Kinder werden manchmal wütend und Eltern fragen sich verzweifelt, wie sie das selber aushalten und damit umgehen sollen, ohne selber wütend zu werden.

Aggressionen können Angst machen
Aggressionen mit den dazugehörigen Gefühlen von Wut, Ärger, Hass, Zorn und Groll machen vielen Menschen Angst, insbesondere wenn diese Gefühle in nahen Beziehungen auftreten. Oft ist die Befürchtung groß, dass man die Zuneigung und Liebe des geliebten Gegenübers oder es gleich ganz verliert. Wenn man aber wirklich miteinander in Beziehung ist, dann lassen sich solche Gefühle auch nicht vermeiden. Oder zumindest nur zu einem sehr hohen Preis. Frustrationswut kann schnell entstehen, wenn die Bedürfnisse nicht wie ersehnt beantwortet werden. Kleine, aber auch große Menschen können nicht immer alles so haben und bekommen, wie wir das wollen. Das kann so eine Enttäuschungswut durchaus schnell entstehen. Ganz unabhängig davon ist, ob die ersehnten Wünsche vom anderen überhaupt beantwortet werden müssen oder nicht. Gefühle entstehen nicht in einer Logik des Dürfens.
Wenn eine Beziehung frei von diesen vermeintlich negativen Gefühlen sein sollen und der Wunsch nach permanenter Harmonie im Forderung steht, wird die Beziehung an Lebendigkeit einbüßen. Es ist normal auf Frustration irgendwie geartete aggressive Gefühle zu fühlen.
Häufige Ursache psychischer Störungen: unterdrückte Wut und Aggression
Nicht gespürte Gefühle werden entweder ausagiert (huch, warum habe ich denn drei Unfälle in vier Monaten verurascht?) oder aber auf innerpsychische Art und Weise abgewehrt mit Hilfe der so genannten Abwehrmechnismen (ich weiß gar nicht, warum mir in letzter Zeit immer alles so egal ist und ich keine Freude mehr empfinde- autoaggressive Abwehr, die vielen depressiven Störungen zu Grunde liegt oder aber psychosomatisch „oh, mein Blutdruck steigt schon wieder, ich brauche wohl Betablocker“).
Die Rolle der unterdrückten Aggressionen ist bei vielen psychischen Störungen eine ziemlich ausschlaggebende. Bei den Depressionen oder bei der Somatisierung werden Aggressionen nach innen gegen sich selbst gerichtet, obwohl eigentlich oftmals jemand Anderes gemeint ist. Das ist aber eben nicht zwingend eine konkrete äußere Person, sondern viel eher eine „innere Objektrepräsentanz“, also das Bild der anderen Person im eigenen Inneren. Die persönliche Innenwelt entsteht neben den individuellen Fantasien durch die vielen Beziehungserfahrungen, die wir machen, vornehmlich natürlich mit unseren Eltern. Wir verinnerlichen so, wie wir uns von Mutter/ Vater behandelt gefühlt haben (Objektrepräsentanz), wie wir in diesen Sitautionen waren (Selbstrepräsentanz) und diese beiden Teile sind durch ein Gefühl verbunden.
Gab es keine gute Lösung, um mit den Gefühlen beziehungserhaltend umzugehen, kann ein Mensch auf keine Erfahrung damit zurückgreifen. Er muss mit dem, was er erlebt hat, den Konflikten in seinem Leben begegnen. Und gerade Ärger, Enttäuschungswut etc. sind alltägliche Herausforderungen.
Mit Wut werde ich nicht mehr geliebt
Als Beispiel könnte jemand verinnerlicht haben, dass seine Wut dazu führt, nicht geliebt zu werden: Immer wenn Mama gemerkt hat, dass ich ärgerlich war, hat sie mich in mein Zimmer geschickt. Ich war so hilflos, weil ich nicht wusste, wohin mit meiner Wut, ich hatte Angst, dass meine Mama mich nicht mehr lieb hat, wenn ich so böse bin.
