Die Sommerpause ist vorbei und es geht endlich wieder weiter mit Ninas Kaffeesätze. Der heutige Text ist wunderschön traurig und spiegelt den harten Weg wieder, den Nina schon gegangen ist. Zudem ist Nina nun seit einem Jahr mein Gast und ich habe mich über jede einzelne Kolumne gefreut und werde mich auch in Zukunft über jede Zeile freuen, die diesem Blog schenkt.

Nun aber viel Spaß beim Lesen!

Feste, Feiern und das Gefühl neu geboren zu sein

Ich kann nicht feiern. Wenn ich zurück blicke, kann ich erkennen, dass ich es noch nie konnte. Und wenn ich ehrlich bin, kann ich nicht mal sagen, woran das liegt. Es mag vielleicht daran liegen, dass feiern und sich besaufen für viele einfach gleichbedeutende Worte sind und damit konnte ich noch nie was anfangen, aber vielleicht liegt der Grund auch ganz woanders. Vielleicht liegt es daran, dass ich vor Festen zu oft eine gewisse innere Erwartungshaltung hatte, die dann nur enttäuscht wurde. Vielleicht bin ich aber einfach nur eine Spaßbremse und habe keine Ahnung.

Eigentlich ist Oktober in meiner Familie ein Monat der Feiern. In keinem anderem Monat reihen sich so viele Geburtstage aneinander. Aber mir ist nicht zum Feiern. Einerseits sind die 800 km Entfernung zu meinen Eltern und Geschwistern ein wirkliches Hindernis, andererseits ist der Kontakt ein wenig eingerostet. Anfang Oktober habe ich gefeiert, beziehungsweise habe ich ganz gemütlich mit meiner Frau und einem Glas Wein angestoßen. Vor einem Jahr begann meine Hormonbehandlung und damit auch die körperliche Umwandlung – liebevoll meine Pubertät genannt.

Außerdem gab es hier einiges an Trubel in den letzten Wochen. Wir sind eine Patchworkfamilie, die beiden großen haben einen anderen Vater und Großeltern, die nur wenige Kilometer weit weg wohnen, die beiden kleinen haben ihre Großeltern vor Jahren zum letzten Mal gesehen. Alles ein wenig kompliziert, besonders bei Geburtstagsfeiern. Im September hatte unser Ältester seinen 13. Geburtstag. Gefeiert wurde bei den Großeltern. Meine Frau fuhr auch mit den kleineren Geschwistern hin und ich war in der Zwischenzeit zu Hause. Ich war nämlich nicht eingeladen. Das hat auch ein wenig damit zu tun, dass der Große zu seinem Papa umziehen wird und den Kontakt zu mir generell auf ein Minimum beschränkt. Die ersten Anzeichen einer Pubertät seinerseits.

Patchworkfamilie ist manchmal etwas Grausames. Auch nach fast neun gemeinsamen Jahren bin ich neben Mama nur die zweite Wahl. Und irgendwann akzeptiert man diese Barriere, diese unausgesprochene Grenze, auch wenn man die Kinder so liebt, wie die eigenen. Aber was soll ich sagen? Familie ist einfach nicht einfach.

Im Oktober haben meine drei Geschwister und meine Mutter Geburtstag. Meine mittlere Schwester wurde in diesem Jahr sogar 40. Irgendwie hätte ich gerne mit ihr gefeiert. Warum ich nicht gefahren bin, kann ich einfach beantworten: es wäre kompliziert gewesen. Zwar ist mein Coming Out nun schon fast zwei Jahre her, aber einige Mitglieder meiner Familie tun sich damit noch immer ziemlich schwer und ich tue mich damit schwer, wie die Reaktionen auf mich waren und sind.

Feiern. Eigentlich mag ich feiern. Allerdings ist das für mich eher etwas Intimes, gemeinsam verbrachte Zeit, Verbundenheit aus einem bestimmten Anlass heraus. Große Partys mit reichlich Alkohol und lauter Musik waren nie mein Ding. Zu viele Menschen, zu viele Emotionen, zu viel Trubel, zu wenig gemeinsam sein.

Aber heute werde ich wahrscheinlich feiern. Wahrscheinlich lege ich mich in die Badewanne mit einem Glas Rotwein und Kerzenlicht. Niemand außer mir wird merken, dass ich feiere, aber für mich wird dieser Tag etwas Besonderes sein. Heute, am 13. Oktober, feiere ich das erste Jubiläum meiner Kolumne. Und ein wenig feiere ich, dass die Ärzte vor über 20 Jahren nicht recht behalten hatten und ich nun diesen Tag überhaupt erleben darf. Ich, die Spaßbremse, feiere in aller Ruhe meinen 16. „Ich lebe noch“ Tag. Ohne Torte, ohne Musik, ohne Gäste.