Ich  erlebe ab und an Eltern, die sehr bemüht sind, ihrem Kind keinen Frust zuzumuten. Sie versuchen, ein Nein zu umschiffen, auch wenn das Kind gar nicht unter besonderem emotionalen Stress steht und dieses Nein zwar Wut, Ärger und Enttäuschung hervorbrächte, aber das Kind das wahrscheinlich auch aushalten würde, sofern es einen begleitenden Erwachsenen gibt. Frustrationstoleranz und Impulskontrolle entstehen nicht, weil es keine Frustrationen gibt. Sie entstehen, weil Frustration als aushaltbar erlebt wird und daraus etwas Kreatives und Neues entstehen kann. Das hilft, eigene Impulse umzulenken und nicht jede Handlungsidee in die Tat umzusetzen. Um gut mit sich und mit anderen zu leben, ist das fundamental. Es braucht ein angemessenes Maß an Frustration, um sich zu entwickeln und Neues zu erschaffen.

Mädchen weint und schreit Terrorpüppi | Reflektiert, bedürfnisorientiert, gleichberechtigt

Frustrationstoleranz und Impulskontrolle: grundlegende  psychische Fähigkeiten

Frustrationstoleranz bedeutet, dass man eine Frustration (ein Misslingen, eine Abweisung, eine Niederlage etc.) gut aushalten kann, ohne sich oder andere (verbal oder auch handgreiflich) zu verletzen. Eine einigermaßen stabile Frustrationstoleranz auszubilden, ist sehr wichtig. In einem normalen Leben lauern nämlich überall Frustrationen: Die Beförderung bleibt aus. Die Jeans passt nicht. Der Partner will partout nicht mit einem tanzen gehen. Ohnehin kriegt man in letzter Zeit andauernd Absagen von Freunden u.s.w. Als reifer Erwachsener kann man dann überlegen, woran das liegt, kann sich Alternativen oder sonstiges einfallen lassen und womöglich kreativ und nicht schädigend damit umgehen. Frustrationstoleranz und Impulskontrolle sind wesentliche Eigenschaften, um stabile Beziehungen zu führen.

Impulskontrolle bedeutet, dass wir unsere Bedürfnisse wahrnehmen und sie nicht gleich in die Tat umsetzen müssen. Wir können unsere Impulse umlenken und statt einer Tüte Chips einen Apfel essen. Oder wir können statt eines lautstarken Streits, weil wir extrem wütend sind, kurz durchatmen und versuchen, die Situation ruhig und besonnen zu klären.

Ein starkes Ich: Lust und Wut in angemessene Bahnen lenken

Ein Kind, gerade ein Kleinkind, kann das nicht so gut, weil seine Ich- Struktur noch nicht stabil genug ausgeprägt ist. Das Ich ist in psychoanalytischer Terminologie ein Teil der Psyche, der die strukturellen Fähigkeiten beinhaltet. Es ist nicht zu verwechseln mit dem Selbst. Zu den sogenannten strukturellen Fähigkeiten gehören unter anderem eben auch die Frustrationstoleranz und die Impulskontrolle. Das Ich ist der Teil, der klar denkt und überlegt handelt. Das Ich bändigt sozusagen die eigene Lust und verknüpft sie mit den Normen und Werten. Im besten Fall hilft es dabei, dass eigene Wünsche und Bedürfnisse wahrgenommen und an passender Stelle ausgelebt oder durch etwas Anderes ersetzt werden können.

Das Ich ist störanfällig, denn starke Emotionen behindern das Denken. Das kennt, denke ich, auch jeder gut strukturierte und reife Erwachsene.

 

Das frustrierte Kleinkind: ein Tal des Jammers

Nun hat aber ein Kleinkind diese Fähigkeit noch nicht stabil erworben (ein Schulkind sollte diese Fähigkeiten dann schon relativ stabil ausgebildet haben). An allen Ecken und Enden gibt es Frustrationen: spring nicht mit dem weißen Kleid in die Pfütze, zieh mir nicht an den Haaren, schmeiß die Blumenerde nicht in den Backofen, hör auf die Katze zu waschen, zieh dir bitte die Jacke an, räume die Regale nicht aus… eine endlose Liste. Natürlich hat das Kind Lust, all diese Dinge zu tun. Wer könnte es ihm verübeln? Nun ist aber die Lösung nicht, dass wir all diese Dinge erdulden. An manchen Tagen ist das bestimmt die Lösung, weil man einfach fertig ist und keine Kraft hat, eine Auseinandersetzung auszuhalten.

Im Sinne des Kindes ist das als grundsätzliche Haltung aber nicht sinnvoll.

Das Kind erlebt andersherum, wenn wir sagen, dass wir etwas nicht möchten auch, dass man sich von einander abgrenzen und sich auch übereinander ärgern kann. Die Beziehung wird daran aber nicht zerbrechen, wenn wir dazu selbst in der Lage sind.

