darum, dass Menschen sterben und dann einfach weg sind.

So blieb uns nichts übrig, als den Schmerz gemeinsam auszuhalten und gemeinsam eine Lösung für uns zu finden. Ein Leben nach dem Tod war tröstlich. Für sie wie für mich. So wäre ich noch da, auch wenn ich nicht mehr da bin. Gemeinsam imaginierten wir unseren zukünftigen Tod (nicht das Sterben!) in einer Weise, die wir beide nicht nur ertrugen, sondern die uns Trost spendete.

Meine Tochter wuchs mit jeder Frage zum Thema Tod. Ihre Welt ist nun eine andere. Und meine Welt auch. Dank ihr habe ich mich dem Tod in einer Weise gestellt, die ich mein Leben lang vermied. Zusammen haben wir den Tod nun verstanden und nicht verstanden zugleich.

 

Literatur

Belliger, Andrea; Krieger, David J. (Hrsg.; 2008): Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch*; VS Verlag.

van Gennep, Arnold (2005): Übergangsriten*; Campus.

 

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