Ich erlebe ab und an Eltern, die sehr bemüht sind, ihrem Kind keinen Frust zuzumuten. Sie versuchen, ein Nein zu umschiffen, auch wenn das Kind gar nicht unter besonderem emotionalen Stress steht und dieses Nein zwar Wut, Ärger und Enttäuschung hervorbrächte, aber das Kind das wahrscheinlich auch aushalten würde, sofern es einen begleitenden Erwachsenen gibt. Frustrationstoleranz und Impulskontrolle entstehen nicht, weil es keine Frustrationen gibt. Sie entstehen, weil Frustration als aushaltbar erlebt wird und daraus etwas Kreatives und Neues entstehen kann. Das hilft, eigene Impulse umzulenken und nicht jede Handlungsidee in die Tat umzusetzen. Um gut mit sich und mit anderen zu leben, ist das fundamental. Es braucht ein angemessenes Maß an Frustration, um sich zu entwickeln und Neues zu erschaffen.
Frustrationstoleranz und Impulskontrolle: grundlegende psychische Fähigkeiten
Frustrationstoleranz bedeutet, dass man eine Frustration (ein Misslingen, eine Abweisung, eine Niederlage etc.) gut aushalten kann, ohne sich oder andere (verbal oder auch handgreiflich) zu verletzen. Eine einigermaßen stabile Frustrationstoleranz auszubilden, ist sehr wichtig. In einem normalen Leben lauern nämlich überall Frustrationen: Die Beförderung bleibt aus. Die Jeans passt nicht. Der Partner will partout nicht mit einem tanzen gehen. Ohnehin kriegt man in letzter Zeit andauernd Absagen von Freunden u.s.w. Als reifer Erwachsener kann man dann überlegen, woran das liegt, kann sich Alternativen oder sonstiges einfallen lassen und womöglich kreativ und nicht schädigend damit umgehen. Frustrationstoleranz und Impulskontrolle sind wesentliche Eigenschaften, um stabile Beziehungen zu führen.
Impulskontrolle bedeutet, dass wir unsere Bedürfnisse wahrnehmen und sie nicht gleich in die Tat umsetzen müssen. Wir können unsere Impulse umlenken und statt einer Tüte Chips einen Apfel essen. Oder wir können statt eines lautstarken Streits, weil wir extrem wütend sind, kurz durchatmen und versuchen, die Situation ruhig und besonnen zu klären.
Ein starkes Ich: Lust und Wut in angemessene Bahnen lenken
Ein Kind, gerade ein Kleinkind, kann das nicht so gut, weil seine Ich- Struktur noch nicht stabil genug ausgeprägt ist. Das Ich ist in psychoanalytischer Terminologie ein Teil der Psyche, der die strukturellen Fähigkeiten beinhaltet. Es ist nicht zu verwechseln mit dem Selbst. Zu den sogenannten strukturellen Fähigkeiten gehören unter anderem eben auch die Frustrationstoleranz und die Impulskontrolle. Das Ich ist der Teil, der klar denkt und überlegt handelt. Das Ich bändigt sozusagen die eigene Lust und verknüpft sie mit den Normen und Werten. Im besten Fall hilft es dabei, dass eigene Wünsche und Bedürfnisse wahrgenommen und an passender Stelle ausgelebt oder durch etwas Anderes ersetzt werden können.
Das Ich ist störanfällig, denn starke Emotionen behindern das Denken. Das kennt, denke ich, auch jeder gut strukturierte und reife Erwachsene.
Das frustrierte Kleinkind: ein Tal des Jammers
Nun hat aber ein Kleinkind diese Fähigkeit noch nicht stabil erworben (ein Schulkind sollte diese Fähigkeiten dann schon relativ stabil ausgebildet haben). An allen Ecken und Enden gibt es Frustrationen: spring nicht mit dem weißen Kleid in die Pfütze, zieh mir nicht an den Haaren, schmeiß die Blumenerde nicht in den Backofen, hör auf die Katze zu waschen, zieh dir bitte die Jacke an, räume die Regale nicht aus… eine endlose Liste. Natürlich hat das Kind Lust, all diese Dinge zu tun. Wer könnte es ihm verübeln? Nun ist aber die Lösung nicht, dass wir all diese Dinge erdulden. An manchen Tagen ist das bestimmt die Lösung, weil man einfach fertig ist und keine Kraft hat, eine Auseinandersetzung auszuhalten.