Als Eltern legen wir den Grundstein dafür, was unsere Kinder von der Welt erwarten. Die durch Erfahrung geschaffene Innenwelt wird zur Blaupause dessen, was sie sich von der Welt und anderen Menschen erhoffen oder auch befürchten.
Da sowohl die innere als auch die äußere Beziehung geschützt werden muss, werden Gefühle zurückgehalten. Wenn die Überzeugung besteht, so „böse“ Gefühle nicht haben zu dürfen, fristen sie ungesehen im Inneren ihr schädliches Dasein. So kann man nicht für sich Verantwortung übernehmen.
Frustration macht erstmal wütend und das ist ok, das darf sein. Wir müssen das spüren dürfen. Denn nur, wenn wir das fühlen, können wir uns mit der Quelle auseinandersetzen und für uns sorgen. Dazu ist es notwendig, dass wir uns abgrenzen können und unsere Gefühle bei uns lassen und die des Gegenübers beim Gegenüber.
Meine Gefühle, deine Gefühle
In Beziehung zum eigenen Kind ist es daher notwendig, dass deutlich wird: das sind nicht unsere, sondern meine oder deine Gefühle, über die wir ins Gespräch kommen. Je nach Empathiefähigkeit können wir sie nachfühlen oder eben nicht. Auch wenn wir ein ähnliches Gefühl empfinden, so ist das doch aus unterschiedlichen Gründen und Beziehungserfahrungen heraus.
Was passiert denn aber, wenn einem Kind signalisiert wird: sei kein böses Kind, ich will dich so nicht? Geh weg und komm wieder, wenn du brav bist.
Dieser unterdrückte Ärger muss irgendwohin. Man kann ihn nicht einfach in die Welt rausschleudern. Wir sehen täglich in den Nachrichten, wohin das führt. All die wirklich malginen Narzissten, die vierlerorts regieren, zerstören und zerstören immerfort. Dass man die Wut nicht einfach ungefiltert rausschleudert ist etwas, was man durch die Beziehungserfahrung lernt.
Irgendwie müssen wir einen Weg finden- das muss nicht verbal sein- folgende Botschaften an unser wütendes Kind zu vermitteln :
„ich bin und bleibe da, du darfst dich mir mit deiner Mordswut zeigen“.
Wenn ein Kind schlägt oder beißt
Das kommt vor. Kleine Kinder schlagen aus unterschiedlichen Gründen. Meistens aus Wut und emotionaler Überforderung, aber auch verschiedene andere Gründe kommen in Frage. Es ist unsere Aufgabe als Eltern, das angemessen zu begleiten. Wir dürfen und müssen sogar Grenzen setzen, wenn uns ein Verhalten stört oder emotional oder körperlich verletzt. Da muss jeder für sich selber entscheiden, wo diese Grenze liegen soll. Wir müssen aber jeweils die eigenen Grenzen spüren und sie unserem kindlichen Gegenüber altersentsprechend mitteilen.
„Bitte lass das, ich möchte das nicht!“
Ein Kind versteht das vielleicht nicht. Das muss uns als Eltern nicht ärgern, aber natürlich kann man sich in so einem Moment unglaublich hilflos und ohnmächtig fühlen. Natürlich könnte man mit besonders scharf- schneidender und lauter Stimme deutlich machen, dass das jetzt absolut unangemessen ist oder das Kind rausschicken.
Das Kind braucht aber gerade in dieser emotionalen Überforderungssituation ein Gegenüber, dass Kraft hat und es ausHÄLT, gerade jetzt.
Auf kindliche Wut reagieren
Es gibt verschiedene Weg, auf unerwünschtes Verhalten zu reagieren. In verhaltenstheoretischen Ansätzen wird man versuchen, dieses Verhalten mittels Strafe und Belohnung zu modifizieren. Die Reaktion auf ein Verhalten verändert die Auftretenswahrscheinlichkeit. Sind die Konsequenzen negativ, wird das Verhalten wahrscheinlich seltener. Die so genannte Löschung bedeutet z.B., dass verstärkende Faktoren und positive Konsequenzen (wie auch Aufmerksamkeit) bei unerwünschtem Verhalten zurückgenommen werden.
