Viele Eltern stellen sich die Frage, ob sie ihre Kinder anlügen dürfen, wenn es um den Weihnachtsmann, den Osterhasen oder sonstigen Fantasiewesen geht. Ich betrachte das Konstrukt Weihnachtsmann von der Seite der Fantasie. Susanne Mierau vom Blog geborgen wachsen fragte mich, ob ich von therapeutischer Seite etwas zu der Frage des Lügens über den Weihnachtsmann schreiben könnte. Mir war nicht klar, dass viele Eltern sich darüber scheinbar intensiv Gedanken machen, weil sie ihre Kinder diesbezüglich nicht anlügen möchten. Ich verwende das Konzept der Mentalisierung nach Fonagy und Target mit dem Ziel der Symbolisierungsfähigkeit, um deutlich zu machen, dass das Glauben an Fantasiewesen in bestimmten Lebensabschnitten normal ist. Allerdings bezweifle ich auch, dass Kinder Schäden davontragen, wenn Eltern sich gegen Weihnachten und den Weihnachtsmann entscheiden. Jede Familie braucht Traditionen und ein liebevolles Beisammensein, aber der Glaube an den Weihnachtsmann ist dafür natürlich kein Garant.
Was ist eine Welt ohne Fantasie?
Als Psychoanalytikerin arbeite ich am allerliebsten mit den Fantasien, Träumen und freien Assoziationen der Menschen. Versprecher, Vertuer, unüberlegte Aussagen und Träume sind die Welt, in der ich mich beruflich am wohlsten Fühle. Warum? Weil es den Zugang zum Unbewussten ermöglicht. Wir können uns dem Unbewussten nicht logisch, nicht rational nähern. Wir können es nicht willentlich oder absichtsvoll. Das Unbewusste ist eine Art Raum unserer Seele, in dem all das landet, was wir uns an Wünschen und Fantasien nicht gestatten. Verdrängtes und Vergessenes. Das Prinzip des Unbewussten ist es, dass es sich nicht leicht entschlüsseln lässt.
Es gibt Figuren, die gewisse Bedeutungen haben und die kulturell vermittelt werden. So gibt es so etwas wie einen Konsens über das Wesen des Weihnachtsmannes: freundlicher Mann, der Geschenke bringt. Ist das was Schlechtes?
Nun liegt es an jedem selbst, ob er konsumwahnsinnig seinem Kind Geschenke machen muss oder nicht (meiner Meinung nach ist die Bedeutung dessen ein wesentlich wichtigeres Thema als die Frage nach dem Anlügen wegen des Weihnachtsmanns).
Fantasien sind die Geschenke, die wir uns selber machen. Fantasien können durch die reale Welt beflügelt werden. Gerade Kinder bauen sich diese innere Welt erst auf und wir können das anregend unterstützen, indem wir nicht andauernd darauf hinweisen, dass die Kinder bloß Quatsch erzählen oder gar lügen.
Mentalisierung
Mentalisierung bedeutet, dass wir unsere und andere Gedanken und Gefühle geistig repräsentieren können. Es heißt, dass wir darüber nachdenken können und das jeweils höchst Subjektive in jedem (an-)erkennen. Durch eine gute Mentalisierungsfähigkeit unterscheiden wir zwischen Innen und Außen und wir wissen, dass wir einen abgegrenzten inneren Fantasieraum haben. Viele Impulshandlungen können wir dann nämlich in der Fantasie vornehmen und können uns somit besser selber regulieren. Es muss nicht mehr jeder Gedanke in der Realität ausgeführt werden.
Die Mentalisierung ist daher eine wichtige Fähigkeit für eine gesunde und reife psychische Entwicklung. Insbesondere Fonagy und Target (2017) haben das ausgearbeitet.
Demnach gibt es verschiedene Phasen der Mentalisierung, die wir im Kindesalter durchlaufen und die gestört werden können, auf denen man sozusagen stehenbleibt.
