Ich bin Bad und mache mich für die Arbeit fertig. Draußen kann ich die Müllabfuhr hören. Vögel zwitschern penetrant laut. Mit der Zahnbürste im Mund halte ich plötzlich inne. Da ist es. Ein Weinen. Ich kann es klar und deutlich hören. Schnell lege ich meine Zahnbürste zur Seite und eile aus dem Bad. Doch schon im Wohnzimmer bleibe ich stehen.
Stille.
Kein Schreien, kein leises Weinen, nichts. Einfach nur Stille.
Alles nur eingebildet? Aber ich konnte es doch so eindeutig hören. Es waren auch nicht irgendwelche Schreie, sondern ganz klar die meines Babys (Pardon: mittlerweile Kleinkindes). Werde ich etwa verrückt?
Wäre dem so, dann wäre ich allerdings schon eine ganze Weile verrückt, denn solche Phantomschreie habe ich schon bei meinem ersten Kind regelmäßig gehört: bevorzugt dann, wenn ich im Badezimmer war. Unzählige Male hatte ich die Dusche ausgemacht und meinen Kopf aus der Duschkabine gesteckt, um den Schreien, die wie von Geisterhand plötzlich verschwanden, zu lauschen. Musikhörend in der Küche backen oder kochen, während die Kinder schlafen? Selbst mit Babyphone kann ich sie zwischendurch hören: die Schreie, die nur ich hören kann.
Von Phantomschmerzen zu Phantomschreien
Ohne bisher je nachgeschlagen zu haben, nenne ich diese Schreie Phantomschreie in Anlehnung an Phantomschmerzen, bei denen ein Körperteil schmerzt, das gar nicht mehr da ist und entsprechend auch nicht schmerzen kann. So ist es auch mit den Schreien: Ich kann Schreie hören, die es nicht gibt, die sich aber sehr real für mich anfühlen.
Dank Gesprächen mit anderen Eltern habe ich glücklicherweise schon früh gehört, dass es auch anderen so ergeht.
Nun möchte ich gar nicht erst den Anschein erwecken, dass ich Phantomschreie an dieser Stelle wissenschaftlich untermauert erklären könnte. Dennoch möchte ich euch meine Gedanken hierzu mitteilen, wie ich mir selbst die Phantomschreie erkläre:
- Ich höre die Phantomschreie zunächst vor allem dann, wenn ich ein echtes Weinen oder gar Schreien womöglich wirklich nicht hören könnte. Das trifft in diesem Fall vor allem auf Bad und Küche zu, weil diese Räume weit entfernt vom Schlafzimmer sind und man tatsächlich schnell was überhört. Ich glaube, dass ich unbewusst Angst habe, Schreie – und damit Hilferufe meiner Kinder – nicht zu hören. Manchmal ist diese Angst auch dann da, wenn ich mich technisch mittels Babyphone eigentlich abgesichert habe.
- Außerdem habe ich festgestellt, dass ich tatsächlich Geräusche höre, nur dass diese von meinem Gehirn in entfernt klingendes Schreien umdefiniert werden. In der Küche ist es ein hoher quietschender Ton des Kühlranks, der mich regelmäßig denken lässt, eines meiner Kinder würde weinen. Ein reales Geräusch wird von meinem Gehirn also wahrgenommen und als etwas anderes verstanden, nämlich als Schreien. Meine Synapsen laufen auf jeden Fall auf Hochtouren und setzen ordentlich Hormone frei. Mein Baby schreit! Ich muss schnell hin!
- Das Weinen und Schreien meiner Kinder hat sich in mir festgesetzt. Auch aus sehr lauten, von zahlreichen Menschen, Tieren und Dingen verursachten Geräuschkulissen kann ich meine Kinder heraushören. Ich kann sie anhand ihres individuellen Weinens (oder Schreiens) von anderen Kindern unterscheiden. Vergleichsweise selten irre ich mich und bin dann – wenn es vorkommt – wirklich überrascht. Der Wiedererkennungswert der Schreie meiner Kinder ist für mich also sehr hoch. Mein Kopf hat das Weinen und Schreien sehr stark verinnerlicht und kann sie offenbar erstaunlich gut „reproduzieren“, auch wenn es sie gerade eigentlich nicht gibt.
So erkläre ich mir die Phantomschreie, die schon zu der einen oder anderen lustigen Situation geführt haben… mehr als einmal stand ich nackt und nass im Flur, weil mein Baby doch nach mir rief…
Falls ihr noch andere Erklärungen habt, womöglich sogar Belege für diese, dann immer her damit!
Lieben Gruß
Jessi
Das Phänomen kenne ich auch sehr gut und erkläre sie mir ähnlich wie du. Ich habe allerdings auch beobachtet, dass ich es beim ersten Kind auffällig häufiger hatte. Nun kaue ich schon länger auf der Frage herum, ob dies ein zweites Kind Ding ist oder es doch daher rührt, dass unser erstes Kind ein Schreikind war und ich dadurch noch eher mit Weinen rechnete, wenn es mal ruhig war…
Ich vermute, dass da beides reinspielt… Das Weinen ist nun beim zweiten Kind weniger präsent als beim ersten und du bist eine erfahrenere Mutter.
Lieben Gruß Jessi
Genau wie du es beschreibst, erlebe ich es auch. Und das, obwohl mein Mäuschen verhältnismäßig selten schreit aber die wenigen Male, wenn sie schreit haben sich tief in meinem Gedächtnis eingebrannt. Am liebsten hab ich die kleine natürlich 24/7 im Blick, geht nur leider nicht. Das muss ich noch lernen 😉
LG
Vermutlich ist das Phantomschreien sogar ein evolutionäres Erbe! ?
Erstaunlich, dass alles und jedes heutzutage mit der angeblichen Evolution versucht wird zu begründen…..
Das ist Paranoia, geht langsam weg wenn die Kinder älter werden. Du musst dir erstmal einimpfen, dass es deinem Baby gut geht wenn es schreit und das es normal ist und keine Bedrohung. Auch wenn es 10 min. oder auch länger schreien würde, würde dem Baby nichts passieren. Damit Du Dir die Angst davor nimmst es nicht sofort zu hören. Gehe immer langsam und ruhig zu deinem Kind hin auch wenn es laut ist keine Hektik oder gar Panik. Mit ruhiger Stimme an das Kind annähern und beruhigen, nicht von dem Geschrei irritieren lassen. Es ist das normalste der Welt wenn Dein Baby schreit, ihm passiert nichts, es hat nur Hunger oder anderes. Wenn Du das gecheckt hast, dann wird das mit der Zeit.
Alles Gute und liebe Grüße