 

Trotz Trotz darf ein Nein auch sein

Die „Trotzphase“ ist eine Zeit, in der ein Kind seine eigene großartige Wirksamkeit entdeckt und erstmal glaubt, dass alles so ist, wie es das will. Mit dieser Grundhaltung stößt es natürlich andauernd irgendwo an. Es sieht nicht ein, dass man z.B. die Wände nicht mit Wachsmalstiften bemalt. Es will es doch, wo sollte also bitteschön hier jetzt ein Problem sein? In der kindlichen Entwicklung ist das eine ganz normale Phase, diese Art von Größenwahn.

Es gibt aber Menschen, bei denen bleibt zeitlebens eine offene Anspruchshaltung und eine geringe Frustrationstoleranz bestehen und ja, das hat auch damit zu tun, dass niemand die kindlichen Reaktionen auf ein Nein ausgehalten und dann womöglich auf ein Nein lieber verzichtet hat.

 

Frustrationen wahrnehmen, statt sie zu ignorieren

Denn Vorsicht: Frustrationen muss man wahrnehmen! Frustrationen durch andere Menschen sind Teil des Lebens. Es kann nicht sein, dass jemand anderes permanent darum bemüht ist, uns nur nicht zu frustrieren. Den Frust miteinander zu bereden, wenn die starken Gefühle sich beruhigt haben, ist wichtig (Memo: bei starken Gefühlen ist das Ich schnell überfordert. In Neurosprech: Bei übermäßiger Innerveration des limbischen Systems (Gefühlsareal) ist das Frontalhirn (Denkapparat) nicht sonderlich aktiv). Eine gewisse affektive Beteiligung ist auch notwendig, sie darf nur nicht so intensiv sein. Wenn wir nämlich ganz rational über unseren Frust sprechen, dann erreicht es uns tief im Inneren auch nicht. Das mag manchmal Vorzüge haben, ist aber eben auch nicht langanhaltend.

Ich erlebe in den Therapien bei Erwachsenen häufig Folgendes: ich frustriere die Patienten unabsichtlich (weil ich krank werde und die Termine absagen muss, weil ich vielleicht gerade einen Notfall am Telefon klären muss und das den Stundenbeginn nach hinten schiebt, weil ich eine Aussage falsch verstehe, weil ich etwas „unpassend“ kommentiere oder deute, weil ich Fragen nach persönlichen Umständen nicht beantworte) und dann unterschiedlichste Reaktionen kommen. Es gibt Patienten, die ihrem Ärger sofort freien Lauf lassen und mich zur Schnecke machen. „Was sind Sie denn für eine Therapeutin, die Ihre Termine nicht einhalten kann?“.

Dann gibt es diejenigen, die sagen: „ach, das ist doch gar nicht schlimm, das passiert ja jedem Mal.“ Und dann kommen sie einfach nicht zur nächsten Stunde. Auf Nachfrage sind sie nicht in der Lage, über ihren Frust mit mir zu sprechen. Nicht jeder, der Frustrationen übergeht, hat eine schlechte Frustrationstoleranz. Wichtig ist, ob jemand es aushält, den Frust gut für sich zu verarbeiten oder ob derjenige dann sich oder anderen gegenüber aggressiv wird.

 

Kinder bei Frustration co- regulieren

Ist ein Kind/ Mensch mit schwachen Ich- Funktionen nun frustriert, ist es erstmal notwendig, diese Gefühle zu halten. Das heißt, wir hören uns das an und unterbinden vielleicht zunächst ein aggressives Agieren. Es ist keine Lösung irgendwo draufzuhauen oder jemanden zu verletzten.

Wir hören zu. Manch ein Kind/ Erwachsener braucht es, dass man das stumm tut. Dass man nicht dazwischen spricht, sondern erstmal alles nur aufnimmt. Natürlich ist das manchmal sehr schwer, denn es handelt sich da um einen sehr wütenden Menschen. Gelingt es nicht, den Frust alleine zu regulieren, also von ihm zu lassen und sich wieder anderen Dingen zu widmen oder z.B. auch einen neuen Versuch zu unternehmen, den Turm doch noch zu bauen, ist es notwendig, diese Funktion zu übernehmen. Hilfe zur Selbsthilfe könnte man sagen. Es bringt nichts, den immer wieder umfallenden Turm für das Gegenüber alleine zu bauen. Ja schön, dass DU das kannst.

Es ist wichtig, dass der Frust gemeinsam durchgestanden wird, ohne dass der Frust abgenommen wird. Bedürfnisse kann man nicht immer durchsetzen- so ist das Leben!

 

Impulse kontrollieren: einem Kind helfen, Konsequenzen zu verstehen

Seine Impulse zu kontrollieren und nicht draufloszuschlagen, um sich zu futtern, pausenlos Sex zu haben, jeden Abend Alkohol zu trinken, nur Fern zu sehen u.s.w. ist wichtig. Wir müssen als Kinder eben auch lernen, dass sich nicht alles umsetzen lässt und dass wir unsere Impulse kontrollieren müssen. Wenn ich jedes Mal jemanden schlage, wenn ich wütend bin, dann bin ich am Ende wahrscheinlich ziemlich alleine. Wenn ich jeden Abend Alkohol trinke, dann wird mir das auf lange Sicht schaden.

