Streit, Wut zwischen zwei MenschenAggressionen mit den Gefühlen von Wut, Zorn und Hass sind besonders starke Empfindungen, die vielerlei Aufgaben haben. Aggressiv zu sein schafft Distanz und drückt gleichermaßen Hilflosigkeit und Überforderung aus. Es ist eine wahrlich reife psychische Leistung, wütend zu sein und es zu verbalisieren, anstatt wütend zu agieren. Das wichtigste ist, dass wir als Bezugspersonen diesen kindlichen Hass selber psychisch überleben.  Das heißt, dass wir uns gegen die Aggression stellen können und die Beziehung eben nicht zerstört wird. Wir dürfen nicht etwa durch das aggressive und hassende Kind selber zu einem strafend- sadistischen Gegenüber werden. Dadurch entstünde ein von Hass und Verfolgung geprägtes Innenleben im Kind, was wiederum zu psychischen Störungen begünstigt.

Zum Umgang mit Aggressionen habe ich vor einiger Zeit schon einen Grundlagenartikel geschrieben, der durch den hier vorliegenden noch ergänzt wird.

Bleibst du gut, auch wenn ich dich hasse?

Innerpsychisch schafft Wut Distanz, auch wenn das gar nicht gewollt ist. Bei großen und kleinen Menschen, die keine hinreichend guten Erfahrungen mit stabilen Bezugsmenschen machen konnten, kann es vorkommen, dass die Bezugsperson nach einem Streit innerlich anders erscheint. Begegnet das Kind seiner Mutter (oder sonstwem) mit starken Aggressionen, vielleicht gar hassend, dann ist es von der Mutter abhängig, ob das Kind diese Gefühle als zerstörend erlebt. Reagiert die Mutter ihrerseits mit starken Aggressionen, dann erlebt das Kind nicht, dass es mit seiner eigenen Wut gehalten wird. Es erlebt, dass Wut zu Wut und womöglich zu einer (kurzfristigen) Zerstörung der Beziehung beiträgt. Die eigene Wut macht andere wütend und diese Wut kann nicht beruhigt werden.

In dieser realen oder fantasierten Abwesenheit voneinander kann auf Grund der eigenen dem Gegenüber entgegengebrachten Aggressionen eine große Angst entstehen, weil das Gegenüber als beschädigt erlebt wird.  Angst vor Vergeltung und Verlassenheit  oder auch Scham können andrängen. Deswegen ist das sich wieder  Aufeinanderzubewegen so wichtig.

Das Kind spürt, dass es dem Gegenüber etwas angetan hat mit seinen tätlichen, verbal aggressiven oder auch fantasierten Angriffen. Ein schon reifes, größeres Kind würde wahrscheinlich eine Form der Wiedergutmachung ins Auge fassen und könnte sich so von der Angst lösen, wenn die Wiedergutmachung (Entschuldigung, Erklärung) positiv aufgenommen wird. Vielen Kindern ist das aber nicht möglich, weswegen sie auf unser Verstehen angewiesen sind.

Das innere Bild verändert sich

Werden die Bezugspersonen ihrerseits z.B. übermäßig wütend, brüllen rum, werden vielleicht tätlich und bestrafen das Kind auch noch unangemessen, dann verändert sich u.U. das innere Bild der Bezugsperson im Kind. So könnte im Kind folgendes Bild entstehen: „immer wenn ich mordswütend bin, Papa zerbeißen oder zerstückeln, ach einfach zerstören will, was ich aber eigentlich gar nicht wirklich will, wird Papa noch wütender. Ich bekomme dann große Angst. Er setzt mich dann immer ganz lange in mein Zimmer und wenn ich wieder rauskomme, dann spricht er nicht mehr mit mir. Er guckt mich ganz böse an. Ich habe dann immer noch Angst vor ihm.“

Der eigentlich liebende Vater ist zu einem bösartigen und strengen Vater gewordem, der Angst macht.

Können wir uns wieder im Guten begegnen oder ist jetzt alles verloren?

Ein entscheidender Aspekt ist, dass die Bezugspersonen stabil, konstant und authentisch bleiben. Eine Wiedervereinigung muss möglich sein.

Sie dient dazu, dass das „Böse“ integriert werden kann in das Selbstbild. Das heißt: manchmal bin ich auch wütend, vielleicht böse, aber mein Gegenüber bleibt der, der er ist.

Bei all dem halte ich es trotzdem für unabdingbar, begrenzend zu sein. Deutlich zu sein in dem, wie man mit sich umgehen lässt. Den Ärger des Kindes anzunehmen und gleichzeitig nicht vollkommen ergeben zu sein.

Es macht dem Kind eine Heidenangst, von den eigenen Aggressionen überschwemmt zu werden. Zu spüren, dass man das eigentlich geliebte Elternteil gerade fürchterlich hasst im Moment, kann zu starken Verlassenheitsängsten fühlen. Nicht immer ist so eine Verlassenheitsangst in einer realen Verlassenheitserfahrung begründet. Manchmal sind es auch die unverstandenen und unerwünschten Aggressionen.

Du darfst mich hassen und ich bleibe

Deswegen ist es eine sehr wichtige Erfahrung, dass auch Aggressionen in Beziehungen Platz haben. Das bedeutet keinesfalls, dass man sich angreifen lassen muss. Eine klare Grenzsetzung und Abgrenzung ist notwendig. Es ist vollkommen legitim nachdrücklich zu sagen, dass man nicht so beschimpft werden will. Ebenso ist es ok, wenn man sagt, dass man erstmal kurz den Raum verlassen muss, weil man selber gerade sehr wütend ist und dass man darum bittet, später weiterzusprechen.