Der teleologische Modus setzt ungefähr mit einem dreiviertel Jahr ein, wenn das Baby die Zielgerichtetheit des menschlichen Handelns zu begreifen beginnt. Wer kennt es nicht, dass das Baby gefühlte 100000 Male den Löffel runterschmeißt? Es ist eine tolle Entdeckung der Wirkungsweisen.
Für ein Kleinkind ist die reale von der inneren Welt noch nicht entkoppelt (Äquivalenzmodus: Realität und innere Welt sind dasselbe, sie sind äquivalent, also gleichwertig).
Erst in dem darauf folgenden „als- ob- Modus“ kommt es zu einer Trennung der inneren und äußeren Welt. Die Kinder werden entdecken, dass es Fantasiegestalten gibt und sich ihrer bedienen. Das Spiel wird sich verändern (so tun, als ob) und sie fangen an, sich in der Fantasie zu erproben.
Etwa im vierten bis fünften Lebensjahr setzt der „reflexive Modus“ ein und die Kinder beginnen eine Reflektion. In dem Alter werden auch viele Kinder sich Gedanken über die Echtheit des Weihnachtsmannes machen.
Im Rahmen des Mentalisierungskonzepts ist es also in Ordnung, wenn das Kind an den Weihnachtsmann glaubt. Es wird irgendwann erkennen, dass der Weihnachtsmann eine Fantasiegestalt ist und wird nachempfinden können, warum seine Eltern ihm davon erzählt haben, wenn es gut mentalisieren kann. Eltern behindern die kindliche Entwicklung, wenn sie zu früh bei allen erdachten Fantasiewesen dem Kind erklären, dass es lügt oder schwindelt oder Quatsch erzählt. Die kindliche Fantasie ist notwendig und ein wichtiger protektiver Faktor.
Symbolisierungsfähigkeiten unterstützen ist nicht anlügen
Der Weihnachtsmann ist ein Symbol der Verheißung, der Güte und der Erfüllung. Durch ihn können wir losgelöst von ganz realen Gestalten des Alltags wichtige Botschaften vermitteln, die in die Psyche unseres Kindes einsickern. Es gibt Gestalten, die über uns wachen, die Gutes für uns wollen und die Freude auf die Welt bringen. Wenn wir uns fragen, ob wir Kinder wegen des Weihnachtsmannes anlügen dürfen, dann muss die Frage doch auch heißen, ob wir sie wegen jeglicher Fantasiewesen anlügen dürfen. Runtergebrochen ist der Weihnachtsmann doch nichts Anderes.
Je nach eigener Religiosität ist es nicht der Weihnachtsmann, sondern das Christkind, was am 24.12. einkehrt. Es bietet sich an, die Geschichte von Jesus und seiner Geburt, den drei Heiligen Königen und ihren Gaben zu erzählen. Es ist doch einfach ein schönes Märchen! Ich persönlich erzähle das nicht als Bibelwahrheit, sondern als eine Geschichte, als Fantasie. Genauso wie ich von Einhörnern und Trollen erzähle. Damit laden wir unsere Kinder wertschätzend ein, ihren Fantasien freien Lauf zu lassen und uns davon zu erzählen. Wie wunderschön ist es, wenn ein Kind seine Eltern mit seinen Geschichten begeistern kann oder wenn es gar ein wechselseitiger Prozess ist.
Aber wozu überhaupt?
Fantasien befriedigen unbewusste Bedürfnisse
Um unser seelisches Gleichgewicht beizubehalten, ist es ganz sinnvoll, nicht immer alle Gefühle ungefiltert in voller Stärke zu spüren, z.B. nicht unsere Mordswut gegen unsere Mutter. Wir erschaffen uns (als Menschheit, in Kulturkreisen) unsere Bilder/ Symbole/ Fantasien, um Gefühle und Fantasien zu befriedigen. Als Kulturkreis beeinflussen wir uns dabei gegenseitig.
