Rebekka vom Blog weiser werden hat mich um ein Interview zum Thema Trauer und trauern mit bzw. trotz Kind gebeten. Sie hat kürzlich auf unserem Blog schon einen Artikel über ihre Erfahrungen geteilt, wie es war, als sie selbst gerade Mutter geworden war und ihre eigene Mutter verstarb. Während dieser Phase suchte Rebekka nach Ratgebern und wurde nicht fündig, so dass sie selber Interviews mit Betroffenen, aber eben auch mit Experten führte. Daraus soll womöglich auch ein Buch entstehen.

Ich hatte selber schon einmal einen Artikel über innerlich abwesende und depressive Eltern geschrieben. Das jetzt vorliegende Interview haben wir per Skype geführt und Rebekka hat alles transkribiert und auf Grund der Länge von 16 Seiten ordentlich eingekürzt.

Attachment Parenting und die Authentizität

Rebekka: Wer sich mit attachment parenting beschäftigt, hört oft, man solle authentisch sein. Warum ist das so wichtig und was bedeutet das eigentlich genau?

 

  1. Madame FREUDig: Ich würde mich von diesen Aussagen auch eher distanzieren: von der pauschalen Authentizität, vor allem im Bezug auf elterliche Trauer. Denn man muss ja schauen, was ein Kind in welchem Alter tragen kann. Ein Baby ist innerlich sowieso von ganz vielen eigenen Affekten quasi überflutet. Und wenn die Mutter, der Vater oder eine andere wichtige Betreuungsperson in dem Moment mit eigenen intensiven Affekten dazukommt, ist das für ein kleines Kind wahnsinnig schwer auszuhalten. Das Ganze kann bisweilen sehr bedrohlich wirken.

 

Manche Kinder reagieren dann so, dass sie sich zurückziehen und wirken wie wach eingeschlafen. Andere Kinder werden Sonnenscheinkinder, die Quatsch machen und die Eltern bespaßen, um sie wieder glücklich zu machen.

 

Wenn Trauer und elterliche Gefühle das Kind verunsichern

Rebekka: Ich hab ja erlebt, dass, wenn ich so intensiv weinen musste, mein kleines Baby verunsichert wurde. Ich habe schnell instinktiv gemerkt: Das ist nicht das Wahre, diese Authentizität.

 

Madame FREUDig: Genau das mochte ich an deinem Artikel auch sehr gern! Es geht ja so kleinen Kindern letztendlich immer um Sicherheit. Und eine Mama, die auf einmal so reagiert, dass das Kind das gar nicht versteht, löst erstmal Unsicherheit aus. Die Aufgabe der Mutter ist das Übersetzen und Aushalten der Affekte des Kindes. Und das ist dann ja doppelt schwierig, wenn man selber so ergriffen ist. Ich kann als Therapeutin auch nicht gut arbeiten, wenn ich eine Katastrophe im Privatleben habe, weil ich dann gar nicht offen dafür bin, das wahrzunehmen, was bei dem anderen ist.

 

Außerdem kann sich ein Kind bei so einer überraschenden, extremen Reaktion ein Stück weit wie von der Mutter getrennt fühlen und das nicht einordnen. Da kann das Gefühl entstehen: Ich habe irgendwie ein Stückchen Mama verloren. Und das merkt man auch z. B. ganz oft bei Patienten in der Therapie, später, wenn plötzlich rauskommt: Da gab es ja einen Verlust bei meinen Eltern. Das ist ja leider nicht so selten, zum Beispiel Fehlgeburten, also dass ein Kind betrauert wird, oder dass zum Beispiel die geliebte Oma gestorben ist.

 

Gerade in diesen ersten anderthalb Lebensjahren geht es also nicht primär darum, authentisch dem Kind gegenüber zu reagieren, sondern dem Kind Sicherheit zu vermitteln.

 

Rebekka: Es heißt oft, Babys haben feine Antennen. Könnte ich denn meine Gefühle, meine Trauer überhaupt vor meinem Kind verheimlichen, wenn ich das wollte?

