Täglich scheitern und trotzdem irgendwie vorankommen. Meine Strategie tagein tagaus ist letztlich ein stetiges „sich durchwurschteln“. In allen Lebensbereichen warten so dermaßen hohe Ansprüche auf mich, dass ich am Ende des Tages eine ellenlange Liste schreiben kann, was ich alles nicht geschafft habe.

Allerdings mache ich mir bewusst auch die Mühe, die Liste meiner täglichen Erfolge gegenzurechnen. Letztgenannte Liste ist in letzter Zeit deutlich länger geworden. Das sage ich mit einem gewissen Stolz, aber zugleich auch mit einer gewissen Furcht. Durchwurschteln und Optimieren – das passt eigentlich nicht. Trotz aller Euphorie (Yeah, was ich schon wieder geschafft habe!), trotz aller in Gang gesetzter Zwänge (Nun habe ich schließlich gesagt, dass ich das mache!) und der Wertschätzung durch Dritte (Krass, wann machst du das nur?), höre ich da immer mal wieder ein leises Stimmchen in mir, das fragt: Wie lange willst du das eigentlich so durchhalten und auf wessen Kosten schaffst du das?

Täglich scheitern – Das hab ich doch schon mal gehört

Wo hab ich dieses Phrase des täglichen Scheiterns nur aufgeschnappt. In meinem Kopf spukt sie jedenfalls schon länger umher. Von dem Buch „Mamas & Papas: Wie wir täglich fröhlich scheitern“ * von Susanne Leinemann und Hajo Schumacher schon mal nicht. Von dem Buch habe ich gerade zum ersten Mal gehört. Falls du es zufällig kennst und gelesen hast, schreib doch gerne eine kleine Rezension unter diesen Beitrag. Auf meine persönliche Leseliste jedenfalls schafft es dieses Buch gerade nicht. Ich würde ja doch daran scheitern, es tatsächlich zu lesen. Der Stapel an ungelesenen Büchern in meinem Schlafzimmer ist schon hoch genug. Zwischendurch bitten mich sogar Architekten aus Pisa um Statiktipps.

Ständig ist von Scheitern die Rede…

Aber ich schweife ab. Was wiederum typisch ist für dieses tägliche Scheitern. Tausend Sachen muss ich jeden Tag im Kopf haben. Mein Mental Load ist konstant hoch und das, OBWOHL oder TROTZDEM ich Teil einer gleichberechtigten Partnerschaft bin (Ich grüße an dieser Stelle „Das Nuf Advanced“ !).  Ein Blick in die Google Suchergebnisse verrät mir schließlich, dass wir offenbar alle täglich an so ziemlich allem scheitern. Zum Beispiel am Weltfrieden. Aber da handelt es sich ja eher um ein generelles Totalversagen. Wenn ich vom täglichen Scheitern spreche, dann meine ich nicht das „große Versagen“ als das Scheitern an der Erfüllung von Lebenszielen. Nein, ich spreche von den vielen kleinen Zwischenzielen. Von den kleinen Etappen. Um das Große zu erreichen, müssen wir im Kleinen ja viel erreichen.

Schattenseiten

Offenbar kann man dabei „vorwärts scheitern“, „glücklich scheitern“, ja sogar „erfolgreich scheitern“. Oder eben doch einfach nur scheitern. Bei letzterem allerdings muss man natürlich wieder aufstehen, sich beraten lassen, es nächstes Mal besser machen, aus dem Scheitern lernen. Am Ende sollen, wollen, müssen wir ja schließlich Leistung bringen. Wer hier eine gewisse Ironie entdeckt, der findet sie zurecht. Unsere Welt ist so voller Widersprüche und die vermeintlichen Lösungen lassen meine tägliche Liste des Scheiterns eher anwachsen denn sie zu schrumpfen. Aber ich scheitere jetzt wenigstens achtsamer. Oder gut gedetoxt.

Das Durchwurschteln optimieren

Leistung. Da kommen wir ja auch schon zu dem, was mir vermutlich die Bauchschmerzen bereitet. Trotz des täglichen Scheiterns schaffe ich ja auch verdammt viel. Ich scheitere also doch erstaunlich erfolgreich. Meistens jedenfalls. In Momenten, in denen diese kritische Stimme in mir lauter wird, frage ich mich allerdings: Scheitere ich eigentlich weniger, nur weil ich so viel (mehr) schaffe?

Meine Befürchtung: Ich scheitere gerade nicht wirklich weniger, sondern ich optimiere einfach nur meine Durchwurschtel-Strategien. Die Optimierungseffekte fressen dann allerdings sich selbst. Ich halte parallel nämlich meine eigenen Erwartungshaltungen konstant hoch und speise stetig neue Zielsetzungen in mein System ein. Es nimmt kein Ende. Mein persönlicher Ehrgeiz tut sein übriges.

Täglich scheitern bedeutet auch: Chaos auf dem Tisch - Zwischen Spielzeug und Basteleien am Laptop arbeiten

Gesund und glücklich scheitern?