Im Sinne des Kindes ist das als grundsätzliche Haltung aber nicht sinnvoll.
Das Kind erlebt andersherum, wenn wir sagen, dass wir etwas nicht möchten auch, dass man sich von einander abgrenzen und sich auch übereinander ärgern kann. Die Beziehung wird daran aber nicht zerbrechen, wenn wir dazu selbst in der Lage sind.
Trotz Trotz darf ein Nein auch sein
Die „Trotzphase“ ist eine Zeit, in der ein Kind seine eigene großartige Wirksamkeit entdeckt und erstmal glaubt, dass alles so ist, wie es das will. Mit dieser Grundhaltung stößt es natürlich andauernd irgendwo an. Es sieht nicht ein, dass man z.B. die Wände nicht mit Wachsmalstiften bemalt. Es will es doch, wo sollte also bitteschön hier jetzt ein Problem sein? In der kindlichen Entwicklung ist das eine ganz normale Phase, diese Art von Größenwahn.
Es gibt aber Menschen, bei denen bleibt zeitlebens eine offene Anspruchshaltung und eine geringe Frustrationstoleranz bestehen und ja, das hat auch damit zu tun, dass niemand die kindlichen Reaktionen auf ein Nein ausgehalten und dann womöglich auf ein Nein lieber verzichtet hat.
Frustrationen wahrnehmen, statt sie zu ignorieren
Denn Vorsicht: Frustrationen muss man wahrnehmen! Frustrationen durch andere Menschen sind Teil des Lebens. Es kann nicht sein, dass jemand anderes permanent darum bemüht ist, uns nur nicht zu frustrieren. Den Frust miteinander zu bereden, wenn die starken Gefühle sich beruhigt haben, ist wichtig (Memo: bei starken Gefühlen ist das Ich schnell überfordert. In Neurosprech: Bei übermäßiger Innerveration des limbischen Systems (Gefühlsareal) ist das Frontalhirn (Denkapparat) nicht sonderlich aktiv). Eine gewisse affektive Beteiligung ist auch notwendig, sie darf nur nicht so intensiv sein. Wenn wir nämlich ganz rational über unseren Frust sprechen, dann erreicht es uns tief im Inneren auch nicht. Das mag manchmal Vorzüge haben, ist aber eben auch nicht langanhaltend.
Ich erlebe in den Therapien bei Erwachsenen häufig Folgendes: ich frustriere die Patienten unabsichtlich (weil ich krank werde und die Termine absagen muss, weil ich vielleicht gerade einen Notfall am Telefon klären muss und das den Stundenbeginn nach hinten schiebt, weil ich eine Aussage falsch verstehe, weil ich etwas „unpassend“ kommentiere oder deute, weil ich Fragen nach persönlichen Umständen nicht beantworte) und dann unterschiedlichste Reaktionen kommen. Es gibt Patienten, die ihrem Ärger sofort freien Lauf lassen und mich zur Schnecke machen. „Was sind Sie denn für eine Therapeutin, die Ihre Termine nicht einhalten kann?“.
Dann gibt es diejenigen, die sagen: „ach, das ist doch gar nicht schlimm, das passiert ja jedem Mal.“ Und dann kommen sie einfach nicht zur nächsten Stunde. Auf Nachfrage sind sie nicht in der Lage, über ihren Frust mit mir zu sprechen. Nicht jeder, der Frustrationen übergeht, hat eine schlechte Frustrationstoleranz. Wichtig ist, ob jemand es aushält, den Frust gut für sich zu verarbeiten oder ob derjenige dann sich oder anderen gegenüber aggressiv wird.
Kinder bei Frustration co- regulieren
Ist ein Kind/ Mensch mit schwachen Ich- Funktionen nun frustriert, ist es erstmal notwendig, diese Gefühle zu halten. Das heißt, wir hören uns das an und unterbinden vielleicht zunächst ein aggressives Agieren. Es ist keine Lösung irgendwo draufzuhauen oder jemanden zu verletzten.
