Baby legt seine Hand in große Hand

Ein stabiles Urvertrauen herauszubilden, ist die erste Herausforderung des Lebens. Wenn ein Baby auf die Welt kommt, kann es nur auf seine Erfahrungen aus dem Mutterleib zurückgreifen. Seine innere Welt besteht aus dieser inneren Erfahrung und wird im Laufe des Lebens mit immer mehr neuen Erfahrungen angereichert.

Immer wieder höre ich eine gewisse, mich erschreckende Erwartungshaltung junger Eltern. Das Baby solle möglichst problemlos sein. Meist bedeutet das, dass das Baby wenig brauchen soll bzw. wenig von den Eltern fordern soll. Die Eltern wissen oftmals wenig davon, was das Baby aber gerade durchmacht und sind genervt vom vielen Stillen, Tragen und Quengeln. Dabei will das Baby nur Sicherheit, die ihm vor allem körperliche Nähe bietet. Das ganz kleine Baby quengelt und weint, um gehalten zu werden, weil es diese Sicherheit so nötig braucht. Die erste Herausforderung des Lebens ist die Ausbildung eines Vertrauens in das Gute und Hilfreiche im Gegenüber. Maßgeblich stoßen hinreichend gute Eltern durch ihr feinfühliges Reagieren die Entwicklung des Urvertrauens an.

Als Psychotherapeutin/ Psychoanalytikerin kommen viele Menschen zu mir, die kein hinreichend stabiles Urvertrauen ausbilden konnten. Durch die Mangelerfahrung des wirklichen emotionalen gehalten Werdens können sie, so tragisch das ist, meist nur einen unzureichenden sicheren Rahmen für ihr eigenes Baby bereitstellen.

Wie alles mit allem zusammenhängt, beschreibe ich im folgenden Text.

(In Kürze erscheint ein weiterer Artikel zur spezifischen Mutter- Baby- Beziehung in Abgrenzung zur Vater- Baby- Beziehung, der den vorliegenden Artikel ergänzt.)

Im Bauch bei Mama

Konnte sich das Baby im Bauch wohlfühlen, weil die Mutter schädliche Einflüsse fernhalten konnte, hat das Baby eine gute Chance, schon mit einer schönen Baucherfahrung geboren zu werden. Musste es aber z.B. durch Konsum schädigender Substanzen oder durch hohen mütterlichen Stress bisweilen sogar massive Unwohlsein ertragen, startet es in der Erwartung negativer Erfahrungen ins Leben.

Es ist gut vorstellbar, dass ein Baby besonders sensibel und schnell auf Stressoren reagiert, wenn es mit ihnen schon Erfahrungen hat. Schüttet die Mutter z.B. immer dann vermehrt das Stresshormon Cortisol aus, wenn z.B. der aufbrausende Vater in der Nähe ist und das Baby die Stimme hört, dann assoziiert dieses Baby womöglich die väterliche Stimme mit unguten Gefühlen. Diese Erfahrung nimmt es mit.

Es könnte also gut sein, dass das Baby auf bestimmte Reize der Außenwelt, die es aus dem Bauch kennt, nach der Geburt schon in negativer Erwartung reagiert. Möglich, dass dies ein weiterer Faktor ist, wenn es um die Entwicklung sogenannter Schreibabys geht. Riecht das Baby an den Möbeln und der Kleidung Zigarettenrauch, den es vom Mitrauchen im Bauch kennt, wird es sich vielleicht vermehrt unwohl fühlen. Deswegen ist es schon intrauterin so wichtig, dass die Mutter sich schützt, um ihr Baby zu schützen. Gelingt dies nicht hinreichend, ist sie in hohem Maße gestresst, übermäßig negativ affektiert, dann beeinflusst das das Baby ebenso.

Erfahrungen nach Babys Geburt: Urvertrauen entsteht

Ist das Baby geboren, sammelt es weitere Erfahrungen. Es eignet sich eine bestimmte Erwartungshaltung an, dadurch, dass es mit seinen Bezugspersonen Erlebnisse teilt. So merkt das weinende Baby schnell, ob sich jemand wirklich darum bemüht, dass es ihm gut geht. Reagiert eine Bezugsperson prompt, feinfühlig und angemessen auf die Bedürfnisse des Babys, dann erfährt das Kind Sicherheit. Gleichzeitig bildet sich innerlich eine sogenannte Repräsentanz oder auch eine Art inneres Arbeitsmodell (vgl. Bowlby) aus. Diese reale Erfahrung des umsorgt Seins wird zu einem Teil der inneren Welt. Diese innere Welt prägt mit allen gemachten Erfahrungen so nach und nach die Erwartung, die ein Baby und später auch der Erwachsene an seine Mitmenschen stellt.

