Tratsch, Gerede, Klatsch, Lästerei – aber auch Gespräch, Auseinandersetzung oder Austausch. Wenn Menschen über andere Menschen reden, gibt es dafür verschiedene Bezeichnungen und damit einhergehend auch Bewertungen. So findet man auf Elternblogs mitunter amüsante Beiträge darüber, wie man Eltern klassifizieren könnte oder was (andere) Eltern alles falsch machen. Wer andere beobachtet und darüber schreibt, tratscht gewissermaßen immer auch und genau darüber, also über das Tratschen möchte ich in diesem Beitrag reden. Als Soziologin komme ich nicht so recht aus meiner Haut und komme noch weniger umhin, zu betonen: Tratsch ist kein rein negatives Phänomen. Nein, Tratschen ist sogar gesellschaftlich relevant. Ich würde sogar soweit gehen und sagen: Lasst uns alle ein wenig tratschen und das auch noch gerne! Tratschen tut uns Eltern und unseren Kindern nämlich gut, denn Tratschen ist identitätsstiftend und fördert sogar den Zusammenhalt unter Eltern.

Warum Tratschen auch bedürfnisorientierter Elternschaft gut tut

 

Ein kleiner historischer Rückblick: Tratsch als Geschlechterfrage

Selbstverständlich will niemand eine Lästerschwester oder Tratschtante sein. Dabei ist das Austauschen diverser Informationen sozial hochgradig bedeutsam, so schweißt es Gemeinschaften zusammen. Zudem sind die Bezeichnungen dafür doch recht sexistisch: Denn während Männer in aller Regel nur Erfahrungen und Perspektiven austauschen oder einfach reden, lästern Frauen, sobald es um andere Menschen geht. Austausch ist legitim, Tratsch verwerflich. Es werden also bestimmte Verhaltensweisen des einen Geschlechts negativ eingeordnet, während quasi dieselben Verhaltensweisen des anderen Geschlechts positiv bewertet werden.

Schon historisch betrachtet, führte die unterschiedliche Zuschreibung desselben Verhaltens zu einer Diskriminierung der Frau. Während Männer sich in ihren Zirkeln der Macht wechselseitig informierten, wurde dies Frauen, wann immer möglich, entweder untersagt oder aber auf das rein Häusliche und Nachbarschaftliche beschränkt. Als negative Eigenschaft statt als nützliche Fähigkeit und Fertigkeit, die Vorteile für das weitere Handeln bringt, wurde der weibliche Austausch von Informationen über Dritte diskreditiert. Die Zusammenkünfte von Männern in Wirts- und Zunfthäusern galt als notwendige Aktivität zur Aufrechterhaltung und Stärkung der sozialen Bande. Da Frauen bis heute seltener und wenn, dann immer noch im geringeren Ausmaß, Zutritt zu machtvollen Informationen erhalten, tauschen sie vielfach sogar zwangsläufig vorwiegend solche Informationen aus, die gesamtgesellschaftlich als weniger relevant eingeordnet werden. Weiblicher Austausch war und ist schnell in Verruf und steht jederzeit in der Gefahr, als Tratsch diskreditiert zu werden.

 

Sozialisierungsmechanismen

Hinzu kommt, dass schon von kleinauf diese Asymmetrie der Kommunikation und der Macht reproduziert wird. Mädchen werden sehr viel stärker zur Kommunikation und Verbalisierung ihrer eigenen Gefühle wie auch der Einordnung von Gefühlen und Verhaltensweisen anderer sowie zu Fantasien aufgefordert. Jungs hingegen werden sehr viel intensiver zu körperlichen Aktivitäten und eher rationalem Denken gelenkt und die Verbalisierung und auch das Ausleben von Gefühlen sowie das Fantasieren über das konkret Geschehene und Gewusste hinaus ist immer noch nachrangig. Das ist an dieser Stelle natürlich noch recht oberflächlich, kann aber im Rahmen dieses Blogposts nicht weiter erläutert werden.

Auf was ich an dieser Stelle hinaus will: Schon bei Kindern wird der Grundstein dafür gelegt, dass Mädchen eher gefühlvoll, wortgewaltig und auch fantasievoll kommunizieren, während Jungs eher dazu angehalten werden, sachlich, logisch und unpersönlich zu kommunizieren. Auf diese Weise lässt sich gut nachvollziehen, wieso Frauen und Männer unterschiedlich tratschen und auch, wieso weiblicher Austausch so problemlos diskreditiert werden kann: Denn in unserer modernen Gesellschaft nimmt die Rationalisierung eine elementare Position ein. Gefühle, Irrationales, Fantasie sind hingegen nur in engen Sphären legitim.

