Im Rahmen der Ausstrahlung der Doku „Elternschule“ möchte ich einen kurzen Denkanstoß zum Phänomen bedingungsloser Folgsamkeit, Strenge oder auch großer Laschheit geben. Meiner Meinung nach ist für niemanden etwas gewonnen, wenn die verändernden Prozesse nicht reflektiert und in ihrer Bedeutung verstanden werden.

Der Film soll, so habe ich von verschiedenen Fachverbänden gelesen, als Anstoß zur Diskussion gesehen werden. Ich möchte gerne einen von vielen Aspekten aufgreifen und etwas vertiefen.

 

Hilflose Eltern treffen auf die erhabene Elternschule

Verunsicherte, überforderte Eltern symptomatischer Kinder stoßen auf ein therapeutisch scheinbar erhabenes Team, das sich als „die letzte Rettung“ versteht. Nach dutzenden gescheiterten Therapieversuchen bringt die Gelsenkirchener Klinik den Eltern eine Chance auf Heilung. Dass diese Heilung auf Konditionierung, Gewöhnung und Training basiert, nehmen die Eltern in Erwartung der Besserung in Kauf. Der Zweck heiligt die Mittel und so lange die Kinder so funktionieren, dass sie wieder liebbar werden, ist das Ziel der dann zufriedenen Therapeuten und der geplagten Eltern erreicht. Wer möchte sein Kind denn nicht lieben können? Wer kann sich seine Liebe bewahren, wenn das eigene Kind so richtig zum  Kotzen ist?

Ursachen sind im Fehlverhalten schnell ausgemacht. Keine klaren Grenzen und Ansagen. Ich halte das im Kern bei einigen Eltern auch für problematisch, aber dass Grenzen nicht gesetzt und verteidigt werden können, hat Ursachen. Meinem analytisch geprägten Verständnis nach müssen diese Ursachen verstanden und bearbeitet werden. Anstatt sich mit der tiefen Verunsicherung auseinanderzusetzen, hilft die Anwendung der Methoden, ohne jedoch die Ursachen anzugehen. Es kommt zur Fortführung der ursprünglichen Verunsicherung mit anderen Mitteln.

Im Leben folgt alles einer dialektischen Ausrichtung. Wo es z.B. Unterwerfung gibt, gibt es auch Macht. Wo es Abhängigkeit gibt, gibt es auch Autonomie. Gesund ist, sich ausgewogen in der Mitte zu bewegen und eben nicht zu spalten.

 

Innere Lasten

Viele Menschen fühlen sich bewusst oder unbewusst in ihrem Sein bedeutungslos und unsicher in ihrem Wert. Mit Elternschaft oder auch als Tätige im entsprechenden Bereich ergibt sich die Chance, um sich wertvoll zu fühlen.

Eigene, tiefe und oft verborgene Gefühle der Kleinheit können nun scheinbar durch Kontrolle und/ oder Strenge kompensiert werden. Das bei einem Kind/ Patienten unbewusst umzusetzen, bietet sich auf Grund dessen Unterlegenheit an. Das Kind ist in seiner Bedürftigkeit auf die Pflegepersonen und deren Zuspruch, Anerkennung und Liebe angewiesen. Das Kind ist damit das ideale Werkzeug, um eigenen, meist nicht einmal aussprechbaren Schmerz, zu binden.

Nur ist genau dieser Umgang psychischer Missbrauch, der oft mit ursächlich für diverse psychische Störungen ist.  Diese so geartete Bedürftigkeit der Eltern entsteht durch eigene entsprechende Erfahrungen, die das Selbstbild und den Selbstwert geprägt haben. Mit übermäßiger Kontrolle des Umfeldes kann man sich, so die Hoffnung, Sicherheit schaffen, um sich nicht klein und hilflos zu fühlen. Welch ein Drama, wenn man dann plötzlich vor einem aufmüpfigen Kleinkind steht, dass sich zu nichts bewegen lässt. Und das nicht etwa deshalb, weil es schwer gestört ist, sondern weil es sich beweisen und autonom werden möchte.

Der verletzte Selbstwert

Es gibt Auseinandersetzungen um Alltägliches, wobei gleichzeitig nonverbal das verletzte Selbstwertgefühl der Eltern verhandelt wird. In diesem Sinne bedürftige Eltern brauchen das Kind und andere Menschen, um sich liebenswert zu fühlen. Das mag für viele eine schmerzhafte Erkenntnis beinhalten. Denn oftmals geht ja dieses innere Drama mit fürsorglichem und auch scheinbar altruistischem Verhalten einher.

Um aus einem missbräuchlichen fürsorglichen Verhalten echte Fürsorge zu machen, muss man sich seiner eigenen Wunden bewusst werden.

Hinter besonderer Strenge oder auch ausgeprägter Laschheit verbirgt sich oft viel mehr. Ändert man nur sein Verhalten, ohne nachzuspüren, worum es eigentlich (unbewusst) geht, dann ist die Grundstörung nicht genesen.

Ich denke, die allermeisten Eltern treten ihre Elternschaft an und wollen es gut machen. Sie wollen für ihr Kind da sein, wollen es lieben. Oftmals kommt dann aber das Eigene störend dazwischen, weil es unverstanden und oft unerhört im Keller des Selbst verborgen ist.

Was brauchen Kinder

Ohne Frage brauchen Kinder eine klare und verlässliche äußere Struktur, damit sich auch innerlich eine klare Struktur etablieren kann. Durch diese Sicherheit und einen Rahmen kann Kreativität entstehen, weil rahmenloses Miteinander zu Konfusion führen kann. Ein gelassener Umgang kann nur entstehen, wenn wir unseren Rahmen kennen und unseren Rahmen schützen. Verlässliche Grenzen zwischen dem Ich und dem Du sind deswegen notwendig, genauso wie eine liebevolle Zuwendung und Hinwendung und Anerkennung. Ebenso gilt es die Erfahrung zu machen, dass nicht alle Bedürfnisse immer sofort befriedigt werden können und dass man nicht jedem Impuls folgen muss- Stichwort Frustrationstoleranz. Ein Kind darin zu unterstützen, genau diese Kompetenzen herauszubilden, ist die elterliche Aufgabe, Hand in Hand mit den Einrichtungen der (frühen) Bildung.

Ein Kind muss Kind sein dürfen und sich gewiss sein, dass Eltern/ Betreuer immer mindestens ein Stück stabiler sind als sie selbst.  Andernfalls droht äußeres und, was oftmals viel schlimmer ist, inneres Chaos. Das hinterlässt ein Gefühl tiefer Haltlosigkeit.

Das Ziel jeder Erziehung sollte es sein, das Kind zu einem psychisch stabilen Menschen gedeihen zu lassen, der die Vielfalt seiner Gefühle wahrnehmen, sie genießen und aushalten kann, ohne sich oder anderen damit zu schaden. Letztlich: dieses Kind liebesfähig zu machen und sowohl vor sich als auch anderen Respekt zu haben.

Gehorsam bringt folgsame, vielleicht sogar auch dankbare Kinder hervor. Wahrhaftig liebesfähig jedoch?Wenn wir Kinder dazu erziehen, uns bedingungslos zu gehorchen, dann dient das einem Zweck. Was ist der Sinn hinter diesem Wunsch nach Gehorsamkeit? Wozu brauchen wir gehorsame Kinder, gehorsame Erwachsene?

 

Madame FREUDig

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