Mädchen meditiert

Selbstregulation ist eine fundamentale strukturelle psychische Fähigkeit. Wenn man sich selber reguliert, heißt das, dass die eigenen Gefühle gut im Inneren ausgehalten werden können, ohne im Außen durchzubrechen. Die Gefühle werden bestenfalls so reguliert, dass sie nicht lähmend oder übermäßig ängstigend sind. Die Fähigkeit zur Selbstregulation steht im Zusammenhang mit Frustrationstoleranz und Impulskontrolle. Alle diese Fähigkeiten entwickeln sich im Rahmen einer stabilen Beziehungserfahrung. Dabei spielt zum Lebensbeginn die Co- Regulation der Gefühle des Babys durch die Eltern oder anderen stete Bezugspersonen eine große Rolle. Co- Regulation bedeutet, dass von außen die Gefühle eines anderen mit reguliert werden. Im Laufe der kindlichen Entwicklung nimmt die Intensität der Co- Regulation bestenfalls stetig ab, so dass das Kind die Chance hat, sich selber immer mehr zu regulieren. Die Selbstregulation muss nicht grundsätzlich schwierig sein, sondern kann sich auf bestimmte Gefühle beschränken.

Basis: stete und verlässliche Bindungserfahrung

Eine sichere Bindung entsteht durch ein promptes, adäquates und feinfühliges Reagieren der primären Bezugspersonen eines Babys auf seine Bedürfnisse. Dabei sind die Bedürfnisse nach körperlichem Wohlbefinden ebenso wichtig wie die Bedürfnisse nach Bindung. Wir wissen aus der Bindungsforschung, dass die rein technische und korrekte körperliche Versorgung eines Babys nicht ausreicht. Zärtliche Zuneigung und körperliche Nähe sind ebenso notwendig, damit eine sichere Bindung entsteht. Dafür ist die zeitnahe Beantwortung der Bedürfnisse des Babys notwendig. So erfährt das Baby nämlich, dass es einen Weg gibt, um sein Unwohlsein zu mindern. Davon weiß es am Anfang nichts.

Es spürt nur ziemlich heftig, dass es sich unwohl fühlt, wenn es Hunger oder die Windel voll hat. Es spürt Schmerzen als etwas Fürchterliches, denn es weiß noch nicht, was das ist. Das Baby ist von seinen Gefühlen überflutet. Es hat noch kein inneres System von Einordnung. Das entsteht erst mit der Zeit und meiner Meinung nach, ist in den meisten Fällen das massive Schreien in den ersten Lebensmonaten darauf zurückzuführen. Mit der Erfahrung, dass es verlässliche Linderung erfährt kommt es zu einer wichtigen Entdeckung. Das Baby entwickelt eine Idee davon, dass man das, was in einem vorgeht, verstehen und gut beantworten kann.

Trotz dieser Aussage, prompt zu reagieren, ist es aber auch wichtig, dem Baby die Möglichkeit zu geben, sich selber zu regulieren. Auch ein Baby kommt schon mit gewissen Kompetenzen auf die Welt. Es ist in der Lage, wechselseitige Interaktionen einzugehen, sie zu initiieren und auf Interaktionsangebote einzugehen.

Entsprechend des Entwicklungsstands reagieren

Je nach Entwicklung und Reife eines Kindes reagiert man bestenfalls unterschiedlich. Ein kleines Baby braucht eine andere Hinwendung und Co- Regulation als ein zweijähriges oder gar ein vierjähriges Kind. Natürlich gibt es Umstände, die vorübergehend dazu führen, dass die Selbstregulationsfähigkeit einbricht. So können eine zu große Reizüberflutung, psychische Belastungen in der Familie, Krankheit etc. dazu führen, dass die Selbstregulation leidet.

Weint ein kleines Baby, ist es notwendig zu reagieren und sich ihm zuzuwenden. Je älter ein Kind wird, desto weniger stark muss die Reaktion sein. Es geht immer um eine angemessene Reaktion der Eltern im Verhältnis zur aktuellen „Not“ des Babys oder Kindes. Brüllt ein Baby vor Schmerz, dann ist es natürlich unabdingbar sofort zu reagieren und schmerzstillende Maßnahmen vorzunehmen. Quengelt oder ningelt ein Baby, kann man ihm ein bisschen Zeit geben, sich selbst zu regulieren. Es müsste also nicht sofort hochgenommen werden, sondern man könnte sich dem Baby zuwenden und erstmal beobachten, was eventuell für Unzufriedenheit sorgt. Ist dem Baby langweilig? Ihm etwas Interessantes anzubieten und ihm dann den Raum zu geben, das zu untersuchen, wäre z.B. im Bezug auf den Aufbau von Selbstregulation durchaus sinnvoll.

Aber auch wenn ein etwas älteres Baby moderat weint, kann Trost oder Beruhigung zunächst über zugewandtes und beruhigendes Sprechen, Hand auf den Rücken legen, beruhigendes Singen etc. versucht werden. Sowohl Stillen als auch die Gabe eines Fläschens sind keine geeigneten Beruhigungsmaßnahmen, sofern das Baby nicht Hunger hat. Die fatalen Folgen, wenn Nahrungsaufnahme zur Beruhigung eingesetzt werden, sind den meisten wahrscheinlich sehr vertraut.

Mit einem Kindergartenkind kann man durch Spiegeln der Gefühle (versprachlichen der Gefühle) erstmal Raum schaffen und vielleicht Ideen zur Lösung anbieten. Die Reaktion muss nun nicht mehr im Handeln liegen, sondern eine sprachliche Anteilnahme kann schon genügen.