Auf diese Weise lässt sich gut nachvollziehen, wieso Frauen und Männer unterschiedlich tratschen und auch, wieso weiblicher Austausch so problemlos diskreditiert werden kann: Denn in unserer modernen Gesellschaft nimmt die Rationalisierung eine elementare Position ein. Gefühle, Irrationales, Fantasie sind hingegen nur in engen Sphären legitim.

Was bedeutet das nun für uns als Eltern und damit auch für unsere Kinder? Zunächst einmal: Nicht der Austausch von Informationen an sich ist verwerflich – egal ob nun über vermeintliche Tatsachen oder über Gefühle, Hintergrundgeschichten und Vermutungen. Problematisch ist viel mehr, wer einen solchen Austausch in welchen Situationen legitim betreiben darf und kann und natürlich auch die Art und Weise des Austauschs, sofern man eine bedürfnis- und beziehungsorientierte Perspektive einnimmt (oder einfach ein netter Mensch sein will).

 

Nachfolgend will ich nun die Nützlichkeit und sinnstiftende soziale Funktion des Tratsches auf drei Ebenen verorten, wobei ich die erste – nämlich die berufliche – in diesem Beitrag nur umreißen möchte, um mich auf die anderen beiden Ebenen konzentrieren zu können. den elterlichen Netzwerken und der Rolle des Tratsches in einer bedürfnis- und beziehungsorientierten Elternschaft.



1. Von Working Moms, Mompreneurs und (fehlenden) weiblichen Seilschaften

Vitamin B, Männer-Netzwerke, Gläserne Decke. Gerade beruflich versäumen es viele Frauen noch immer, sich gleichermaßen wie ihre männlichen Kollegen auf informellem Wege beruflich zu informieren und Informationen weiter zu tragen. Gerade Frauen sind oft darin bemüht, nicht als tratschend, sondern als Leistungsträgerinnen wahrgenommen zu werden. Nicht umsonst gibt es die Metapher des fleißigen Bienchens. Dabei ist das Bier nach Feierabend unter männlichen Kollegen nicht einfach nur ein freundschaftliches Trinkgelage. Es ist schlicht nicht zu unterschätzen, wie sehr in einem solchen Rahmen Vertrauen geschaffen, Tipps und Hinweise gegeben und Probleme auf kurzem Wege gelöst werden. Wer als nächstes befördert wird, wem die freie Stelle bereits zugeschanzt wurde, ehe sie offiziell ausgeschrieben wird, wer als Referent eingeladen wird usw., dass hängt nicht einfach von der Leistung ab. Diese ist überhaupt nie unabhängig von der persönlichen Beziehung. Kurz gesagt: Wen man „privat“ mag und wertschätzt, den schätzt man auch beruflich kompetenter ein. An dieser Stelle kann ich die wirkenden Mechanismen der Diskriminierung der Frau im Beruflichen nicht weiter ausführen, aber ich denke es wurde deutlich: „Tratschen“ im Beruf ist nützlich und sogar notwendig für das „Machen von Karriere“ – und die Männer tun es unentwegt, es wird nur anders genannt.


2. Mütter- und Väternetzwerke

Tratsch hat aber auch und gerade für uns Eltern eine sinnstiftende Funktion. Im Austausch mit anderen Eltern, was eben auch Beobachtungen anderer Eltern und Kinder mit einschließt, finden wir unsere Elternidentität. Wir sind, wer wir sind, immer nur in Abgrenzung zu anderen (Interessant hierzu vielleicht die Attachment-Parenting-Falle). Nur was sich als Differenz wahrnehmen und weiterverwenden lässt, kann identitätsstiftend sein. Indem wir über das Fehlverhalten anderer Eltern – auch unserer eigenen Eltern, über Arschlochkinder, grässliche Schwiegereltern, unfähige ErzieherInnen und Kinderlose reden, werden wir uns unserer eigenen Beziehung zu unserem Kind und unseres eigenen Erziehungsstils bewusst. Der Tratsch ermöglicht es uns, verschiedene Sphären der Elternschaft zu reflektieren und zugleich verselbstgewissern wir uns, dass wir „gute“ Eltern sind.

