Der erste Geburtstag
Für mich ist mein Geburtstag normalerweise nicht wichtig. Viele habe ich nicht einmal gefeiert. Es ist eine Zahl im Kalender, die ans Altern erinnert. Aber mit Familie, besonders mit kleinen Kindern, muss man definitiv richtig feiern. Meine Kinder erwarten mindestens folgendes:
• Luftschlangen
• Happy Birthday Girlande
• Ein in buntes Papier eingeschlagenes Geschenk
• Ein Kuchen mit Kerzen (idealerweise eine pro Jahr)
• Gemeinsam singen
• Nachmittags: Miniwindbeutel
Die Girlande hängt noch vom Kindergeburtstag am Wochenende noch. Mein Jüngster ist auch Steinbock. Auch die Luftschlangen haben erstaunlich gut überlebt. Es sind keine 44 Kerzen auf dem Kuchen, aber ein Geschenk ist da. Am frühen Morgen, der Zeitpunkt, wenn wir uns alle über den Weg laufen reicht nicht aus für ein Lied. Alle Kinder gratulieren kurz und dann ist Alltag. Sechs Personen und ein Badezimmer. Kein Vortritt für Geburtstagskinder. Geräuschvoll beginnt dieser Tag. Beim Blick in den Spiegel werde ich kurz sentimental. Dann schnell rasieren, schminken, anziehen und raus in die Kälte.
Beim Kindergarten flackert kurz der Gedanke auf: „neben der Kaffeetasse liegt der Einkaufzettel“, und während ich versuche diesen zu visualisieren spricht mich eine andere Mutter an. Auf irgendeiner Liste steht also mein Geburtsdatum, denke ich kurz. Ich freue mich aber ehrlich über die Glückwünsche. Die Einkäufe sind gerade weit weg. Sogar die Kälte verschwindet für ein paar Augenblicke.
Im Supermarkt denke ich nur an Kaffee. Nachdem ich Gemüse für die Meerschweinchen in den Wagen lege bleibe ich versteinert vor dem Tiefkühlregal stehen. Ich habe kalte Finger und denke nicht im Traum daran, etwas da raus zu holen, wenn es nicht lebensnotwendig wäre. Aber ich weiß nicht mehr, was ich dort wollen oder brauchen könnte. Also Kaffee. Kaffee geht immer und braucht man immer. Kaffee, Küchenrolle, Taschentücher und Klopapier kann man im Zweifelsfall immer einkaufen, in ein paar Tagen ist selbst der größte Vorrat aufgebraucht. Erst bei der zweiten Packung fällt mir ein, was ich von den Tiefkühlwaren brauchte: Miniwindbeutel. Also zurück, Handschuhe anziehen und zugreifen. Langsam visualisiere ich die vergessene Liste und bin überzeugt, dass ich alles habe.
Im Bus nach hause fällt mir ein, dass ich einen guten Rotwein haben wollte. Tja, der steht noch im Regal, es gibt also einen günstigen. Nichts scheint meine gute Laune vertreiben zu können. Mitten im Bus voller Berufsschüler klingelt dann mein Handy vom Boden meines bis oben vollen Rucksacks. Leichte Hektik kommt auf. Die Gruppe junger Mädchen mir gegenüber, die mich vorhin nur gemustert hatte, kichert nun laut. Ja, die „Transe“ hat Stress. In einer Hand die Salatgurke, in der anderen das Handy – gerade noch rechtzeitig.
Meine Mutter grüßt mich schwungvoll. In einem Satz nennt sie mich bei meinem alten Namen, gratuliert mir und beschwert sich, dass es bei mir so laut wäre, dass sie nichts verstünde. Das Telefon zwischen Kopf und Schulter eingeklemmt, packe ich meine Einkäufe wieder ein. Ich beschwere mich nicht darüber, dass sie mich nicht Nina nennt. Nein, Nina hat beschlossen, sich einfach über alle Glückwünsche zu freuen, denn es ist ihr erster Geburtstag. Ich musste 44 Jahre alt werden, um diese Gelassenheit zu haben.
Happy Birthday, Nina.
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