Blogreihe: Familienleben zwischen Beruf und Berufung 
 
Heute darf ich euch in meiner Vereinbarkeitsreihe ein tolles Interview mit Juliane präsentieren. Juliane ist nicht nur eine waschechte Berlinerin, sondern auch auf der Suche nach einem alternativen Betreuungsmodell, um Beruf und Familie auf eine andere Art und Weise als häufig üblich miteinander zu vereinbaren – und schon war die Idee des Familienbüros Mohn und Kamille geboren. Heute wird uns Jule davon erzählen, wie sie so den Spagat zwischen Familie und Beruf so meistert und wieso sie so ein Familienbüro für eine gute Lösung hält.

Das sind meine Inseln, ohne die ginge es für mich nicht.

Bitte stelle dich doch zuerst einmal kurz vor.

Jut. Ich heiße Juliane, bin 30 Jahre alt und Berlinerin. Ja, echt, ich bin hier auch geboren und aufgewachsen und ja, das gibt es noch ;-). Ich habe Kommunikationswissenschaften studiert, dann einen Master in Interkultureller Kommunikation angeschlossen und mich direkt nach dem Studium als Texterin selbstständig gemacht. Das war vielleicht kühn, aber für mich die richtige Entscheidung. Im Oktober 2013 kam unser Sohn Janosch zur Welt, er ist jetzt also 18 Monate alt und ich wohne zusammen mit ihm und meinem Freund in Berlin Prenzlauer Berg. 

Was verstehst du überhaupt unter dem Begriff „Vereinbarkeit“?

Zuallererst denke ich, dass der Begriff immer individuell definiert werden muss. Nach der Geburt eines Kindes steht wohl jede Familie vor der Frage: Und jetzt? Wie stellen wir uns jetzt am besten auf? Wie geht es für uns weiter, wo setzen wir unsere Prioritäten? Und ab dem Punkt kann das meiner Meinung nach nur jeder für sich selbst ausloten. Deswegen kann ich jetzt mal nur für mich sprechen: Für mich heißt Vereinbarkeit, dass die Bedürfnisse jedes Familienmitgliedes genug Raum finden, um ausgelebt zu werden. Und dazu gehört
natürlich die gemeinsame Zeit als Familie und die gemeinsame Zeit als Paar, aber eben genauso die Zeit, die nötig ist, um die eigene Berufung, den eigenen Beruf weiterzuverfolgen. Ich gehöre zu den Menschen, die gerne arbeiten, für mich ist meine Arbeit immer in erster Linie eine Bereicherung, dann erst Pflicht. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht auch in meinem Leben unliebsame Aufgaben gibt, bei denen ich nix dagegen hätte, wenn sie jemand anderes für mich erledigen würde. Aber im Großen und Ganzen tue ich das, was ich mache, sehr gern. Wie genau muss ich mir dein ganz persönliches Vereinbarkeitsprojekt vorstellen? Wie also bewerkstelligst du das „unter einen Hut bekommen“ in deinem Alltag?

Wie schon geschrieben habe ich ja das große Glück, freiberuflich arbeiten zu können. Ich bin sehr dankbar dafür, denn es schafft mir die Möglichkeit, meine Zeit frei und selbstbestimmt einzuteilen. Anders wäre mein Leben im Moment kaum möglich: Ich betreue meinen Sohn noch zu Hause und arbeite hauptsächlich dann, wenn er schläft. Wenn ich Präsenztermine habe, passt mein Freund auf Janosch auf. Außerdem arbeite ich witzigerweise in letzter Zeit vermehrt mit anderen jungen Müttern oder Start-Up Unternehmen zusammen, das hat sich irgendwie so ergeben und bringt natürlich den großen Vorteil, dass viele bereit sind, sich auch auf außergewöhnlichere Termine oder Treffpunkte einzulassen. Das macht es oft leichter. Worin ich außerdem quasi zwangsläufig immer besser werde, ist meine Selbstorganisation. Ich habe früher eher munter in den Tag hinein gelebt und alles auf den letzten Drücker gemacht. Das ist mir heute zu riskant, man weiß ja nie, was das Kind so für Überraschungen bereit hält. Also gebe ich mir große Mühe, mich besser zu strukturieren. Gelingt mir ganz gut, ist aber in jedem Fall auch noch Luft nach oben…. 