Ich finde dieses Vorgehen ungünstig.
Ein Kind steht vor der Herausforderung, sein Innenleben mit den sozialen Gepflogenheiten in Einklang zu bringen. Diese sozialen Gepflogenheiten müssen wir ihm zeigen, ohne Frage. Gleichzeitig muss es aber auch den Raum geben, um die eigenen Gefühle zu spüren, einzuordnen, darauf zu reagieren und selber einen guten Umgang damit zu finden. Das ist eine lange Reise, die nie abgeschlossen ist. Die Frage ist, ob man ein Kind haben oder selber ein Mensch sein möchte, der kein Fehlverhalten zeigt und dafür aber wenig Zugang zu seinem Innenleben hat.
Authentische Rückmeldungen in der Beziehung: miteinander nachdenken
Es ist daher wichtig, authentische Rückmeldungen zu geben. Beißen und hauen sind einfach nicht schön. Es ist wichtig, dass gesehen wird, wie ein Kind sich fühlt, damit es sich gesund entwickeln kann. Klare Grenzen zu setzen ist ebenfalls notwendig, denn das Kind hat ein Recht darauf, dass es sowohl in seinen Gefühlen als auch im sozialen Kontext beantwortet wird.
Ziel ist es, dass ein Kind nicht alle Gefühle in die Tat umsetzen muss, sondern sie in seinem Inneren wahrnehmen und sich derer annehmen kann. Dass Gefühle nicht ausagiert werden müssen, sondern in Worte gepackt erstmal auch überdacht werden können. Die Feststellung, wütend zu sein, ist der Start. Warum bin ich wütend? Bin ich enttäuscht? Von mir? Von dir? Was wünsche ich mir vor mir/ dir? Ist es sinnvoll und machbar?
All diese Gedanken kann man miteinander teilen und besprechen. Hilfreich ist dabei auf ein Gegenüber zu treffen, das auf Grund der geäußerten Gedanken nicht seinerseits ins Agieren gerät, sondern sich erstmal auch gedanklich darauf einlassen kann.
Weiterführende Artikel zu verwandten Themen
Als Eltern Aggressionen und Wut des Kindes überleben ist der Folgeartikel zum Thema Wut bei Kindern und dem Umgang in der Beziehung damit.
Madame FREUDig
Es gibt hier die Möglichkeit, unseren sporadisch erscheinenden Newsletter zu abonnieren. Ihr könnt uns dann eine Mail schicken und konkrete Fragen, die euch bezüglich eurer Kinder beschäftigen, stellen, die ich aus psychologischer/ psychotherapeutischer Sicht im Newsletter aufgreifen werde.
Liebe Madame Freudig,
toller Text, danke dass du ihn geschrieben hast!
Ich habe eine Frage dazu. Mein Kind (fast zwei Jahre alt) hatte noch nie einen "klassischen" Wutanfall mit brüllen, hauen etc. Stattdessen weint er in für ihn frustrierenden Situationen ganz doll. Ich finde es oft schwierig, damit umzugehen. Ich versuche das Spiegeln nach Karp, aber bei weinenden Kindern scheint es nicht so gut zu klappen wie bei wütenden Kindern? Jedenfalls weint mein Kind weiter, ganz verzweifelt, sodass es uns das Herz bricht. Wir geben dann meist vor Mitleid entweder doch nach (dann gibt es halt den fünften Nachschlag Zahnpasta) oder warten mit Kind auf dem Schoß, bis er vor Erschöpfung nicht mehr laut weinen kann und nur nich leise schluchzt und hickst. Das dauert sehr lange und ist sehr schwer auszuhalten.
Findest du es besorgniserregend, das ein Kind weint, statt zu wüten? Er wird bedürfnisorierntiert "erzogen" und geht noch nicht in die Kita.