Wir hören zu. Manch ein Kind/ Erwachsener braucht es, dass man das stumm tut. Dass man nicht dazwischen spricht, sondern erstmal alles nur aufnimmt. Natürlich ist das manchmal sehr schwer, denn es handelt sich da um einen sehr wütenden Menschen. Gelingt es nicht, den Frust alleine zu regulieren, also von ihm zu lassen und sich wieder anderen Dingen zu widmen oder z.B. auch einen neuen Versuch zu unternehmen, den Turm doch noch zu bauen, ist es notwendig, diese Funktion zu übernehmen. Hilfe zur Selbsthilfe könnte man sagen. Es bringt nichts, den immer wieder umfallenden Turm für das Gegenüber alleine zu bauen. Ja schön, dass DU das kannst.
Es ist wichtig, dass der Frust gemeinsam durchgestanden wird, ohne dass der Frust abgenommen wird. Bedürfnisse kann man nicht immer durchsetzen- so ist das Leben!
Impulse kontrollieren: einem Kind helfen, Konsequenzen zu verstehen
Seine Impulse zu kontrollieren und nicht draufloszuschlagen, um sich zu futtern, pausenlos Sex zu haben, jeden Abend Alkohol zu trinken, nur Fern zu sehen u.s.w. ist wichtig. Wir müssen als Kinder eben auch lernen, dass sich nicht alles umsetzen lässt und dass wir unsere Impulse kontrollieren müssen. Wenn ich jedes Mal jemanden schlage, wenn ich wütend bin, dann bin ich am Ende wahrscheinlich ziemlich alleine. Wenn ich jeden Abend Alkohol trinke, dann wird mir das auf lange Sicht schaden.
Ein Kind schlägt vielleicht, weil es sich nicht anders zu helfen weiß und deswegen braucht es uns. Nicht, damit wir sagen: alles nicht so schlimm. Sondern um zu zeigen: „hey, du, das geht so nicht“. Anstatt zu schimpfen und Moralpredigten zu halten, haben wir eine viel wichtigere Aufgabe.
Kindern zu zeigen und zu begleiten, was passiert, wenn sie sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, ist notwendig. Eine versprachlichte Konfrontation mit den Folgen des eigenen Handelns ist keine Entwertung! Es ist unsere Aufgabe als Eltern. Da ein Kind bis etwa vier nicht in der Lage ist, eine Außenperspektive selbständig im Kopf zu entwerfen und sich vorzustellen, wie jemand Anderes etwas wahrnimmt, ist es an uns, mit dem Kind das gemeinsam zu fantasieren. Ein Kind wird nicht automatisch diese Außenperspektive irgendwann entwickeln. Das kann nur entstehen, wenn ihm selber einerseits empathisch und interessiert begegnet wird UND wenn man sich gemeinsam über andere Menschen und deren Empfindungen Gedanken macht.
Ein langer Weg, aber ist dann alles harmonisch?
Ein Kind entwickelt in der Beziehung zu den Eltern eine Erwartungshaltung. Schwierig wird es für ein Kind, wenn Eltern immer wieder unterschiedlich reagieren. Heute eilen sie sofort herbei, morgen reagieren sie kaum. Wenn Eltern immer sofort Bedürfnisse und Wünsche erfüllen, dann ist das für die Herausbildung der Impulskontrolle und Frustrationstoleranz nicht förderlich.
Kind brüllt „Durst jetzt“ und die Eltern lassen alles stehen und liegen, was sie gerade tun. An einem normalen Tag muss das nicht sein, da wird ein zugewandtes „ich ziehe mir die Schuhe aus und wasche meine Hände und dann bekommst du ein Glas Wasser“ ausreichen.
Normen durch die elterliche Haltung
Natürlich muss sich jeder auch an die eigene Nase fassen. Erlebt das Kind uns auch als sehr beharrlich und unruhig in der Durchsetzung unserer Wünsche und Bedürfnisse, dann etabliert sich diese Haltung möglicherweise durch Identifikation auch im Kind. Wir und andere Personen des Umfelds setzen durch unser Verhalten Normen, an denen das Kind sich orientiert. Für das Kind ist also nichts unproblematisch daran, dass es brüllt, wenn das Wasser nicht SOFORT auf dem Tisch steht, wenn es z.B. die Eltern auch so ungehalten erlebt.