 

Madame FREUDig: Nein. Das Kind spürt, auch wenn die Mutter lacht, dass sie sich innerlich zurückzieht, was total nachvollziehbar ist. Ich meine das absolut wertfrei, aber das Kind wird das einfach wahrnehmen. Weil es sehr sensitiv ist und weiß: „Mama ist eigentlich meine ganz sichere Basis“. Und wenn etwas anders ist, nimmt es das ganz fein wahr: „Irgendwas ist da, die fühlt sich doch gerade irgendwie komisch.“ Man sieht schon bei ganz kleinen Kindern, dass sie dann versuchen, irgendeine Art von Tröstverhalten zu zeigen. Auf Taschentücher zeigen, mit einem Kuscheltier kommen oder so. Und das muss man den Kindern auch gar nicht nehmen, da kann man auch kindgerecht sagen: „Ja, die Mama ist traurig, das merkst du, stimmt’s? Aber Mama ist da.“


Rebekka: Ich soll meinem Baby also meine Trauer, meine Gefühle erklären?

 

Madame FREUDig: Ja, aber kindgerecht. Zum Beispiel kann man sagen: „Mama ist traurig… Du suchst Mama, stimmt’s?“ oder „Du fragst dich: Wo ist denn Mama hin?“ Aber ich halte nicht viel davon, jedes Weinen so ausufernd zu thematisieren, also ständig zu sagen: „Die Mama ist so so traurig, so so traurig, so so traurig.“

 

Man kann die Gefühle nicht komplett aus der Beziehung heraushalten, das Baby spürt, dass etwas nicht stimmt, aber man sollte das Kind möglichst nicht überfrachten mit den eigenen Gefühle. Das geht aber schnell, insbesondere wenn es sich um Babys handelt. Und klar soll man Gefühle spiegeln – gerade wenn man dem attachment parenting nah steht, macht man das ja viel, sagt dem Baby auch: „Och jetzt siehst du so traurig aus“ oder „Oh, du bist sooo wütend.“ Aber wenn man die ganze Zeit davon spricht, wie traurig man selber ist, dann ist die gesamte Atmosphäre für das Kind schnell nur noch mit Trauer behaftet und die Grenzen der eigenen Gefühle und die der Mutter vermischen sich.

 

Gut ist es, auch wieder auf etwas anderes zu kommen, einen Raum zu öffnen: „Okay, Mama war jetzt gerade traurig – aber guck mal, da ist die Katze! Was machen Tiere für Geräusche?“ Also über etwas Drittes miteinander wieder in Kontakt zu kommen. Zu akzeptieren, dass die Trauer da ist, aber zu versuchen, Momente zu schaffen, wo man mit dem Kind außerhalb dieser Trauerwelt in Kontakt ist.

 

Sich um Fürsorge kümmern, ohne das Kind zu parentifizieren

Rebekka: Zum Glück sind ja, so unvorstellbar das ist, 80 Prozent des Tages gar nicht von der Trauer bestimmt. Zumindest bei mir war es so. Aber oft bricht es eben doch aus einem heraus.

 

Madame FREUDig: Ideal wäre es, wenn so etwas passiert – und das ist ja normal in einer solchen Situation – dass das Kind mitbekommt: Da sind andere, die sich um Mama kümmern. Dass es sieht, wie der Partner die Mutter tröstet, oder eine Freundin. Damit das Kind Kind bleiben kann. Weil es sonst zu einer ganz frühen Parentifizierung kommen kann, also zu einer Rollenumkehr, die dazu führt, dass Kinder anfangen, sich um die Eltern zu kümmern – und das bleibt ein Leben lang erhalten. Das kommt in sozialen Berufen sehr häufig vor, weil Menschen, die Parentifizierungserfahrung haben, sich solche Berufe oft aussuchen, in denen sie sich um andere kümmern. Sie haben erfahren, dass sie dadurch wertvoll werden, oftmals bis zur eigenen Aufgabe hin, was natürlich problematisch ist.