Heute hatte er so einen verzweifelten Wein-Anfall, weil er (mal wieder) mit dem Autoschlüssel spielen wollte, mit dem mein Mann das Auto aufgeschlossen hat, weil wir los mussten. Er wollte ihn auch nach 10 Minuten spielen nicht hergeglben und hat dann die ganze Fahrt laut und verzweifelt geweint. Ich saß neben ihm und konnte ihn nicht trösten :'-( Auch nicht mit Spiegeln. Finde es schrecklich, ihn so verzweifeln zu sehen. Was hättest du in dieser Situation gemacht?
Danke dir vielmals und schicke ganz liebe Grüße 🙂
Anna
Liebe Anna, danke für deinen Kommentar!
Es ist quasi kaum möglich, auf deine Frage wirklich angemessen zu antworten, weil ich deinen Kleinen und eure Geschichte gar nicht kenne. Ich schreibe aber einfach mal meine Gedanken auf, vielleicht fühlst du dabei irgendwas Zutreffendes.
Zunächst habe ich keine Ahnung, was spiegeln nach Karp ist.
Spiegeln aus meinem beruflichen Tun ist für mich das Wiedergeben des Gesagten oder des Wahrgenommenen. Das ist notwendig, weil wir damit unseren Kindern helfen, zu mentalisieren. Das heißt, Symbole/ Sprache für innere Vorgänge zu finden. Dieser Prozess dauert sehr lange und ist mit zwei Jahren noch lange nicht um. Dazu ist das Markieren (deutlich machen, dass der Affekt nicht deiner ist, sondern überspitzt den des Kindes "markieren" z.b. durch Stimmlage anpassen und eben einen Ticken drüber, damit er merkt "ach ja, das ist es und mir geht es gerade so, das ist nicht Mama, die wütend ist") und spiegeln ("so so wütend bist du jetzt", aber eben auch mit einer angepassten Stimme) die Voraussetzung. Darauf reagieren Kinder oft mit verstärktem Weinen, weil es jetzt das Signal gab: alles klar, zeig mir voll, was dich beschäftigt.
Das ist gut!!! Soll er weinen, ist ja auch saudoof. Es wird mit der Zeit wahrscheinlich weniger werden bzw. nicht so lange andauern.
Weinen ist ja nicht nur aus der Trauer heraus da, sondern alle Gefühle können von Tränen begleitet sein. Meine Tochter ist manchmal ein sehr wütendes Mädchen und weint dann auch jämmerlich. Sie wirft sich mir dann inzwischen fast immer in die Arme und ich sage ihr, dass sie mich mal ganz fest drücken soll. Das hat den Effekt, dass ich sie natürlich auch fest umarmen kann und diese körperliche Festigkeit wirkt sich auf das vegetative Nervensystem aus: man beruhigt sich dadurch! Umarmen beruhigt, auch wenn es erstmal auf Gegenwehr treffen könnte.
Ich finde Wut zunächst ein ziemlich gutes und wichtiges Gefühl und das vermittle ich auch: keine Angst vor der Wut. Hier kommt keiner um, du darfst mich jetzt hassen. Diese Haltung vermittle ich überall. Wut muss spürbar sein dürfen. Auch als Eltern! Sie darf nicht ausagiert werden, aber man sollte schon sagen, dass einen irgendwas wütend macht. Also quasi eine gute Wutkultur zu Hause. Das ist natürlich schwer, wenn man z.B. selber Angst vor der Wut hat und viel lieber in dauernder Harmonie leben möchte.
Darüber hinaus geht es auch darum, zu zeigen, was nach der Wut kommt. Die Wut braucht Raum, aber manchmal kann man sich daraus dann eben auch nicht entfernen. Ich überlege nach einer gewissen Zeit, wenn wirklich keine Beruhigung eintritt, worauf ich die Aufmerksamkeit lenken könnte. Nicht zu früh, aber wenn ich merke, dass jemand aus der Wut gerade nicht rauskommt, dann, je nach Rahmen, biete ich irgendwas an: ich spiele z.B. eine kleine Szene mit einer Puppe, die auch wütend ist und dann gibt es zb. irgendein Tier, was in dem Moment Quatsch macht, aber die Puppe bleibt wütend. Ich spreche die ganzen Figuren und teile mit, was die so denken und fühlen. Das lenkt etwas ab, lenkt in etwas "Konstruktives", aber bleibt am Thema.
