Vor Kurzem las ich die Kommentare zu einem Beitrag, der offensichtlich Fremdbetreuung bzw. außerhäusliche Betreuung von Kindern in einer Kita grundsätzlich in Frage stellt. Die Empörung der Leserschaft brach sich in teilweise entwertenden Kommentaren bahn. Unzählige Studien würden schließlich beweisen, dass die Kita Kindern helfen könne, sozial kompetent zu sein. Und klüger… und spielerischer… und und und.

Gruppe kleiner Jungs beim Spielen

Bindung in der außerhäuslichen Betreuung als Grundlage zur Verinnerlichung von Sicherheit

Bindungsverhalten bedeutet immer, dass ein derart sicheres Band zwischen Bindungsperson und Kind besteht, dass es sich von ihm lösen und dabei seine Gefühle ausdrücken kann. Ein sicher gebundenes Kind ist in der Lage, die reale äußere Beziehung, die Halt gibt, als inneren sicheren Hafen zu nutzen. Mit fortschreitendem Alter ist das Kind (ab etwa 3 Jahren) nicht mehr darauf angewiesen, die reale Person in der Nähe zu wissen, denn das Kind hat durch Introjektionsvorgänge und Identifikationen diese äußere Beziehungserfahrung zu einer inneren psychischen Struktur umgewandelt. Deswegen ist eine Betreuung im außerfamiliären Rahmen mit drei etwas Anderes als es das mit einem Jahr ist.

Wenn nun, aus welchen Gründen auch immer, die Entstehung einer sicheren Bindungsfähigkeit im Elternhaus erschwert ist, kann eine sichere Bindungserfahrung in der Kita mit einer emotional kompetenten Person sehr vieles kompensieren.

Soziale Kompetenz durch tragfähige Kontakte zu Peers

Aber auch sicher gebundene Kinder können davon profitieren, von anderen Menschen als den Eltern betreut zu werden. Dass der soziale Kontakt zu anderen Kindern notwendig ist, um sich als sozial kompetentes Wesen zu entwickeln, steht, denke ich, außer Frage. Um eigene Fähigkeiten zu erproben und sich selbst zu spüren, müssen bestimmte Erfahrungen gemacht werden. Wenn selbstbetreuende Eltern sich hinreichend darum kümmern, dass ihr Kind Kontakte zu mehr oder minder Gleichaltrigen hat, ist das ebenso gut. Wichtig ist für Kinder das Gefühl, von den Peers angenommen und geschätzt zu werden. Ist die Unsicherheit im Kontakt mit anderen Kindern sehr groß, entwickelt sich oft das Selbstbild eines Einzelgängers. Das ist nicht verkehrt, aber es ist natürlich für das Kind sehr schade, weil es so nur einen Teil seiner Grundbedürfnisse hinreichend befriedigen kann.

Oftmals berichten mir Patienten, die in ausschließlichen und überwertigen Beziehungen mit ihren Eltern groß wurden, sie fühlten sich irgendwie beschädigt und spüren, dass es ihnen in sozialen Kontexten schwer fällt in Kontakt zu kommen. Das würde oft zu Neid und Groll gegen Andere und weiterer eigener Abwertung führen.

Es kann ein Anzeichen von grandiosem Denken sein, wenn Eltern annehmen, ihre Kinder bräuchten ausschließlich sie selber und nur sie seien in der Lage, „richtig“ mit ihrem Kind umzugehen.

Rationalisierungen, um das Eigene nicht zu fühlen

Ich möchte gerne meinem Grundlagentext zu den Bindungsstilen und der Notwendigkeit der emotionalen Begleitung auch bei der Eingewöhnung nun diesen Text zur Seite stellen, um den Raum zu weiten für folgenden Gedanken: jeder wird den für sich aushaltbaren Weg wählen. Unbewusst wird jeder das tun, was er oder sie braucht. Wir alle werden das mit guten Argumenten rationaliseren und uns damit aber vor unseren unbewussten Bedürfnissen und Befürchtungen verstecken. Es vergeht kaum ein Erstgespräch für eine Psychotherapie bei mir, wo der* die Patient*in nicht folgenden Satz (oder ähnliches) sagt:

das kann schon sein, aber das war dann höchstens ganz unbewusst, dass ich das gemacht habe.