Die Grenzen dessen werden sofort offenkundig. Nur selten sind wir bereit, uns fundamental selbst zum Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen zu machen, da dies unsere Elternidentität in Frage stellen und uns in eine persönliche Krise stürzen  könnte. Auf Spielplätzen, in Eltern-Kind-Cafés, ja in unserem kompletten Privatleben umgeben wir uns folglich am liebsten mit Eltern, die uns ähnlich sind. Im Austausch mit diesen erhalten wir Gelegenheit, unsere Elternschaft in engen Grenzen zu überprüfen und in der Folge weiter zu optimieren. Wir erhalten nützliche Tipps und können Menschen, die uns ähnlich sind, von vergleichsweise naher Distanz in ihrer Elternschaft beobachten. Zugleich können wir gemeinsam andere Eltern und Kinder – mehr oder weniger aus der Ferne, in der Regel aber nicht im persönlichen Austausch – dabei beobachten, wie sie Dinge ganz anders handhaben als wir selbst. Manches finden wir gut, manches aber eben auch verurteilungswürdig, sodass wir im Rahmen des Tratsches uns selbst aber auch unseren Tratschpartnern vergewissern, dass man grundsätzlich alles schon ganz gut und richtig handhabt – und die anderen eben nicht.

Im routinierten Fluss unseres Alltags, in welchem wir andauernd mit verschiedenen kleineren und größeren Problemen zu kämpfen und Aufgaben zu erledigen haben, bleiben wenig Zeit und Ressourcen, um uns und unser Verhalten einer grundlegenden Prüfung zu unterziehen. Daraus folgt aber auch, dass Eltern, die Dinge nicht so handhaben wie wir selbst es tun, immer auch eine potentielle Quelle von Kritik an uns darstellen. Dazu muss gar keine Kritik explizit erfolgt sein, ja unser Gegenüber muss dies nicht einmal denken. Schon die pure Existenz des Anderssein muss von uns gehandhabt werden. Fast immer erfolgt dies durch Ignorieren oder eben durch Ablehnung. Letzere schlägt sich nicht selten auch in Tratsch nieder. Anderenfalls stünde man in der Gefahr, sich diesem Anderssein positiv zuzuwenden – mit entsprechenden Risiken. Natürlich wendet man sich nicht immer ab. Aber man wendet such nur sehr ausgewählt zu.

Wieso ist es aber gut, mit unseren Kindern zu tratschen?


3. Tratschen in einer
Bedürfnis- und beziehungsorientierten Familie

Zuerst einmal tratschen wir alle sowieso ständig. Es ist völlig normal, zu tratschen. Tratsch erfüllt unsere natürliche Neugierde. Schon kleine Kinder wollen diese Welt verstehen und erkunden sie Stück für Stück. Den kindlich-naiven Entdeckerdrang haben die meisten Erwachsenen hinter sich gelassen, geblieben aber ist der Wunsch, zu wissen, was in der (manchmal auch nur gefühlten) näheren Umgebung so vor sich geht. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass weit mehr auf den Hinterbühnen geschieht, als andere bereit sind, uns zu zeigen. Hinzu kommt, dass wir in dieser ausdifferenzierten Gesellschaft gerade nicht mehr mit allen uns relevanten Personen auch den Großteil des Tages verbringen, sodass wir auf zusätzliche Informationen angewiesen sind. Das merken auch unsere Kinder, denn sie beobachten uns nicht nur dabei, wie wir in verschiedenen Situationen über andere sprechen und wie wir andere fragen, wie es ihnen in unserer Abwesenheit ergangen ist, sondern sie fragen ebenso selbst nach, was andere getan haben oder informieren uns darüber, was andere gesagt oder gemacht haben.

Ich lehne mich bestimmt nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass die ErzieherInnen in den Kitas unglaublich gut über unsere Familienalltäglichkeiten informiert sind. Was ich selbst alles schon so nebenbei allein über meine Tochter mitbekomme… So aus Sicht der Kinder ist daran auch gar nichts Verwerfliches. Wieso Alltägliches, ja schlicht total Normales geheim halten? Wieso nicht einfach fragen, wenn man etwas wissen möchte? Und wieso nicht auch spekulieren über die Aktivitäten und Motive von Abwesenden? Wieso nicht sogar Fantasieren, solange die gewünschten Informationen noch fehlen?

