Mitgefühl mit den Kritikern der bedürfnisorientierten Erziehung? Das ist nicht leicht, weil es so unverständlich erscheint, einen liebevollen Weg mit den Kindern überhaupt zu kritisieren und in Frage zu stellen.

„Du verwöhnst das Kind, wenn du es so viel trägst“, „später interessiert sich doch auch niemand für die Gefühle. Also gewöhn ihm das doch nicht an. Das ist doch eine unrealistische Erwartungshaltung“.

Diese Sätze sagen nicht unbedingt etwas über die Beziehung der Ermahnten aus, sondern viel mehr über die Mangelerfahrung des Sprechers.
Hinter diesen Sätzen, die sich Eltern mit einer bedürfnisorientierten Haltung anhören müssen, versteckt sich oft ein unbewusster Neid. Aus der Erfahrung des unzureichenden geliebt Werdens muss das Gute des Anderen zerstört werden. Es ist schmerzhaft mitanzusehen, dass es Nähe, Geborgenheit und Verständnis für andere gibt, das eigene kindliche Selbst das aber so nicht erfahren hat.

Der Mangel der Vorgenerationen

Die Generationen unserer Eltern und Großeltern sind oftmals mit einer harten und zur Stärke zwingenden Erziehung aufgewachsen. Den Mangel an wahrhaftiger Zuwendung und Zuneigung haben viele erlitten und gaben ihn unbewusst und unbeachbsichtig weiter. Es braucht ein paar Generationen, um dem Schmerz begegnen zu können. Denn dieser erfahrene Mangel ist grausam: es gibt eine Vielzahl bindungstraumatisierter Großeltern und Eltern unserer aktuellen Elterngeneration. Allerdings sind sich nur die wenigsten dessen bewusst. In den Vorgenerationen wurden Beziehungen zwar nicht so leichtfertig aufgegeben, aber vielleicht auch mehr aus einem Pflichtgefühl heraus und nicht etwa, weil es eine tiefe emotionale Verbundenheit gab.

Das Buch „Die (deutsche) Mutter und ihr erstes Kind“ erhielt jede Mutter zur Geburt seit der Veröffentlichung 1934.  Die Autorin Johanna Haarer, eine Lungenfachärztin (!) ohne pädiatrische Weiterbildung, empfahl das Schreienlassen zur Kräftigung der Lunge. Ebenso empfahl sie, Kinder jenseits der Mahlzeitent hochzunehmen, sie gar zu liebkosen, sie würden die Mütter nur tyrannisieren. Politisch von den Nazis gewollt, sollten Kinder nicht verweichlicht werden, denn wie solle ein (mit-) fühlender Mensch sonst andere Menschen umbringen können?

Manchmal ist Bedürfnisorientierung auch eine Ausrede

Es kommt vor, dass Eltern unter dem Vorwand, bedürfnisorientiert zu erziehen, das Kind in seinen vielgestaltigen Bedürfnissen nicht wahrnehmen. Das scheint manch einem Kritiker auch aufzufallen, deswegen ist eine konstruktive Kritik eben auch nicht per se verkehrt.

Das Kind in einer ausschließlichen und engen Beziehung an sich zu binden, kann nicht mit dem Bedürfnis des Kindes nach Selbstwerdung und Autonomie einhergehen. Ein vierjähriges Kind hat andere Bedürfnisse nach Nähe als ein ein oder zwei Jahre altes. Die enge Bindung, womit bedürfnisorientierte Erziehung oft gleichgesetzt wird, ist die Basis zur Erkundung von sich in der Welt und der Welt selber. Es ist aber eben auch ein Bedürfnis, sich aus der engen Beziehung zur Mutter zu lösen. Es kommt vor, dass Eltern, die sich selber mehr Geborgenheit gewünscht hätten, eigene Verlassenheitsängste durch das Kind kompensieren.

Daher kann bedürfnisorientiere Erziehung nur bedeuten, alle Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen und entsprechend zu beantworten. Dazu gehört auch, Bedürfnisse nach Durchsetzung und Kräftemessen auszuhalten.

Was Kinder allen Alters brauchen, ist, in ihrem tatsächlichen Bedürfnis verstanden und unterstützt zu werden. Sie brauchen Eltern, die die Angst vor einem nächsten Entwicklungsschritt wahrnehmen und das Kind darin unterstützen, ihn zu gehen.

 

Eure Madame FREUDig

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