In den konkreten Situationen wäre es bei mir wohl auf die Tagesverfassung angekommen: wie viel kann ich heute noch (uns allen) zumuten? Was lief vorher? Ich würde wahrscheinlich den Schlüssel etwas früher wegnehmen, um mir und meinem Kind Zeit zu lassen und erst dann einsteigen, wenn es "gut" ist. Ich würde wie oben versuchen zu begleiten und erzählen, wofür wir den Schlüssel brauchen. Wenn ich an dem Tag kaputt wäre, dann würde ich einfach einen anderen Schlüssel in die Hand geben und irgendwas zum Reinstecken mitnehmen (ich habe in einen dicken Klotz Löcher gebohrt und da werden Schrauben und Dübel reingesteckt).
Ich weiß nicht, ob du das nur als Beispiele nennst und solche Situationen viel vorkommen, ganz egal, wo ihr euren Sohn begrenzt. Begrenzungen sind erstmal doof, aber das heißt nicht, dass man sie nicht auch setzen muss. Damit umzugehen zu lernen durch liebevolle Begleitung ist aber auch wichtig (Frustrationstoleranz ist eine strukturelle Fähigkeit, die man erwerben muss).
Ich hoffe, dass dir meine Gedanken ein wenig ewas Erhellendes gebracht haben.
Viele Grüße, Madame FREUDig
Liebe Madame FREUDig,
vielen Dank für deine ausführliche Antwort! Sie hat mir schon geholfen. Vor allem dein Satz, dass sich Wut auch in Weinen äußern kann. Das habe ich nicht gewusst! Für mich hat Weinen immer Traurigsein bedeutet. Aber die Grenzen zwischen den Gefühlen sind wohl fließend…
Mir ist es sehr wichtig, dass mein Kind und auch wir Erwachsenen Gefühle zeigen (dürfen) und benennen. Ich hab dazu viel gelesen, z.B. Jesper Juul oder den von mir geliebten Gewünschtestes-Wunschkind-Blog . Mein Mann und ich sind auch große Fans der Pädagogik von Emmi Pikler. Trotzdem entstehen natürlich immer wieder schwierige Situationen, in denen ich ratlos bin.
Mir wäre es fast lieber, mein Kind würde in frustrierenden Situationen im klassischen Sinne wütend werden (kreischen, sich hinwerfen, hauen). Ich glaube, damit könnte ich besser umgehen. Denn da ist irgendwie klar, dass das Kind zwar unangenehme Gefühle durchlebt, aber Wut ist auch ein Gefühl, das ich leichter von mir weisen kann. Ich denke, es würde mir leichter fallen, standhaft zu bleiben (natürlich trotzdem liebevoll zu begleiten). Mit dem Weinen in Frust-Situationen kann ich viel schwerer umgehen.
Dabei ist es nicht so, dass ich mit dem kindlichen Weinen generell ein Problem habe. Wenn mein Kind sich wehtut oder z.B. weint, weil es ein Spielzeug nicht haben durfte, tröste ich sehr gerne und ausführlich. Wir wiederholen mehrmals, was passiert ist ("du bist da vom Brett gefallen. Bumms, ja, genau. Da. Und dann hat dir dein Knie wehgetan" oder "du wolltest so gerne mit dem Laster spielen. Aber das Kind wollte ihn dir nicht geben. Jetzt bist du ganz traurig"). Ich habe auch kein Problem damit, dem Kleinen meine eigenen Gefühle zu zeigen, etwa laut "Aua! Das tut weh, das mag ich nicht!!" zu rufen, wenn er mir an den Haaren zieht o.ä. …
… Was mich aber total stresst und ich irgendwie nicht aushalten kann, ist dieses Weinen in für ihn frustrierenden Situationen. Das Spiegeln, was beim Weinen nach Wehtun so gut funktioniert, klappt da überhaupt nicht. Ich versuche es in etwa so, wie du es auch machst, also seine Gefühle in leicht aufgeregtem Ton un der entsprechenden Mimik beschreiben ("du willst den Schlüssel haben. Schlüssel! Du willst ihn jetzt! Du bist wütend!"). Aber er lässt das irgendwie nicht zu, verweigert Augenkontakt, dreht sich weg und weint laut weiter. Was mich daran so stresst, ist die offensichtliche Verzweiflung. Und das ich irgendwie nichts dagegegen tun kann.