Je älter ein Kind wird, desto mehr kann man ihn an Warterei auch zumuten. Wichtig ist, dass klar kommuniziert wird und Vorausschaubarkeit eingehalten wird. Je unverlässlicher unser Kind uns erlebt, desto eher wird es ungeduldig und wütend, weil es nicht weiß, ob und wann es sich auf unser Wort verlassen kann.
Ein Kind verinnerlicht, dass es OK ist, sich auch geliebten Menschen gegenüber abzugrenzen und eigene Wünsche und Bedürfnisse im Blick zu haben. Ich erlebe genau das bei vielen Menschen als sehr schwierig. Es wabert die Vorstellung in vielen, dass man sich für den anderen zurückstellen muss, wenn man eine harmonische Beziehung führen will. Ich schlage gerne vor, dass sich eine lebendige und authentische Beziehung vielleicht sogar noch besser anfühlen kann als eine harmonische Beziehung. Denn diese Harmonie ist schließlich nicht echt. Sie fußt darauf, dass man sich selbst nicht zeigt und dies dann oftmals auch vom Gegenüber erwartet. Die Angst vor der Ablehnung der eigenen Wünsche und Bedürfnisse verhindert, dass sie überhaupt die Chance zur Erfüllung bekommen.
Denn eins ist klar: manchmal werden Bedürfnisse und Wünsche frustriert, weil der andere eben nicht möchte und manchmal werden sie aber eben doch erfüllt. Wir dürfen unseren Kindern nicht zu viel an Frustration zumuten, aber ein gewisses Maß frustrierenden Abgrenzung ist notwendig, damit sich Frustrationstoleranz entwickeln kann.
Kleiner Epilog
Ich möchte gerne dafür sensibilisieren, dass ein Kind beides braucht: ja und nein! Und es braucht die Erfahrung, dass wir uns in solch nahen Beziehungen selber Abgrenzung trauen. Und dass ein Nein nicht bedeutet, dass wir uns abwenden, sondern dass wir da sind, die Konsequenzen des Nein gemeinsam auch auszuhalten, wenn notwendig. Es geht nicht um Strenge und das Einfordern von Gehorsam. Es geht nicht darum, dass unser Kind augenblicklich reagiert, sondern es geht um die Schaffung eines Rahmes auch für das Innere des Kindes. Der Rahmen schafft eine Sicherheit und lässt Grenzbegehungen und Grenzüberschreitungen auch lustvoll erleben. Ohne Rahmen gibt es diese Erfahrungen nicht.
Eure Madame FREUDig
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Toller Artikel, danke!
Bei meiner Tochter (2,5j) ist es so, dass sie sehr ungeduldig und wütend wird, wenn etwas nicht sofort klappt. Also wenn der Bauklotzturm umfällt, dann wird sie sauer und versucht es dann gar nicht nochmal. Auch wenn ich anbiete, es mit ihr gemeinsam zu versuchen. Keine Chance.
Hast du einen Tipp, wie ich ihr helfen kann, solche Dinge besser auszuhalten?
Danke dir!
Erstmal danke für deine lobende Worte, liebe Gisa.
Ich glaube, dabei zu sein hilft auf lange Sicht. Es ist ja nun mal nicht zu ändern, aber es ärgert ungemein. Sie will dann erstmal nicht. Das ist okay. Halte das mit ihr zusammen aus.
Ein sehr schöner Text! Wenn es nur für alles ein Erfolgsrezept geben würde! ABER wir haben nun mal Seelenaufgaben die wir lösen und bewältigen müssen.
So ist es mit meiner Tochter. Ein Mädchen von 4 Kinder. 13 Jahre und wir müssen sie in eine WG geben mit psychologischer Betreuung. Auch dort haben wir keine Garantie ob sich was ändert. Ich habe durch meine Tochter meine eigenen Grenzen kennen gelernt und das war das Seelengeschenk von ihr an mich! Jetzt lass ich sie in LIEBE ziehen und sie wird ihre Aufgaben bestehen oder auch nicht. Was weiß man schon, was das Leben für einen bereithält. Was weiß man schon, was wir einst mit lieben Menschen eingewilligt haben um aneinander zu wachsen und zu lernen.