Ein Kind schlägt vielleicht, weil es sich nicht anders zu helfen weiß und deswegen braucht es uns. Nicht, damit wir sagen: alles nicht so schlimm. Sondern um zu zeigen: „hey, du, das geht so nicht“. Anstatt zu schimpfen und Moralpredigten zu halten, haben wir eine viel wichtigere Aufgabe.

Kindern zu zeigen und zu begleiten, was passiert, wenn sie sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, ist notwendig. Eine versprachlichte Konfrontation mit den Folgen des eigenen Handelns ist keine Entwertung! Es ist unsere Aufgabe als Eltern. Da ein Kind bis etwa vier nicht in der Lage ist, eine Außenperspektive selbständig im Kopf zu entwerfen und sich vorzustellen, wie jemand Anderes etwas wahrnimmt, ist es an uns, mit dem Kind das gemeinsam zu fantasieren. Ein Kind wird nicht automatisch diese Außenperspektive irgendwann entwickeln. Das kann nur entstehen, wenn ihm selber einerseits empathisch und interessiert begegnet wird UND wenn man sich gemeinsam über andere Menschen und deren Empfindungen Gedanken macht.

 

Ein langer Weg, aber ist dann alles harmonisch?

Ein Kind entwickelt in der Beziehung zu den Eltern eine Erwartungshaltung. Schwierig wird es für ein Kind, wenn Eltern immer wieder unterschiedlich reagieren. Heute eilen sie sofort herbei, morgen reagieren sie kaum. Wenn Eltern immer sofort Bedürfnisse und Wünsche erfüllen, dann ist das für die Herausbildung der Impulskontrolle und Frustrationstoleranz nicht förderlich.

Kind brüllt „Durst jetzt“ und die Eltern lassen alles stehen und liegen, was sie gerade tun. An einem normalen Tag muss das nicht sein, da wird ein zugewandtes „ich ziehe mir die Schuhe aus und wasche meine Hände und dann bekommst du ein Glas Wasser“ ausreichen.

Normen durch die elterliche Haltung

Natürlich muss sich jeder auch an die eigene Nase fassen. Erlebt das Kind uns auch als sehr beharrlich und unruhig in der Durchsetzung unserer Wünsche und Bedürfnisse, dann etabliert sich diese Haltung möglicherweise durch Identifikation auch im Kind. Wir und andere Personen des Umfelds setzen durch unser Verhalten Normen, an denen das Kind sich orientiert. Für das Kind ist also nichts unproblematisch daran, dass es brüllt, wenn das Wasser nicht SOFORT auf dem Tisch steht, wenn es z.B. die Eltern auch so ungehalten erlebt.

Je älter ein Kind wird, desto mehr kann man ihn an Warterei auch zumuten. Wichtig ist, dass klar kommuniziert wird und Vorausschaubarkeit eingehalten wird. Je unverlässlicher unser Kind uns erlebt, desto eher wird es ungeduldig und wütend, weil es nicht weiß, ob und wann es sich auf unser Wort verlassen kann.

Ein Kind verinnerlicht, dass es OK ist, sich auch geliebten Menschen gegenüber abzugrenzen und eigene Wünsche und Bedürfnisse im Blick zu haben. Ich erlebe genau das bei vielen Menschen als sehr schwierig. Es wabert die Vorstellung in vielen, dass man sich für den anderen zurückstellen muss, wenn man eine harmonische Beziehung führen will. Ich schlage gerne vor, dass sich eine lebendige und authentische Beziehung vielleicht sogar noch besser anfühlen kann als eine harmonische Beziehung. Denn diese Harmonie ist schließlich nicht echt. Sie fußt darauf, dass man sich selbst nicht zeigt und dies dann oftmals auch vom Gegenüber erwartet. Die Angst vor der Ablehnung der eigenen Wünsche und Bedürfnisse verhindert, dass sie überhaupt die Chance zur Erfüllung bekommen.

Denn eins ist klar: manchmal werden Bedürfnisse und Wünsche frustriert, weil der andere eben nicht möchte und manchmal werden sie aber eben doch erfüllt. Wir dürfen unseren Kindern nicht zu viel an Frustration zumuten, aber ein gewisses Maß frustrierenden Abgrenzung ist notwendig, damit sich Frustrationstoleranz entwickeln kann.

 

Kleiner Epilog

Ich möchte gerne dafür sensibilisieren, dass ein Kind beides braucht: ja und nein! Und es braucht die Erfahrung, dass  wir uns in solch nahen Beziehungen selber Abgrenzung trauen. Und dass ein Nein nicht bedeutet, dass wir uns abwenden, sondern dass wir da sind, die Konsequenzen des Nein gemeinsam auch auszuhalten, wenn notwendig. Es geht nicht um Strenge und das Einfordern von Gehorsam. Es geht nicht darum, dass unser Kind augenblicklich reagiert, sondern es geht um die Schaffung eines Rahmes auch für das Innere des Kindes. Der Rahmen schafft eine Sicherheit und lässt Grenzbegehungen und Grenzüberschreitungen auch lustvoll erleben. Ohne Rahmen gibt es diese Erfahrungen nicht.

 

Eure Madame FREUDig

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