Urvertrauen aufzubauen ist die primäre Herausforderung der Babyzeit. Dieses Urvertrauen ist die Basis eines gesunden Lebens. Es bedeutet, dass ein Baby die Erfahrung gemacht hat, dass es mit den vielen guten und unguten Gefühlen, die im Kontakt mit sich oder mit anderen entstehen, nicht alleine gelassen wird. Schon kleine Babys suchen je nach Stärke des emotionalen Bedrängnis und Verunsicherung den Blick oder den Körperkontakt zu den Bezugspersonen. Im Idealfall hat das Baby im Mutterleib die Mutter als so schützend erlebt, dass es sich nun schon vermehrt an sie wendet, weil es weiß, dass sie ihm helfen kann. Aus Babysicht kann vieles sehr erschreckend sein. Gefühle, wahrscheinlich anfänglich erstmal ganz undifferenziert nur entweder eher gut oder ungute, sind heftige innere Stürme. Das Baby weiß noch gar nicht, wie es darauf reagieren kann und braucht verlässliche Hilfen.

Woher kommt Babys Leiden?

Ist ein Baby beeinträchtigt, hat es körperliche Leiden, dann wird es eine größere Herausforderung sein, diesem Baby gerecht zu werden. Es braucht mehr und hat vielleicht trotzdem Schmerzen. Es ist wahnsinnig traurig für Eltern und auch das Baby, wenn es körperliche Leiden hat.  Das Bedürfnis sich gut zu fühlen, ist ja trotzdem da und oftmals gibt es keine Hilfe. Aber auch nicht wirklich beeinträchtigte Babys fühlen sich unwohl. Sie sind auf das Erkennen des Unwohlseins und im besten Fall der Quelle angewiesen. Eltern, die die Signale ihres Kindes gut verstehen, haben eine gute Chance, dass es dem Baby auch gut geht. Wenn das Baby aber eben beeinträchtigt ist, dann geht es um die Frage, wie kann man diesem leidenden Baby bestmöglich zur Seite stehen. Auch dieses Baby kann Urvertrauen ausbilden. Das Eltern- Kind- Paar hat es damit auf Grund der Belastungen auf allen Seiten nur wesentlich schwerer.

Sind die Eltern so überfordert oder anderweitig beschäftigt in z.B. intensiven und destruktiven Paarkonflikten, kann man manchmal beobachten, dass Kinder sich wenig an ihre Eltern wenden oder eben sehr fordernd werden. Beide Verhaltensweisen (oder auch alternierend) sind Lösungsversuche des Babys, um sich gehalten zu fühlen. Bin ich ganz laut, quengelig und weine, dann kommt wer. Oder auch: wenn ich ganz ruhig bin und meine seelischen oder/ und körperlichen Schmerzen runterschlucke, dann lächelt mich Mama/ Papa an und ich habe wenigstens ein bisschen Kontakt.

All diese Aspekte beeinflussen die Herausbildung des Urvertrauens, also der Gewissheit, sich an andere wenden zu können, die einen nicht allein lassen, ganz gleich wie man sich fühlt.

Beziehungsmuster und Erwartungen entstehen

Da diese Erfahrung in das Innere einsickert und eine Erwartungshaltung entsteht, bilden sich Beziehungsmuster heraus. Das Urvertrauen ist, würde ich behaupten, das erste mögliche Beziehungsmuster überhaupt, auf dem alles andere aufbaut. Andere, spätere Beziehungserfahrungen wie z.B. der hat die Kontrolle, wer muss wen unterwerfen, bauen darauf auf. Konnte ein Kind also kein hinreichend stabiles Urvertrauen herausbilden, wird es, sofern es nicht andere stabile Erfahrungen macht, in diesem basalen Vertrauen erschüttert bleiben. Problematisch ist das, weil alle weiteren entwicklungsbedingten Herausforderungen dann auch nicht gut durchlaufen werden können. Wenn das Fundament eines Hauses schlampig gebaut wurde und Risse hat, nützt auch ein großartiges Dach nicht viel. Es wird verhindern, dass der Regen einsickert, aber die Risse im Fundament bleiben eine potentielle Quelle, dass das ganze Haus einstürzt.

Was schützt?