Unser Unbewusstes scheint etwas zu sein, dass die Menschen als nicht zu sich gehörig empfinden. Was ich nicht  weiß, kann ich auch nicht beeinflussen. Das ist einer der Hauptgründe für eine psychodynamische Therapie, die versucht, Unbewusstes aufzudecken und dem Bewussten zugänglich zu machen. Das Unbewusste ist da, auch wenn wir von ihm nur selten etwas mitbekommen. Ratschläge und Verhaltensanweisungen unterbinden den freien Fluss und das Verstehen dessen, was im Inneren des Individuums vor sich geht.

Diese intensiven Reaktionen auf den oben erwähnten Beitrag, der offensichtlich auch der Spaltung unterliegt, weisen darauf hin, dass bei vielen intensive Gefühle angesprochen werden.

 

Die Statistik sagt aber…

Ich bin kein großer Fan von Statistik und irgendwelchen Varianzanalysen, sondern war schon immer eher Fan von qualitativer Forschung und natürlich- als Psychoanalytikerin- insbesondere von Einzelfallstudien.  Daher sind für mich Statistiken zwar interessant, befriedigen aber nicht mein Bedürfnis nach tieferem Verstehen.

Nun bemühen aber Eltern unterschiedlichster Vorgehensweise immer Statistiken und irgendwelche „Forschung“. Ich vermute, das soll über die eigenen Gefühle hinwegtäuschen. Möglicherweise sind da nämlich doch Schuldgefühle, weil das Kind mit 12 Monaten in die Kita gehen sollte. Oder da sind Schuldgefühle, weil das Kind mit fünf Jahren noch nie in festen Kindergruppen war und besonders ängstlich ist. Was aber bedeuten diese elterlichen Gefühle eigentlich?

Schuldgefühle und reale Schuld

Gründe für Schuldgefühle haben wir alle. Die haben nur in den meisten Fällen nichts mit unserem Kind zu tun, sondern mit uns. Reales Versagen ist reale Schuld! Schuldgefühle machen wir und unsere inneren Objekte uns selber. Es ist reale Schuld, wenn ich mein Kind in einer Einrichtung lasse, wo Kinder entwertet, tyrannisiert und schlecht behandelt werden. Wenn ich das wahrnehme und hinnehme, dann ist es meine Schuld. Denn es liegt als Eltern in meiner Verantwortung, für mein Kind einen hinreichend (!) gesunden Rahmen zu schaffen.

Wenn ich aber als Eltern merke, dass ich mein Kind am liebsten an die Wand klatschen möchte, weil es mir unfassbar auf die Nerven geht und ich lieber arbeiten gehe, statt mich mit dem nervenden Kleinkind auseinanderzusetzen, dann wird das seine Gründe haben. Womöglich hat dieses Elternteil Angst, den Anschluss zu verlieren und nicht gut genug zu sein (eigene narzisstische Problematik) und merkt, dass es im Job leichter ist, sich gut und kompetent zu fühlen als es das mit Kind ist. Dieses Elternteil würde unbewusst dafür sorgen, dass es durch das Arbeiten leichter in einem narzisstischen Gleichgewicht bleibt.

Womöglich ist das aber auch ein latent aggressiver Mensch, der unbewusst fürchtet, dem Kind ganz real Schaden zuzufügen, weil er manchmal nicht anders kann als zu brüllen oder gar Ohrfeigen zu geben.

Ich finde daher die Forderung, dass Kinder in den ersten Jahren immer zur Mutter gehören fragwürdig. Warum sollte ein Elternteil, dass nicht bei seinem Kind sein möchte, das von ihm genervt ist, besser für das Kind geeignet sein, als eine Fremdbetreuung, in der auf halbwegs angemessene Betreuungsschlüssel und zugewandte Erzieher*innen geachtet wird?

 

Mitgefühl aufbringen kann manchmal sehr schwer sein

Ich hatte durch Zufall tatsächlich inzwischen mehrere Frauen in Therapie, die ihre Kinder verlassen haben. Richtig verlassen, so dass seit Jahren keinerlei Kontakt bestand oder derart verlassen, dass sie ausgezogen sind und ihre Kinder nach irgendwelchen Regelungen in gewissen Abständen sehen.