 

Wenn das zu Beginn nicht ideal geklappt hat und das Kind eben doch eine Fürsorgerolle für die Eltern übernommen hat, sollte man schauen: Wie wird das die nächsten Jahre? Wie geht das Kind mit so traurigen schmerzlichen Affekten um? Überlegen, ob es da vielleicht noch so eine Art Kulturwandel in der Familie geben kann. Wie man miteinander, untereinander über Trauer sprechen kann. Vielleicht weint man bei einem Film und sagt dann einfach: „Mama war jetzt so traurig.“ Und dann kann der Partner oder eine gute Freundin die Mama in den Arm nehmen. So kann man dem Kind vermitteln: „Du, man kann im Leben ganz viele Gefühle haben, aber man ist selber auch ein Stück weit mit dafür verantwortlich, welche Beziehung man mit wem führt und wie man sich selbst bemuttert.“

 

Wenn die Mutter stirbt

Rebekka: Bemutterung, ein wichtiges Stichwort: Was bedeutet es eigentlich, gerade die Mutter zu verlieren?

 

Madame FREUDig: Das macht ganz viel mit einem. Das ist sozusagen ein endgültiger Abschied von der Kindheit. Und ich glaube, wenn wir so etwas innerlich verarbeiten, das spürt ein Kind ganz genau. Ebenso spürt es, ob die Mutter Raum findet, darüber zu sprechen, sich gut um sich selbst zu kümmern, sich zu bemuttern. Zum Beispiel, indem sie sich Auszeiten nimmt. Das darf man klar kommunizieren: „Mama möchte mit einer Freundin reden, sie braucht das einfach mal. Sie will einfach mal in den Arm genommen werden.”

Dabei sollte man dem Kind nicht das Gefühl geben, dass es nicht auch eine Hilfe ist, wenn es die Mama trösten möchte. Gerade Zwei- oder Dreijährige wollen das oft und das sollte man keinesfalls unterbinden, sondern sagen: „Ach das ist ja lieb, aber guck mal, dafür hab ich auch den Papa. Der übernimmt das, du musst das nicht alles tragen.” Es geht um die wertschätzende Anerkennung dieses rührenden kindlichen Tröstversuches einerseits und andererseits auch um die Entlastung des Kindes.

 

Rebekka: Bei uns war es so, dass das Baby viel geweint hat, ich davon genervt war, das Baby das gespürt hat – ein Schneeballeffekt. Ich habe mich geschämt, denn keine Mutter gesteht sich gern ein, genervt von ihrem winzigen Baby zu sein.

 

Madame FREUDig: Ja, man gesteht es sich nicht ein, aber es passiert. Wichtig ist die Frage nach der familiären Atmosphäre, die insgesamt herrscht: Ist es eine traurige, ist es eine geladene, ist es eine gereizte Atmosphäre? Denn das ist, was Kinder aufnehmen.

Balance finden und eigene Gefühle in sich halten

Rebakka: Der Tiefpunkt bei mir war passiv-aggressives Verhalten, zum Beispiel wenn mein Kind nur draußen schlafen wollte, ich aber müde war. Dann kam so etwas wie „Toll, dann gehen wir halt raus. Interessiert dich doch eh nicht, was ich will.“ Und da habe ich gemerkt, ich muss etwas ändern.

 

Madame FREUDig: Ich finde, das sind Gefühle, die einfach da sind und es ist ganz wichtig, das genau wahrzunehmen. Es muss darum gehen, dafür einen Raum zu finden und das auch mit jemandem besprechen zu können. Sagen zu können: „Ich hab so aggressive Gefühle meinem Kind gegenüber.“ Und das hat jetzt nichts mit deiner speziellen Situation zu tun. Ich glaube da ist es noch intensiver, aber das ist etwas, das viele Eltern erleben. Nicht zu wissen, wohin mit den Aggressionen, vor allem, wenn man selber überreizt oder müde ist. Man darf sein Kind dann auch mal richtig doof finden. Das darf sein. Es geht darum, das zu verstehen, innerlich wahrzunehmen und einzuordnen, aber es eben nicht auszuagieren.

 

Rebekka: Aber in dem Moment kann ich ja das meinem Kind nicht zeigen…

 

Madame FREUDig: Nein. Es geht darum, das in sich gut halten zu können. Ich spreche da immer vom psychischen Innenraum. Damit meine ich eine relativ stabile Ich-Struktur, in der so etwas gefühlt werden darf und nicht verdrängt oder verleugnet werden muss. Dass ich es innerlich aushalten kann, so wütend zu sein, weil mein Kind seit Stunden brüllt und ich doch alles mache und es trotzdem nicht aufhört. Dass ich diese Gedanken haben kann, aber gleichzeitig sagen kann: „Okay, ich weiß, dir geht es schlecht… Lass uns mal gucken, wie wir das lösen können.“

 

Rebekka: Also das innerlich zu denken, ohne dass es sich auf die Atmosphäre auswirkt?