Momentan ist es so, dass er mich oft an der Hand nimmt und z.B. zum Sofa führen will, um gemeinsam ein Buch anzuschauen ("Mama, Hand!"). Manchmal passt das aber gerade überhaupt nicht, z.B. wenn wir gerade essen. Aber wenn ich dann versuche, das zu erklären ("Du willst meine Hand. Du willst, das ich mitkomme. Aber ich wil erst zuende essen") bringt das echt null. Er steigert sich total rein ("Mamaaaaa! Haaaaand!!!!), wird immer verzweifelter, zerrt an mir und weint ganz ganz laut und herzzerreißend ("Haaand!!! Haaand!!! Mamaaaaaaa!!! *schluchz*) Dann denke ich mir immer, einerseits wäre es total doof, jetzt mitzugehen. Denn er muss ja auch lernen, dass es mein Bedürfnis ist, zuende zu essen. Auf der anderen Seite tut er mir sooo Leid und es bricht mir das Herz. Er hat in diesem Moment ja anscheinend ein großes Bedürfnis nach meiner Nähe und Kuscheln auf dem Sofa.
Das mit dem Ablenken versuchen wir auch oft nach einer Weile, sogar so wie du schreibst, indem seinen Spielfiguren etwas doofes oder lustiges passiert. Der Kleine lässt sich auch kurz ablenken und lacht sogar. Aber er hat leider ein Gedächtnis wie ein kleiner Elefant. Kurz nach dem Lachen fällt ihm wieder ein, was er eigentlich wollte, und dann geht es wieder los ("Schlüssel!! Haaaaaaaben!!!).
Nach solchen Situationen bin ich immer ganz durchgeschwitzt und zittrig und fertig. Und der Kleine ist oft so außer sich und total nass verweint, dass er erstmal ein Fläschchen auf dem Schoß und langes Kuscheln braucht. Ich würde ihm so gerne helfen, besser aus diesen Situationen zu kommen. Und ich würde mir selbst den Anblick dieser puren Verzweiflung (an der ich durch meine Verweigerung dessen, was er will, ja irgendwie "schuld" bin) gern ersparen.
Du brauchst das deinem Kind nicht ersparen. Frustration gehört zum Leben dazu, weil wir alle unterschiedliche Bedürfnisse haben. Wir alle werden zwangsweise immer wieder frustriert werden (morgen kommt ein Artikel zum Narzissmus, wo ich darauf etwas mehr eingehe).
Vielleicht hast du irgendwo, irgendwann mal die Möglichkeit dieser Sache mit dem Weinen bei Wut für dich nachzugehen, also woher da diese Beklemmung kommt. Wenn jemand so brüllt, Maaaaaamaaaaaa, Haaaaaaand, dann ist das ja auch nicht traurig, sondern liest sich jetzt eher ziemlich aufgebracht. Trauer ist meistens eher leise, obwohl sich das natürlich nicht pauschal so sagen lässt. Jedenfalls haben wir alle unsere Erfahrungen mit Gefühlen Anderer und der Reaktion darauf, genauso wie wir in uns tragen, wie auf uns ehedem bei bestimmten Gefühlsausdrücken reagiert wurde. Manchmal erschwert das einem einen "freien" Umgang mit den Gefühlen.
Eigene Bedürfnisse dürfen klar artikuliert werden! Das ist keine Einbahnstraße für das Kind! Und das darf frustrieren… Das dann auszuhalten, kann manchmal wirklich schwer sein.