Wer z.B. Krimis liest, befriedigt aggressive Anteile in sich selbst und kann damit Spannung an-, ab- und umbauen. Ein halbwegs gesunder Mensch wird das Gelesene nicht umsetzen und so kann man am Sonntag wieder einigermaßen friedlich mit Mutti am Kaffeetisch sitzen. Für die Psychohygiene ist es eben überaus sinnvoll, sich in diese Fantasiewelt zu begeben.
Fantasie(-wese)n geben Halt und bevölkern eine bunte Innenwelt. Das hat nichts mit Anlügen zu tun! Man braucht für eine bunte Innenwelt sicherlich nicht zwangsweise einen Weihnachtsmann, aber es schadet auch nicht. Ich sehe kein Problem darin, wenn jemand fantasievolle Geschichten mit seinen Kindern ausspinnt, in denen es Wichtel, Zwerge, Feen und Elfen gibt. Ich halte solche oder ähnliche Bilder für enorm wichtig.
Und wenn mein Kind mich fragt?
Wenn ein Kind etwas fragt, dann ist eine altersgemäße, wahre Antwort notwendig.
Kommt also das Kind auf die Idee, dass der Weihnachtsmann am 24. Dezember der Nachbar im Kostüm sein könnte, dann finde ich es wichtig, das Kind an der Stelle ernst zu nehmen und die Wahrheit zu sagen. Das kann natürlich eine Enttäuschung bedeuten. Ich glaube aber auch, dass diese Enttäuschung aushaltbar ist. Die Enttäuschung, wenn das Kind sich angelogen fühlt, wiegt aber schwer. Wenn es ahnt, dass etwas nicht stimmt, dann sollte man miteinander das Gespräch suchen und aufklären. Unsere Kinder sind klug und kompetent. Sie werden uns zeigen, wann sie sich von der Welt des Weihnachtsmannes und Osterhasen lösen können.
Der Weihnachtsmann als Gruppenphänomen
Der Weihnachtsmann im Cola- Outfit ist etwas, was in unserer Kultur entstanden ist, derer Teil wir sind, vielleicht aber gar nicht sein wollen. Der dicke Typ in Rot ist ein junges Geschöpf und ich kann jeden Konsumkritiker verstehen, der das missbilligt. Dieser rote Weihnachtsmann wurde designt in einer Welt, in der wir uns unfassbar viel schenken und wo der Wert der Intimität und Vertrautheit immer mehr abhanden kommt. Aber es liegt nur an uns, wie wir unseren Kindern das nahebringen und welche Werte wir vermitteln, wenn wir zig Geschenke unter dem Weihnachtsbaum abladen. Das hat aber mit dem Konstrukt Weihnachtsmann nichts zu tun.
Mit der Idee des Weihnachtsmannes gibt es an den Feiertagen eine unsichtbare Verbindung zu den vielen anderen Menschen, die auch zusammensitzen und Weihnachten feiern. Es ist womöglich ein Gruppenphänomen, aber es ist kein Schädliches. Der Glaube an etwas Gemeinsames verbindet. So etwas wie ein weihnachtlicher Gruppensinn entsteht. Ich verstehe die kulturkritischen Stimmen, aber ich persönlich sehe es anders:
Es laufen an Weihnachten viele Menschen in die Kirche. Unabhängig davon, ob sie gläubig sind oder nicht. Irgendetwas zieht sie da hin. Vielleicht ist das der Wunsch nach ein bisschen mehr Gemeinschaft, ein bisschen mehr Gruppen- und Gleichheitsgefühl? Wenigstens an Weihnachten soll diese beruhigende Idylle kurz mal stattfinden. Absolut irrational, aber doch ein so wichtiges Bedürfnis.
Projektionsflächen schaffen
Kinder oder auch Menschen, die psychisch instabil sind, nutzen psychische Abwehrmechanismen, die der Spaltung nahe stehen. Spaltung (also die Aufteilung in entweder gut oder böse) vereinfacht die Welt und hält sie innerseelisch bestenfalls sicher. Kleinere Kinder sind nicht in der Lage, das Sowohl- als- auch auszuhalten. Es ist eine enorme psychische Leistung, anzuerkennen, dass ein und derselbe Mensch gute und schlechte Seiten hat, die parallel existieren. Kinder brauchen aber zunächst diese Sicherheit. Du bist gut, du bist schlecht. Erst mit der Zeit wird die Fähigkeit zur Ambivalenz konstanter.
