Aus unserem Newsletter kennen einige die Möglichkeit, Madame FREUDig Fragen  zum Umgang mit kindlichen Gefühlen oder bestimmten Ausdrucksweisen, wie heute insbesondere Aggressionen, zu stellen. Auf Grundlage der therapeutischen Erfahrung und der analytischen Haltung gibt sie Denkanstöße und ist dabei bemüht, weiterführende Fragen aufzuwerfen und bestimmte, Zusammenhänge anklingen zu lassen. Da kein persönlicher Kontakt dazu stattfindet, ist das nur ein schemenhafter Auszug, der höchst subjektiv ist. Die Fragen können nicht allumfassend beantwortet werden und vieles bleibt, insbesondere angesicht der großen Vielschichtigkeit der Fragen, auch offen. Die Antwort für den Blogbeitrag ist im Vergleich zum Newsletter eventuell nochmal um neue Gedanken ergänzt, die beim ersten Beantworten so noch nicht gedacht werden konnten.

 

Geringe Impulskontrolle, Aggressionen, sich unglücklich fühlen, gierig und auf Geld fixiert

Die Frage unserer Leserin:

Ich habe einen 5,5-jährigen Sohn, bei dem mir einige Verhaltensweisen Angst machen und ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll. Ich habe das Gefühl, dass das alles zusammenhängt, finde aber nicht das Bedürfnis, das hinter seinem Verhalten steht, um es wieder zu normalisieren.

Mein Sohn hat eine sehr geringe Impulskontrolle. Er rastet sehr schnell aus und schreit, beschimpft uns aber vor allem auch andere Kinder im Kindergarten. Dabei genügt der geringste Anlass, bzw. dass Kinder nicht das tun, was er will, damit er, vor allem verbal, sehr aggressiv wird. Mittlerweile ist er auch schon bei den Erzieherinnen (und das finde ich eigentlich am schlimmsten, da sie die Wahrnehmung der anderen Kinder auf meinen Sohn auch  lenken) als schwieriges Kind gelabelled. Er wird selten zum Geburtstag eingeladen und die anderen Kinder wissen schon, dass er sich immer wieder „böse“ verhält und er ist niemandes „bester“ Freund.

Auch ist mein Sohn oft unglücklich. In seiner Wahrnehmung reicht ein winziges Detail als Beweis aus, dass NIEMAND ihn leiden kann oder mit ihm spielt. Selbst wenn er vorher oder nachher wieder ins Gruppengeschehen integriert ist, bleibt dieses Detail (z.B. eine Ablehnung) in seinem Kopf haften und übertüncht alles positive des Tages.

Meine Versuche ,AUCH  das Positive zu sehen, bzw, einfach mehr zu differenzieren mit den üblichen Fragen, z.B.“ Was war das schönste heute?“ werden nur widerwillig beantwortet oder aber mit „nichts“ bzw. „alles“.

Dementsprechend erwartet er grundsätzlich etwas Schlechtes von anderen bzw,. dass etwas, das er sich wünscht nicht klappt und sucht sich die Bestätigung seiner Erwartung. Das Detail, das nicht optimal gelaufen ist überwiegt alles andere.

Auf der anderen Seite ist er unheimlich gierig. Typisch ist, dass er mit einem großen Eis in der Hand bedauert. „Schade dass ich nicht noch mehr Eis haben kann“. Es ist egal, was er bekommt, es ist immer zu wenig. Das spiegelt sich auch in seinen Wünschen: er will die ganze Welt haben. Er will Medaillen und Trophäen beim Sport haben, aber nichts dafür tun. Ich spiele mit ihm mit seinen Tieren (etwas was mir keinen Spaß macht), er ist nach einer Stunde trotzdem unzufrieden und jammert, dass es zu wenig ist. Wie verbringen den ganzen Tag gemeinsam, er jammert, nörgelt, zetert wenn ich mich mit seinem Vater unterhalte.

Er ist sehr auf Geld fixiert, da er gelernt hat, dass man sich damit Wünsche erfüllen kann. Er will der stärkste der Welt sein. Und dann müssen alle tun, was er will. – Er ergeht sich ständig in Allmachtsphantasien, viele auch mit Gewalt verbunden.

Diese Grenzenlosigkeit zeigt sich auch in der Verarbeitung von Frustration. Er will das Zimmer des anderen abbrennen, eine Bombe drauf werfen, etc., sodass mir schon Angst und Bange wird.

Von allem was ich über Wut, Angst und Gier weiß, heißt das, dass er Angst hat (?) oder sich klein und machtlos fühlt. Oder dass es ein Bedürfnis gibt, das dauerhaft unbefriedigt bleibt…. Doch ich weiß nicht welches oder wie ich das herausfinden soll, denn offensichtlich erfülle ich dieses Bedürfnis ja nicht.

