Anlässlich des heiß diskutierten Filmes „Elternschule“ möchte ich gerne einen anderen, einen humanistischeren und psychoanalytischeren Blick auf die Psychotherapie bei Kindern und deren Gestaltung werfen. Ich halte es für sinnvoll, dazu auch erstmal die sozialrechtlichen Grundlagen deutlich zu machen,  bevor ich inhaltlich werde. Ich möchte aufklären, was es gibt. Jeder muss für sich die passende Therapie finden. Es gibt nie ein Allheilmittel. Es ist sinnvoll, zu wissen, was man möchte. Sieht man als Eltern eigene Anteile und braucht Hilfe, sich zu verorten, um dem Kind helfen zu können oder möchte man, dass das Symptom einfach verschwindet?

Der vorliegende Text ist also wie immer subjektiv. Ich bemühe mich um eine gewisse Neutralität in der Darstellung der Fakten. Durch meine eigene Erfahrung mit Patient*innen und durch meine Persönlichkeit habe ich mich aber bewusst dafür entschieden psychodynamisch zu arbeiten. Das hat viele Gründe: die Lust am Verborgenen, die Erfahrung des gehalten Werdens in einer so intensiven Beziehung wie in der Analyse zum Analytiker und natürlich das eben nicht standardisierte Verstehen eines Individuums.

Da ich Psychoanalytikerin bin, steht für mich neben dem Unbewussten die Beziehung zum Patienten absolut im Vordergrund. Die Idee der Analyse ist, dass die früh gemachten Beziehungserfahrungen verinnerlicht werden und nur in der Beziehung (zum Therapeuten) verstanden und womöglich geheilt werden können.

Dass Trainings hilfreich sind, um unerwünschtes Verhalten zum Verschwinden zu bringen, ist unbestritten. In dem gemeinsamen Video mit vielen anderen bindungsorientierten Bloggern stelle ich in meinem Beitrag ab Minute 4:50 die Frage: „Will man ein Mensch sein, der Kindern Ängste abtrainiert, statt sie in ihrer Komplexität der Beziehung zu verstehen?“

 

Grundlage: wer darf was an Therapie machen?

In Deutschland sind vier Therapierichtungen sowohl sozialrechtlich (also von der Krankenkasse finanzierbar) und auch wissenschaftlich anerkannt. Die erst jüngst dazugekommene ist die Systemische Therapie bzw. auch Systemische Familientherapie. Die Krankenkassen finanzieren die Verhaltenstherapie, die psychoanalytische Psychotherapie und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie schon länger.

Wann zahlt die Krankenkasse?

Die gesetzliche Krankenkasse zahlt für eine Therapie, wenn eine krankheitswertige Störung vorliegt. Dazu gibt es das für Ärzte und Psychotherapeuten verbindliche ICD- 10. Alle Krankheiten, die man kennt, stehen mit einer Codierung dort drin. Man hat davon Abstand genommen, Ursachen hineinzunehmen und bewegt sich auf der rein deskriptiven Ebene. Im Kapitel F geht es ausschließlich um psychische Störungen. Für Kinder gibt es zusätzlich zu den immer möglich auftretenden Störungen wie Psychosen (F2), Depressionen (F3), Ängsten und Zwängen (F4) ein spezifisches Unterkapitel (F9).

Um eine kassenfinanzierte Therapie machen zu können, muss das Verhalten mit den Diagnosekriterien im ICD- 10 übereinstimmen.

Wer darf kassenfinanzierte Psychotherapie anbieten?

Seit 1999 ist der Begriff Psychotherapie geschützt. Seitdem dürfen NUR ärztliche oder Psychologische Psychotherapeuten den Begriff Psychotherapie führen. Sie sind qualifiziert psychische Störungen zu behandeln, nach wissenschaftlichen Standards ausgebildet und unterliegen einer eindeutigen Berufsordnung.

Wer darf sich Psychotherapeut nennen?