Geschichten, Märchen, Weihnachtsmänner und Osterhasen helfen dabei: es sind einfache Projektionsflächen. In den meisten Geschichten ist relativ klar, wer der Bösewicht ist. Das ist natürlich für z.B. den Wolf eine ziemlich unangenehme Aufgabe.
Die Sache beim Weihnachtsmann ist die: das Kind wird zunehmend merken, dass es selber verantwortlich ist und für das Gute in der Welt mit Sorge trägt. Dass das nicht ein Weihnachtsmann ist, sondern die Menschen und es selber. Eine wesentliche Erkenntnis. Der Weihnachtsmann ist eine Figur, deren Eigenschaften man sich aneignen kann.
Es ist wichtig, dass Kinder verschiedene Möglichkeiten haben, sich zu identifizieren. Nur, wer sich selber frei und unbewertet identifizieren darf, kann auch zu sich selbst finden.
Was ist mit dem strafenden Weihnachtsmann?
Ich lasse es ja oft genug in meinen Texten deutlich werden: ich bin kein Freund von verhaltensbasierten Straf- und Belohnungssystemen. Enttäuschung und Ärger über kindliches Verhalten muss man nicht durch Strafen abreagieren. Funktioniert alles wunderbar, darauf basiert immerhin die evidenzbasierte Verhaltenstherapie, aber ich bin kein Freund davon. Es geht mir nämlich primär um Beziehungen und die Gefühle, die in den Beziehungen ausgelöst werden.
Wenn Eltern ihren Kindern erzählen, dass der Weihnachtsmann keine Geschenke bringt, weil sie böse waren, dann finde ich das nicht beziehungsförderlich. Ich habe Mitgefühl mit den Eltern, die sich scheinbar nicht anders zu helfen wissen und die keinen Zugang zu den Gefühlen des Kindes finden.
Die Eltern senden aber fatale Botschaften:
Du BIST (!) böse!
Ich mag dich nur, wenn du lieb/ brav BIST!
Nun ist es aber so, dass Menschen Gefühle haben. Diese Gefühle sind Reaktionen auf innerpsychische oder äußere Vorgänge. Es gibt sieben Basisaffekte, die jeder Mensch auf der Welt von Geburt an hat:
Wut
Trauer
Ekel
Angst
Freude
Verachtung
Überraschung
Ein Kind zu bestrafen, weil es diese angeborenen Emotionen ausdrückt, halte ich für unnötig. Affektregulation (also z.B. bei Wut nicht andere zu beißen) ist eine wesentliche und wichtige psychische Funktion. Die erlernt ein Kind durch den Umgang mit ihm in diesen Situationen, durch eine adäquate Begleitung. Nicht, weil Eltern konsequent bestrafen!
Weihnachten als besinnliche und sinnliche Zeit
Weihnachten lädt ein zum Fantasieren und Träumen. Im TV laufen wunderschöne alte Märchen, die unsere Fantasie beflügeln. Jessi hat hier über ihre Freude an Weihnachten geschrieben. Niemand muss da mitmachen, niemand muss sich dem beugen. In vielen Haushalten duftet es schön, es wird etwas Besonderes gekocht (es sei denn, die Berliner setzen sich mit Würstchen und Kartoffelsalat durch) und es herrscht ein paar Tage Ruhe. Ruhe in dem Sinne, dass die allermeisten nicht arbeiten, dass die Geschäfte endlich mal zu sind. Unruhig wird es unter dem Weihnachtsbaum oft genug, weil familiäre Konflikte hochkochen.
Das ist es wohl, worunter viele Weihnachtsmann- Ablehner vielleicht auch gelitten haben. Ich wage die Hypothese, dass mit der fundamentalen Ablehnung des Weihnachtmannes Protest dem Familiensystem gegenüber ausgedrückt wird.
