Projekt Beschreibung

Attachment Parenting ist die englischsprachige Bezeichnung für bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung. Auf diesem Blog taucht „Attachment Parenting“ eigentlich nicht auf – also inhaltlich natürlich schon, aber die Bezeichnung selbst so gut wie gar nicht. Privat verwende ich das Label erst recht nicht und das hat so seine Gründe, die ich in diesem Blogpost gerne ausführen möchte, da ich glaube, dass viele Eltern für die Erziehung Beziehung ihrer Kinder kein großes Etikett brauchen oder zumindest eine nachvollziehbare Verunsicherung spüren, bestimmte Etiketten zu verwenden. Denn dann will (muss?) man dem gewählten Etikett ja schließlich auch irgendwie gerecht werden. Ohne explizite Bezeichnung des eigenen Lebens bzw. bestimmter Verhaltensverweisen mit konkreten Begriffen lebt es sich oftmals schlicht konfliktfreier. Dann muss man auch nicht einer Vielzahl von spezifischen Erwartungen, die von verschiedenen Seiten an den Begriff herangetragen werden, gerecht werden. Andererseits finden wir natürlich über das Schlagwort Attachment Parenting schnell Gleichgesinnte und auch Informationen, die uns selbst in unserer Elternschaft helfen.

Im Titel steht so locker flockig: Die Attachment Parenting-Falle. Zugegeben, das ist ganz schön vieldeutig – doch genau so ist es gemeint. Anfangen möchte ich zunächst ganz grundsätzlich: Schubladen, Etiketten, Bezeichnungen, Label – nennt es, wie ihr wollt – sind was ganz Feines, denn sie machen diese unglaublich komplexe Welt für uns handhabbar. Wir können nicht jeden einzelnen Aspekt unserer Wirklichkeit immer differenzierter aufdröseln und ständig alle Zusammenhänge, Ursachen wie Wirkungen, immer schön mitbedenken. Das geht einfach nicht, denn dann würden wir alle in einem Zustand völliger Handlungsunfähigkeit verharren. Wir brauchen Schubladen und zwar ständig. In jeder einzelnen Situation abstrahieren wir fast alle uns zugänglichen Informationen, indem wir sie in Schubladen werfen. Auf diese Weise können wir uns einigen wenigen Einzelaspekten gezielt zuwenden. Wir fragen eben nicht die ganze Zeit „Warum? Warum? Warum? …und lösen eine unendliche Kette von Kausalitäten aus, sondern versuchen vordergründig ganz bestimmte Probleme zu lösen. Zum Beispiel wollen wir, dass das Kind JETZT schläft oder aufhört zu weinen oder wir wollen auf Toilette oder… na ihr könnt es euch schon denken.

Nun leben wir in einer Zeit, in der man sich glücklicherweise ausführlich und auch differenziert Gedanken darüber macht, was Kinder brauchen, um zu gesunden, stabilen und halbwegs zufriedenen Erwachsenen zu werden. Die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern ist nicht nur Thema der Wissenschaft, sondern auch von uns Eltern. Immer mehr Eltern erziehen ihre Kinder nicht einfach mehr nach dem Muster „weil man das schon immer so gemacht hat“, sondern reflektieren zunehmend mehr Aspekte der Kindererziehung und -beziehung. Klar, manche Eltern machen das sehr umfassend und andere weniger, aber generell ist da schon eine gesteigerte Reflexivität zu beobachten. Man macht als Eltern nicht mehr alles einfach so, wie es die eigenen Eltern gemacht haben, sondern modifiziert das ehemals Bewährte oder wirft es sogar völlig über den Haufen. Nie oder zumindest nur extrem selten alles, aber eben teilweise.

Kleines Mädchen an der Hand ihrer Eltern

Die erste Attachment-Parenting-Falle
Dieses Reflektieren des Umgangs mit unseren Kindern hat aber auch zur Folge, dass in vielen von uns ein Bedürfnis wächst, uns selbst zu verorten und uns zu vergewissern, dass wir „richtig“ liegen. Bezeichnungen für Er- bzw. Beziehungsansätze wie Attachment Parenting (oder z.B. auch Unerzogen) reduzieren als Etiketten ungemein viel Komplexität, denn sobald man sich erst einmal zugeordnet hat, schaut man nicht mehr umfassend nach links und rechts, sondern blickt durch die Attachment-Parenting-Brille auf die Welt und sortiert ein, was für einen selbst relevant ist und wenn es relevant ist, in welcher Weise. Und schon wären wir in der ersten Falle angelangt:

So ein Etikett reduziert immer ganz schön viel Komplexität und vereinfacht letztlich eine viel kompliziertere, mannigfaltigere Wirklichkeit. Ein Etikett ist niemals mit uns und unserem Handeln gleichzusetzen. Wir sind nicht dieses Etikett und können es auch gar nicht sein. Die erste Falle ist nun tatsächlich, dass nicht wenige (viele?) Eltern versuchen, ein Leben mit ihren Kindern zu leben, das bilderbuchmäßig mit dem Etikett Attachment Parenting versehen werden kann. So ein Etikett aber lebt davon, dass es nicht nur komplexe Wirklichkeit auf vermeintlich simple Formeln herunter bricht, sondern es ist auch geprägt von Idealisierungen und angenommenen Best Practices. Im Falle des Attachment Parenting wird William Sears mit seinen sieben Babys-Bs beispielsweise nicht selten dogmatisch herangezogen und jede Abweichung und sei sie auch noch so klein, wird als Beleg dafür betrachtet, dass kein Attachment Parenting vorliege.