Inwiefern würdest du in deinem Falle von gelungener Vereinbarkeit sprechen und wo bleibt doch auch etwas auf der Strecke?

Alles in allem klappt es besser, als ich selbst gedacht hätte. Aber ich würde mich doch über mehr Zeit freuen, vor allem auch mal wieder Zeit, in der ich wirklich nichts mache, einfach nur ein Buch lese oder so, dazu kommt man ja kaum noch. Im Moment bin ich die meiste Zeit in einem Präsenzzustand: Entweder ich arbeite, oder ich bin mit Janosch zusammen. Das ist mitunter natürlich anstrengend. Zwei feste Routinen habe ich mir allerdings geschaffen, um mich in diesem Präsenzstrudel nicht selbst zu verlieren: Ich übe jeden Morgen eine Stunde Yoga, in der Zeit passt mein Freund auf Janosch auf und bereitet schon mal das Frühstück vor. Und (fast) jeden Sonntag mache ich komplett frei. Das sind meine Inseln, ohne die ginge es für mich nicht. 

Was muss aus deiner Sicht generell passieren, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich erhöht werden kann?

Gesellschaftlich gesehen meinst du? Also, als allererstes finde ich, wir sollten weniger wertend an diese Frage herangehen: Es ist weder grundsätzlich gut noch grundsätzlich schlecht, wenn eine Mutter – es betrifft ja noch immer hauptsächlich die Frauen – sich entscheidet, nach der Geburt wieder zurück in den Beruf zu wollen – oder eben nicht. Es ist einfach eine individuelle Entscheidung, die jeder für sich treffen muss. Es bringt einem Kind schließlich nichts, wenn seine Mama zwar mit ihm zu Hause bleibt, eigentlich aber unglücklich und nicht wirklich erfüllt ist, weil ihre berufliche Tätigkeit ihr fehlt. Kinder haben sehr feine Antennen für unsere Empfindungen, die würden das schnell spüren. Das gleiche gilt natürlich für eine Frau, die wieder arbeiten gehen muss, dabei ihr Kind aber vermisst ohne Ende und eigentlich viel lieber noch länger zu Hause bleiben würde. In beiden Fällen macht es wenig Sinn, etwas erzwingen zu wollen, weil „man das eben so macht“. Das beste ist es natürlich, wenn wirklich beides zusammen gelebt werden kann und ich denke, das kann funktionieren, indem man sich zusammenschließt und Gemeinschaften bildet. Aufgabenteilung und gegenseitige Unterstützung sind dann die Schlüssel. 

Wie genau kam es zu der Idee eures Berliner Familienbüros Mohn und Kamille?