Eltern, die nicht hinreichend an der Entstehung eines stabilen Urvertrauens mitwirken können, können trotzdem dafür Sorge tragen, dass andere festen und stabilen Bezugspersonen vorhanden sind. Wichtig ist, dass die Personen nicht wahllos und unberechenbar kommen und gehen. So ist die Kita, wenn eine gute Personaldecke und das Personal konstant wären (!), ein Ort, an dem mangelnde Erfahrungen kompensiert werden könnten.  Kann aber das Personal nicht auf diese Weise vorhanden und noch dazu emotional balanciert reagierend sein, dann verfestigt sich die Erfahrung des „es gibt eben keinen Halt und Hilfe für mich“ immer mehr.

In die oben beschriebene innere Repräsentanz/ Arbeitsmodell kann dann keine neue Erfahrung hinzukommen. Die Erwartung, dass Beziehungen eben so sind, wie sie immer erlebt wurden, kann sich nicht verändern.

Menschen beobachten andere und nehmen wahr, dass vielleicht der ein oder andere andere Beziehungserfahrungen macht. Eine Sehnsucht nach diesem Halt und geborgen Sein bildet sich aus und wird zeitlebens fast süchtig gesucht. Da aber die innere Erfahrung eine andere ist, suchen sich Menschen unbewusst meist Partner, die ihrer inneren Vorstellung entsprechen. Der Partner kann so z.B. zu einem äußerlichen Teil dieses kindlichen Selbst werden, der durch grobe Missachtung sich in der Beziehung nur unsicher fühlen kann. Dazu kommt es, wenn sich jemand stark mit den nicht haltenden Anteilen der Eltern identifiziert. Oder aber man selbst bleibt immer wieder Rolle des Kindes, was sich Partner sucht, die nicht halten können.

Freud folgend nennen wir dies den Wiederholungszwang. Denn das Skurile ist: diese nicht geborgene Partnerschaft gibt eine gewisse Sicherheit, weil sie bekannt ist. Neues verunsichert! Sich dieser unbewussten Prozesse bewusst zu werden, ist dann oftmals nötig, um den Kreislauf durchbrechen zu können.

Unbewusst suchen wir Menschen uns Partner, die uns bisweilen schaden, weil wir das so kennen. Ein schreckliches Dilemma.

Und wenn das Urvertrauen stark beschädigt ist?

Hier ist sozusagen ein Dreh- und Angelpunkt. Viele meiner Patienten kommen in Therapie, weil sie Symptome haben, hinter denen sich (fast) immer zwischenmenschliche Probleme verbergen. Oftmals sind diese Probleme aber unbewusst. Es bedarf Zeit, um diese Zusammenhänge für den Patienten fühlbar werden zu lassen. Je schlechter der Zugang zur eigenen Emotionalität ist, desto schwieriger und langwieriger ist so ein Prozess. Denn es geht nicht primär darum, diese Zusammenhänge rational zu verstehen, sondern es geht darum, endlich zu fühlen und das auszuhalten. Für solche Prozesse bietet sich die Psychoanalyse an, weil durch die hohe Frequenz und hohe Gesamtstundenzahlt ein Nachholen möglich ist.

Durch die Erfahrung und das bewusst Werden über die Beziehungen zum Psychoanalytiker*In und das Zulassen der Nähe, kann die frühe Erfahrung des nicht gehalten Werdens durch die Erfahrung der eigenen emotionalen Bedeutsamkeit ergänzt werden. Die andere Erfahrung ist deswegen nicht weg. Durch die neue Erfahrung ist man künftig aber vielleicht besser in der Lage, erfüllende und gleichwertige Beziehungen zu sich selbst und zu anderen herzustellen.

Madame FREUDig

Über Kommentare freue ich mich immer! Hier geklickt werdet ihr bei Facebook über neue Artikel und psycholgische Erkenntnisse auf dem Laufenden gehalten

Es gibt hier die Möglichkeit, unseren monatlich erscheinenden Newsletter zu abonnieren. Ihr könnt uns dann eine Mail schicken und konkrete Fragen, die euch bezüglich eurer Kinder beschäftigen, stellen, die ich aus psychologischer/ psychotherapeutischer Sicht im Newsletter aufgreifen werde.

Urvertrauen: wie die Erfahrung als Baby das ganze Leben prägt. Bild: Babyhand auf Erwachsenenhand | Terrorpüppi | Reflektiert, bedürfnisorientiert, gleichberechtigt

Weiterführende Texte zur Bindung und zur Regulation von Babys:

Meine Texte:

Eine sichere Bindung (auch bei der Eingewöhnung): was brauchen die unterschiedlichen Bindungstypen?

Babys Weinen begleiten: Warum Fremdregulation so wichtig ist

Jessi hat einen persönlicheren Text zum Urvertrauen mit etwas anderem, ergänzenden Blickwinkel hier geschrieben:

Urvertrauen. Was ist das und wie entwickelt es sich?