Madame FREUDig: Es wird sich trotzdem auswirken, weil man ruppiger sein wird als man will. Aber dann kann man sich das bewusst machen. „Oh, jetzt bin ich ganz schön ruppig geworden, ich muss mehr Innenraum für mich schaffen“. Stichwort Achtsamkeit. Mal durchatmen, die Füße in den Schnee oder was auch immer.

 

Rebekka: Das Innenraumbild finde ich sehr spannend. Bei mir fühlte es sich so an, als sei der Innenraum schon so voll von Trauer, dass wenig Platz blieb für Geduld und Verständnis. Meine Lösung war dann ja, Kram irgendwo andershin zu packen – ins metaphorische Eisfach. Ist das nicht Verdrängung?

 

Madame FREUDig: Aber Verdrängen ist in dem Sinne auch etwas Gesundes. Ich finde, deine Reaktion, so wie du sie beschreibst, klingt gesund. Um zu funktionieren, musstest du in dem Moment etwas abspalten und auch wegpacken. Es ging dabei ja um deine Trauer, die du zeitweise ins Eisfach packen musstest, um den Kontakt mit deinem Baby zu bewältigen.

 

Es gibt ja zwei Ebenen – das Kind und die Mutter. Durch Trauer muss man, um sie gut zu verarbeiten, durch. Wenn man aber so ein kleines Kind hat und eine pflichtbewusste und liebende Mutter ist, die sich darüber Gedanken macht, was dem Kind gerade gut tut, dann schiebt man das einfach ein bisschen weg. Dann gibt es vielleicht später eine Zeit für die Trauer. Und deshalb mag ich an der Stelle deinen Artikel sehr gern, denn es zeigt: Die Trauer muss irgendwo sein können, es muss dafür einen Ort geben.

Ich wünsche jeder Mutter in deiner Situation, dass sie das schafft, aber ich glaube, viele sind von der Emotion so überwältigt und das ist dann auch einfach so. Gut ist es aber definitiv, das Ganze von einem kleinen Kind ein Stück weit fernzuhalten. Dafür zu sorgen, dass die Trauer nicht die ganze Atmosphäre dominiert, sondern einen Raum oder einen Ort zu finden, wo die Trauer sein darf und wo man Worte für die eigenen Gefühle findet.

 

Konkrete Hinweise zum Umgang: Dosierung und Innenräume

Rebekka: Was rätst du trauernden Müttern jetzt also konkret – wenn sie weder authentisch sein sollen noch dem Kind falsche Freude vorspielen?

 

Madame FREUDig: Es geht um die Dosierung. Einerseits sollte es echt sein, kein Kind sollte denken: Bei Trauer lacht man. Man kann schon sagen „Mama ist traurig“. Aber dann muss man eben irgendwie einen Ausgang daraus finden, zeigen: Okay, Mama bleibt darin jetzt nicht komplett verhaftet.  Man kann also in gewisser Weise schon authentisch sein, aber dosiert.

 

Rebekka: Und die Dosierung kann ich erreichen, indem ich innere Räume schaffe, Hilfsnetzwerke… Das sind alles verschiedenen Strategien wie ich da schaffen kann?

 

Madame FREUDig: Das ist jetzt natürlich ein Idealfall, über den wir gerade sprechen. Das ist jemand, der eine gute psychische Struktur hat und gut eingebunden ist. Die Frage ist natürlich: Was machen Frauen, die alleinerziehend sind, die permanent mit ihrem Partner Stress haben, die noch andere Kinder haben? Ich glaube, worum es am Ende geht, ist, für sich selbst Inseln zu schaffen – und im besten Fall nicht nur für sich alleine, sondern in Beziehung mit anderen Erwachsenen. Auch eine Therapie kann hier sinnvoll sein.

 

Rebekka: Ich habe ja von meinen Auszeiten geschrieben. Das war für mich wirklich eine Gewissensfrage, denn mein Kind hat sehr geschrien an diesen Abenden. Würdest du mit deiner Sicht auf die Psyche von Kindern sagen, dass es dennoch richtig war?