Der Bericht wird vielen Menschen helfen! NEIN und Grenzen sind immens wichtig für die Kinder. Liebevolle Grenzen setzen. Ich selbst habe es nicht gelernt von meinem Elternhaus und konnte es auch meinen nun älteren Kindern nicht lernen oder vorzeigen. ABER auch da ist genau das, was ich am Anfang schrieb. Bei Mädchen gleich geführt und trotzdem ist ein Kind nicht zu bändigen. Man hat es nicht in der Hand!
Ich bin froh, dass ich weiß was das LEBEN bedeutet. Das jeder Mensch Aufgaben hat und daraus lernen muss.
Ganz liebe Grüße
Irene
Danke für diesen Text! Ich hatte tatsächlich am Anfang meines bedürfnisorientierten Weges oft Schwierigkeiten, „nein“ zu sagen, ich musste erst einmal lernen, ALLE Bedürfnisse wahrzunehmen und das richtige Gleichgewicht zu finden. Ich wiederhole mich gerne: Ihr solltet unbedingt ein Buch schreiben!!!! 🙂
Du ermunterst mich immer sehr! Wer weiß, irgendwann kommt vielleicht eins. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass du mehr von uns lesen würdest.
Sei ganz lieb gegrüßt!
Ich finde ein Nein sinnvoll, um einem Kind auch mal die persönlichen Grenzen aufzuzeigen, oder das Kind vor Gefahren zu schützen. Für mich als blinde Mutter war das v. A. wichtig im Straßenverkehr. Wenn das Nein nicht funktionierte, mußte das Kind eben wieder an der Hand laufen.
Da hast du nochmal einen ganz anderen Zugang zu. Danke für den Denkanstoß!
Hallo, ihre Aussagen finde ich zu kurz: „Es gibt aber Menschen, bei denen bleibt zeitlebens eine offene Anspruchshaltung und eine geringe Frustrationstoleranz bestehen und ja, das hat auch damit zu tun, dass niemand die kindlichen Reaktionen auf ein Nein ausgehalten und dann womöglich auf ein Nein lieber verzichtet hat.“ Es stigmatisiert Eltern erkrankter Kinder ADHS/ADS und führt sie zweifelsfrei in die Frustration – als hätten sie nie NEIN gesagt. Es gibt Kinder, deren Impulskontrolle aufgrund einer Erkrankung nur begrenzt möglich sind – gem. Gesetz sind sie bspw. dann sogar von einer Behinderung bedroht, vielmehr auch eine Gefahr für das Kind gegeben – soziale Ausgrenzung und hohe Frustration mit neg. Selbstbild. Dies erwähnen Sie in keinem Satz. Genau dabei zeigt sich das Problem, dass vielen Eltern deren Kinder wirklich Erkrankungen vorweisen – und ich meinen nicht die Eltern, die meinen ihr Kind sei Hochbegabt und deswegen auffällig – denken sie müssten das doch alleine hinkriegen und scheitern – zum Leidwesen der Kinder, Eltern und Geschwister. Diesen Gedanken müssten Sie hier auch aufgreifen, mit dem Hinweis, dass sowas durchaus erstmal abgeklärt gehört. Auch für Eltern mit gesunden Kindern fehlt der Hinweis sich Hilfe zu holen. Nicht jeder kann diesen Kampf – bspw. Einschlafriten und VErhalten durchzukämpfen- durchhalten.
Danke für Ihren Beitrag!
Fühlen Sie sich eingeladen, ruhig einmal auf dem Blog bzw. meinen Artikeln querzulesen, da finden Sie vielleicht etwas für Sie Passendes bzw. Entlastendes. Ich bin nicht der Meinung, dass ich irgendwas erwähnen MUSS, was ich an der Stelle nicht für sinnvoll halte. „Nein sagen“ ist ein Aspekt von vielen und wofür die Grenzziehung durch gerade die liebenden Eltern wichtig ist, soll dieser Artikel beleuchten. Es geht ja eben darum, dass Eltern ihre Grenzen spüren und sowohl die aggressiven als auch die liebenden Anteile in ein und derselben Beziehung existieren dürfen. Und das, vollkommen unabhängig davon, wie „krank“ das Kind nun ist.
Es gibt immer Sonderfälle: Hirnschädigungen, hormonelle Erkrankungen etc. Das kann alles einen Einfluss auf alles haben.