 

Durch Identifikation lernen, wie Selbstregulation geht

Egal, in welchem Alter, erfahren Menschen, was ihnen gut tut. Niemand hält uns davon ab, dass wir uns dieses Gute selber auch aneignen. Ein Kind erlebt ebenfalls, dass ihm das Summen oder kuscheln gut tun.  Man kann das Kind ermuntern, das für sich selbst auch zu tun. Einige Kinder tun das auch ganz automatisch.

Entscheidend ist die Beobachtung, ob die Selbstregulation gelingt oder dann eventuell doch noch Fremdregulation notwendig ist.  Wenn es darum geht, Selbstberuhigung auszubilden, dann muss ein Kind die Möglichkeit dazu bekommen. Es wird sich nicht verlassen fühlen, nur weil es nicht sofort hochgenommen wird, sondern erstmal sachte, anteilnehmend begleitet wird. Dazu ist natürlich auch auf Seite der Eltern ein großer innerer Raum und Gelassenheit notwendig. Manchmal irritiert das Quengeln eines Babys und es soll schnell damit aufhören. Dieser Wunsch, dass es schnell aufhört, steht der Ausbildung der Selbstberuhigung aber entgegen.

Auf Elternseite ist ein gutes Gespür für die Dialektik des sich Einbringens oder gewähren Lassens wichtig. Oftmals hilft hier ergänzend auch Wissen darüber, wann Kinder bestimmte Fähigkeiten „normalerweise“ entwickeln. Sind bestimmte Fähigkeiten nicht entwickelt, dann kann dies einen Hinweis geben, wo man das Kind in seiner psychischen Entwicklung unterstützen kann.

Störung der Selbstregulation

Die Entwicklung der Selbstregulation kann sowohl durch eine Unter- als auch durch Überregulation gestört werden.

 

Unterregulation

Sind die relevanten Bezugspersonen nicht kompetent genug, was die Wahrnehmung der Bedürfnisse betrifft, wird das Kind keine adäquate und verlässliche Regulation erleben. Es wird mit seinen starken Affekten zu sehr alleine gelassen. Wie oben beschrieben, sind die anfänglichen Erlebnisse eines kleinen Babys diffus und nicht greifbar, weil das Baby eben noch keine Zuordnung treffen kann. Jede Störung des Gleichgewichts fühlt sich daher förmlich existenzbedrohend an. Hat ein Baby überwiegend diese Erfahrung gemacht, dass es nicht ausreichend co- reguliert wurde, hat es nicht verinnerlicht, was ihm hilft. Die Psyche reagiert dann mit sogenannten Abwehrmechanismen, um ein psychisches Desaster zu verhindern. Besonders relevant sind dabei Dissoziationen, was man sich als Art wegdriften vorstellen kann. Das Baby, respektive der Erwachsene, wirkt wie weg, ganz ruhig. Der Blick ist unter Umständen starr. Dass ein Baby z.B. einschläft, wenn es alleine schreien gelassen wird, ist unter Anderem mit diesem Phänomen zu erklären.

Ein älteres Kind, was selten eine gute Regulation von außen verinnerlicht hat, wirkt unter Umständen gehemmt. Es kann sein, dass diese Hemmung von gelegentlichen Ausrastern begleitet wird, in denen das Kind wie von Sinnen wirkt. Kleinigkeiten können reichen.

 

Überregulation

Überregulierende Eltern meinen es meistens sehr gut. Sie möchten um jeden Preis vermeiden, dass ihr Kind unter irgendetwas leidet. Daher reagieren sie wahnsinnig schnell auf die wahrgenommene Störung des Kindes. Das Kind verinnerlicht, dass es Hilfe gibt. Diese Hilfe wird aber immer als von außen kommend erlebt. Eigene Impulse können so ausgebremst werden. Werden Frustrationen vermieden oder aber auch immer sehr intensiv beantwortet, dann lebt das Kind in der Illusion einer perfekt auf ihn abgestimmten Welt.

Dieses Bild der Welt wird aber mit Kontakt zu anderen Mitmenschen jäh erschüttert. Das Kind ist nun seinen Affekten ausgeliefert und erlebt eine große Enttäuschung, wenn niemand auf ihn reagiert. Das kann dazu führen, dass die Welt als ohnehin enttäuschender Ort abgespeichert wird. Folge kann sein, dass die Eltern nicht losgelassen werden können und nur bei den Eltern eine gute und responsive Umwelt erwartet wird. Diese verhinderte Entwicklung der Auotnomie ist tragisch, da die Kinder an sich so viel Gutes mitbekommen haben, dieses Gute aber eben nicht in die Welt weitertragen, sondern stattdessen in einem goldenen Käfig bleiben.

 

Fazit

Um eine gute Fähigkeit der Selbstregulation auszubilden braucht es hinreichend gut wahrnehmende und antwortende Bezugspersonen, die dem Kind alters- und entwicklungsentsprechend begegnen. Dabei ist sowohl ein permanentes Unter-, aber auch Überregulieren entwicklungshemmend. Die Fähigkeit, sich selbst zu regulieren, kann grundsätzlicher Natur sein, aber auch nur bestimmte Affektbereiche beinhalten. So ist es möglich, dass die Eltern zb. aggressive Gefühle des Kindes nicht gut aushalten und co- regulieren können, andere Gefühle wie Trauer oder Ohmacht hingegen aber schon. Störungen der Selbstregulation sind daher stärker, je mehr Gefühlsbereiche betroffen sind.

 

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Madame FREUDig

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