Ich versuche erst mal immer aktiv zuzuhören. Oft meldet er mir auch zurück, dass ich ihn verstanden hätte, aber das mildert seine Wut nicht! Ich übe mit ihm das langsame ausatmen in Wutsituationen, aber darauf reagiert er meistens noch wütender.

Manchmal denke ich aber auch, dass er sich einfach auch mal zusammenreißen könnte und nicht rumschreien. Denn meistens finden wir einen Kompromiss wenn er sich denn einmal beruhigt hat oder alles war gar nicht so schlimm. ABER das sage ich eben NICHT, damit er sich ernst genommen fühlt. Diese Beruhigung findet aber erst statt, wenn ich laut geworden bin! Ich versuche 10 Mal ihn ruhig und freundlich daran zu erinnern oder aufzufangen.- Er hört überhaupt nicht zu, stellt die selben Fragen immer wieder, schreit das selbe immer wieder, dann, wenn ich meine Geduld verliere und laut werde, beruhigt er sich. Dass das nicht nachhaltig ist, zeigen mir aber seine Schwierigkeiten im Kindergarten und das, was ich gerade geschildert habe.

Ich gebe mir große Mühe, auf ihn einzugehen, aber oft bin ich nach einem Tag in der Schule, mit anderen Kindern (ich bin Lehrerin) so geschafft, dass mein Nervenkostüm diese ausufernden Emotionen und niemals endenden Forderungen nach Aufmerksamkeit nicht gut abfedern kann….

Heißt das, dass mein Kind nun ambivalent gebunden ist?  Und wenn ja, was kann ich tun, damit sich sein Empfinden wieder normalisiert???? Ich will nicht, dass mein fünfjähriges Kind schon jetzt anfängt sich über das Haben zu definieren, weil es ein schlecht ausgebildetes Selbst hat….

Antwort

Zunächst danke ich dir sehr für deine Frage. Ich teile Einfälle zu dem von dir Geschilderten mit, es sind lediglich Hypothesen und vielleicht Denkanstöße, die du in deiner individuellen Situation weiterdenken kannst. Nimm dir, was dir davon gut tut! Ich kenne weder dich  noch deine Familie und habe so nur einen sehr begrenzten Zugang zu dem „Sachverhalt“.  Meine Einfälle sind also naturgemäß unvollständig und subjektiv, ersetzen keine face- to- face Therapie oder Beratung.

Deine Frage am Ende, ob es sich um eine ambivalente Bindung handelt, würde ich zunächst gar nicht als vordergründig sehen (und könnte ich so auch nicht beantworten, aber ich habe dazu mal einen Text hier geschrieben: https://www.terrorpueppi.de/2018/03/das-unsicher-ambivalent-gebundene-haeltst-du-gefuehle-sicher-konstant-aus.html

Mich erreicht irgendwie das Gefühl von Unverstandenheit bei deinem Sohn. Es wirkt, als wolle er sich in seinem Gefühl hinter der Frustration und seinen Aggressionen gesehen fühlen, als würde er aber auch spüren, dass sie gar nicht sein soll. Das ist natürlich für den alltäglichen Umgang auch richtig, dass du (und andere) sich das wünschen. Möglicherweise erlebt er aber die Umgangsmethoden mit „Fehlverhalten“ nicht so, dass er sich wirklich gesehen fühlt. Er ist frustriert, wenn er nicht „der Chef“ sein kann. Das ist nachvollziehbar. Viele möchten gerne die Kontrolle über ihre Mitmenschen haben und werden wütend, wenn sie merken, dass die anderen sich nicht kontrollieren lassen. Ein starkes Kontrollbedürfnis hängt oft mit Angst zusammen: Machtlosigkeit, ausgeliefert sein, selber unterworfen sein.

Aus Erwachsenentherapien kann ich nur sagen, dass zwar viele Patienten anfänglich Werkzeuge wollen und auch einfordern. Oft sind sie hochgradig irritiert oder auch frustriert, wenn ich keine Ratschläge oder Methoden anbiete. Am Ende sagen die allermeisten, dass sie dadurch das erste Mal gespürt haben, dass es nur um ihre Gefühle und ihre Wahrnehmung geht und dass sie, wenn sie sich genügend gesehen gefühlt haben, selber einen Ausweg gefunden haben. Ich habe in Anlehnung an diese Erfahrung die leise Ahnung, dass dein Sohn sich durch diese (ja absolut verständlichen) Veränderungswünsche der Erwachsenen nicht wertgeschätzt und verstanden fühlen könnte.

Das heißt nicht, dass sein aggressives oder dominantes Verhalten gut zu heißen ist. Es ist wichtig, das auch zu begrenzen und dazu deutlich Stellung zu beziehen. Es ist ein bisschen so: er wird wegen etwas wütend oder ist grundlegend vielleicht wegen etwas frustriert (das wird sicherlich tiefer gehende Gründe haben und kann in dieser Form hier nicht erörtert werden), aber dieses Gefühl ist in ihm da. Da kann er gar nichts tun.