Dass Sie sich von dem Artikel so angegriffen fühlen, verstehe ich nicht ganz. Sie können sich mitnehmen, was Ihnen hilft und liegen lassen, was für Sie sinnlos erscheint. Ich denke, dass der geneigte Leser auf seine Situation abstrahiert und wer ein organisch krankes Kind hat, wird wahrscheinlich/ hoffentlich für sich persönlich Abstriche machen können.
AD(H)S hat ebenso seine psychodynamische Entstehungsgeschichte und somit ist natürlich auch eine Beteiligung der Eltern an der Genese nicht von der Hand zu weisen.
Alles Gute
Hallo, toller Text. Eine Frage habe ich nun. Mein kleiner wird bald ein Jahr alt und ich habe bisher so gut es möglich war auf ein „nein“ verzichtet. Da er ein Schreibaby war , hatte ich Angst vor Situationen, die ihn frustrieren könnten. Ist es kontraproduktiv ? Wann fängt man überhaupt damit an ?
Liebe Grüsse
Melanie
Liebe Melanie,
Es ist nie zu spät, einem Kind zu signalisieren, dass auch geliebte Menschen frustrieren, das aber gemeinsam aushaltbar ist. Eine Welt, die alles nur bejaht und „bejubelt“ gibt es schließlich nicht. Unsere Kinder halten es aus, wenn wir es mit ihnen aushalten, was zugegebener Maßen manchmal einfach auch sehr anstrengend ist. Diese Erfahrung des Aushaltbaren kann innerlich sehr stärkend sein.
Alles Liebe!
Ein toller, einfühlsamer Text, der zum nachdenken anregt.
Mir fällt es als Mutter auch manchmal schwer nein zu sagen, obwohl es immer besser geht. Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass ich, indem ich meinem Kind meine Grenzen aufzeige, ihm den Weg öffne, seine eigenen Grenzen abzustecken und auch klar nein sagen zu können, wenn es etwas nicht möchte. Darauf bin ich richtig stolz, dass meine Tochter richtig gut nein sagen kann, dass sie aber auch Kompromisse und Lösungen besprechen kann. Weil ein Nein schränkt ja nicht zwangsläufig ein sondern bietet auch die Möglichkeit kreative Lösungen zu finden.
Das klingt sehr schön!
Ich fände noch wichtig zu erwähnen, wie ich das Kind z.b in den Gefühlen begleite. Sprich: ich Spiegel die Gefühle und erlaube sie. „Du ärgerst dich darüber, weil du es dir so sehr gewünscht hast. Das kann ich verstehen. Und du darfst dich darüber auch ärgern und wütend sein.“
Meine Eltern waren sehr streng, es gab immer klare Grenzen aber leider auch kein spiegeln oder zulassen der Gefühle. Ich wurde mit meinen Emotionen alleine gelassen und ignoriert oder als störend wahrgenommen. Das hat in mir bewirkt, dass ich heute als erwachsener Mensch große Probleme habe, Emotionen zu spüren und zu äußern. Ich musste lernen, was ich möchte und wo meine Grenzen sind und wenn mir jemand nein sagt, dass er mich nicht gleich verlässt. Heute sage ich: eine liebevolle aber klare Erziehung ist das wichtigste. Ich muss mit einem Kind nicht schreien, wenn es genau weiß, wo dran es ist. Wenn ich mir in meinen Handlungen bewusst bin und sicher, so kann sich das Kind auch an mir orientieren. Und ein nein verkraften. Ich freue mich immer, wenn ich Eltern sehe, die noch klare Grenzen ziehen. Vielen ist das in der Öffentlichkeit unangenehm. Dabei machen sie das genau richtig.
Du fasst es sehr schön zusammen. Ich danke dir!
Vielen Dank für diesen Artikel!
Meine Frage bezieht sich auf die Frustrationstoleranz eines Babys: beim Umdrehen bzw den Vorstufen des Krabbelns gibt es immer wieder Situationen, die unseren Sohn frustrieren, wenn er mehr möchte,als ihm möglich ist. Wie kann ich ihn da am besten begleiten? Dankeschön!
Hallo Michi,
Ich danke dir!
Babygerecht begleiten… Es ist ja doof, etwas nicht zu können. Unaufgeregtes Trösten und vielleicht Hilfe zur Selbsthilfe. Man kann ja, gerade wenn die Kinder sich noch helfen lassen, kleine Impulse setzen, ohne das Kind z.B. selber umzudrehen. Man kann z..B. die Hände unter Babys Füße halten, damit es nicht wegrutscht.
