Es war nun also soweit. Das erste Mal auf Dienstreise. 5 1/2 Tage. Die Püppi allein zu Haus. Na gut, mit ihrem Papa – ganz so wie dem Kevin erging es ihr dann doch nicht allein zu Haus. Man liest ja immer überall, dass man als (gute?) Mutter bei einer Trennung von ihren Kindern die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen hat und sein Kind unentwegt vermisst. Wird mir zumindest so suggeriert.

Ehrlich gesagt, habe ich die meiste Zeit für das Vermissen gar keine Zeit gehabt. Ich habe auf der Konferenz Vorträgen gelauscht, habe diskutiert, habe in den Pausen bzw. vor und nach den offiziellen Terminen einen kleine Berg Arbeit abgearbeitet. Und zur Entspanung habe ich mir mehr oder weniger erfolgreich das Häkeln beigebracht. Klar hab ich auch oft an meine Tochter gedacht, aber ich wusste auch, dass sie es gut hat zu Hause bei ihrem Papa. Natürlich gab es auch wehmütige Momente, doch habe ich die ruhigen Abende in meinem Hotelzimmer auch einfach genossen. Habe es genossen, ohne Störung durchschlafen zu können und dann ganz in Ruihe aufzustehen, Kaffee zu trinken und zu frühstücken. So ganz allein mit einer Zeitung in der Hand und diese Stille um einen herum. Ein schlechtes Gewissen hatte ich dabei nicht, warum auch?

Besonders bezeichnend fand ich die Rückfahrt, bei sich eine Frau im Alter meiner Mutter zu mir setzte (und wirklich so gar nichts von ihr hatte). Schon in der Begrüßung sprach sie von einer Schicksalsgemeinschaft. Sie war der Archetyp der konservativen Hausfrau und Mutter – und ich in ihren Augen wohl das genaue Gegenteil. Es handelte sich um ein nicht enden wollendes Gespräch (man ist ja höflich, antwortet kurz, nickt zumindest zwischendurch und gibt ‚hmms‘ ab).

Und wenn Sie auf Dienstreise sind, wo ist dann ihr Kind?
– „Beim Papa“.

Aha [längere Pause]. Ach bin ich froh, dass ich einen konservativen Mann gefunden habe, der mir die Möglichkeit gegeben hat, nicht arbeiten zu müssen. Schlimm, dass die Frauen heute dazu gezwungen sind arbeiten zu gehen.

Auf der Fahrt erfuhr ich viel vom schönen Land Brandenburg; noch mehr von bösen Politikern, die manchernorts den Eltern doch tatsächlich untersagen, ihre Kinder mit dem SUV bis ins Klassenzimmer zu bringen; von einsamen Abenden zu Hause, weil die Kinder längst flügge und der Mann immer noch so viel arbeitet, dass man ihn kaum sieht; von dem Wunsch nach einem Hund; viel von ihren Kindern und deren Studienerfahrungen und immer wieder, wie toll es doch gewesen sei, zu Hause bei den Kindern geblieben zu sein.

Ich habe wirklich nichts gegen dieses Lebensmodell, auch wenn es definitiv nicht meine Vorstellung von Leben ist. Aber wieso bin ich das Gefühl nicht losgeworden, dass meine Entscheidungen immer wieder in Zweifel gezogen worden sind? Als ich mir diese Frage zum wiederholten Male stellte, entschied ich mich dagegen, mich vor einer Wildfremden zu rechtfertigen (warum auch?!) und schnappte mir meine Kopfhörer, stöpselte sie an mein Tablet und schaute eine besonders „ereignisreiche“ Mystery-Serie – vermutlich sehr zur Freude meiner Sitznachbarin.

Zu Hause dann viel zu früh angekommen – weil ich es am letzten Tag doch nicht mehr erwarten konnte, nach Hause zu kommen – konnte ich schließlich Erstaunliches beobachten: Es waren nur 5 1/2 Tage und plötzlich bekommt man Küsse zugeworfen und das Kind steht mehrere Sekunden frei. Ja, den ersten Luftkuss und das erste Mal frei stehen habe ich verpasst, aber meine Freude darüber war aufgrund des großen Sprunges in nur wenigen Tagen umso größer. Ich habe ein wirklich großartiges Kind – ohne Wenn und Aber: Ein Kind, dass auch ohne Helikopter-Mama lernt allein zu stehen und dass auch ohne meine lückenlose Obhut viel Liebe zu geben hat.