Es ist eben vielleicht ein grundlegendes Gefühl, was ihn schon lange begleitet. Er zeigt hilflos seine Wut und dahinter gleichermaßen Verzweiflung. Er soll es verändern, um mehr gemocht zu werden. Dann hat er ja keine Chance mehr, dass er in diesem Gefühl (und den zu verstehenden Ursachen) wahrgenommen wird. Dieses narzisstisch- gierige Gebaren ist sozusagen ein Pflaster: ich brauche so viel, weil ich innerlich zu wenig habe. Das findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Ein inneres Loch wird durch Materielles ersetzt aus einer Sehnsucht, sich dann komplett zu fühlen. Das machen Erwachsene oft (z.B. rauchen, Drogen, Essen, Krempel etc.) aber eben auch Kinder. Es gibt diesen Ausspruch: needy baby, greedy baby.  Ob das bei deinem Sohn tatsächlich so ist, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht öffnet es für dich den Raum, da nochmal nachzusinnen.

Mein Eindruck ist, dass du dich sehr bemühst, alles gut und pädagogisch richtig zu machen und du dabei aber auch über deine Grenzen gehst. Du sagst, du spielst mit ihm eine Stunde, obwohl du dieses Spiel gar nicht magst. Dein Sohn hat Recht, wenn er sagt, dass ist ihm zu wenig, denn er spürt das. Er spürt, dass du nicht voll dabei bist und ihm zu Liebe etwas tust, was du nicht willst. Das ist etwas heikel: ein Gefühl der Allmacht kann so schnell entstehen. „Nur weil ich will, machen andere das“.

Das Tragische ist, dass es ja nicht befriedigend und verbindend ist, wenn ein Spielpartner gar nicht will. Somit liegt da eine Frustration im Raum, die dein Sohn durch längeres Spielen zu kompensieren versucht.Frustrationen gehören aber dazu und sind für das persönliche Wachstum auch wichtig. Es ist vollkommen ok, wenn du nicht dieses Spiel spielen willst. Vielleicht gibt es einen Kompromiss, ohne dass dein Sohn so über dich verfügt. Du darfst sagen, wenn du nicht willst. Das sind deine Grenzen und die stellvertretend für diejenigen „der Menschheit“ respektieren zu lernen, ist ein wichtiger Entwicklungsschritt.

Ich kann mir vorstellen, dass das für dich sehr schwer sein muss. Ich merke eine gewisse Enttäuschung darüber, dass irgendwie alles nicht fruchtet, obwohl du dich so bemühst. Vielleicht kannst du aber an der Stelle auch spüren, dass es manchmal gar nicht darum geht, immer alles richtig zu machen. Das ist eine große Herausforderung, gerade bei deinem belastenden Beruf.

Daher kann ich mir gut vorstellen, dass dein Sohn im Rahmen einer Spieltherapie neue Wege für sich finden kann. Es geht darum, dass er bestimmte bedürftige und frustriert- aggressive Anteile in sich integrieren kann. Er wird ja sicherlich bald eingeschult und es wäre ihm so sehr zu wünschen, dass er durch das Ausagieren dieser ganzen Gefühle in diesem sicheren und geschützten  therapeutischen Spiel eine befriedigendere Umgangsform mit sich und anderen entwickelt. Ein Therapeut*in kann in der begrenzten Zeit ganz anders mit dem Wahrgenommenen umgehen und darauf im Spiel reagieren als es für uns Eltern möglich ist. Denn ich bin mir an dem Punkt ziemlich sicher: er wird darunter auch leiden, dass er sich nicht anders mitteilen kann.

Was mir nun aber darüber hinaus auch noch in den Kopf gekommen ist: wie wird in der Familie eigentlich mit Frustration umgegangen? Mama und Papa sind ja wichtige Anker und Verortungshelfer. Welche Haltung hat wer: kaufe ich mir immer, was ich will? Verlange ich von Anderen, dass sie mir folgen, dass ich meine Bedürfnisse befriedigt bekomme oder wird da miteinander verhandelt? Was davon bekommt dein Kind mit? Wie ist die Beziehungsstruktur zwischen euch und auch mit anderen, wie zb. den Großeltern?

 

Hier findest du grundsätzliche Infos zur Therapie (analytisch oder tiefenpsychologisch): https://vakjp.de/dateien/eltern.html

Und hier sind Adressen. (Ambulanz bedeutet, dass es dort viele Therapeuten gibt)

https://vakjp.de/dateien/therapeutenliste.php

https://vakjp.de/dateien/institutsambulanzen.html

Ich wünsche euch alles Gute auf eurem Weg!

Madame FREUDig