Alle diese Frauen litten unter starken Schuldgefühlen… und hatten auch eine reale Schuld. Aber sie hatten gute Gründe dafür, ihre Kinder zu verlassen. Das wird den Kindern nicht helfen, denn sie werden sich immer fragen, was an ihnen nicht reichte, damit ihre Mutter bei ihnen bleiben konnte. Diese Zwiespältigkeit auszuhalten mag bisweilen schwer fallen, aber es ist notwendig, um beide Anteile (Täter und Opfer) sehen zu können.

Aber was wäre die Alternative?

Kinder spüren genau, ob die Eltern mit ihnen beschäftigt sein wollen und sich mit ihnen wirklich auseinandersetzen. Auch eine körperlich immer anwesende Mutter kann als abwesende Mutter empfunden werden. Ebenso kann ein Vater, der immer zu Hause sitzt, als wenig Halt gebend und fürsorglich wahrgenommen werden.

Eine jederzeit aufopferungsbereite Mutter, die sich und ihre eigenen Bedürfnisse zum scheinbaren Wohle der Kinder aufgibt, erlegt jenen möglicherweise eine sehr große Last auf. Wenn ein Kind spürt, die einzige (!) Erfüllung im Leben zu sein, wie soll das Kind sich gut lösen können? Wie soll es seine Schuldgefühle überwinden und eigene Wege liebevoll gehen?

Es gibt immer zwei Seiten: Eltern und Kinder

Die Brisanz der Elternschaft liegt vor allem darin, dass unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigt werden wollen. Jeder Mensch ist anders, hat andere Beziehungserfahrungen verinnerlicht. Natürlich kann es sein, dass eine Fremdbetreuung schadet, aber ebenso kann es einem Kind auch schaden, mit Eltern zusammen sein zu müssen, die viel lieber woanders wären.

Diese elterliche Haltung und Handlung wirkt sich in egal welcher Richtung auf das Kind aus: wenn ich mich zwinge, mit meinem Kind zu Hause zu bleiben, dann wird es das spüren. Es wird damit mit einer Schuld beladen, die es überhaupt nicht tragen sollte. Kinder sind nicht dazu da, um uns glücklich oder zufrieden zu machen!

Es ist natürlich als Eltern unsere Verantwortung, ein gutes Umfeld für unsere Kinder zu schaffen. Manchmal bedeutet das auch, dass die Kinder in einer Fremdbetreuung durchaus sehr gut aufgehoben sind.

Ein Kind braucht beides: Eltern und Peers

Es geht darum, dass ein Kind sich in seiner Vielfältigkeit entwickeln kann. Im Spiel mit anderen Kindern erfährt es viel über sich und wird mit Emotionen konfrontiert, die manchmal auch schwer auszuhalten sind. Das ist aber kein Grund, dem Kind diese Erfahrungen zu verwehren. Eben gerade nicht! Diese Erfahrungen machen wir alle zeitlebens. Manchmal fühlen wir uns ausgeschlossen, manchmal sind wir glücklich in einer Gruppe und fühlen uns beheimatet. All das können wir als Eltern emotional begleiten und zu verdauen helfen. Ja, manchmal ist man furchtbar wütend oder auch traurig. Das ist Leben! Dass aber alle diese Gefühle überlebbar sind und uns innerlich reich machen, können wir unseren Kindern vermitteln.

Fazit

Eine verantwortungsvolle Lösung ist immer individuell. Dazu wäre es schön, wenn sich die Eltern Gedanken darüber machen, warum ihr Kind auf keinen Fall in eine Kita soll oder warum es 8- 9 Stunden in einer Fremdbetreuung zubringen muss. Diese Extreme sind immer zu reflektieren.

Kleinkinder bis etwa 3 etablieren ihr Bindungssystem! Eine verlässliche Beziehungserfahrung ist notwendig, um ein sicheres Bindungsmuster für das Leben zu entwickeln. Sollte ein Kind schon in dieser Zeit in eine Fremdbetreuung kommen (müssen), ist eine verlässliche und emotional kompetente Bezugsperson dringend notwendig. Darüber hinaus ist natürlich auch zu überlegen, ob bei so kleinen Kindern eine Betreuung von vielen Stunden angemessen ist. Dass Bildung in diesen ganz frühen Jahren vordergründig sein soll, ist nicht haltbar. Bildung basiert auf einer guten Bindungserfahrung.

 

Eure Madame FREUDig

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