Das wäre eine wichtige Erfahrung, dass eben die eigene Aggression bei dem anderen etwas bewirkt, man sich aber nicht beschimpfen oder angreifen lassen muss. Diese Haltung kann das Kind dann stetig auch verinnerlichen und selber eine gute Streitkultur darauf aufbauen.

Schuldgefühle und der Weg zum Mitgefühl

Je nach Alter und persönlichen Erfahrungen kann sich das Kind empathisch einfühlen und entwickelt Schuldgefühle. Das wäre eine gute Entwicklung, weil es sich einerseits als Urheber erlebt und die Verantwortung für sein Wirken auf andere übernimmt. Idealerweise entwickelt ein Kind sich in diese Richtung, dass es sich dann tatsächlich für seine Angriffe auch verantwortlich fühlen kann. Sich schuldig zu fühlen in einem angemessenen Maß. Es könnte z.B. Wiedergutmachung leisten durch eine Entschuldigung. Diese psychischen Prozesse durchlebt ein Kind auf Grundlage seiner Erfahrungen. Einerseits braucht es dafür die Erfahrung, dass sich auch andere bei ihm entschuldigen, wenn sie es verletzt haben. Andererseits können die Bezugspersonen das aggressive Verhalten des Kindes auch in Worte fassen und über die Gefühle des Verletzten mitfühlende Mutmaßungen anstellen.

Die Mutmaßungen brauchen keine direkten Schuldzuweisungen, sondern verstehensorientierte Klarheit. „Oh, du hast Anna eine bekloppte Ziege genannt und gesagt, dass sie blöd ist. Ich glaube, das hat sie bestimmt sehr traurig gemacht und verletzt.“

Einerseits ist es wichtig, das Verständnis auszudrücken. Andererseits ist aber eben auch wichtig, eine Einordnung vorzunehmen und deutlich zu machen, dass das eigene Handeln im Anderen Gefühle auslöst. Nun wird es bestimmt Leser geben, die sich fragen, was man dann TUN soll. Ich würde sagen: beobachten, was das Kind daraus macht. Es wird sich beständig weiterentwickeln, wenn wir liebevoll beharrlich bleiben, ohne es mit Ratschlägen und Deutungen zu verfolgen.

Wenn die Aggressionen nicht neutralisiert werden können

Aggressionen spielen bei allen Menschen im Leben eine Rolle. Immer! In Freud´scher Denkweise stehen sich Aggression und Liebe gegenüber. Aufgabe in der Entwicklung ist, diese beiden Pole zusammenzubringen: die libidinösen Anteile neutralisieren das Aggressive. Alle Menschen haben diese Gefühle in sich. Wie wir damit umgehen und ob wir unsere „guten“, liebenden Seiten als stark genug erachten, um das „Schlechte“ und Aggressive offen zu spüren, ist ausschlaggebend.

Aggressionen bei psychischen Störungen

Viele psychische Störungen hängen maßgeblich mit Aggressionen zusammen. Manchmal sind sie sind fast komplett unintegriert und werden impulsiv ausagiert (gegen sich oder andere) wie z.B. bei der Borderlinestörung. So schildern etliche Borderlinepatient*Innen, die sich selber teilweise massive Verletzungen zufügen, dass sie sich erst dann spüren. Oftmals liegen dem Erfahrungen emotionaler Vernachlässigung oder auch Gewalt und Missbrauch zu Grunde. Das heißt, als Kinder haben sie massive Gewalt erfahren und diese in ihr Selbst hineingenommen. So kann es sein, dass sie mit sich selbst nur über Aggressionen in Kontakt kommen, denn ehedem kamen sie mit den wichtigen Anderen auch so in Kontakt. Es gibt natürlich eine Reihe weiterer Möglichkeiten der (Be-) Deutung, aber das würde hier jetzt zu weit führen.

Ich deutete weiter oben die Verlassenheitsängste ohne Erfahrung von realer Verlassenheit an. Manchmal, wenn Kinder sehr behütet aufwachsen und andauernd in ausgesprochen engem Kontakt mit den Bezugspersonen sind und der Wunsch nach pausenloser Harmonie besteht, ist es schwer, den Aggressionen Raum zu geben. Empfindet das Kind die Eltern als emotional wenig belastbar, instabil und ängstlich, wird es seine Aggressionen vielleicht zurückhalten, wenn die entsprechende Dynamik vorliegt. Nun sitzen diese (oftmals so braven und vergleichsweise unaufmüpfigen) Kinder dann aber auf einem inneren Pulverfass. Das Szenario des Streits findet dann in ihnen und nicht mit den realen Bezugspersonen statt. Da sie spüren, welche potentielle Zerstörugskraft in der Aggression liegt, müssen sie sie vor sich verleugnen. So können sich Ängste und Angststörungen entwickeln, die mit einer Aggressionshemmung einhergehen.

Ähnlich ist es bei Depressionen: auch dort spielen gegen sich selbst gerichtete Aggressionen eine große Rolle. Die Antriebs- und Lustlosigkeit weisen darauf hin, dass die Aggressionen heftig sind. Aus Angst, das Gegenüber zu verlieren, wenn man sich ihm gegenüber aggressiv verhält, hemmt die Aggressionen unbewusst.

Fazit

In diesem kurzen Abriss soll die Rolle der Aggressionen ins Blickfeld rücken. Aggressionen sind wichtig, um kreativ und anpackend zu sein. Ist die Angst vor der eigenen Wut zu groß, weil man auf keine kindliche Erfahrung des gehalten Werdens mit den Aggressionen zurückgreifen kann, so können Aggressionen sich zu etwas Destruktivem wandeln.

 

Eure Madame FREUDig

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