Schließlich stellen wir doch permanent Mutmaßungen darüber an, was unser Gegenüber fühlt. Insbesondere bei unseren Kindern spekulieren wir auch selbst immer wieder. So können sie uns ja lange Zeit ihre Bedürfnisse noch gar nicht verbal mitteilen und selbst wenn sie zu sprechen beginnen, müssen sie erst sukzessive lernen, ihre Gefühle einzuordnen, zuzuordnen und adäquat zu kommunizieren. Wir wissen nicht genau, was in ihnen vorgeht. Wir nehmen es immer nur an und auf Basis unserer Erfahrungen, die wir gemeinsam mit ihnen machen, benennen wir vergleichbare Gefühlswelten mit denselben Worten. Dennoch liegen wir manchmal total daneben. Egal wie gut wir unsere Kinder kennen. Wir sind nicht sie. Genausowenig können wir sicher behaupten, was in anderen vorgeht. Doch nur durch dieses Spiegeln des Gegenüber, lernen Kinder (klarer) zwischen verschiedenen Emotionen zu differenzieren und diese Gefühle dann auch so einzuordnen, dass sie angemessen auf sie reagieren können. Angemessen für sich selbst und angemessen für ihre Umwelt. Wenn mich also meine kleine Tochter unentwegt fragt, warum andere Leute dies oder jenes tun, dann tut sie das natürlich aus einer gewissen Neugierde heraus, doch richtet sich diese eben nicht ausschließlich auf die anderen, sondern zugleich auf sich selbst. Indem sie die anderen besser verstehen lernt, begreift sie auch sich selbst und diese Welt besser.

Aus diesem Grund tratsche ich mit meiner Tochter und werde es auch mit meinem Sohn tun. Stets altersangemessen und bemüht darin, das bedürfnis- und beziehungsorientiert zu tun. Letzteres geschieht dadurch, dass ich nicht ein Schlechtmachen anderer in den Vordergrund stelle – und dies auch soweit wie möglich vermeide – sondern ein Verstehen der anderen. 

Aus welchen Bedüfnissen heraus haben andere gehandelt (oder etwas unterlassen)? 
Wie ist die Beziehung zu den anderen Menschen, zu denen meine Kinder Fragen haben oder zu denen ich Fragen habe? 
Welche Dinge gehen uns wie etwas an? 
Warum interessiert uns Bestimmtes an den anderen eigentlich
Was machen wir mit diesem Wissen? 
Ja, was wissen wir überhaupt vergleichsweise „sicher“ und wo haben wir gemutmaßt? 
Sollten wir später vielleicht einmal persönlich nachfragen? Sollten wir genau das nicht tun? Warum nicht?
Welche Fragen sollten unsere Kinder vielleicht lieber leise stellen, weil es andere verletzen könnte?
Welche Fragen provozieren (und sollten trotzdem gestellt werden dürfen)?
Wie weit dürfen wir gehen, wenn wir etwas erfahren wollen?

Bedürfnis- und Beziehungsorientiertheit endet nicht beim eigenen Kind oder in der eignen Familie. Es betrifft uns alle. Wie wichtig Tratschen als gesellschaftsverbindende und identitätsstiftende Aktivität ist, habe ich schon erläutert. Wie wichtig es aber wäre, wenn wir auch noch bedürfnis- und beziehungsorientiert tratschen, das möchte ich nun am Ende dieses Beitrags herausheben. Wir machen diese Welt zu einem besseren Ort, wenn wir uns bewusst für die anderen interessieren. Nicht aus destruktiver Neugierde heraus, sondern weil wir die anderen besser verstehen wollen. Das schließt auch Menschen ein, die wir kaum oder gar nicht persönlich kennen, deren Tun uns aber beschäftigt. Nicht immer kann man alles umfänglich mit den anderen klären. Man will es auch nicht immer. Auch als bloßes Ventil, um selbst Gedanken und Emotionen abzulassen, ist Tratsch legitim. Machen wir uns doch frei davon, dass wir diese besseren Menschen sind, die niemals nicht tratschen. Wir tun es ja doch. Verwehren wir es jedoch unseren Kindern, mit uns zu tratschen, dann nehmen wir ihnen einen wichtige Möglichkeit, die Vielfallt der Bedürfnisse und Beziehungen kennenzulernen – und vielleicht gerade dadurch zu toleranten Menschen zu werden.

 

Lasst uns nicht irgendwie tratschen, sondern bewusst. Lasst uns verstehen wollen. Lasst es uns gemeinsam mit unseren Kindern tun.
Herzlichst eure Jessi

 

Und wenn dir dieser Text gefällt dann pinne ihn doch auf Pinterestfolge uns dort oder abonniere einfach unseren Newsletter (als monatliche Ausgabe oder als regelmäßige Information über einen neuen Beitrag).

Warum Tratschen auch bedürfnisorientierter Elternschaft gut tut | Terrorpüppi | Reflektiert, bedürfnisorientiert, gleichberechtigt