Über Umwege. Ich muss sagen, dass ich vor der Geburt meines Sohnes dachte, ich gebe ihn mit 1 in die KiTa und gut ist. Je näher der Termin rückte, desto weniger wollte ich das für uns. Ich wollte weiter Zeit mit ihm verbringen, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, ihn schon abzugeben. Gleichzeitig wäre es für mich aber auch keine Option gewesen, noch weitere 2 Jahre mit ihm alleine zu Hause zu bleiben. Ich brauchte also eine Lösung. Nachdem ich mehrere Gedanken durchgespielt hatte, habe ich dann unter dem Namen „Mamacus“ die Gründung eines Kinderladens initiiert, in den ich einen Workspace und einen Seminarbetrieb integrieren wollte. Und in dieser Gründungsgruppe war auch Silia, mit der ich jetzt zusammen das Familienbüro organisiere. Silia und ich bildeteten die „Arbeitsgruppe Raumsuche“ wir haben uns also öfter getroffen. Während eines Treffens kamen wir nochmal deutlich darüber ins Gespräch, was wir eigentlich genau wollen – das ist für die Raumsuche ja eine sehr, sehr wichtige Frage. Je mehr wir sprachen, desto klarer gingen unsere Gedanken in die Richtung eines selbstorganisierten Eltern-Kind-Büros. Die Situation war dann ehrlich gesagt ein bisschen blöd: Ich wusste genau, dass das Familienbüro das ist, was ich eigentlich machen will. Mir war aber gleichzeitig klar, dass für die meisten in der Gruppe eher das Kinderladen-Konzept infrage kommt. Naja, lange Rede, kurzer Sinn: ich habe noch ein bisschen mit mir gehadert, mich dann aber doch dazu entschlossen, den Familienbüro-Plan weiterzuverfolgen. Letzten Endes habe ich also mein eigenes Projekt verlassen. Das war wirklich ein komisches Gefühl und ist mir nicht ganz leicht gefallen, aber es gibt Momente im Leben, da muss man eben tun, was man tun muss. 

Und zu guter Letzt: Wie habe ich mir eigentlich die Vereinbarkeit in so einem Familienbüro dann konkret vorzustellen?

Das funktioniert so – zumindest stellen wir es uns so vor: Wir stellen Räume zur Verfügung, an denen sowohl Arbeiten als auch Spielen möglich ist. Das heißt, der Ort ist so konzipiert und eingerichtet, dass sowohl Erwachsene als auch Kinder sich frei bewegen und ihren jeweiligen Bedürnissen nachgehen können. Es gibt also einen gemeinsamen Bezugsort, das ist das erste Geheimnis. Das zweite ist: Aufgabenteilung. Die Familien teilen sich im Rotationsprinzip alle anfallenden Aufgaben vom Nach-den-Kindern-Gucken bis hin zum Kochen oder Putzen. Dadurch wird für jeden Einzelnen automatisch Zeit frei, die individuell genutzt werden kann. Der Alltag funktioniert dann also ein bisschen wie in einer gut organisierten Großfamilie: Jeder hat seine Pflichten, aber auch seine Rechte. Auch die Kinder sind somit Teil eines Alltags inklusive der dazugehörigen Aufgaben. Was idealerweise ganz nebenbei noch ensteht, ist eine bunt gemischte, tätige Gemeinschaft, die durch Synergien auch im beruflichen Kontext voneinander profitieren kann. Ich wünsche mir also, dass das Familienbüro ein Ort ist, an dem es möglich wird, die Frage nach der Vereinbarkeit nicht mehr mit einem Entweder-Oder beantworten zu müssen, sondern ein klares und auch tatsächlich funktionierendes UND setzen zu können. Kinder sollten nie einschränken, sondern immer bereichern. Oder, um es frei nach Hesse zu sagen: „Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.“ Dafür müssen noch ganz andere Strukturen aufgebrochen und neu geordnet werden, keine Frage, aber vielleicht gelingt uns ein Anfang …

Lieben Dank für das Interviee Jule. Ich freue mich, dass du mir so anregende Einblicke in dein privates Vereinbarkeitsprojekt gegeben hast!

Und Ihr, meine lieben Leser, könnt Mohn und Kamille auch auf Twitter (https://twitter.com/mohnkamille) und Facebook (https://www.facebook.com/mohnundkamille) folgen. Jule und ihre Kolleginnen würden sich ganz bestimmt freuen!

Wäre so ein Familienbüro auch was für euch?

Ebenfalls in dieser Reihe erschienen:
Und plötzlich war sie da: Die Vereinbarkeitsfrage 
Das Leben zu Dritt oder nur ein Drittel der Zeit (Gastbeitrag)
Arbeit, die sich aber lohnt! (Interview)  
Liebe unter Druck. Die Last der Vereinbarkeit? 
Vereinbarkeit – Wollen wir das wirklich? (Gastbeitrag)