Man wird Psychotherapeut, indem man nach dem abgeschlossenen Studium der Medizin oder Psychologie eine ziemlich aufwendige Weiterbildung anschließt. Diese dauert selten weniger als fünf Jahre und findet meistens berufsbegleitend statt, denn: Je nach Fachrichtung kostet diese Weiterbildung schnell mal 50000 Euro (im Falle der psychoanalytischen Ausbildung zumindest).

Speziell für Störungen des Kinder- und Jugendalters gibt es Therapeuten. Das sind Kinder- und Jugendtherapeuten (im Weiteren Ki- Ju, Therapeuten abgekürzt). Zusätzlich zu den Ärzten und Psychologen können hier auch Pädagogen mit abgeschlossenem Studium tätig sein. Kinder- und Jugendtherapeuten dürfen aber ausschließlich nur bis zum 18 (bzw. ggf. 21 Lebensjahr) behandeln. Studierte Pädagogen dürfen also nur Kinder/ Jugendliche behandeln.

Ein Psychologischer Psychotherapeut benötigt für die Heil-/ und Abrechnungserlaubnis für Kinder und Jugendliche nur noch eine kleine Weiterbildung im Umfang von etwa 400 Stunden, weil er die grundsätzliche Theorie ohnehin schon „gelernt“ hat und nun nur noch die Behandlungsspezifischen Aspekte eine Rolle spielen.

Im Bereich der Analyiker (ob das auch die die Tiefenpsychologen gilt weiß ich leider nicht) gibt es die Möglichkeit, eine Zusatzausbildung SKEPT zu machen. In dieser Säuglings- Kleinkind-Eltern- Psychotherapie werden Eltern mit ihren bis zu dreijährigen Kindern gemeinsam therapiert.

Wie wird man Psychotherapeut?

Der Psychologische Psychotherapeut muss mindestens 4200 Stunden Weiterbildung gemacht haben. Neben der geforderten Theorie, die den jeweiligen Ausrichtungen entspricht, sind andere Bausteine von Nöten. Die Gewichtung ist je nach Fachrichtung unterschiedlich. Wird man Psychoanalytiker, ist einer der größten Ausbildungsbestandteile, dass man selber eine sehr umfangreiche Lehranalyse macht. Dazu geht man 3- 4 in der Woche (als Selbstzahler!) auf die Couch und analysiert sich über die gesamte Ausbildungsdauer. Dauert die Ausbildung also 6 Jahre, dann kommt da bei einem Stundensatz von 80- 90 Euro einiges zusammen. Diese Lehranalyse ist unabdingbar, um sich mit den eigenen Anteilen auseinanderzusetzen. Alle anderen Fachrichtungen schätzen den Wert des sich selbst so intensiv Kennens nicht so hoch, so dass bei vielen Ausbildungsgängen 100 Stunden Lehrtherapie ausreichen, bisweilen sogar ausschließlich  nur in Gruppen. Dadurch sind die anderen Ausbildunge wesentlich kostensparender, kosten aber auch dennoch viel Geld.

Fachrichtungen: ein erbitterter Streit um die richtige Therapie

Um es ganz platt zu sagen: es gibt einen gewissen Graben zwischen den psychodynamisch arbeitenden Therapeuten (Analytiker und Tiefenpsychologen) und den Verhaltenstherapeuten. Natürlich sind die meisten um gegenseitigen Respekt bemüht, aber angesichts der oftmals großen inhaltlichen Unterschiede, ist das nicht immer ganz einfach.

Psychodynamische Psychotherapien: Psychoanalyse und Tiefenpsychologie

Beide psychodynamischen Richtungen gehen von in der Kindheit erworbenen und verinnerlichten Beziehungsmustern aus. Ein Symptom (ICD 10- Diagnose) wird daher nicht einfach nur als fehlangepasstes Verhalten gesehen, sondern primär als eine Mitteilung und ein Lösungsversuch für einen inneren Konflikt. Ist das Strukturniveau nicht besonders gut integriert (was das genau ist, habe ich hier ausführlicher beschrieben), dann geht es nicht um die Aufdeckung dieser inneren Konflikte, sondern um die Unterstützung der psychischen Reifungsprozesse.