Kinder werden einem alles vorwerfen können, egal, was man nun tut oder nicht. Insofern: macht, was zu euch passt, es wird immer Kritiker geben. Wenn jemand sein Kind nicht anlügen möchte wegen einer ausgedachten Figur, dann wird das zu dem entsprechenden Menschen passen. Solange dem Kind nicht prinzipiell das Betreten von fantastischen Welten verwehrt wird, halte ich auch ein Weihnachten ohne Weihnachtsmann nicht für bedenklich.
Ich lasse aus guten Gründen die Frage nach der Religiosität weg. Für manche kommt das Christkind und die Geburt Jesu Christi hat eine besondere Bedeutung. Das ist aber mit Absicht nicht Gegenstand meines Textes.
Erlebt in diesem Sinne besinnliche, schöne Feiertage und gestaltet sie so, dass ihr damit zufrieden seid!
Eure Madame FREUDig
Hinterlasst doch bitte gerne einen Kommentar unter dem Text, wann und wie eure Kinder aufgehört haben, an den Weihnachtsmann zu glauben. Ich hoffe, dass durch verschiedene Erfahrungen der Community vielleicht ein etwas versöhnlicherer und weniger strenger Umgang mit dem Thema möglich wird!
Literatur
Fonagy, P., Gergely, G., Jurist, E., Target, M. (2017) Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Klett- Cotta*
Andere Blogs zum Thema
Die Lüge vom Weihnachtsmann {Blogparade}
An das Christkind glauben – und glauben lassen
Bei uns waren die Übergänge fließend, lustig war, dass meine Große schon lange nicht mehr an Christkind oder Osterhase glaubte, doch die Zahnfee war noch „aktiv“ oder sie wollte es einfach glauben.
Bei uns kommt das Christkind, weil ich schon als Kind dieses Engelsgleiche Wesen niedlicher fand als den fetten alten Mann, obwohl ich bin 68 geboren, da gab es den Weihnachtsmann noch gar nicht, höchstens bei Charlie Brown, wir sind nämlich überzeugt aus der Kirche rus und trotzdem finde ich dieser Zauber zu Weihnachten ist so wichtig für Kinder
Das finde ich schön, dass ihr euren Kindern die Freiheit gebt, selber zu entscheiden, woran sie glauben wollen. Und wenn die Zahnfee noch wichtig ist, dann hat das ja einfach auch eine Bedeutung.
Ich glaube, es kommt sehr auf die Region an, in der man groß wurde, wen man am 24.12. kommen lässt. Als Ostberlinerin mit kirchenfernen Eltern kannte ich nur den Weihnachtsmann. Natürlich wurde die Krippengeschichte auch erzählt, aber mir erschlossen sich die Zusammenhänge ohnehin nicht.
Liebe Grüße!
Unser 6jähriger hat an Ostern angefangen Fragen zu stellen z.B. Warum wusstest du denn wo das letzte Geschenkchen versteckt war? Hast du den Osterhasen eigentlich schonmal gesehen? Warum hat der Osterhase das selbe Geschenkpapier wie wir? usw.
Mir sind Antworten eingefallen die ich für den Moment befriedigt hatten. 2 Wochen später sassen wir am Tisch und er sagt: Mama, ich hab mir das überlegt. Ich glaube nicht das es den Osterhasen gibt!
Ich habe ihm das dann bestätigt und seine Fragen beantwortet wie das alles abläuft und dann kam er natürlich auch drauf das es auch den Weihnachtsmann nicht geben wird. Auch das habe ich ihm bestätigt. Er hat dann auch gefragt warum wir ihn angelogen haben. Meine Antwort war: Papa und ich finden die Phantasie wunderschön das es Wunder gibt und auch Sachen die nicht immer zu erklären sind und dazu gehören auch diese beiden Figuren. Sie sind Phantasiefiguren, die Weihnachten und Ostern einen kleinen Zauber verleihen und alles noch spannender und lustiger werden lassen. Da er es aber nun weiss, muss er selbst die Entscheidung treffen ob er seine kleine Schwester auch noch eine Weile mit verzaubern möchte oder nicht.