 

Madame FREUDig: Man muss sich da nichts vormachen. Wenn man trauert, wird es immer diese Momente geben, in denen man in sich versunken und für das Kind nicht erreichbar ist. Ich finde es wichtig, darauf nicht mit Schuldgefühlen zu reagieren und zu sagen: „Okay, dann opfere ich mich jetzt auf und bleibe ab jetzt immer bei meinem Kind. Weil ich wieder gutmachen muss, was ich womöglich hier verbockt habe.“ Sondern zu sagen: „Nein, es geht jetzt irgendwie auch weiter und ich muss gucken, dass ich mich in der Zukunft besser stabilisieren kann. Was tut mir dafür gut?“.

Und manchmal braucht man dann eben den Abend mit Freundinnen und einer Flasche Rotwein. Das ist dann so, das ist notwendig. Aber auch hier wieder die Frage nach der Dosierung: Ist das dann jeden Abend? Oder eher einmal alle zwei Wochen oder einmal jede Woche? Welche Dosis brauche ich? Und was ist dem Kind auch zumutbar?

Gleichzeitig muss man das abwägen. Wie stark werden die Aggressionen der Mutter wohl anschwellen, wenn sie fünf Monate lang immer beim Kind bleibt? Wenn es keinen Raum für diese intensiven Gefühle gibt? Das ist eine unfassbare Last, die da dem Kind aufgeladen wird, das verinnerlicht: Meine Mutter hat für mich alles getan. Das kann zu so etwas Narzisstischem werden im Sinne von: Ich muss für alle alles machen oder aber auch: Alle müssen ganz viel für mich machen, dann geht es mir gut. Oder zu einem Schuldgefühl: Wie kann ich das je wieder gutmachen, dass meine Mutter sich ihren Gefühlen verschließen musste, weil sie sich um mich gekümmert hat?

 

Die trauernde Mutter als inneres Objekt des Kindes: wenn sich eine Depression entwickelt

Rebekka: Du beschreibst diesen Hang zum Versinken in sich selbst. Welche Risiken birgt das ganz konkret für das Kind?

 

Madame FREUDig: Ich habe bereits in einem Artikel am Rande auch über innerlich abwesende Eltern und Depression geschrieben und da habe ich André Green zitiert, weil ich sein Konzept der „toten Mutter“ ganz wichtig finde. Wie man seine Mutter verinnerlicht, so verinnerlicht man ja auch deren Züge und deren emotionale Haltung. Ist die Mutter innerlich abwesend, emotional unzugänglich, in Greens Worten eben tot und eingefroren, kann das manchmal im Laufe der Jahre zu einer Depression voller Leere beim Kind oder dann Jugendlichen und Erwachsenen führen, die auch in ganz freudigen Momenten auftaucht. Paradoxerweise, weil die Menge an Gefühl nicht aushaltbar ist und dieses innere Bild der eben ehemals als gefühllos empfundenen Mutter in einem selbst aktiv wird.

 

Exkurs: wie psychische Innenwelten entstehen

Die Objektbeziehungstheorie der Psychoanalyse erklärt sich, wie psychische Struktur entsteht. Man verinnerlicht die Beziehungserfahrung mit den wichtigen Anderen: Wie war der Andere und wie war ich parallel dazu? Mit welchem Gefühl waren wir miteinander verbunden?

Wenn ich jetzt verinnerliche, dass da meine Mutter ist, die größtenteils ohne Freude, ohne Glanz in den Augen, wie Donald Winnicott das sagt, zum Beispiel die Windeln wechselt, ist das fatal. Denn das Kind erkennt im Blick der Mutter sich selbst. Aber wenn das Kind in die Augen der Mutter guckt und die Mutter ist nur bei sich, dann sieht das Kind nicht sich selbst, sondern die Mutter. Das Baby kann sich selbst im Blick der Mutter nicht sehen. Es nimmt ihre Fantasien über das Kind nicht auf bzw. drehen sich die Fantasien ja eben nicht um das Kind, sondern um die eigenen Gefühle. Und das führt bisweilen zu starken Identitätsdiffusionen, zu dieser ständigen Suche nach sich selbst. Das höre ich oft von Patienten: „Ich weiß gar nicht, wer ich bin.“