In der Analyse geht es um eine Veränderung der Persönlichkeitsstruktur. Es geht darum, man selbst zu werden und nicht mehr durch Identifikationen oder bestimmte verinnerlichte Zuschreibungen sich selbst zu verleugnen. Dazu werden auch die unbewussten Konflikte durchgearbeitet. Die Analyse ist daher ausgesprochen umfassend und intensiv. In der tiefenpsycholgisch fundierten Therapie geht es viel mehr um einen abgegrenzten Fokus/ Konfliktbereich oder auch um einzelne strukturelle Aspekte.

Ein Symptom stellt in beiden Richtungen zum einen eine Lösung für einen inneren Konflikt dar. Zum anderen kann ein Symptom auch Resultat unzureichend ausgebildeter struktureller Fähigkeiten sein. Ein gut ausgebildeter Therapeut in diesen Richtungen kann sich darüber ein gutes Bild machen. Er lässt den Patienten auf sich wirken und beobachtet, wie was in welcher Form erzählt wird. Dazu nutzt er die durch die Selbsterfahrung gewonnene Introspektionsfähigkeit, um seine Gegenübertragung zu spüren. Das hilft wahrzunehmen, was der Patient unbewusst mitteilt, indem er bestimmte Gefühle auslöst.

Das Spiel als Mittel zum Verstehen in der psychodynamischen Therapie

Das Mittel der psychodynamischen Verfahren in der Kindertherapie ist das Spiel. Es wird versucht, zu verstehen, was das Kind innerlich beschäftigt und worüber es nicht sprechen kann. Die Antwort des Therapeuten erfolgt dann auch im Spiel. So kann es sein, dass der Therapeut/ Analytiker sich mehrfach symbolisch im Schwertkampf töten lassen muss, bevor das Kind seine zärtlichen, traurigen oder sonstigen Affekte hinter der Aggression spüren kann. Diese Gefühle kann der Therapeut dann spiegelnd benennen. Das Verständnis der Dynamik im Kind und zwischen Eltern und Kind kann dann in den Elterngesprächen eine Rolle spielen.

 

Verhaltenstherapie

Die Verhaltenstherapie geht davon aus, dass Verhaltensmuster erlernt werden. Entweder durch Belohnung oder Bestrafung eines Verhaltens wird dieses seltener oder häufiger auftreten. Dieser sehr behavioristische Ansatz ist heute zwar durchaus noch zu finden, wurde aber bei vielen Verhaltenstherapeuten durch kognitive Aspekte ergänzt. Das heißt, dass Einstellungen und erlernte Denk- und Verhaltensmuster mehr im Vordergrund stehen.

Die Therapie ist häufig von standardisierten, wissenschaftlich beforschten Manualen geleitet. So gibt es meistens eine Art Programm, das durch die Therapie führt. Es geht um die Reduktion von Symptomen, die das eigentliche Problem darstellen. Mit Hilfe von Tests wird gemessen, wie stark bestimmte Störungen/ Symptome ausgeprägt sind. Die Reduktion dieser Leid verursachenden Symptome steht klar im Vordergrund. Die Beziehung zwischen Patient und Therapeut ist natürlich auch in der Verhaltenstherapie wichtig, allerdings wird dort mit anderen Mitteln gearbeitet, da es primär um die Symptomreduktion geht. Die Beziehung an sich ist nicht das Heilende, sondern eher die angewandten Methoden.

Einen wichtigen Teil nimmt die Vermittlung von Wissen zur eigenen Störung ein. Dabei spielen Fragen von Ursachen (als erlernte Modelle) und Verstärker (z.B. Lob oder andersartige „Gewinne“) eine Rolle.

Ein kleines Beispiel der unterschiedlichen Ansätze

Ein vorpubertäres Mädchen entwickelt eine Magersucht.

Psychodynamisch betrachtet:

Die Entwicklung eines Verständnisses der Symptomatik steht im Vordergrund. Warum muss das Mädchen sich so krank machen? Wobei hilft das? Wovor schützt sie das?