Er meinte dass er nun schon traurig ist, dass es die beiden nicht gibt. Wir haben dann gekuschelt. Einen Tag später hat er dann überall in der Wohnung Sachen versteckt und seine Schwester suchen lassen. Seitdem ist es für ihn auch ok und er hat entschieden mitzuhelfen, das seine Schwester noch eine Weile an die beiden glauben kann.
Sehr, sehr schöne Erfahrung!
Und genau diese Identifikation, etwas Schönes und Fantasievolles für andere zu erschaffen , ist doch wirklich wunderbar!
LG
Ich persönlich bin kein Freund dieser Lügen. Ich muss mein Kind dazu nicht beobachten, sondern kann mich selbst noch gut erinnern, wie negativ ich den Budenzauber um den Weihnachtsmann selbst fand.
Ich kann mich sehr gut erinnern, wie nervig es war, ständig gefragt zu werden, was ich mir vom Weihnachtsmann wünsche. (Mein Mann fragt mich auch nicht, ob der Klapperstorch gleich vorbei kommen solle…) Das Spektakel am Heilig Abend mit verschlossenem Wohnzimmer, wo bald der Weihnachtsmann käme, war auch nicht so doll. Wohnzimmer/Esszimmer zu, Küche voll mit gestressten Frauen im Kochwahn,… was also bleibt, als sich als Kind alleine auf sein Zimmer zu verziehen. Dabei hätte der Rest der Familie schön im Wohnzimmer bei Kerzenschein und Keksen sitzen können, wenn man nur nicht diese dusselige Lügentradition hätte pflegen müssen, bei der alle aus dem Herz des Hauses verbannt werden.
Ganz gruselig fand ich den „Besuch“ eines Mannes im Weihnachtsmannkostüm als ich im Grundschulalter war. Mir war deutlich, dass das ein Fremder war, dem ich „brav“ eine Zurschaustellung bieten musste mit Gesang und Gedicht – um versichert zu bekommen, dass er die Rute bei sich behalten würde. Demütigend – und etwas ekelhaft, sich bei einem Wildfremden auf den Schoß setzen zu müssen, weil alle Erwachsenen das so niedlich finden.
Das Schreiben eines Wunschzettels empfand ich auch nur als Schikane. – Ich stelle mir vor, mein Chef ließe mich einen Wunschzettel für mein Gehalt und mein Arbeitsumfeld schreiben – wir alle wissen, dass wir im wahren Leben mit gewissen Limits und nicht bei „Wünsch dir was“ auf dem Ponyhof sind. Ich kenne nur solche Erwachsene, die davon tatsächlich betrübt sind, welche als Kinder eine besonders konfliktfreie, realitätsfremde Welt vorgegaukelt bekommen haben (und nein, ich meine damit nicht liebevolle Beziehung/Erziehung).
Vielleicht mag ich ein sehr autonomes Kind gewesen sein. Ich fand es auch total beleidigend, wenn man Schmerzen “wegpusten” wollte, weil es ja wohl deutlich war, dass zb eine Wunde dadurch nicht schneller heilt. Ich kann mich auch an viele negative Effekte von “Erziehung” erinnern, von dem heute in bindungsorientierter Erziehung abgeraten wird. Deshalb halte ich diesen Ansatz für so wichtig für unsere Kinder.
Wenn wir also davon reden, dass unsere Kinder kompetent sind, sollten wir uns imho dreimal gut überlegen, ob wir Ihre Kompetenz nicht doch unterminieren mit dem Konstrukt und Spektakel um den Weihnachtsmann. Es ist nämlich wirklich nicht schön, wenn alle um einen vehement so “tun, als ob”. Traditionen und Rituale gehen auch ohne solche zwanghaften Konventionen. Wie gesagt, wären selbst gebackene Kekse bei Kerzenschein ein viel ehrlicherer und gemütlicherer Akt gewesen als jedes “weil man eben so tut als gäbe es den Weihnachtsmann”.