Man kann sich nur spiegeln, wenn es glänzt. Wenn da wirklich die Freude da ist in den Augen. Und das ist, wenn jemand stark trauert oder depressiv ist oder andere psychische Krankheiten hat, wahnsinnig schwer. Man kann ja Freude nicht spielen. Es geht auch gar nicht um Vorwurf oder Schuldzuweisung, sondern darum, diesen Mechanismus, der dann entsteht, zu verstehen. Und vielleicht in Phasen, wo es einem besser geht, zu versuchen, das Ganze in Worte zu fassen. Z.B. „Manchmal guckst du Mama an und weißt gar nicht so richtig, wo sie ist, oder?“.  Also das Gefühl des Kindes aufzugreifen und dafür Worte zu finden.

Kann Therapie helfen, um die Beziehung zum Kind wieder zu verbessern?

Rebakka: Und das, wenn es häufig vorkommt, vielleicht wirklich zum Anlass zu nehmen, sich Hilfe zu holen – auch in Form von Therapie?

 

Madame FREUDig: Genau. Es gibt auch die SäuglingsKleinkindElternPsychotherapie (SKEPT). Kinder von 0 bis 3 haben mit den Eltern zusammen Therapie. Grob gesagt, geht es darum, unbewusste Muster zu identifizieren, um einen besseren Kontakt und Verstehen zu ermöglichen. Wie kommuniziert ihr gerade miteinander? Was ist denn da zwischen euch? Wie fühlt sich denn dein Kind wahrscheinlich gerade? Und wie fühlst du dich? Den Blick dafür zu öffnen. Therapeuten, die das praktizieren, kann man z. B. über den Verein psychoanalytischer Kinder- und Jugendpsychotherapeuten (https://www.vakjp.de) finden.

 

 

Trauer überwinden: innere Gespräche führen

Rebekka: Die Mutter hat im Idealfall eine wichtige Rolle inne, wenn eine Frau das erste Kind bekommt. Es war für mich sehr schwer, diese Gespräche mitzubekommen. Im Rückbildungskurs, im Kindercafé etc.: „Meine Mama nimmt mein Baby am Sonntag“, „Die Oma kommt und hilft“, „Meine Mama hat mir von früher erzählt“… Das kreist ja viel im Universum das Matriarchats und es ist schwer, da mutterlos Mutter zu sein.

 

Madame FREUDig: Auf der realen Ebene ist die Mutter weg, aber innerlich ist sie ja nicht weg, muss sie zumindest nicht. Die Frage ist also. Inwiefern kann ich meine „innere Mutter“ reaktivieren? Mir innerlich vorstellen: Was würde Mama mir jetzt eigentlich sagen? Würde sie sagen „Mensch Mädchen, jetzt musst du mal saugen!“ oder eher „Ach, ich würde so gern einen Kuchen für dich backen, du siehst so dünn aus“? Dann kann man gehen und sich einen Kuchen kaufen. Wenn ich über Kleinkinder spreche, spreche ich oft von der sogenannten Objektkonstanz. D.h. Wie verändert sich das innere Bild einer realen Person, wenn diese abwesend ist? Kann das Bild dieser Person innerlich erhalten bleiben? Das ist die Grundlage, um gut alleine sein zu können und sich nicht in Verlustängsten zu verlieren.

Und natürlich ersetzt das nicht die reale Mutter. Aber es kann etwas Tröstendes sein und einen Verlust erträglicher machen, wenn man sich innerlich ein Bild bewahren kann. Natürlich ist das schwer, insbesondere dann, wenn die reale Beziehung zueinander sehr ambivalent war und es dafür wenig Worte gegeben hat. Man kann sich fragen: Was würde ich meiner Mama gern erzählen wollen? Was ist offen geblieben? Wo habe ich mich über sie geärgert, wo habe ich mal etwas angestellt und ich habe es ihr nie gesagt? Und sich dann vorstellen, was die Mutter antworten würde. Also ein innerlicher Dialog. Das Wundervolle an der Fantasie ist ja: Ich kann aussprechen, was ich will. Und ich glaube, das kann sehr heilsam sein.