Ihr könnt mir fortlaufend Situationen schildern und Fragen stellen. Ich werde sie im Newsletter zunächst versuchen, zeitnah zu beantworten und zeitversetzt auch im Blog veröffentlichen. Schickt mir eure Fragen und Verwunderungen gerne an madamefreudig@gmail.com

Ausführliche Frage 

Meine kleine Tochter ist gerade drei Jahre alt geworden und seit viereinhalb Wochen in der Kita. Sie steckt derzeit in einem Hoch einer/der Autonomiephase, was auch an sich vollkommen in Ordnung ist.

Diese wiederkehrenden Phasen haben wir in der Vergangenheit immer recht gut gemeistert… Was sich aber nun immer mehr herauskristallisiert ist, dass ich am Ende mit aller bedürfnisorientierten Erziehung und Ansprache auf Augenhöhe und jedweden Erklärungen zuletzt nicht mehr weiterkomme, sondern mein Kind nur noch mit Brüllen erreiche. (Nicht immer; aber eben, wenn die Situation eskaliert bzw. Mein Nervenkostüm eben ausnahmsweise mal nicht aus Drahtseil ist)

Sie ist so intelligent, dass sie mittlerweile bereits Ironie, Humor und Vorsatz in ihr Handeln mit einflicht. Aber vor allem hat sie sich angewöhnt sich selbst in einer Spirale hochzuschaukeln bzw. reinzusteigern und dann sind die Ohren und das Gehirn meist gänzlich verschlossen

Vielleicht werden Sie das anders sehen und mir sagen, dass mein Kind einfach Grenzen testet (tut sie ja auch), aber wenn sie sich zuerst komplett verweigert und mich dann schelmisch ansieht, um sich dann besonders langsam an zu ziehen, werde ich zwar auch wieder ruhiger und muss innerlich über ihre Chuzpe grinsen…. Aber ich will einfach nicht dieser Brüllaffen sein

Es geht hierbei eher selten um Alltagssituationen, sondern meist um Begreifen und Verstehen (etwas ist nicht da oder alle) oder einen Wunsch oder Bedürfnis (ich will aber! Du sollst Mama!), was nicht erfüllt wird im Moment.

Und zugegebenermaßen habe ich es auch noch nicht bis zum Ende durchgezogen sie zu ignorieren. Oder einfach aus der Situation rauszugehen mit aller Konsequenz (bspw., dass dann die Kita flach fällt oder turnen oder eine Verabredung). Wenn ich den Raum verlasse oder einfach weiter „mein Ding“ mache, läuft sie mir dann meist weinend hinterher. Bis sie dann schließlich irgendwann – eben meist nach dem Anbrüllen – sagt, dass sie sich jetzt beruhigen wolle = in Mamas Arm oder Nucki oder beides.

Antwort

Liebe Leserin,

ich musste sehr schmunzeln beim Lesen. Sie haben da scheinbar ein aufgewecktes, autonomes Exemplar Kind, was wahrscheinlich sehr viel Kraft von Ihnen fordert. Dass Sie nicht rumbrüllen wollen, verstehe ich, dass Sie es tun, aber auch! Kann es sein, dass es manchmal gelingt, nicht zum Brüllaffen zu werden und manchmal nicht? Vielleicht müssen Sie auch nicht so streng und hart mit sich sein. Mich beschleicht der Eindruck, dass Ihre Tochter Sie auf diese herausfordernde Art auch gut spürt. Etwas abfällig stellen heute viele das Bedürfnis von Kindern nach Grenzen und Grenzsetzung in Frage.  Aus der Praxis mit sowohl Kindern, Jugendlichen als auch Erwachsenen heraus kann ich nur sagen, dass jeder Mensch sich und andere bei Grenzbegehungen intensiv spürt.

Es gibt diesen Bereich, der ein wohliges Gefühl von „das bin ich und so drücke ich mich aus“ bereithält. Gleichermaßen heißt das, dass vom Gegenüber auch eine klare Haltung gewünscht wird, weil der andere in dem Bereich sehr sichtbar wird. Was ist meinem Gegenüber wichtig? Was für ein Mensch bist du, Mama? Vielleicht ist das die Frage, die eigentlich gestellt wird. Wie gehst du mit deinen  Grenzen um?  Das ist zunächst ein Handlungsdialog. Wenn man selber später verstanden hat, was man da ausgehandelt hat, dann kann man das vielleicht auch nochmal verbalisieren.

Sie haben natürlich vollkommen Recht, dass das Gehirn, auch wenn die Kleine so fit ist, einfach schnell überfordert ist. Gerade in dem Alter, von dem wir reden, ist einerseits die Entdeckung der eigenen (und damit auch der des Gegenübers!) Persönlichkeit wichtig. Es wird langsam bewusst, dass Menschen sehr unterschiedlich sein können. Das löst verschiedene Gefühle aus, die neben Neugierde und Freude auch eher besorgter Natur sein können. Wenn man nicht alles gleich sieht, gibt es schließlich Konflikte. Wie trägt man die denn aus, ohne dass die Beziehung nachhaltig zerstört wird? Diese Erfahrungen werden jetzt gesammelt. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob das Kind es selber sein darf, sondern darum, wie eine Brücke zu anderen geschlagen werden kann.

Eine wirklich schwierige Zeit, weil die Verhandlungen zäh sind.

Ihre Tochter wirkt ja durchaus auch überfordert von sich selbst und weiß, dass es irgendwie „besser“ wäre, sich zu beruhigen. Ich finde es schon beachtlich, dass sie das dann so formuliert. Möglicherweise machen Sie es schon, wenn nicht, dann wäre es schön, wenn sie nach der Beruhigung nochmal Worte für den Konflikt finden. „Vorhin, als du und ich auch so sauer waren, da wusste ich gar nicht, wie wir das schaffen. Ich war wirklich sauer, dass du…“ Begrenzungen sind einfach doof, das finden wir als Erwachsene doch auch oft. Der Unterschied ist, dass wir im besten Fall Ersatzbefriedigungen finden. Das ist ein Prozess, den man als Mensch gehen muss. Frust gehört zum Leben dazu! Es gibt eben nicht nur Lust und Befriedigung. Das heißt nicht, dass man das als Dreijährige nicht richtig, richtig doof findet.  Dass man als Eltern angesichts dieser affektiven Ladung einfach manchmal nicht anders kann als zu schreien, ist eben auch normal. Man kann nicht immer ratgeberbuchartig reagieren, muss man meiner Meinung auch überhaupt nicht. Frust über uns gehört nämlich zum Leben dazu. Man muss nicht permanent perfekt reagieren, man muss sich einfach reflektieren und das dem Kind altersentsprechend auch mitteilen. „Da war ich überfordert und musste erstmal nachdenken, wie ich das jetzt klären kann“.

Ein bisschen stutzig macht mich die schuldbewusst anmutende Aussage „zugegebenermaßen habe ich es auch noch nicht bis zum Ende durchgezogen sie zu ignorieren.“ Wo kommt denn das her, dass diese Idee da ist, dass Sie das nur ignorieren müssten? Und warum fällt es Ihnen dann schwer?

Sie wirken beide miteinander sehr lebendig und vielleicht kann es helfen,  das auch als Quelle von lebendigen Auseinandersetzungen zu sehen. Auseinandersetzungen, die nicht im Verlust des geliebten Anderen enden.

Herzliche Grüße!

Madame Freudig