Kann das denn auf Dauer gesund sein? Macht mich das wirklich glücklich? Keine Ahnung, ich sehe schlicht gegenüber dem täglichen Durchwurschteln keine Alternative. Ich strebe ja schließlich nicht mal Perfektion an. Mein Haushalt ist ebenso weit entfernt von einer Marie Kondo-Wohnung mit sterilen Reinlichkeitsansprüchen, wie meine Erwartungen an meine Elternschaft dogmatisch sind. So essen die Kinder auch Chips und Schokolade, während ich sie vor den Fernseher setze, um wenigstens das gröbste Chaos zu beseitigen. Mich plagt kein schlechtes Gewissen, wenn ich statt selbst zu kochen, einfach auch mal was bestelle. In vielerlei Hinsicht bin ich sehr pragmatisch. Die pragmatischen Lösungen sind es ja schließlich auch, die mich mein Durchwurschteln so gut optimieren lassen. Das Nötigste ist dann in der Regel am Ende des Tages geschafft.

Verinnerlichte Erwartungshaltung

Unglücklicherweise stehen manchmal auf der Scheitern-Seite dann Punkte, die wirklich schmerzen. Wenn es meine Kinder, mein Mann, meine Freunde sind, ist dies um so gravierender. Sie dürfen nicht permanent, auch nicht zu oft und auch nicht mit gewichtigen Punkten auf der Scheitern-Liste landen. Es geht schließlich nicht um diesen einen Tag, sondern um die Summe meiner Tage. Doch wie schafft man in diesem täglichen Hamsterrad zwischendurch den Ausstieg, um die eigene Situation zu reflektieren und zu bewerten? Schließlich wäre es doch ratsam, eine mögliche Schieflage rechtzeitig zu bemerken. Rechtzeitig – was immer das dann auch bedeutet.

Was sollte ich denn auch streichen?

Erstaunlicherweise – obwohl, so richtig erstaunt es mich nicht – sind es viel weniger die Erwartungen von außen, die mich treiben. Es sind meine eigenen Erwartungen, meine Wünsche, Hoffnungen, Interessen und auch meine Gefühle, die mir kaum eine Pause verschaffen. Früher konnte ich besser abschalten. Häufiger einfach nur rumgammeln. Nichts tun. Ich weiß um so viele Möglichkeiten da draußen und ich will, salopp gesagt, möglichst viel davon mitnehmen. Wirklich entspannt würde es ja doch nur werden, wenn ich einem Lebensbereich radikaler aus meinem relevanten Lebensalltag entfernen würde.

Dass viele Menschen – in der Regel Frauen – dann auf Teilzeit runterfahren oder gar den Berufsausstieg wählen, wundert mich unter diesem Blickwinkel kaum. Nun arbeiten mein Mann und ich aber schon beide nicht 40 Stunden die Woche, sondern er Teilzeit und ich mit 30 Stunden vollzeitnah (Ich bin nicht in der Teilzeitfalle gefangen… aber!). Den Beruf in meinem Falle noch weiter zurückzustellen, würde bedeuten, jegliche Karriereambitionen auf unbestimmte Zeit auf Eis zu legen – und nicht nur die. Ich müsste dann auch in Jobs ausweichen, die nicht halb so interessant und erfüllend sind, wie meine derzeitigen Tätigkeiten. Ich will mich aber beruflich entwickeln und ich will dabei Spaß haben.

Ich will aber…

  • auch meine Freundschaften pflegen
  • vor allem meine Familie nicht nur eine Stunde vor dem Schlafengehen und am Wochenende zwischen den offenen To Dos sehen
  • Zeit für mich selbst
  • und ich will Zeit für meine romantische Liebe.

Ich will all das und genau das habe ich so dermaßen verinnerlicht, dass Durchwurschteln und immer neue Vereinbarkeitsstrategien entwerfen, der einzige Weg erscheint. Der Tag wird ja nicht plötzlich mehr Stunden haben – und ich werde wohl nicht weniger von meinem Leben wollen. So sind es also zwar vor allem meine eigenen Erwartungen, die mich grundsätzlich antreiben. Aber im Alltag kommen natürlich noch unzählige von außen an mich gestellte Erwartungen hinzu. Denn Familie, Partnerschaft, Freundschaft haben allein bedeutet, wechselseitig einander verpflichtet zu sein. Damit sind immer Erwartungen verbunden. Ebenso dreht sich beruflich ja gerade nicht alles um meine Person, sondern Chef*innen, Kolleg*innen oder Partner*innen haben da alle ebenso ihre Vorstellungen und Ansprüche. Es ist kompliziert und es bleibt kompliziert.

Warum tue ich mir das nur an?

Obwohl ich all das so sehr möchte, stelle ich mir immer wieder diese Frage: Warum tue ich mir das nur an? Und ich gebe mir jeden Tag eine andere Antwort. Gelegentlich komme ich auch mehrmals täglich zu anderen Antworten. Manchmal kommen dabei natürlich Selbstzweifel, ob das überhaupt so richtig ist – ob ich nicht irgendwann den Preis dafür zahle, Tag für Tag zu schuften. Reichen die Pausen, die ich mir nehme, letzten Endes aus? Setze ich die richtigen Prioritäten?

Zweifel sind natürlich unangenehm, aber ich glaube, sie sind gut. Sie lassen mich immer mal wieder inne halten. Sie erinnern mich daran, kritisch mit mir und meinen Entscheidungen zu sein. Die Frage „Warum tue ich mir das an?“ hat eine wichtige Korrektivfunktion. Sie nervt aber auch, weil sie mich daran erinnert, dass nichts von dem, was ich tagtäglich leiste, einfach ist. Alles ist so verdammt anstrengend.

mit vorweihnachtlichen Grüßen

Jessi

Pinterest-Pin: Kleiner Junge läuft vom Betrachter weg, Darüber ist der Text gelegt "Täglich scheitern. Vom erfolgreichen Durchwurschteln?