Nach dieser Logik ist man entweder vollkommen beziehungs- und bindungsorientiert oder gar nicht. Dabei ist beides unmöglich. Kein Mensch kann ausschließlich das eine oder andere sein. Man kann aber sehr wohl in seinem elterlichen Handeln mehr oder weniger bedürfnis- und beziehungsorientiert sein. Ab wann man sich selbst dann auch noch entsprechend labelt oder von anderen so zugeordnet wird, steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt.

Die zweite Attachment-Parenting-Falle
Die zweite Falle habe ich bereits angedeutet: Nicht nur wir selbst ordnen uns zu und versuchen uns dem Etikett entsprechend zu verhalten, sondern wir werden auch von anderen Eltern, Großeltern und Kinderlosen eingeordnet. Wie für ein Etikett typisch, brechen es Außenstehende ebenso auf ganz bestimmte Merkmale herunter: Attachment Parenting-Eltern reagieren stets unmittelbar auf die Signale ihrer Kinder und befriedigen all ihre Wünsche (Verwechslung mit Bedürfnisse!). Hierzu gehören selbstverständlich ausschließliches Stillen (statt Flasche), Tragen am Körper (statt Kinderwagen) und Familienbett/ Co-Sleeping (statt eigenes Kinderbett). Aus Sicht von Außenstehenden (also Nicht-AP-Eltern und Kinderlose) ordnen Attachment Parenting Eltern ihre eigenen Bedürfnisse denen des Kindes vollkommen unter. Wir schlafen immer im Familienbett, stillen prinzipiell und natürlich auch lange – und wir verdammen Kinderwägen und sind eigentlich 24h am Tag tragend in enger Symbiose mit unserem Nachwuchs unterwegs. Dabei werden wirklich alle Wünsche erfüllt und letztlich kleine Narzisten groß gezogen. Eltern wie wir setzen keine Grenzen, verhätscheln unsere Kinder, helikoptern usw. Das alles gehört zum Label Attachment Parenting nach außen hin.

Die Attachment-Parenting-Falle. Freud und Leid des Labelings von Elternschaft - By Terrorpüppi BlogAuch Außenstehende sitzen damit in der Falle, da sie all diese Punkte in einem einzigen Label verorten – und zugleich von sich weisen. Sie sind somit nur schwerlich dafür offen, einzelne Punkte für sich zu reflektieren. Die Abweisung des Labels kommt oft einer Abweisung der Einzelbestandteile gleich.

Die dritte Attachment-Parenting-Falle
Schwups wären wir auch bei der dritten Falle. Das Label Attachment Parenting wird nun von innen wie außen weiter spezifiziert. Man könnte auch sagen: es wird zunehmend extremer ausgestaltet. Nach innen wird innerhalb einer zum Label gehörigen Community verhandelt (und gestritten), was denn nun „richtiges“ Attachment Parenting ist und welche Elemente auch noch dazu gehören (auch noch baby-led weaning, unerzogen und homeschooling und…) und natürlich wie intensiv man all dies betreiben müsse, um wirklich bedürfnis- und beziehungsorientiert zu agieren. Orientiert reicht nämlich nicht mehr aus. Bindungs- und bedürfnisfokussiert trifft es vermutlich eher bei einigen. Doch auch von außen werden dem Attachment Parenting immer mehr Merkmale zugeordnet. Impfen tun die Attachment Parenting Eltern auch nicht und die Frauen werden alle Hausfrauen usw.

In einer Gesellschaft wie der unsrigen, in der sich alle Lebensbereiche immer weiter ausdifferenzieren, werden auch Etiketten für Erziehungsstile letztlich immer weiter spezialisiert (und radikalisiert). Ein Problem für all jene Eltern, die bedürfnis- und beziehungsorientiert agieren wollen, aber sich nicht (mehr?) dem Label Attachment Parenting zuordnen wollen und können, weil die Erwartungen übergroß geworden sind oder drohen zu werden.

Meine persönliche Falle
Damit verwundert mich auch so ein Artikel wie der von Caroline Rosales gestern in der ZEIT nicht wirklich. Eine schöne erste Reflektion gab es zugleich auch von Frida bei 2KindChaos. Ein wenig stecken nun Bloggerinnen wie ich es bin, nun also auch noch in der Falle. Ich möchte so gerne die Ideen das Attachment Parenting weiter in die Welt treiben. So viele sind schließlich davon noch nicht erreicht worden. Dabei möchte ich aber nicht spalten und radikalisieren, sondern Klüfte überwinden und einfach die Welt für die Kinder (und damit für uns alle) ein wenig besser machen. Bedürfnis- und beziehungsorientiert zu agieren geht grundsätzlich auch ohne Stillen, Familienbett, Tragen und Hausfrau-Dasein. Wer bin ich, dass ich andere dafür verurteile und ihnen ihre Beziehung zu ihrem Kind abspreche, nur weil sie kein Familienbett betreiben? Oder nicht gestillt wird?

Bedürfnis- und beziehungsorientiert sind wir, wenn wir wirklich hinsehen, wenn wir reflektiert auf unsere Kinder und auch auf uns selbst blicken, wenn wir sie und uns selbst zu verstehen versuchen und dann in der Folge auf die zugrunde liegenden Bedürfnisse eingehen. Für einander da sein und einander in Gefühlen zu begleiten bedeutet eben nicht, die eigenen Grenzen aufzugeben und es bedeutet auch nicht, den Kindern die Führung zu übergeben. Beziehungen sind immer wechselseitig – und ein achtsamer Umgang mit den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen sind grundlegendes Menschenrecht.

mit undogmatischen Grüßen
Eure Jessi