Ich wünsche dir dafür alles Gute!
Madame FREUDig
Danke auch für diese Antwort!:-) Du hast recht, es gibt immer Bereiche und Situationen, die einem persönlich besonders schwierig erscheinen und da spielt sicher auch rein, wie unsere eigenen Eltern damals auf uns reagiert haben. Interessant dass du da eher Aufgebrachtheit als Trauer raushörst. Dann ist das vielleicht meine persönliche Interpretation…
Ich freue mich auf deinen Narzissmus-Artikel und bleibe treue Leserin 🙂
Liebe Grüße von Anna
Aber wie reagiere ich denn nun angemessen auf aggressive Wut?
Mein 3,5-jähriger reagiert auf Frustration in den meisten Fällen mit Gewalt. Die üblicherweise mich trifft.
Ich verstehe fast immer, warum er wütend ist und versuche, das auch zu verbalisieren. Er spricht eigentlich überdurchschnittlich gut. Aber ich verstehe, dass es für ihn in solchen Momenten noch nicht klappt, die Wut selbst verbal aufzulösen.
Also versuche ich ihm zu ermöglichen, dass er seine Wut rauslassen kann, bin aber nicht bereit, dafür Schläge einzustecken. Zumal er schon ordentlich Kraft hat und austeilen kann.
Halte ich aber seine Hände fest damit er mich nicht weiter schlagen kann, tritt er, klappt das auch nicht, beißt er manchmal.
Stehe ich auf, um Sicherheitsabstand zwischen uns zu bringen, kommt er hinterher und macht weiter.
Das ist an guten Tagen mitEngelsgeduld grade so erträglich, in Kombination mit Schlafmangel, Stress etc. zehrt es aber so sehr an meinen Nerven, dass es mit einem Schrei meinerseits endet. Was mir hinterher immer leid tut. Die ganze Situation ist emotional extrem auslaugend.
Muss ich mich da “einfach“ zusammenreißen und durch, bis sein Hirn noch weiter gereift ist? Und wenn ja, in welchem Alter ist das üblicherweise der Fall? Oder gibt es da noch einen anderen Tipp?
Liebe Annette,
Ich denke, ja.
Einerseits Verständnis für den Ärger aufbringen und dann auch äußern und gleichzeitig klare Abgrenzungen schaffen, dass dieses Verhalten eben nicht OK ist.
Alternativen für den Ärger finden.
In dem Alter kann man auch in ruhigen Momenten fragen, was das Kind in diesen Situationen braucht, um sich beruhigen zu können. Man kann ja miteinander Absprachen treffen, ob zb. ein festes in den Arm nehmen hilft oder starkes Trampeln, Wutbild malen etc.
Das ist ein stetiger Prozess.
Gemeinsam Worte für innere Zustände zu finden, ist wichtig. Also miteinander nochmal zu sprechen, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist. Was war los? Die eigenen Gedanken dazu helfen dem Kind, zu mentalisieren.
Wann genau das in der Art vorbei ist, kann ich leider nicht beantworten. Du wirst schrittweise Veränderungen spüren.
Liebe Grüße
Liebe Madame FREUDig,
zu der Schilderung von Annette und deiner Antwort dazu hätte ich eine Nachfrage: Wie kann dann aber der Versuch, klare Grenzen zu setzen, konkret aussehen, wenn einem das Kind hinterher läuft und weiter versucht zu schlagen und ein „verbales Halt“ eben nicht fruchtet. In dem Falle würde es wohl helfen, den Raum zu verlassen. Meine Tochter (4,5 Jahre) allerdings würde das nicht wollen, das äußert sie, wenn ich ihr in solch einem Fall anbiete, erstmal kurz den Raum zu verlassen. Was also tun, wenn man nicht weiter gehauen werden möchte? In ruhigen Situationen kann man übrigens sehr gut mit ihr sprechen und überlegen, was ihr bei einem Wutanfall helfen könnte. In der konkreten Situation aber, äußert sie dann, dass sie jetz eben gerne hauen möchte.