Ich liebe selbst Fantasiewelten, verbringe gerne Zeit in ihnen, arbeite mit Imaginationen um mein Inneres Team zu beobachten und schreibe eigene Geschichten auch als Erwachsener noch – aber ich bin mir im
Klaren, dass es nicht real ist und kann es dennoch genießen. Wieso sollten meine Kinder damit nicht genauso umgehen können?
Ich erzähle meinen Kindern davon, dass es dem Heiligen Nikolaus gab und was er getan hat, dass der Weihnachtsmann eine schöne Geschichte ist, es ihn aber nicht wirklich gibt, dass wir die Geburt Jesus feiern und dass die Geschenke von und allen an alle kommen, weil wir den Menschen eine Freude machen wollen zu diesem Fest.
In Erinnerung an die ganzen negativen Gefühle, die die Weihnachtsmann-Geschichte bei mir hinterlassen hat, kann ich nur sagen:
Selbst wenn ich davon ausgehe, dass meine Kinder weniger abgebrühter sind als ich, riskieren möchte ich nicht, dass sie sich jemals so veräppelt, genervt oder gedemütigt fühlen, nur weil ich als Erwachsener einen “och wie niedlich” Moment haben möchte.
meine eltern haben auch sehr viel gelogen. erziehungslügen, motivationslügen, soziale lügen. immer wenn nicht eintrat, was sie versprachen, wurde die schuld auf andere geschoben oder auf mich. beispiel weihnachtsmann: ich habe immer listen gemacht und von den 10 sachen die ich aufgeschrieben habe nur eine bekommen und 3 sachen, die ich garnicht haben wollte. gesagt wurd mir immer, dass ich für den weihnachtsmann wohl nicht lieb genug war und der weihnachtsmann mir nicht das gegeben hatte was ich wollte, sondern das was ich brauchte. für meine eltern war das ein einfacher weg einfach nur nicht die sachen kaufen zu müssen, die sich nicht verstehen konnten oder für die sie weit fahren mussten. internet gab es ja in den 80ern nicht. als dann rauskam, dass es den weihnachtsmann nicht gibt, wurde mir nach und nach klar, dass nicht er die schuld trägt, sondern meine eltern. ich muss dazu sagen, dass meine eltern 1981 bei meiner geburt schon ende 40 waren. und daher daher fast 2 generationen älter. ich habe dann irgendwann rebeliert aufgrund der lügen. ging auch um noten. versprechungen wurden immer weiter nach vorne geschoben „wenn du morgen eine 2 mit nach hause bringst, bekommst du 10 mark… oh eine zwei wie schön, machen wir das so, wenn du morgen eine 1 bekommst, dann bekommst du 20 mark, ich hab heute leider kein geld hier. oh schön eine 1. na gut, aber das ist ja nur eine arbeit, wenn in deinem zeugnis in mathe eine 1 ist, bekommst du 50mark! oh du hast ja nur eine 2+ geschafft, dann gibts auch kein geld“. deals wurden immer angepasst. ich wurde belogen um geködert zu werden ohne dafür je den preis zu bekommen. kinder mit lügen zu gewünschtem verhalten zu erpressen und ängste zu nutzen, um seine ruhe zu haben, ist der faulste weg den eltern einschlagen und rückgradlos, wenn diese dann bei enttäuschung des kindes die schuld dann auch noch auf andere oder fiktive figuren abwälzen um nicht die bösen zu sein.
Lieber Jens,
Stimme ich vollkommen zu!
In dem Kontext scheint es mir auch um andere Aspekte zu gehen. Den Weihnachtsmann als Fantasiefigur zu nutzen, schließt ja nicht automatisch Manipulationen mit ein.
Ich kann gut verstehen, dass bei dieser Erfahrung ein anderer Zugang nur schwer möglich und die Vorbehalte diesbezüglich grundsätzlich groß sind.
Alles Gute!