Die Essstörung und die Auseinandersetzung werden, sofern die Patientin dies reflektieren kann und will, nicht den Fokus der Behandlung bilden.

Konstruierte Ursache könnte sein, dass das Mädchen Angst hat, erwachsen und eine Frau zu sein. Unbewusst möchte es nicht sein wie die sowohl geliebte, aber vielleicht auch verabscheute Mutter. Die Lösung wäre, für immer ein Kind zu bleiben, um einerseits die Mutter nicht verlieren und um andererseits auch nicht so werden zu müssen wie Mutter. Therapeutisch würde man diesen Konflikt, der höchst unbewusst ist, in der therapeutischen Beziehung bewusst machen.

In dem konstruierten Fall könnte man also im Rahmen einer tiefenpsychologischen Behandlung den Konflikt bewusst machen und die Patientin in einer Loslösung unterstützen. Das kann bedeuten, den Ängsten Raum zu geben und gleichzeitig auch Raum zu schaffen, andere Lösungen für sich zu finden. Erfahrungsgemäß hilft es den meisten Menschen durch das gesehen Werden eigene, bessere Wege zu entdecken. Gleichzeitig könnte man vereinbaren, dass sie nicht weniger als xy wiegen darf, weil die ambulante Behandlung sonst nichts bringt bzw. sogar gefährlich wird.

Verhaltenstherapeutisch betrachtet:

Es geht um das Erlernen guter Essgewohnheiten und das Durchbrechen von Teufelskreisen. Essen soll nicht mehr als Feind angesehen werden. Daher kann z.B. durch Konfrontation mit bestimmten Nahrungsmitteln versucht werden, die Angst vor ihnen zu löschen. Nimmt das Mädchen ab, dann werden eventuelle Vorteile gestrichen. Bei Zunahme wird gelobt. Die zugrunde liegenden Denkmuster über Ernährung und Körperbild werden wahrscheinlich bearbeitet.

Stationäre Behandlungen

Im Rahmen stationärer Behandlungen darf (oder zumindest wird es so gemacht) jeder arbeiten, der fachlich als qualifiziert angesehen wird. Dazu muss man kein Psychologischer Psychotherapeut und Ki- Ju-Therapeut sein. Es reicht, Sozialpädagoge oder Psychologe oder sonstwas zu sein. Auch die oben genannten Fachrichtungen spielen keine so große Rolle wie in der ambulanten Versorgung. So kann z.B. ein Psychologe/ Pädagoge mit einer nicht (sozialrechtlich UND wissenschaftlich) anerkannten Zusatzausbildung in der Klinik tätig sein. (Hypnotherapie, Gesprächstherapie, Gestalttherapie, Transaktionsanalyse und gaaaaaanz vieles mehr). Letztlich braucht man auch nicht mal eine Zusatzausbildung, um in einer Klinik zu arbeiten.

Schreiambulanzen, Erziehungsberatungsstellen

In diesen Einrichtungen arbeiten auch, wie in Kliniken, multiprofessionelle Teams. Oftmals natürlich mit eher verhaltenstherapeutischem oder eben tiefenpsycholgischem Schwerpunkt. Das heißt, es macht Sinn, sich dafür zu interessieren, ob die Angebote zu dem passen, was man selber braucht.

Fazit

Viele Wege führen nach Rom! Es ist schön, wenn jeder den für sich passenden findet. Es gibt Patienten, die ich im Rahmen der verpflichtenden Sprechstunden auch guten Gewissens in die Verhaltenstherapie überweise. Jemand, der schnelle Erfolge möchte und der einer tiefen Beziehung gegenüber skeptisch ist, wird wahrscheinlich von einer Verhaltenstherapie viel mehr profitieren als von einer langwierigeren psychodynamischen Therapie, die bisweilen auch Grundfeste in Frage stellt.

 

In den nächsten Tagen werden ich einen auf diesen aufbauenden Artikel online stellen. Dabei wird es konkreter um die Therapie von Kindern bzw. um die Haltung psychischen Störungen bei Kindern gegenüber gehen.

 

Eure Madame FREUDig

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