Ausgewogene Unterstützung sozusagen, die bei einem Baby nochmal aktiver ist. Sich der Frustration annehmen und dabei sein, ohne alles abzunehmen, sondern so viel Unterstützung wie möglich. Und über die gemeinsame Anstrengung kann man sich miteinander freuen.
LG
Hallo!
Interessanter Blog.
Meine Tochter (2,5) kommt oft aus ihrer Frustspirale nicht mehr heraus (Jacke anziehen nicht geklappt, etc). Das dauert dann bis zu einer Stunde. Die Situation darf dann nicht verändert werden (Raum verlassen, aufstehen, o.ä.), Vorschläge werden ignoriert, ich darf nicht helfen.
Sie ruft dann unter weinen immer „Mama, Arm“, ich darf sie jedoch nicht anfassen. Ich öffne dann meine Arme und biete ihr an in meine Arme zu kommen, das erwidert sie dann aber immer mit „Nein“. Ich wiederhole es dann einfach immer wieder, bis sie irgendwann plötzlich in meine Arme kommt. Sie ist dann ganz erschöpft und kann sich nur bei einem gemeinsamen Buch angucken ganz beruhigen.
Ich sehe wie zerrissen sie jedesmal ist, weiß aber nicht, wie ich sie aus ihrer Frustspirale erlösen kann.
Über Tipps bin ich sehr dankbar.
LG,
die Pirjo
Liebe Pirjo,
Ich nehme an, deine Tochter hat widerstrebende Bedürfnisse: selbstwirksam sein geht nicht gut einher mit Hilfe annehmen.
Dass du sie „erlösen“ willst, verstehe ich gut, aber letztlich muss sie das für sich lösen und dadurch neue Fähigkeiten entwickeln. Ich denke, ihr seid auf einem guten Weg, wenn du ihren Frust (aus-)halten kannst und ihr Möglichkeiten anbietest, etwas selber zu schaffen. Vielleicht hilft es ihr, sich in Teilen selbstwirksam, autonom und fähig zu erleben (manches geht, manches nicht: bei ihr, dir und xy)
Möglicherweise geht es darum, wohlwollend Unfähigkeiten anzunehmen, ohne zu bagatellisieren.
Liebe Grüße
Guter Text! Aber was macht man bei einem fast 18jährigen Sohn, der immer nur sein Ding machen möchte und ein Nein nicht mehr akzeptiert und eine scheinbar fehlende Frustrationstoleranz hat? Er sitzt Konflikte nicht aus, Gespräche wo man als Elternteil anderer Meinung ist, bringen nichts. Er entflieht den Situationen regelrecht. Verbringt den Tag woanders um sich zu Hause nicht den Problemen stellen zu müssen. Man bekommt ihn dann zur Klärung nicht zu packen.Das macht es schwer damit wirklich umzugehen. Er ist in der Sturm und Drangphase, möchte am liebsten jedem Impuls nachgehen, wenn ich ihm dann aber schon mal sage, das es nachts nicht sinnvoll ist im Park joggen zu gehen, scheint es, als ob er erleichtert ist darüber, was er natürlich nie zugeben würde. Der Konflikt liegt für mich gerade darin, ihn auch zu bewahren vor kopflosen Aktionen, ihn zu begleiten in der letzten Phase des Kindseins und Dinge zu verhandeln. Er ist gerade sehr mit seinem Ich beschäftigt, möchte am liebsten den ganzen Tag nur das tun, wozu er Lust hat. Konflikte die dadurch entstehen aus dem Weg gehen. Wie kann ich ein Nein setzen, was auch verstanden wird, ohne nur damit eine starre Grenze aufzuzeigen, die in ein Machtspiel mündet. Es kann nicht sein, das ich alles zulasse, was ihm gerade durch den Kopf geht. Mir fehlen die Argumente. Festhalten kann ich ihn auch nicht, wenn er gehen will. Was kann ich also machen, wenn er mit dem Frust des Neins nicht umgehen will, ihm dann fast die Tränen kommen und er dann davon spricht, dass er dann aber unglücklich ist. Wie verhält man sich bei fast erwachsenen Kindern?